Evile Warbringer & The Fading

Evile, Warbringer & The Fading

EvileThe FadingWarbringer
Essen, Turock
20.02.2010
Es ist finster und bitterkalt, aber glücklicherweise ist Essen kein dunkler Wald, so dass ich anders als Hänsel und Gretel den Weg ins Turock finde, um mich beim letzten Termin der „Infecting Nations“ Tour von den Livequalitäten einiger Shooting Stars zu überzeugen. Ein Zugausfall gleich zu Beginn der Reise, der zum Umsteigen auf die sehr langatmige Straßenbahnfahrt zwingt, sorgt allerdings dafür, dass das (fast) ortsansässige Eröffnungskommando ERADICATOR seinen Auftritt bereits vor meiner Auskunft absolviert hat. Was man zu hören bekommt, ist aber durchweg positiv.

Die erste Herren, die zu den Klängen des „Imperial March“ vor meine Augen treten, sind folglich die Israelis THE FADING, die frohen Mutes davon sprechen, dass das gerade ihre erste richtige Tour ist. Um so erstaunlicher wie frisch und energiegeladen sie sich nach dieser Ochsentour beim 33. und letzten Auftritt in 38 Tagen in ganz Europa präsentieren. Der Fliegerbrille tragende Schlagzeuger salutiert seinen Bandkameraden & dem Publikum und sofort wird losgelegt. Besonders Sänger Ilia scheint mit dem Schelmenfuß aufgestanden zu sein und sein breites Grinsen ist hochgradig ansteckend. Obwohl sichtlich nicht die Mehrheit des zu dieser Zeit etwas mehr als halb gefüllten Turock mit den Liedern vertraut ist, bangt und springt sich ein Teil des Publikums bereits warm und diverse von der Bühne angesagte Spielchen werden wohlwollend aufgenommen. Der Sound ist leider ein wenig leise, aber die Band kann sowohl mit ihrem modernen Melodic Death als auch mit dem Auftreten voll überzeugen und die freudige & ausgelassene Stimmung im Publikum tut ein übriges für einen sehr gelungenen Start in den Abend.

Mit WARBRINGER folgt eine der meistgelobten Bands der neuen Thrash Bewegung und sie werden sämtlichen Vorschusslorbeeren ab der ersten Sekunde gerecht, mit Hilfe eines Publikums, das heute Abend vor allem wegen der Amerikaner anwesend ist und sich von Anfang bis Ende in einem „good old friendly violent fun“ Rausch bewegt. Zu dessen Höhepunkten gehören einige ansehnliche Circles, während eine erkleckliche Zahl an Stage Divern froh sein kann, nicht ungebremst den Boden zu küssen, weil nur längst nicht jeder Zeit & Lust hat, auf so etwas zu achten. Egal ob WARBRINGER Stücke vom Debüt oder dem aktuellen Werk „Waking Into Nightmares“ bringen, alles wird begeistert aufgenommen und abgefeiert. Der enorm britisch aussehende Sänger John und seine Mannen, bei denen Gitarrist Adam aufgrund seines sehr jugendlichen Erscheinungsbildes am meisten heraussticht, haben nicht nur die Menge im Griff, sondern auch jede Menge Spaß, selbst als die Saiteninstrumentalisten ihre Geräte bei der Zugabe kaum noch bedienen können, weil die ausgerufene Stage Invasion so überwältigend ausfällt, dass der mögliche Bewegungsradius auf der Bühne auf wenige Zentimeter eingeschränkt ist.
Großartige Band, großartige Lieder, großartige Show!

Nach dieser Energieleistung, die von allen alles gefordert hat, können EVILE, die ihren Thrash deutlich epischer und in die Breite ausgewalzt lieben, den Preis für den besten Auftritt des Abends nicht mehr gewinnen, so sehr sie sich auch mühen. Mit „Infected Nation“ am Anfang des Sets versucht man dem Publikum gleich einzuheizen, aber der Funke springt anders über als bei WARBRINGER. Dem Augenschein nach ist viel mehr Platz vor der Bühne und selbst wenn das Bangverhalten immer noch sehenswert ist, spielen die Briten, auch wenn es sich komisch anhört, eher Thrash zum Genießen denn zum kollektiven Ausrasten, obwohl die älteren Lieder deutlich mehr Wucht & Geschwindigkeit haben als die Songs des aktuellen Albums „Infected Nations“. Dafür gibt es Bonuspunkte für eine Gitarre im 1A „Dungeon Keeper“ - kennt noch jemand dieses Computerspiel? - Look und dafür, wie gut integriert Neu-Bassist Joel, der Ersatz für den auf der letzten Tour verstorbenen Mike Alexander, ist. Das gute Verhältnis der Bands dieser Tour untereinander verdeutlicht WARBRINGER Sänger John, der das halbe EVILE Set an einem Backgroundmikro mitsingt, und alle haben viel Freude an diesem ebenfalls in allen Punkten erstklassigen Auftritt.

Einziger Wermutstropfen aus meiner Sicht bleibt der Verzicht auf die sonst oft üblichen Scherze beim letzten Auftritt einer Tour, zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als ich das Konzert verlassen muss, um nicht erst im Morgengrauen zu Hause sein zu können. So entgeht mir leider auch das „Creeping Death“ Cover gen Ende des Sets von EVILE, das man sich bei YouTube anschauen kann.
Um dieses überragende Konzert in Worte zu fassen, muss ich dennoch zu großen Worten greifen: Wer da war, hat die Zukunft des Thrash gesehen (oder zumindest zwei wichtige Bausteine davon). Grandios!
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