KISS - Sonic Boom Over Europe

KISS - Sonic Boom Over Europe

Five And The Red OneKISSTaking Dawn
Leipzig/Hamburg/Oberhausen, Arena/Color Line Arena/ KöPi Arena
25.05.2010
Leipzig, 25.05.2010

Deutschland, 25. Mai 2010: Wenn man den Medienberichten glauben mag (und das tun wir als Medium natürlich nur allzu gern), schwebt der mit Bandlogo und vier älteren Herren versehene KISS-Jet gegen 15:35 Uhr auf dem Leipziger Flughafen ein. Die amerikanischen Geschäftsmänner geben sich locker und sie haben allen Grund dazu – es ist Sommer, das neue Album wurde ganz gut aufgenommen, und in etwa 6 Stunden wird die „Sonic Boom Over Europe“-Tour in der hiesigen Arena beginnen. Wo man auf Wunsch der Band im Übrigen bereits die Umkleiden neu lackiert und ein paar zusätzliche Stromaggregate installiert hat...
Wer sich aus diesem Anlass fragt, wie viele Abschiedstouren die Mannen um Gene Simmons und Paul Stanley noch absolvieren können, bevor die Fans zuhause bleiben, der unterschätzt offenbar die Wirkung von fast 40 Jahren Präsenz im schnelllebigen Geschäft: Schon am frühen Abend sammeln sich Horden geschminkter oder wenigstens angemessen gekleideter Fans in den gastronomischen Einrichtungen am Waldplatz. Die Luft riecht nach Bier, nach Fleisch, nach Faschingsfarben und gespannter Vorfreude. Letztendlich sind es dann knapp 10.000 Leute, die sich an diesem Dienstag ins weite Rund drängen, was zwar auf den Rängen für ein paar leere Flecken sorgt, auf dem Parkett allerdings nur wenig Raum zum Tanzen lässt – da mussten sich die SCORPIONS vor zwei Wochen mit deutlich weniger zufrieden geben. Aber bei denen läuft ja auch gerade mal die erste Abschiedstour, die zudem hier nicht Thema ist. Also ab durchs Gitter und „in(to) the arena“!

Im Innenraum fällt zunächst die wieder einmal gigantische und derzeit noch abgehängte Bühne auf, auf welcher sich momentan eine Band namens TAKING DAWN die Hacken wund läuft. Die Kanadier wurden von diversen Gazetten zum idealen Schnittpunkt aus melodischem Hard Rock und Schlag-mich-tot erklärt und machen ihren Job wirklich ordentlich: Die Riffs zielen gleichermaßen auf Kopf und Beine, die Rhythmusgruppe groovt sich zu gelungenen Soli durch den kompletten Wohlfühlbereich, und auch der Mann am Mikro kann (vor allem im Verbund mit den Backings seiner Kollegen) durchaus überzeugen. Falls also tatsächlich irgendwer die abgesprungenen WOLFMOTHER vermisst – und das ist bei Vorbands auf KISS-Konzerten ja so üblich – dann dürften ihm TAKING DAWN mit dieser Show zumindest die gröbsten Tränen aus dem Knopfloch rocken. Ein schöner Einstieg der jungen Band, die spät in der Nacht noch Flyer verteilen wird. Aber ganz, ganz, ganz ehrlich: Im Endeffekt ist es scheißegal, wer die PA für KISS testet und auf der Bühne klein aussieht – jetzt muss der Laden explodieren!

In der folgenden Umbaupause wird im Frontbereich zunächst etwas umgestaltet: Die beidseitig der Bühne platzierten KISS Army-Banner rücken ein wenig ins Licht und mehrere Leute schwören gar, dass sich der Vorhang bewegt, bevor die klassischen Zeilen aus rauher Männerkehle verkünden, dass wir nun wirklich das Beste bekommen werden: KISS! Krach! Bumm!! Schepper!!!
In ein Meer aus Licht und Feuer getaucht, erscheint das Phänomen aus den Tiefen der Bühne und trotz des eher behäbigen Einstiegssongs („Modern Day Delilah“) ist auf der Stelle klar, wer hier die Haare schön hat: Die riesige LED-Wand sorgt in Verbindung mit Dutzenden Monitoren und einer Armee von Scheinwerfern für umgehende Synapsenplättung, die Band klingt angemessen tight, Paul ist super bei Stimme, und schon vom Start weg fällt auf, dass heute offenbar besonders gutes Posing-Wetter ist. So gibt Simmons nach dem ersten Drittel (in welchem „Say Yeah“ überraschend gut abging) kurz den gefallenen Engel, um sich anschließend fliegenderweise auf die Lichttraverse der Arena zu erheben, wo er dem Bass mal eben zeigt, wo die tiefen Töne liegen. Klar, dass Stanley später mit Mitsingspielchen und einer eigenen Flugeinlage nachkartet, denn das sind genau diese KISS-Momente - eigentlich komplett unnötig, aber irgendwie auch die Essenz von Unterhaltung.
Dazu kommen Situationen, in denen es KISS verstehen, auf der im Grunde riesigen Bühne Zusammenhalt zu demonstrieren, was gerade mit Blick auf Tommy Thayer schlicht cool ist: Eigentlich eher ruhiger Gitarrist als Frontschwein, wird Thayer durch verschiedene Aktionen seitens der Bandköpfe immer wieder in die Formation gelockt, darf bisweilen ganz versunken vor sich hin spielen, um im nächsten Augenblick am Bühnenrand die Rocksau zu geben. KISS funktionieren aufgrund der Dimensionen natürlich anders als eine junge Band im Club um die Ecke, aber die Balance aus musikalischer Kompetenz und Auftreten als Band wirkt im derzeitigen Lineup einfach überzeugend.
So steht am Ende des Abends nicht nur aufgrund der unten aufgeführten Setlist eine gigantische Auftaktshow, die KISS in Bestform präsentiert. Und während es hier noch Konfetti regnet, übergebe ich die Fingerfarben an Hamburg – calling Dr. Tom!
[rs]

Hamburg, 31.05.2010

Wenn sich wildgeschminkte Typen in Hamburg herumtreiben, kann es eigentlich nur zwei Gründe dafür geben. Entweder es handelt sich hier um den alljährlichen CSD-Umzug oder alte Männer in Latexkostümen sind in der Stadt (womit wir ja eigentlich doch irgendwie wieder bei Punkt 1 wären). Nachdem eine Woche zuvor AC/DC in Hannover 80.000 Mann anlockten, ließen es KISS etwas gemütlicher angehen, um nicht zu sagen, die Australier haben den Amis mittlerweile weit den Rang abgelaufen, da die vier es nicht schafften die Color Line Arena ganz zu füllen. Dennoch haben sich 9000 Mann eingefunden, um mit mir in Nostalgie zu schwelgen.

Zuerst aber waren FIVE AND THE RED ONE an der Reihe, die mit ihrem kleinen Equipment nicht wirklich auf die Bühne passten. Ordentlichen Rock boten die Jungs, aber auch nicht viel mehr. Zwar war der Applaus mehr als nur höflich, aber man merkte, dass die Ulmer eigentlich keiner sehen wollte. Was die eigentlich angekündigte Vorband WOLFMOTHER angeht, so bleibt mir bis heute verborgen, warum die nicht an den Start gegangen sind. Vielleicht hat der olle Gene ja auch schon deren Blut für seine Performance verbraucht.

Ziemlich pünktlich gegen 21:00 Uhr war es dann Zeit für die Helden meiner Kindheit (die 40 Minuten Umbauzeit waren echt schwer zu ertragen). Vor 29 Jahren hatte ich den ersten Anlauf genommen die Truppe mal live zu sehen, was mir als 11-jähriger aber verwehrt wurde. Und nun hatte ich es also endlich mal geschafft und hatte beim Konzertstart ernsthafte Probleme etwas zu sehen mit dem ganzen Wasser im Auge. Ich glaube, ich werde im Alter doch noch sensibel. Was ich nicht sehen konnte, konnte ich aber wenigstens hören. Zwar war der Sound zu Anfang noch sehr basslastig, aber das änderte sich glücklicherweise mit fortlaufender Spielzeit. Und so nahm die Reise durch meine eigene Vergangenheit seinen Lauf. Es wurde nichts ausgespart. Jeder noch so erwartete Song der Glanzzeiten wurde geboten. Das Material des aktuellen Albums, insbesondere ''I'm An Animal'', kamen allerdings nicht so gut an. Trotzdem hatte die Meute um mich herum einen riesigen Spaß, bis auf allen Ebenen der Halle die Schminke schmolz, was besonders bei denen nicht sonderlich schade war, die sich als Starchild den Stern auf die falsche Seite geschmiert oder einfach mal sechs Zacken genommen hatten. Zwei volle Stunden Unterhaltung mit allen erwarteten Effekten und Einlagen gingen viel zu schnell vorbei. Und auch wenn die Herren nicht immer den Ton trafen, war dieses Konzert einfach nur geil. Sollten KISS ein 12. Mal auf Abschiedstour gehen; ich bin wieder dabei. Koste es was es wolle, denn das ist Entertainment pur!
[ts]


Oberhausen, 01.06.2010

Nachdem Kollege Tom bereits am Montag in Hamburg weilte, um sich an seinen Hardrock Helden KISS zu ergötzen, konnte ich mir das Spektakel einen Tag später in Oberhausen natürlich auch nicht entgehen lassen. Schließlich zählte das 2008er Europa Comeback an gleicher Wirkungsstätte zu den besten drei Konzerterlebnissen, denen ich bis jetzt beiwohnen durfte. Selbstredend, dass auch dieses Mal die KöPi Arena mit 12.000 Menschen restlos ausverkauft ist, trotz Preise im Bereich von 70 Euro. Dafür hat die Band aber wohl endlich eingesehen, dass 35 Tacken für ein T-Shirt ein bisschen zu viel des Guten sind, so dass diesmal sogar halbwegs anständige Preise von 20 bis 25 Euro aufgerufen werden. Klar, günstig geht anders, ein Schritt in die richtige Richtung ist dies jedoch allemal.

Bevor man sich endlich an dem kommenden Spektakel ergötzen kann, heißt es jedoch, die (mir) völlig unbekannte Vorgruppe FIVE AND THE RED ONE zu überstehen. Die Jungs aus Ulm bieten recht gefälligen Hardrock NICKELBACKscher Prägung, streifen aber hin und wieder mal den guten alten 80er Stadion Rock. Die Band wirkt zwar recht routiniert, auf der riesigen Bühne jedoch auch ziemlich verloren und kann das Publikum nur wenig mitreißen. Je länger der Set dauert, desto mehr macht sich natürlich Unmut und Ungeduld in der Masse breit. Unterm Strich geht der Auftritt okay, aber es sei noch mal angemerkt, dass bei einer deutschen Band vor deutschem Publikum kein Schwein Ansagen der Marke „Make some noise“ und „Are you ready to rock“ braucht.

Wer hier wirklich der Chef im Ring ist, wird klar, als nach der obligatorischen „hottest band in the world“ Ansage der Vorhang fällt und die Protagonisten aus dem Hintergrund mittels eines beweglichen Podestes auf die Bühne „schweben“. Zwar ist der Einstieg mit „Modern Day Delilah“, immerhin einem der drei neuen Tracks, die es in die Setlist geschafft haben, etwas schleppend, aber spätestens bei „Cold Gin“ und den folgenden Großtaten steht die Arena mal wieder Kopf. Bewaffnet mit einem unglaublichen Arsenal an Pyros, einer bombastischen Lightshow, drei riesigen Leinwänden und unzähligen Videowürfeln verwandeln KISS Oberhausen umgehend in einen Hexenkessel. Dabei stimmt neben dem optischen Overkill auch die Performance der Band, denn Stanley, Simmons & Co. sind ständig in Bewegung, posen was das Zeug hält und hauen nebenbei noch Granaten wie „Crazy, Crazy Nights“, „Calling Dr. Love“ und „Shock Me“ raus, die man in Europa lange nicht mehr live hören durfte. Zwar lässt Pauls Stimme gegen Ende der Show etwas nach, aber das sei einem Mann seines Alters dann doch verziehen. Der Einsatz stimmt jedenfalls, und da man sowohl alle lieb gewonnenen Showelemente (Flug ins Publikum, Blut Spucken, Konfettiregen, Raketen aus der Gitarre etc.) als auch saucoole Hits am Fließband an den Kopf geschossen bekommt, kommt wirklich zu keiner Sekunde auch nur ein Hauch von Langeweile auf. Die „Sidekicks“ Tommy Thayer und Eric Singer dürfen übrigens nicht nur jeweils mit einem Solo ran, sondern auch die Stücke „Shock Me“ und „Beth“ am Mikro zum Besten geben – soviel lassen die Egos der beiden Frontmänner immerhin zu.
Der Zugabenblock steigert sie Stimmung mit NOCH MEHR HITS dann endgültig in den roten Bereich, und mit dem unvermeidlichen Höhepunkt „Rock And Roll All Nite“ gehen dann deutlich über zwei Stunden Entertainment der Spitzenklasse zu Ende, und wirklich niemand verlässt die Halle mit einem Gefühl der Enttäuschung. In der Form können die älteren Herren meinetwegen jedes Jahr vorbeischauen, die Dauerkarte wäre schon gebucht.
[mh]


Setlist KISS:

Modern Day Delilah
Cold Gin
Let Me Go, Rock’n’Roll
Firehouse
Say Yeah
Deuce
Crazy, Crazy Nights
Calling Dr. Love
Shock Me
Guitar Solo Tommy Thayer
Drum Solo Eric Singer
I’m An Animal
100.000 Years
Bass Solo Gene Simmons
I Love It Loud
Love Gun
Whole Lotta Love (LED ZEPPELIN Cover, angespielt)
Black Diamond
Detroit Rock City
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Beth (nicht in Leipzig)
Lick It Up
Shout It Out Loud
I Was Made For Lovin’ You
God Gave Rock’n’Roll To You II
Rock And Roll All Nite
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