Stay Brutal!


Interview mit Maroon
Metalcore aus Deutschland - Nordhausen
Sie lassen sich nichts befehlen, provozieren gerne, bleiben dabei aber immer bodenständig. Hört man das neue Album "Order", spürt man, dass MAROON eine der originellsten und bewegensten deutschen Metalbands sind. Frontmann Andre Moraweck hat einiges zu erzählen, und so setzt er sich zusammen mit den Bloodchamber-Reds Yvonne und Micha vor der Release-Show in den Biergarten des Essener Turock und sorgt gerne für rechlich Diskussionstoff.

Yvonne: Zuerst zum neuen Album: Warum ist die Platte so düster geworden? Mit der Band läuft es sehr gut; privat sieht es bei euch auch positiv aus. Was also treibt euch musikalisch an? Was inspiriert euch?


Andre: Wir haben uns auch gefragt, warum die Platte so düster ist. Schon als wir die Vorproduktion gemacht haben und nach einem Produzenten Ausschau gehalten haben, sind wir aufgrund der Düsternis auf Markus Stock (Studio E) gekommen, der eher dunkle Sachen macht, Gothic, Black Metal und Ambient.
Warum kommt denn so eine Platte raus? Uns geht eigentlich gut. Ich bin vor kurzem Vater geworden; mir geht’s gut, und ich nehme den Text von den „Kindertotenliedern“, was rein gar nicht dazu passt. Ich glaube aber, gerade wenn es einem gut geht, braucht man ein Ventil, für die ganzen negativen Sachen, die ja immer da sind. Diese negative Energie ist noch drin, und die muss ja irgendwie raus. Und da ich sie nicht privat raus lassen kann, weil ich mich eben positiv fühle, mache ich das am liebsten auf der Bühne oder im Studio. Und deswegen ist es nicht zwangsläufig so, dass umso schlechter man drauf ist, umso besser die Platten werden. In unserem Falle hat es irgendwie gepasst.

Auf der neuen Platte finden sich wieder noch mehr verschiedene Metal-Einflüsse. Bewegt ihr euch bewusst vom Hardcore weg?

Eigentlich kann man sagen, wir machen gar nichts bewusst. Wir wissen vorher nie, in welche Richtung es gehen wird. Wir spielen und sagen dann irgendwann: Aha, in diese Richtung geht es diesmal. Wir haben mehr Hardcore-Einflüsse denn je auf dieser Platte verarbeitet, vom Gesang und von dieser Mosh-Geschichte her. Ich denke, so vielseitig wie auf dieser Platte waren wir noch nie. Dann bewegen wir uns im Metal noch mehr in den Extremen - wir haben Gothic Metal-Einflüsse, z.B. bei „Bleak“; wir haben wieder 80er-Jahre Speedmetal und zum allerersten Mal Black Metal. Wir probieren gerne alles aus, worauf wir Bock haben.

Micha: Gibt es denn negative Reaktionen von der Die-Hard-Fanbasis?

Nein, gar nicht. Ich weiß nicht, ob es mir nur so vorkommt, aber selbst die Hardcore-Leute von früher sagen: Die Platte ist wieder geil. Die Letzte war zu Metal, aber die ist jetzt wieder Hardcore. Ich hab das mal verglichen. Seit zwei Monaten mache ich jetzt Promo für die Platte, hab Unmengen an Interviews gegeben und jedes Magazin, das sich auf die Fahnen schreibt, etwas zu sein, findet sie gut. Die Hardcore-Mags sagen, es ist das beste Hardcore-Album, das wir je gemacht haben; die Metal-Leute sagen, es ist das beste Metal-Album. Es kann sich jeder aus der Platte raus nehmen, was er gerne möchte. Und das ist, wie ich finde, ganz wichtig.

Yvonne: Was ist das Konzept von „Order“? Um welchen „Befehl“ geht es?

Es ist gerade gegen diese Art zu leben, wie man auf dem Cover unschwer erkennen kann - die Damen, die in den Himmel schauen und völlig weggetreten sind, die auf die „order“ warten. Es geht gegen Leute, die von oben gelenkt werden. Das bedeutet nicht zwangsläufig nur Religion, sondern auch Staat, Polizei, Familie, von mir aus auch Schule. Einfach die Aussage: Ihr braucht euch nicht lenken lassen. Ihr braucht keinen Führer. Ihr braucht keinen Vorsitzenden, der euch sagt, was gut und was schlecht ist. Es soll jeder sein Ding machen, dabei aber schauen, dass er keinen verletzt. Das ist für uns als Veganer auch wichtig. Man muss sein Ding durchziehen, aber nicht auf Kosten anderer.
Die Texte drehen sich zum Beispiel um Sekten, um alle Leute, die nicht selbstständig denken können oder wollen. Die greifen wir an und sagen: Hey! Ihr habt nur 70, 80 Jahre auf diesem Planeten. Jetzt fangt doch mal an, das selbstständig zu machen. Ihr braucht keinen Gott, keine Bibel, von mir aus auch keinen Koran. Ist egal, ich will hier jetzt keinen besser dastehen lassen.

Das Cover wirkt ja schon etwas befremdlich, wenn man die Frauen da stehen sieht, die Brüste entblößt und zum Himmel starrend...

Es kommt von einem Künstler, der das Motiv wieder von einer Künstlerin vom Balkan hatte. Der Künstler ist unser T-Shirt-Künstler gewesen, und das gab es eigentlich in abgewandelter Form als T-Shirt-Vorlage. Wir fanden es so gut, dass wir gesagt haben: Wir brauchen das als Cover. Mit den Texten und allem passt es auch wunderbar.
Es ist natürlich polarisierend. Entweder die Leute finden es extrem gut und sagen: Ich habe noch nie ein besseres Cover gesehen. Oder sie sagen: Mein Gott, ist das Scheiße! Und genau das wollen wir. Es gibt Foren mit Millionen Einträgen nur über das Cover. Das finde ich geil! So beschäftigen sich die Leute mit der Platte und vielleicht auch mit den Texten. Das wäre ja wünschenswert.
Das ist das, was wir wollen. So Wischiwaschi mag ich nicht, den geringsten Widerstand gehen, mit dem Cover nicht auffallen, mit der Schrift nicht auffallen, mit den Texten allen so ein bisschen am Arsch lecken – das wollen wir nicht, sondern immer ein bisschen provozieren. Die Leute sollen sagen: Selbst das Cover finde ich schon voll Scheiße, aber was ist das eigentlich für eine Band? So lange das funktioniert, sind wir genau auf dem richtigen Weg.

„Stay Brutal“ ist ja ein sehr plakativer Songtitel. Hört sich eher an wie Trve Heavy Metal.

Der Titel ist erst im Studio entstanden. Mein Bruder (MAROON-Bassist...Anm.d.Verf.) hat den Song geschrieben und meinte, dass wir „Stay Brutal“ einfach nicht nehmen können. Das ist zu plump.
Wir haben aber fest gestellt: Je plumper, desto besser. Das gilt jetzt nicht abwertend für irgendjemanden oder für die Szene, aber die Leute merken sich so etwas besser. Wenn man jetzt irgendwelche kryptischen Bandnamen oder Albentitel hat, kann sich niemand so etwas merken. Wir haben damals einen einfachen Bandnamen gewählt, weil wir dachten, dass den sich jeder merken kann. Genau das gleiche ist es mit „Stay Brutal“. Es sollte einfach ein Slogan sein. Wir wissen, es ist wirklich plump, aber wir machen es einfach. Millionen Leute im Internet benutzen diesen Satz als Abschluss. Jeder schreibt zu seinem Freund bei MySpace „Stay Brutal!“. Das hat nicht mal was mit uns zu tun.
Hoffentlich werden wir jetzt nicht unser ganzes Leben lang auf „Stay Brutal“ reduziert. Egal, wo wir hinkommen, egal, was wir machen: Ey, stay brutal! Vorhin, als wir essen waren: Stay brutal! Ich dachte schon, jetzt ist es soweit.

Wie ist die Kooperation mit ENDSTILLE zustande gekommen? Seid ihr selbst Blackmetal Fans?

Ich bin mittlerweile seit 10 Jahren Blackmetal-Fan. Ich mag sehr viele Blackmetal-Bands; habe auch sehr viele Kontakte zu Blackmetal-Bands. Mir wurde mal nachgesagt, ich hätte was mit NSBM-Bands zu tun, nur weil ich die Leute von Absurd von ganz früher kenne. Wir kommen aus einer Stadt; wir haben uns einen Proberaum geteilt. Es wurde erzählt, ich hätte immer noch Kontakt zu denen, obwohl das nicht stimmt. Seit der Gefängniszeit gibt es da keinen Kontakt mehr, und vorher war das auch nur sporadisch. Das ist ja auch sehr lange her.
Wir kennen ENDSTILLE gut. Daher kam die Zusammenarbeit zustande. Wir haben „Children Of The Next Level“ geschrieben und dachten: Da sind jetzt zwei Minuten pure Wut, ganz schön blackmetallisch. Wir lassen den Song so und werten den noch ein bisschen auf, indem wir uns einen Gastsänger suchen. Da sind uns sofort ENDSTILLE eingefallen, weil sie Freunde von uns sind, und auch der Philipp von SECRETS OF THE MOON. Es ist gut geworden, und wir sind auch sehr stolz darauf.

Wie kamt ihr auf Friedrich Rückerts „Kindertotenlieder“, die in dem Song „Schatten“ verarbeitet wurde?

Ich habe das Buch vor Jahren gekauft und hab ab und an darin gelesen. Ich fand es heftig, hatte es dann aber vergessen, bis ich bei einem Konzert dieses SUNN O)))-Ablegers eine Interpretation dieser Gedichte gehört habe. Ich habe es den anderen im Proberaum vorgespielt, und wir wollten es ausprobieren. Bis zum Schluss stand nicht fest, ob wir es in Deutsch oder in Englisch machen. Ich hab das Ganze ins Englische übersetzt, was schon mal ein Verbrechen war. Man kann Goethe, Schiller, Heine oder auch Rückert einfach nicht übersetzen. Mir würde das Herz bluten, wenn ich Eichendorff übersetzen müsste. Dann habe ich beschlossen: wenn dann nur in Deutsch, anders nicht. Nur in Deutsch hat es diese Wertigkeit und diese Wucht.

Micha: Besteht denn in Zukunft die Option deutsche Texte zu verwenden?

Es gibt nur sehr wenige deutsche Texte, die ich mag, gerade in der harten Musik. Ich habe es probiert für mein Soloprojekt, aber es ist grausam. Ich kann es einfach nicht. Ich will mir nicht anmaßen, so gut zu sein wie ein Rückert, Heine oder Goethe. Das sind deutsche Texte, die gut sind. Wenn es dann schlecht wird, dann wird es nur peinlich.

Yvonne: Wie geht man denn an so eine Sache ran, ein Gedicht zu vertonen. Die Stimmung der ganzen Sache muss eingefangen werden, und die persönliche Interpretation spielt sicher auch eine Rolle. Wie habt ihr das in Angriff genommen?

Das war schwierig. Wir haben uns das bis zum allerletzten Punkt aufgehoben. Das war das letzte, was wir gesangstechnisch aufgenommen haben. Es war wirklich, wie man sich das vorstellt. Es war abends und dunkel. Wir waren in so einer Feierabendlaune. Endlich geschafft, aber jetzt so richtig mit Druck noch mal an „Schatten“ ran! Markus' Studio ist dunkel, und alles ist ein bisschen antik eingerichtet. Das war die richtige Stimmung. Markus hatte auch gleich richtig gute Ideen. Wer seine alte Band EMPYRIUM kennt, der weiß, dass er gut mit Worten umgehen kann. Er konnte mir gute Tipps geben. Dann ging es schneller, als wir gedacht haben.

Stellt ihr denn bei euren zahlreichen Konzerten noch Unterschiede zwischen den Konzertbesuchern in Ost und West fest?

Früher war es extrem, weil wir ja Ossis sind und auch im Osten angefangen haben. Da waren die Ostkonzerte irgendwie besser. Aber mittlerweile kann man auf gar nichts mehr zählen. Wir haben z.B. in Hamburg immer gute Konzerte gespielt, und letzte Woche hatten wir dort eine Show, und es war so...okay.
In der Heimatstadt spielen ist immer gut, Leipzig ist immer gut, aber man kann das heutzutage überhaupt nicht mehr sagen. Wir hatten mal eine Zeit, da ging Belgien und Holland gar nicht. Jetzt geht’s wieder voll gut. Dann hatten wir mal eine Zeit, da konnten wir uns im Süden nicht blicken lassen, weil da nichts passiert ist. Jetzt kommen in München 800 Leute.
Es wäre so einfach zu sagen, wir spielen nur noch da und da, weil es da immer gut ist, aber leider funktioniert das nicht. Eigentlich war der Ruhrpott immer so okay, und für heute wurden ja schon 200 Karten im Vorverkauf verkauft, was für Essen phänomenal ist. Vor allem, wenn man überlegt, dass in Münster heute die Thrash & Burn-Tour ist, was nur eine Stunde von hier weg ist, mit der gleichen Musik und noch mehr Bands. Man muss halt nur jedes Mal, wenn man losfährt denken: Ach, es wird schon gut werden. Darauf verlassen kann man sich gar nicht mehr.

Ihr seid letztes Jahr beim Party San-Festival aufgetreten, wo ihr ja einen echten Exotenbonus hattet. Wie war das denn für euch?

Es wurde ja schon im Vorfeld viel diskutiert. Da habe ich mich als Provokateur sehr gefreut. Obwohl sie uns gehasst haben, haben sie sich stundenlang mit uns beschäftigt. Die werden uns in ihrem Leben nie wieder vergessen. Mehr kann man da eigentlich nicht verlangen.
Ein paar von uns hatten dann richtig Bammel. Man konnte aber eigentlich nur gewinnen, da im Vorfeld schon alles Scheiße war. Es war aber dann richtig gut. Es gab ein paar Leute, die sich auf unsere Kosten amüsieren wollten und uns dann mit Würstchen beworfen haben. Die fanden das extrem witzig. Aber sie waren die einzigen.
Im Endeffekt haben wir nur gute Kritiken von den Leuten bekommen. Es gab ganz viele Leute, die danach gesagt haben: Ich kannte euch nicht. Ich dachte, ihr seid voll scheiße. Ich fand euch aber gut.
So ein Experiment reicht aber einmal. Irgendwie ist das schon seelisch ganz schön anstrengend.

Wie ist denn mittlerweile das Verhältnis zu den Bands, mit denen ihr gewachsen seid?

CALIBAN sind doch hier. Wenn man in der Stadt ist, sind die auch da. Die Bands, mit denen wir angefangen haben, wie HSB, CALIBAN oder NARZISS – da freut man sich immer wieder tierisch, die zu sehen. Natürlich geht es auch um Konkurrenz, und man schielt da schon rüber. HSB haben jetzt schon ein paar Platten mehr verkauft. Jetzt müssen wir wieder da ran kommen. Aber das ist jetzt alles nicht so verbissen, sondern immer mit einem Augenzwinkern. Das ist eigentlich nur Freundschaft. Da gibt’s kein böses Blut.

Auf eurer MySpace Seite habt ihr unter euren Freunden auch die PETA (People for the Ethical Treatment of Animals), die ja recht umstritten ist. Viele berühmte Leute, Models, Schauspieler etc. scheinen sich nur für diese Organisation stark zu machen, um Publicity zu bekommen, und nicht, weil sie wirklich deren Standpunkte vertreten und danach leben.

Ich finde es wichtig, dass Veganer und Tierrechtler, wie wir es sind, auch aktiv etwas machen und solche Organisationen unterstützen. In der neuen Galore ist z.B. ein Interview mit dem amerikanischen PETA-Chef drin, und der sagt genau das gleiche: Natürlich haben wir viele Leute, die wir ausnutzen, weil sie einen Namen haben. Aber dadurch steht die Organisation in einem großen Licht. Es ist ihnen aber noch wichtiger, dass dahinter die Substanz da ist, dass es nicht nur eine leere Hülle ist, die nur auf Publicity aus ist und nur ein paar Spendengelder einkassiert und nichts macht. Wer die PETA kennt, weiß dass sie auch viele und gute Aktionen machen, und die sind nur möglich, wenn man einen „radikalen“ Arbeiterstamm hat, die wirkliche Sympathisanten und Kämpfer sind.
Wir haben uns nie wirklich zu irgendwelchen Organisationen bekannt, weil wir damit immer ein bisschen Probleme haben. Nie ist alles in Ordnung. Es gab ja Riesendiskussionen um die Holocaust-Kampagne der PETA, in der sie die Tiere mit Holocaust-Opfern verglichen hatten und Auschwitz-Bilder neben Berge von Tierleichen stellten. Fand ich auch sehr zwiespältig und wirklich nur bedingt unterstützbar. Sie haben gesagt, wir sind Amerikaner. Wir können das. Wenn ihr Deutschen ein Problem damit habt, dann bitteschön. Wir sagen aber nicht zu allem ja und amen.
In der neuen CD sind auch PETA zusammen mit der ALF (Animal Liberation Front) genannt, die wir auch unterstützen. Die sind ja in England mittlerweile eine terroristische Organisation. Da darf man den Namen nicht einmal aussprechen, schon ist man im Gefängnis. Angeblich ganz schlimme Terroristen. Ich hatte das Glück, mal Keith Mann (britischer ALF-Aktivist...Anm.d.Verf.) zu treffen, der 11 Jahre ins Gefängnis musste. Er hat mir wirklich die Augen geöffnet.
Deswegen kann ich immer wieder sagen, auch wenn es Ärger gibt: Animal Liberation Front, einfach mal informieren. Das sind die Leute, die hinter den großen Reden die Arbeit machen. Das finden wir unterstützenswert, und das ist auch immer noch MAROON!
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