Disillusion & TOTL XS. CTRL
Disillusion & TOTL XS. CTRL
Leipzig, Werk 2
04.12.2015
04.12.2015
Ich liege leicht gekrümmt auf meinem Sofa. Ich leide, wie wohl nur ein Mann in der Lage ist zu leiden. Wehenartig und unregelmäßig durchbricht dumpfer Schmerz die fiebrige Wand aus Abscheu gegenüber jeglichen Lebensmitteln. Meinen rechten Handballen sowie Teile des Gesichts zieren ein rundes, bläuliches "Werk 2"-Logo. Ich bin unwillig, es zu entfernen. Mein Magen mitsamt der ihn umgebenden Organe raunt mir zu: "Siehste, das haste nun davon!" Aber ich entgegne nur in Gedanken: "Leck mich, das war es wert!".
Rückblick.
Ein paar Stunden zuvor.
"Geh nicht! Bleib zu Hause! Suhle dich mit mir zusammen in Selbstmitleid!" - Mein Verdauungstrakt findet deutliche Worte. "Es gibt doch noch genügend andere Konzerte", grummelt es aus der unteren Region. "Ja, aber nicht DISILLUSION. Darauf freue ich mich schon seit der Ankündigung im Sommer", entgegne ich ihm nach einem kurzen Kontrollblick, ob psychiatrisches Personal mit Einweisungsbefugnis in Sichtweite ist. "Bei denen weiß man nie, ob sie sich nicht plötzlich auflösen. Und es geht das Gerücht rum, nach über 9 Jahren gibt's endlich was neues zu hören!"
"Papperlapapp, an die erinnert sich doch eh niemand mehr nach der langen Zeit. Und 'Gloria' war ja nun wirklich Bockmist. Und wer weiß, welches abgefahrene experimentelle Zeug die nun wieder zusammengefrickelt haben. Lass uns doch lieber zusammen noch den ekligen Döner verdauen!"
"Ach was weißt du schon von Musik, du elender pessimistischer Resteverwerter." rufe ich erzürnt mit gesenktem Blick in Richtung meiner unteren Region. Bei dieser Aktion will sich mein Nacken durch das Aussenden spitzer Stiche auch noch ins Gespräch einbringen. Also beende ich das selbige mit einem vernünftigen Gedanken an die Sinnlosigkeit einer Diskussion mit Organen und untermauere dies mit einem "Basta, ich geh jetzt!", stolz darauf, die wenigen italienischen Vokabeln auch mal praktisch einsetzen zu können.
Eine Weile später betrete ich kurz vor 21:00 Uhr das so gut wie ausverkaufte Werk 2. Also entweder läuft heute nichts im Fernsehen oder DISILLUSION sind doch nicht so in Vergessenheit geraten, wie manch ein Pessimist befürchtet. Aber da sind ja auch noch TOTL XS. CTRL, die offizielle Nachfolgeband der trotz ihrer Elektro-Wurzeln auch im Metal-Bereich nicht gänzlich unbekannten THINK ABOUT MUTATION, unterstützt durch den ehemaligen Brüllwürfel der Death Metal Combo CROWD. Wenn sich solch eine Truppe nach zwei Jahren Probezeit zum allerersten Mal auf die Bühne wagt, dann zieht das natürlich ebenso. Die Leipziger scheinen ihre lokalen Helden zu mögen.
Meinen Magen und mich zieht es von der Garderobe direkt wie die Motten vor zur Bühne. Wild flackerndes Licht, mitunter verstörende und surreale, in jedem Fall jedoch rasant geschnittene und aufwändig zusammengefügte Videoeinblendungen fesseln die Aufmerksamkeit. Sie lassen die Bandmitglieder gar wie stolze, göttliche Wesen vor ihrer eigene Kreation agieren. Schüchternheit, Zurückhaltung oder vorweihnachtliche Harmonie? Diese Worte bleiben wohl lieber tief in der Unterhose vergraben. Von Nervosität ist höchstens mein Verdauungstrakt befallen, bei TOTL XS. CTRL kann ich so etwas vergeblich suchen. Gefunden wird stattdessen aber eine mögliche Antwort auf die Frage nach der Aussprache dieser vermaledeiten Namenskombination direkt aus der Buchstabensuppenhölle. Die Selbstauskunft spricht von "Total Access Control" oder wahlweise auch "Total Excess Control". Passen würde beides irgendwie - sogar eine buchstabengetreue Assoziation des Mittelteils auf die angemessene Kleidergröße der Groupieschlüpper würde ich den feixenden Herren abnehmen - aber ich schweife ab.
Musikalisch trifft es mich jedenfalls unverhofft in den Gliedern. Elektronische Musik trifft urst tiefe Gitarren und aggressiven Gesang. Mein musikalischer Kleingeist lässt PAIN mit SOULFLY zusammen unter der Bettdecke verschwinden, wobei ausufernde Melodien und stumpfe Parolen vorher noch ausgezogen werden. In jedem Fall hat es Energie, Groove und Ausdruckskraft. Und gerade die von Metallern oft vergesichtsrunzelte elektronische Komponente ist immer wieder für eine Überraschung gut. Meinem Magen scheinen jedoch die heftigen Bässe nicht recht zu gefallen. Ich versuche ihn so gut es geht durch etwas Alkohol abzulenken. Mit eher mäßigem Erfolg.
Nach meinem Abstecher zur Bar verschlägt mich das Schicksal schließlich an einen gemütlichen Platz rechts vorn an der Bühne. Der Wolf in mir steht kurz davor, die Stelle zu markieren. Die menschliche Vernunft hält ihn glücklicherweise zurück. Dennoch werde ich diesen Fleck die nächsten Eindreiviertelstunde allein verdecken.
DISILLUSION, mittlerweile zu viert, betreten endlich zaghaft die Bühne, lassen ihr Intro ertönen und werden von der Menge frenetisch bejubelt. Wie auch die nächste Eindreiviertelstunde lang. Persönlich wie immer schlecht vorbereitet ist mein letzter Durchlauf von "Back To Times Of Splendor" mindestens eine dreistellige Zahl an Tagen her. Jedoch dauert es nicht lange, bis all die positiven Erinnerungen daran wieder schwallartig das Gedächtnis fluten. Als Genießertyp schließe ich die Augen und sauge die Klänge in mich auf. Von hinten tippt mich eine Hand an. Der dazugehörige Mensch fordert mich auf, die Matte kreisen zu lassen. Er hat meine Körpersprache wohl falsch gedeutet. Ich lehne dankend ab, heute darf jeder die Musik auf seine Art genießen.
Dies bestätigt ein kurzer Blick in die wogende, headbangende, wippende und beobachtende Menge. Das zeitlose, progressive Metal-Potpourrie ohne spürbare Genregrenzen weiß eben stets aufs Neue zu begeistern. Dabei überrascht die große Zahl an mit gestriegelten Haaren kombinierten Monatsbärten um mich herum. Diese Generation kann 2004 unmöglich bereits einen Musikgeschmack besessen haben. Das ist dann wohl der Beweis, dass gute Musik keine nervige Dauerpromotion benötigt, um sich zu verbreiten.
Nachdem erwähntes Album komplett abgearbeitet ist (Das war die Pflicht, jetzt kommt die Kür, gell Andy?), und im Grunde das Publikum jetzt auch glücklich nach Hause gehen würde, ertönt endlich der erhoffte Satz mit dem magischen Wörtchen "neu". Gleichzeitig stolz, aber auch verunsichert klammert sich der Sänger ans Mikrofon. In ihm erkennt man ein wenig die Angst eines Vaters vor der Erkenntnis, dass ihm nur seine Hormone vorgaukeln, er habe entgegen der harten Realität das schönste Kind der Welt erschaffen. "Alea" heißt das Mädchen, ist ganze 11 Minuten lang und bei bester Gesundheit. Sie hat ein etwas ruhigeres Wesen, man merkt aber bereits beim ersten Eindruck, dass da durchaus eine ganz schön komplexe Persönlichkeit drin steckt. Das wichtigste jedoch ist der stürmische Applaus vor und vor allem nach ihrer Vorstellung. Vier Steine fallen zur gleichen Zeit von den Musikerherzen auf den Bühnenboden. In Connewitz spitzt ein Hund die Ohren und es wackeln für einige Sekunden 3 Mülltonnen.
Mein Magen ist dabei vollkommen in Vergessenheit geraten und meldet sich nun wütend zurück. Ich gönne ihm seinen kurzen Triumph, lasse mir das entspannte Restprogramm jedoch nicht nehmen und verziehe mich direkt nach der Zugabe in die Kälte der Nacht. In der Hoffnung, der nächste Morgen würde nicht allzu schnell kommen.
But it came.
Rückblick.
Ein paar Stunden zuvor.
"Geh nicht! Bleib zu Hause! Suhle dich mit mir zusammen in Selbstmitleid!" - Mein Verdauungstrakt findet deutliche Worte. "Es gibt doch noch genügend andere Konzerte", grummelt es aus der unteren Region. "Ja, aber nicht DISILLUSION. Darauf freue ich mich schon seit der Ankündigung im Sommer", entgegne ich ihm nach einem kurzen Kontrollblick, ob psychiatrisches Personal mit Einweisungsbefugnis in Sichtweite ist. "Bei denen weiß man nie, ob sie sich nicht plötzlich auflösen. Und es geht das Gerücht rum, nach über 9 Jahren gibt's endlich was neues zu hören!"
"Papperlapapp, an die erinnert sich doch eh niemand mehr nach der langen Zeit. Und 'Gloria' war ja nun wirklich Bockmist. Und wer weiß, welches abgefahrene experimentelle Zeug die nun wieder zusammengefrickelt haben. Lass uns doch lieber zusammen noch den ekligen Döner verdauen!"
"Ach was weißt du schon von Musik, du elender pessimistischer Resteverwerter." rufe ich erzürnt mit gesenktem Blick in Richtung meiner unteren Region. Bei dieser Aktion will sich mein Nacken durch das Aussenden spitzer Stiche auch noch ins Gespräch einbringen. Also beende ich das selbige mit einem vernünftigen Gedanken an die Sinnlosigkeit einer Diskussion mit Organen und untermauere dies mit einem "Basta, ich geh jetzt!", stolz darauf, die wenigen italienischen Vokabeln auch mal praktisch einsetzen zu können.
Eine Weile später betrete ich kurz vor 21:00 Uhr das so gut wie ausverkaufte Werk 2. Also entweder läuft heute nichts im Fernsehen oder DISILLUSION sind doch nicht so in Vergessenheit geraten, wie manch ein Pessimist befürchtet. Aber da sind ja auch noch TOTL XS. CTRL, die offizielle Nachfolgeband der trotz ihrer Elektro-Wurzeln auch im Metal-Bereich nicht gänzlich unbekannten THINK ABOUT MUTATION, unterstützt durch den ehemaligen Brüllwürfel der Death Metal Combo CROWD. Wenn sich solch eine Truppe nach zwei Jahren Probezeit zum allerersten Mal auf die Bühne wagt, dann zieht das natürlich ebenso. Die Leipziger scheinen ihre lokalen Helden zu mögen.
Meinen Magen und mich zieht es von der Garderobe direkt wie die Motten vor zur Bühne. Wild flackerndes Licht, mitunter verstörende und surreale, in jedem Fall jedoch rasant geschnittene und aufwändig zusammengefügte Videoeinblendungen fesseln die Aufmerksamkeit. Sie lassen die Bandmitglieder gar wie stolze, göttliche Wesen vor ihrer eigene Kreation agieren. Schüchternheit, Zurückhaltung oder vorweihnachtliche Harmonie? Diese Worte bleiben wohl lieber tief in der Unterhose vergraben. Von Nervosität ist höchstens mein Verdauungstrakt befallen, bei TOTL XS. CTRL kann ich so etwas vergeblich suchen. Gefunden wird stattdessen aber eine mögliche Antwort auf die Frage nach der Aussprache dieser vermaledeiten Namenskombination direkt aus der Buchstabensuppenhölle. Die Selbstauskunft spricht von "Total Access Control" oder wahlweise auch "Total Excess Control". Passen würde beides irgendwie - sogar eine buchstabengetreue Assoziation des Mittelteils auf die angemessene Kleidergröße der Groupieschlüpper würde ich den feixenden Herren abnehmen - aber ich schweife ab.
Musikalisch trifft es mich jedenfalls unverhofft in den Gliedern. Elektronische Musik trifft urst tiefe Gitarren und aggressiven Gesang. Mein musikalischer Kleingeist lässt PAIN mit SOULFLY zusammen unter der Bettdecke verschwinden, wobei ausufernde Melodien und stumpfe Parolen vorher noch ausgezogen werden. In jedem Fall hat es Energie, Groove und Ausdruckskraft. Und gerade die von Metallern oft vergesichtsrunzelte elektronische Komponente ist immer wieder für eine Überraschung gut. Meinem Magen scheinen jedoch die heftigen Bässe nicht recht zu gefallen. Ich versuche ihn so gut es geht durch etwas Alkohol abzulenken. Mit eher mäßigem Erfolg.
Nach meinem Abstecher zur Bar verschlägt mich das Schicksal schließlich an einen gemütlichen Platz rechts vorn an der Bühne. Der Wolf in mir steht kurz davor, die Stelle zu markieren. Die menschliche Vernunft hält ihn glücklicherweise zurück. Dennoch werde ich diesen Fleck die nächsten Eindreiviertelstunde allein verdecken.
DISILLUSION, mittlerweile zu viert, betreten endlich zaghaft die Bühne, lassen ihr Intro ertönen und werden von der Menge frenetisch bejubelt. Wie auch die nächste Eindreiviertelstunde lang. Persönlich wie immer schlecht vorbereitet ist mein letzter Durchlauf von "Back To Times Of Splendor" mindestens eine dreistellige Zahl an Tagen her. Jedoch dauert es nicht lange, bis all die positiven Erinnerungen daran wieder schwallartig das Gedächtnis fluten. Als Genießertyp schließe ich die Augen und sauge die Klänge in mich auf. Von hinten tippt mich eine Hand an. Der dazugehörige Mensch fordert mich auf, die Matte kreisen zu lassen. Er hat meine Körpersprache wohl falsch gedeutet. Ich lehne dankend ab, heute darf jeder die Musik auf seine Art genießen.
Dies bestätigt ein kurzer Blick in die wogende, headbangende, wippende und beobachtende Menge. Das zeitlose, progressive Metal-Potpourrie ohne spürbare Genregrenzen weiß eben stets aufs Neue zu begeistern. Dabei überrascht die große Zahl an mit gestriegelten Haaren kombinierten Monatsbärten um mich herum. Diese Generation kann 2004 unmöglich bereits einen Musikgeschmack besessen haben. Das ist dann wohl der Beweis, dass gute Musik keine nervige Dauerpromotion benötigt, um sich zu verbreiten.
Nachdem erwähntes Album komplett abgearbeitet ist (Das war die Pflicht, jetzt kommt die Kür, gell Andy?), und im Grunde das Publikum jetzt auch glücklich nach Hause gehen würde, ertönt endlich der erhoffte Satz mit dem magischen Wörtchen "neu". Gleichzeitig stolz, aber auch verunsichert klammert sich der Sänger ans Mikrofon. In ihm erkennt man ein wenig die Angst eines Vaters vor der Erkenntnis, dass ihm nur seine Hormone vorgaukeln, er habe entgegen der harten Realität das schönste Kind der Welt erschaffen. "Alea" heißt das Mädchen, ist ganze 11 Minuten lang und bei bester Gesundheit. Sie hat ein etwas ruhigeres Wesen, man merkt aber bereits beim ersten Eindruck, dass da durchaus eine ganz schön komplexe Persönlichkeit drin steckt. Das wichtigste jedoch ist der stürmische Applaus vor und vor allem nach ihrer Vorstellung. Vier Steine fallen zur gleichen Zeit von den Musikerherzen auf den Bühnenboden. In Connewitz spitzt ein Hund die Ohren und es wackeln für einige Sekunden 3 Mülltonnen.
Mein Magen ist dabei vollkommen in Vergessenheit geraten und meldet sich nun wütend zurück. Ich gönne ihm seinen kurzen Triumph, lasse mir das entspannte Restprogramm jedoch nicht nehmen und verziehe mich direkt nach der Zugabe in die Kälte der Nacht. In der Hoffnung, der nächste Morgen würde nicht allzu schnell kommen.
But it came.