X-Mass Festivals 2003

X-Mass Festivals 2003

Amon AmarthDeicideDestructionDew-ScentedGravewormMisery Index
Engelsdorf, Hellraiser
12.12.2003
Es war einmal am 12. Dezember des Jahres 2003. Millionen von Menschen stürzten sich scharenweise auf zeitlich beschränkte Sonderangebote, trödelten durch überfüllte Weihnachtsmärkte und ließen sich auch sonst gerne das hart verdiente Geld aus der Tasche ziehen. Sei es beim Kauf irgendwelcher Zwangsgeschenke oder durch die örtlichen Kleinkriminellen.
Aber tief im Herzen Leipzigs wiedersetzten sich ein paar dunkle Gestalten dieser kitschüberladenen Tradition und zelebrierten ein Vorweihnachtsereignis der anderen Art. Unter ihnen war auch ein alter Bekannter: der kleine Metaller™. Zusammen mit ein paar hundert Gleichgesinnten traf er sich unter dem Codenamen „X-Mas Festival 2003“ an ebenjenem Tage im nahe Leipzig liegenden Hellraiser-Club. Zur allgemeinen Erheiterung wurden hochkarätige Gäste, teilweise sogar aus dem Ausland, zwecks musikalischer Unterhaltung eingeladen. Angekündigt hatten sich insgesamt sieben Gruppen, die sogenannte Heavy Metal Musik spielten. Da man in der Regel dazu einen Sänger, einen Schlagzeuger, einen Bassisten und ein bis zwei Gitarristen brauchte, ergab das ungefähr 35 Personen. Und da diese nach ihrer langen Reise sicher ganz schön hungrig waren, kostete es natürlich auch ein paar Euro, für jeden je ein Brötchen und eine Cola zu besorgen. Zum Glück erklärten sich die Zuhörer bereit, ein kleines Entgelt von 30 € zu zahlen, denn schließlich soll man an Weihnachten ja auch mal an die Bedürftigen denken.

Punkt 18:00 Uhr sollte das Spektakel beginnen, und dem kleinen Metaller™ gelang es diesmal tatsächlich, mit Hilfe der Nahverkehrsmittel pünktlich anzureisen. Ihn wunderte aber noch viel mehr, dass einerseits die netten Leute vom Hellraiser-Club auch zur vereinbarten Zeit die Bühne freigaben und andererseits auch endlich Garderoben eingerichtet hatten. Von seinen winterlichen Kleidern befreit und voller positiver Energie tauschte er nach kurzer blasaler Entleerung 2 Geldmünzen gegen einen halben Liter eines schaumigen alkoholischen Getränkes und wandte sich der ersten Musikgruppe zu.
Als MISERY INDEX stellten sie sich vor und machten jede Menge Krach. „Amerikanischer Death Metal“ lautete der Fachausdruck dafür, aber dem kleinen Metaller™ ging es genauso wie den meisten anderen Anwesenden. Er hatte noch nicht den erforderlichen Alkoholgehalt, um das Gebotene so richtig genießen zu können. Zwar gaben sich die Jungs viel Mühe und zeigten, dass sie ihre Instrumente sehr gut beherrschten, aber es war einfach noch zu leer und zu früh, so dass nur eine Handvoll Fans ihre Freude zum Ausdruck brachten.
Nach nicht mal einer halben Stunde Spielzeit gab es eine kurze Pause, aber gleich darauf fingen GRAVEWORM mit ihrem Auftritt an. Da der kleine Metaller™ diese Band sehr mochte, ging er bis ganz nach vorn, lauschte der Musik und wackelte rhythmisch mit dem Kopf. Leider war die Konstruktion der Bühne ein wenig unglücklich vonstatten gegangen, so dass die links stehende Box sehr weit ins Publikum hereinragte und die sehr weit vorn Stehenden kaum erreichte. Trotz fehlendem Raumklang war unser Held aber dennoch begeistert und viele andere Langhaarige um ihn herum ebenfalls. Manche sogar so sehr, dass sie ihm unbewusst einen Kinnhaken verpassten, aber zum Glück war er ein harter Bursche, dem das nichts ausmachte. Es war zwar noch nicht so richtig voll, aber schon deutlich enger als zuvor und obwohl er jedes vorgetragene Lied kannte, bemerkte der kleine Metaller™ einige Variationen in den Stücken. Als er aber später den Sänger Stefan darauf ansprach, meinte dieser, dass sie eigentlich wie immer gespielt haben... Naja, wahrscheinlich hatte er sich das nur eingebildet.
Allzu lange durfte die zweite Band auch nicht auftreten, denn die Zeit war sehr knapp. DEW-SCENTED hieß die nun folgende einheimische Gruppe. Da diese Jungs gerne auf ihre Instrumente und ein paar der Fans auch gerne auf ihre Mitmenschen herumdreschen, nannte man ihren Stil Thrash Metal. Der war sehr schnell und rhythmisch und viele Menschen begannen auch alsbald, wild in der Gegend herumzuspringen und sich gegenseitig anzuschubsen. Da dem kleinen Metaller™ das noch nie so richtig gefallen hatte, ging er aber lieber ein paar Schritte zurück. Die tolle Show genoss er aber trotzdem weiter.
Als einmal wieder eine Pause folgte, war der kleine Metaller™ ganz schön geschafft. Die mageren Beine zitterten schon leicht und der Kopf hing auch schon ganz schlaff auf den Schultern. Als dann als nächstes die Amerikanischen „Angeber-Metal“ spielenden NILE ankamen und hundertmal schneller schrabbelten und brüllten als ihre Vorgänger, konnte er leider nur herumstehen und zuhören. Einzig bei einem ungewöhnlich langsamen Lied konnte er sich zu einigen rhythmischen Zuckungen überreden lassen. So richtig gut gefiel ihm persönlich zwar die Musik nicht, aber vom Feeling her fühlte er sich doch weitaus wohler als bei deren letztem Auftritt auf den Wacken-Festspielen.
Die nun folgende schwedische Truppe sollte das Highlight des Abends werden. AMON AMARTH nannten sie sich und betraten teils halbbekleidet die Bühne. Zwar sah deren Sänger wie immer sehr bedrohlich aus, aber komischerweise wollten doch alle Anwesenden so nah wie möglich an ihn heran. (Es soll sogar welche gegeben haben, die tierisch stolz ein wenig Schweiß von seinem Bauche abgeschabt haben) Der arme Mann fühlte sich anscheinend bedrängt, denn anders war es nicht zu erklären, dass er ganz laut in sein Mikro brüllte und seine Freunde wie wild auf ihren Instrumenten spielten. Der geile Mob steigerte sich allerdings dadurch nur noch weiter in Ekstase und der kleine Metaller™ war mittendrin. Trotz Erschöpfung kitzelte er die letzten Kraftreserven aus seinem geschundenen Körper und soweit er das überblicken konnte, ging es allen anderen genauso. Trotz äußerst energischer Forderungen nach einer Zugabe war es nach viel zu kurzer Zeit schon vorbei, aber genau an diesem Punkt waren sich die Anwesenden einig, dass sich das Herkommen auf jeden Fall gelohnt hatte.
Nun war aber erst mal eine Verschnaufpause angesagt. Da als vorletztes die sich ewig auf irgendwelche Playlisten einschleichenden DESTRUCTION am Start waren und der kleine Metaller™ die noch nie so richtig leiden konnte, begab er sich in einen Nachbarraum und lauschte nebenher der altertümlichen Musik. Fans dieser Band gab es allerdings immer noch ausreichend, das bestätigte ein kurzer Blick in die enthusiastischen Massen. Naja, jedem das seine, dachte sich der kleine Metaller™...
Mit dem größten Schriftzug und der höchsten Position auf dem Tourplakat hatten sich DEICIDE angekündigt. Als sie dann so gegen Mitternacht endlich den Abend komplettieren sollten, konnte der kleine Metaller™ das Geschehen leider nur in einer abseitigen Kauerposition und mit geschlossenen Augen verfolgen. Bedingt durch die ungewöhnlich langen Strapazen verfiel er dann auch öfters in kurze Phasen des Halbschlafs, verbunden mit daraus resultierenden Gedächtnislücken. So vernahm er aus seiner Position nur stark dröhnende Bässe und jede Menge Geschepper, aber bei seiner alten Wohnung hatte ihn das ja auch nicht vom Schlaf abgehalten.

So richtig fit war der kleine Metaller™ erst nachdem die meisten Besucher nach Hause aufgebracht waren und die Oberlichter aufflammten. Da die öffentlichen Verkehrsmittel noch ein wenig auf sich warten ließen, blieb noch genügend Zeit, ein paar endgültige Blicke über das Szenario schweifen zu lassen. Eifrige Helfer transportierten das Equipment von der Bühne, betrunkene Gäste kämpften mit ihrem Gleichgewicht, perverse Schaulustige fotografierten übergelaufene Toilettenbecken, hungrige Fans stritten sich um aufgefundene Schokoriegel und volksnahe Musiker kickten leere Glasflaschen durch die Gegend. Eines hatten aber alle gemeinsam: Von Weihnachten war hier absolut nichts zu spüren. Und das war gut so.
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