Summer Breeze 2010
Summer Breeze 2010
Das Summer Breeze zählt anno 2010 sicherlich zu den größten Metal-Festivals in Deutschland, wahrscheinlich ist es das größte nach Wacken. Das Billing verspricht in diesem Jahr mal wieder hochkarätige Headliner, die gleichzeitig das Publikum im Altersdurchschnitt um einiges zu senken scheinen. Nichtsdestotrotz wird der Extreme Metal nach wie vor groß geschrieben. Die Mischung macht's halt und auch da scheint man nach Wacken die wildeste zu haben. Was dabei raus kommt, möchte ich euch aber jetzt nicht länger vorenthalten:
Mittwoch
Nach der Ankunft erstmal einen Abstecher ins Party-Zelt. Dort prügeln PARASITE INC beim Newcomer-Wettbewerb auf ihre Instrumente, alles für die Gunst der Besucher. Der Stil hat etwas von Death 'N Roll, doch der Soundmatsch und die gruselig unpassend klingenden Vocals scheuchen mich wieder aus dem Zelt.
Danach kann ich mich erst wieder zu SUICIDAL ANGELS motivieren. Zum ersten Mal sehe ich sie hier mit einem Publikum, das tatsächlich hellauf begeistert von der Musik ist. Der neue Song „Bleeding Holocaust“ bildet mein Highlight, denn soviel Energie spüre ich sonst zu keiner Stelle ihres Auftritts. Der Aufforderung des Publikums kommen die Griechen später auch noch nach und so gibt es eine Wall Of Death, was in meinen Augen eigentlich nicht wirklich zu dem Sound der Band passt. Sei's drum, die Fans feiern die Jungs ordentlich ab, da scheint jeder zufrieden.
SUFFOCATION und die obligatorische Parkinson-Hand wackelt im ganzen Zelt durch die Lüfte, ebenso wie fettige Metallermähnen. Der Sound ist dabei auch noch prima, so gut abgemischt ist man live nicht oft. Die Songs gehen gut ab, das Zelt ist rammelvoll und die Band hat definitiv Bock drauf, alles kurz und klein zu hacken.
Während der Blutsbruder Sturm noch hofft, dass RAGE das Zelt hoffentlich jetzt leer spielt, befürchte ich eher das Gegenteil. Doch tatsächlich verlassen immer mehr das Areal vor der Partystage und auch während des standardgemäßen Auftritts wird das Publikum eher weniger als mehr. Viele eingefleischte Fans grölen dennoch anständig mit, einige andere sehen aber nur einen mit technischen Problemen durchzogenen Gig ohne Höhen und Tiefen. Das Songmaterial bietet schließlich auch nicht viel Potenzial.
Viel größer ist meine Begeisterung dann bei UNLEASHED. Und die zocken ihre alten Schinken ohne Murren runter, widmen das vor gierigen Hooklines strotzende „Into Glory Ride“ wie so oft dieses Jahr den verstorbenen Pete Steele und Dio, während die Zeit wie im Flug vergeht. Auch wenn das nicht der beste Auftritt der Entfesselten aller Zeiten ist, sitzt jeder Handgriff und enttäuscht dürfte mal wieder keiner sein. UNLEASHED sind Pflicht.
Auf EQUILIBRIUM kann ich verzichten und so endet der erste Festival-Tag für mich schon, da mein Ansporn für ANNOTATIONS OF AN AUTOPSY und MILKING THE GOATMACHINE zu noch späterer Stund eher nicht vorhanden ist. Wieder nervt die Tatsache, dass das Party-Zelt definitiv zu klein ist.
Donnerstag
Am Donnerstagnachmittag wird es heiß, heiß, heiß! Wie so viele andere auch habe ich natürlich im Regen gepackt und bin für ein so schweißtreibendes Wetter überhaupt nicht vorbereitet. Aber der jährliche Sonnenbrand, den ich bis dato noch nicht hatte, muss schließlich auch irgendwann kommen und es macht doch viel mehr Spaß mit heraushängender Zunge zur Mainstage zu gehen.
NAPALM DEATH zocken ein ausgewogenes Set und obwohl ich sie dieses Jahr insgesamt dreimal genießen durfte (bzw. noch werde genießen können), werde ich des rotierenden Barneys einfach nicht müde. Sein unorthodoxer Tanzstil könnte als Bodybanging oder sonstwie bezeichnet werden, jedenfalls wissen die britischen Grindcore-Schlager zu gefallen.
SIDEBLAST spielen in einem nur halb gefüllten Zelt und das ist die reinste Erholung. Ein relativ solide gezockter Gig in familiärer Atmosphäre – der thrashige Death Metal bietet solide Hausmannskost, mehr aber nicht.
Dem Hörensagen nach sollen die GRAILKNIGHTS ja eine tolle Bühnenshow abliefern und so gehe ich der Versuchung nach, der Superheldenliga im Zelt beizuwohnen. Bei den ersten Tönen ist das Zelt schon zum Bersten gefüllt und das sorgt bei mir nicht gerade für gute Laune. Es wird eifrig mitgeklatscht und alleine das übertönt beinahe die Band auf der Bühne. Mittelalter, Fantasy und co. sind eindeutig im Trend - Ich frage mich nur, wann diese, in meinen Augen musikalisch selten Durchschnittskost übertreffende, Modeerscheinung wieder an Zulauf verliert. Die als Superhelden kostümierten Ritter der Kokosnuss sorgen allemal für ein Schmunzeln.
Die enttäuschende Musik schlägt auf den Magen und so finde ich später erst wieder zu OBITUARY zur Bühne. Die Setlist überrascht etwas, denn von den bekannteren Songs sind wenige zu hören, vor allem die ersten drei Alben werden gut abgedeckt. Was auch wenig zu hören ist, ist eine der beiden Gitarren. Da ich nicht gerade als Musiktheoretiker bekannt bin, belasse ich es einfach mit folgenden Worten: Die Melodie-Parts sind kaum zu hören und viele Soli sind nur durch den genervt fiedelnden Ralph Santolla zu erahnen. Ansonsten ist es ein typischer OBI-Gig: Kurzes Schlagzeugsolo, ein immer wieder lange „verschnaufender“ John Tardy und Death Metal mit Planierraupen-Effekt. Was will man mehr? Naja, beide Gitarren auf hörbarer Lautstärke vielleicht.
Ein verständlich großer Haufen Leute finden sich zu DARK TRANQUILLITY ein. Da meine Wenigkeit eher hinten der Musik lauschen möchte, stört der typische Festival-Soundmatsch doch eher, Wind und Distanz sei's verdankt. Nichtsdestotrotz wird hier ordentlich eingeheizt, Sänger Mikael Stanne reisst wirklich jeden mit seinem natürlichen Charme und seiner Aktivität auf der Bühne mit. Die gute Laune der Fans wird spätestens bei „Final Resistance“ offenkundig – hier langweilt sich keiner, es wird fleißig mitgegröhlt und gefeiert. Statt einem Banner hat sich die Gruppe eine Videoleinwand aufgebaut, wo mal Bilder, mal kurze Videoclips laufen, wenn man mal still steht und dem Treiben auf der Bühne seine Aufmerksamkeit zuwendet – ansonsten kann man nur über die dämliche Lage der Party Stage meckern.
SUBWAY TO SALLY scheint der Teeniemagnet schlechthin beim diesjährigen Summer Breeze zu sein. Der Altersdurchschnitt der Zuschauer sinkt um gefühlte 10 Jahre, der Hype und nicht zuletzt die mäßige musikalische Qualität und die meiner Meinung nach nervige Stimme des Sängers sorgen dafür, dass ich schon nach dem Opener Richtung Partyzelt laufe,
denn dort fangen MACABRE an loszubrettern und die sieht man ja nicht alle Tage in Deutschland. Leider kann mich der komödiantisch angehauchte Death Metal nicht begeistern. Ein Geburtstagsständchen an sich selbst sowie das lange und nur teilweise auf Lacher stoßende Gelaber vor den Songs nehmen dem Auftritt etwas Energie.
Nach einer etwas überzogenen Wartezeit entern um kurz vor halb Zwei Uhr morgens NECROPHAGIST die Bühne im Partyzelt und frickeln sich technisch präzise wie eh und je durch ihr Set. Ob „Epitaph“, „The Stillborn One“ oder „Stabwound“ - man kommt aus dem Gaffen und Bangen nicht mehr raus.
Freitag
Am Freitag wird es dann noch heißer, heißer, heißer (!) als am Tag davor und die Lederjacke wird ganz schnell ins hinterste Eck des Autos geworfen. Das Wetter führt natürlich zu einer ganz verständlichen Lethargie und so komme ich recht spät in die Gänge. Zum Glück gibt es keine großen Programmhighlights bis am späten Nachmittag die fleißige Sonne etwas nachlässt und alles angerichtet ist für...
CANNIBAL CORPSE. Die Death Metal Freaks strömen in Scharen zur Main Stage und werden von den amerikanischen Urgesteinen nicht enttäuscht. Der Evergreen „Hammer Smashed Face“ gegen Ende wird abgefeiert, als gäbe es kein morgen mehr und das technisch absolut hochwertige Spiel der Instrumentalfraktion um Alex Webster weiß zu begeistern. Der Corpsegrinder ist gut aufgelegt und lässt natürlich wieder seine Standardsprüche raus, um seine exquisiten Headbang-Qualitäten zu betonen. Ein Fragezeichen über meinem Kopf hinterlässt nur eine vom Publikum selbst initiierte Wall Of Death – das hat scheinbar längst auch traditionellere Varianten des Metals erreicht.
Ein großes Highlight, weil noch nie vorher gesehen, stellt HYPOCRISY für mich dar. Wenig überraschend ist es, dass von den hochgelobten ersten Alben kaum etwas gespielt wird, umso mehr überrascht es, dass die neueste Platte nur mit zwei Songs promotet wird. Mich stört die Mischung ihrer neueren melodischen Songs und den eiskalten Nackenbrechern übrigens überhaupt nicht, die Haarmähne braucht ihren Auslauf. Der Sonnenuntergang direkt hinter der Bühne verleiht dem Gig einen ganz besonderen Flair.
Zur eingebrochenen Dunkelheit wird es natürlich dann auch Zeit für eine Prise satanischen Schwarzmetall im Partyzelt in Form von WATAIN. Die Setlist ist im Vergleich zu der vom Party.San stark verkürzt und es gibt hauptsächlich Songs vom neuen Album „Lawless Darkness“ auf die Löffel, was scheinbar nicht nur ich ziemlich geil finde. Die Leute gehen steil drauf ab, aber oft scheint es, als würden die Schweden nicht aus dem zweiten Gang kommen. Bezeichnend, dass sie hier nur die Hälfte ihres ganzen Zeugs auf die Bühne gekriegt haben, denn auch die Spielfreude ist phasenweise arg eingeschränkt. Ein amüsantes Konzert, aber eine magische Nacht ist es nicht.
Zu DYING FETUS muss man nicht viel sagen: Wer sie live kennt, weiß, dass sie da eine absolute Macht sind. Kein Griff daneben, keine Verschnaufpausen. Volle Kraft voraus. Das Publikum dankt es mit großer Zustimmung.
HAIL OF BULLETS ist die nächste Kapelle auf meinem Zettel: Es ist spät und das Partyzelt ist nur spärlich gefüllt, dafür sind eigentlich nur Kenner der guten Musik Marke Niederlande anwesend und so ist der Gig unglaublich intensiv. Den Sympathiebonus hat van Drunen eigentlich immer, er vermeidet martialisches Gehabe, sagt gerade heraus, was ansteht, und das stößt auf Gegenliebe. Hauptsächlich gibt es Songs vom ersten Album, aber auch die EP und das mittlerweile in den Regalen stehende „On Divine Winds“ wird jeweils mit einem Song bedacht.
Samstag
Der Tag beginnt eigentlich wie der vorige: Die Sonne drückt einen gen Boden, die körperlichen Reserven neigen sich dem Ende. Trotzdem schaffe ich es schon früh zum Bühnenareal.
Den undankbaren Slot um 11 Uhr morgens übernehmen die Australier BE‘LAKOR und auch wenn sie im Prinzip nur einen menschenverlassenen Acker vor sich haben, geben sie ihr Bestes. Die verkaterten Gesichter der paar Zuschauer sind ein Bild für die Götter, der Death Metal aus dem Outback ist weniger omnipotent.
Nicht weniger unheilig ist die Uhrzeit beim THE FORESHADOWING-Gig. Und gerade in der Mittagshitze ist der psychedelische Doom Metal sehr unangebracht. Dementsprechend träge sind sowohl Band als auch Publikum.
Wiederholter Gast (schon letztes Jahr an Ort und Stelle) sind PSYCHOPUNCH. Letztes Jahr musste mich noch ein Falk, der aufgekratzt wie ein kleines Kind war, zu einem Besuch ihres Auftritts überreden, heuer bin ich vom Rotz 'N Roll voll überzeugt und genieße auch alleine das herrlich frisch-freche Treiben der Schweden. Keine Durchhänger, keine Kompromisse – so soll es sein. Danach bin ich erst mal ausgelaugt und lege eine etwas längere Auszeit ein.
Es ist nämlich schon spät abends als ich hochschrecke und das erste, was mir in den Kopf kommt, DARK FUNERAL ist. Ich stürme zur Party Stage und kann immerhin noch die letzten drei Songs mitverfolgen, die mit ordentlich Feuer unterm Arsch dargeboten werden. Den letzten Gig von Emperor Magus Caligula gerade noch so mitgekriegt, allein das entschädigt etwas für den Großteil der Setlist, die ich verpasst habe. Natürlich ist er hoch motiviert und auch die Fans der Band saugen jede Note, jeden Ton, jeden Blast gierig in sich auf.
Leider endet mein Festivalbericht schon hier, ich bin auch nur ein Mensch und das Summer Breeze ist auch kein Kindergeburtstag (mehr). Es war alles in allem ein nettes Billing, vor allem Death Metal wurde dieses Jahr groß geschrieben. Die schiere Größe des Festivals raubt mir allerdings langsam den letzten Nerv und so bin ich mir nicht sicher, ob ich im nächsten Jahr zum fünften Mal in Folge den Weg nach Dinkelsbühl finden werde.
veröffentlicht am 17.11.2010
Matthias Bock [mbo]
Experte für monolithische Rythmusstampfer ohne Melodie