Doom Over Leipzig Pt. I

Doom Over Leipzig, Pt. I

KodiakOmega Massif
Leipzig, Zoro
12.11.2010
Der Ausflug ans Ende der Musik ist mitunter kürzer als man denkt: Am heutigen Freitag reicht beispielsweise schon der vergleichsweise moderate Trip ins Leipziger ZoRo, um die Geräuschwerdung jeglicher Melodie hautnah zu erleben. Gleich fünf Formationen haben sich hier unter dem Banner „Doom Over Leipzig“ zusammengefunden, was angesichts schmaler 6 € Eintritt zunächst nach einem gefundenen Fressen aussieht und entsprechend reichlich Zuspruch findet. Nur gut, dass der Club mittlerweile einen zweiten Floor und damit – theoretisch – etwas Ausweichfläche geschaffen hat.

Los geht’s gegen 22 Uhr in der Beletage, wo sich unbestätigten Gerüchten zufolge BAD LUCK RIDE ON WHEELS die Ehre geben. Auf dem Flyer als Death Metal-affin angekündigt, entpuppt sich die Formation aus Rostock als klassisches One-Riff-Wonder: 5 Minuten Feedback samt verhalltem Gitarrenlead halten als zähes Intro her, danach wird im unteren Geschwindigkeitsbereich mit Riffs posiert, die a) recht gängig sind und b) durchweg bekannt klingen. Trotzdem (deswegen?) kann die brodelnde Melange für erste Kopfbewegungen im Publikum sorgen und die bunte Ansammlung aus verfilzten Haaren, Hornbrillen, torwandtauglichen Tunnels und roten Augen zunehmend aus der Reserve locken – von spannendem Songwriting indes sind BLROW noch ein paar Tagesritte entfernt. Wie passend, dass man sich nie so richtig entscheiden kann, ob die Growls nun wichtig oder doch nur Verlegenheitsmeldungen sind – falls halbgare Verzweiflung auf der Agenda stand, kann man der Band jedenfalls gratulieren.
Als Lichtblick in diesem Duett aus Bewährtem und geistigem Leerlauf bleibt der Dummer in Erinnerung, der in einem an Don Quichotte erinnernden Akt der Verzweiflung versucht, der kalten Lava dann doch noch in paar dynamische Akzente abzuluchsen – wirklich zwingend wirkt bei BLROW allerdings nichts.

An Startnummer zwei versuchen sich anschließend, ja wer eigentlich? KODIAK? Das Fehlen einer Running Order ist normalerweise zu verschmerzen, ausgewachsene Soundchecks ebenfalls, nur fangen beide Punkte an zu nerven, wenn musikalische Alleinstellungsmerkmale (auch aufgrund der Aussteuerung) Mangelware sind und das mit reichlich Verspätung Gebotene nicht einmal einen zweiminütigen Soundcheck rechtfertigt. Um drei verschiedene Instrumente über 45 Minuten hinweg einigermaßen synchron dröhnen zu lassen (inklusive der Unterkategorien wabern, blubbern, brummen und fiepen), braucht die durchschnittliche Bauarbeitergruppe in der Regel lediglich einen handelsüblichen Stromanschluss und zwei Flaschen Küstennebel - heute Abend ist das Ganze nicht unter einer halben Stunde Wartezeit zu bekommen, und von ausbalanciertem Sound kann trotzdem keine Rede sein.

Bereits zu diesem Zeitpunkt deutet sich zudem an, dass der Begriff Doom ein sehr dehnbarer ist, wobei die Veranstalter das Ganze eher in Richtung post/instrumental/psychedelisch ausloten und der melodischen, auch vokal ausdrucksfähigen Variante mit einer Träne im Knopfloch die rote Karte zeigen. Was an Melodie noch existiert, wird letzten Endes zuverlässig im Sound aufgelöst - angesichts der musikalischen Kargheit hätte man das Doom im Verantaltungstitel gut und gerne durch aussagekräftigere Vokabeln ersetzen dürfen.
Da Geschmack nun mal relativ ist, geht es vorerst zurück ins Basement, wo sich eine weitere Band der Frage widmet, wie schmal denn nun der Grat zwischen Magie und Mummenschanz ist. Für meinen ganz subjektiven Begriff einmal mehr keine Spur von Musik, sondern der wiederholte Versuch, der nach Extremen gierenden Moderne ein musikalisches Denkmal zu setzen - über weite Strecken fast schon das Gefühl gelangweilten Kindern beim Spielen zuzuschauen; in der Hoffnung, dass zwischen Industrieanlagen und verseuchten Tümpeln zufällig doch einmal ein Moment der Schönheit aufblitzt. Ist aber nicht, zumindest nicht hier und heute.

Ein Fazit zum Abend zu ziehen, ist im Endeffekt schwierig: Musikalisch war die Erstauflage des DOL - zumindest in meinen Ohren - eine ziemlich blutarme und streckenweise nervende Angelegenheit, vergleichbar einer grauen Steinwüste, aus der nur selten Handfestes oder gar Überwältigendes hervorragt. Und Geräusch ist trotz wiederholter Beteuerung nun mal keine Musik, ein Riff ist kein Song, Feedback trotz transzendental-symbolischer Aufladung kein Spannungsmoment.
Da dies viele der Anwesenden offenbar anders sehen, bleibt natürlich die Möglichkeit, dass ich einfach das große Ganze nicht verstanden habe. Das nehme ich aber gern in Kauf, so lange ich für dieses Verständnis jedem Anflug lyrischer Tiefe, emotionaler Ausdruckskraft und jeglicher Form von Erhabenheit entsagen müsste - denn genau darum geht es in "meinem" Doom. Und dieser war - um es mit PURGATORY zu sagen - heute nicht hier.


www.myspace.com/doomoverleipzig

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