20. Wave Gotik Treffen
20. Wave Gotik Treffen
Leipzig, AGRA-Gelände
10.06.2011
10.06.2011
Es ist Pfingsten 2011, die Sonne gibt sich erstaunlich offenherzig, und das Leipziger Wave Gotik Treffen geht in die mittlerweile 20. Runde. Anlässlich des Jubiläums haben die Macher der szeneprägenden Veranstaltung dieses Jahr ganze fünf Tage Programm aus dem Rüschenhemd geschüttelt, und angesichts der absolut hochwertigen Zusammenrottung alter Legenden und neuer Sterne wollen wir euch dann doch mit ein paar ausgewählten Impressionen versorgen - Vorhang auf!
Donnerstag
Der Startschuss fällt wie jedes Jahr auf der Leipziger AGRA, wo ab 18 Uhr die Eröffnungsnacht des WGT steigt und mit DAS ICH eine unbestrittene Genregröße die Bühne entert. Wie bereits im Vorfeld bekannt wurde, müssen die Deutschen heute ohne ihren Fronter Stefan Ackermann auskommen, da selbiger nach mehreren Operationen noch immer auf der Intensivstation liegt. Er habe sich jedoch dafür ausgesprochen, dass die Band trotzdem auftritt und so bringen DAS ICH mit verschiedenen Gastsängern (u.a. Vic Anselmo, Oswald Henke) ein formidables Best Of unter die Leute, das von "Destillat" bis zum unvermeidlichen "Gottes Tod" kaum Wünsche offen lässt. Zumindest für die Fans - für den metallischen Normalverbraucher zeitigt das insgesamt etwas zu ausladende Set dann doch einige Längen. Dennoch ein passender und vom bereits reichlich anwesenden Publikum bejubelter Opener.
Nach der Essenspause dann gleich das Dejavú: Oswald Henke is back - dieses Mal unter eigenem Namen auf einer in ein Kerzenmeer verwandelten Bühne stehend und mit einer Handvoll Träume aus der Geschichte von GOETHES ERBEN bewaffnet. Zu Gehör kommen Stücke aus allen Schaffensperioden, was das doch recht theatralische Projekt von "Iphigenie" und "Die Brut", über "Nichts bleibt wie es war", den Uraltkracher "Das schwarze Wesen", "Zinnsoldat", bis hin zum vergleichsweise aktuellen "Kopfstimme" führt. Die Anwesenden geben sich diesem Feuerwerk nostalgischer Erfüllung genussvoll hin, wenngleich man sich von der Außenbahn durchaus fragen darf, ob es hier und da nicht etwas weniger sein dürfte - wirklich mitreißend oder gar dynamisch wird die Werkcollage nämlich nur im Ausnahmefall.
Das ändert sich mit den nun folgenden AGE OF HEAVEN, die in Leipzig nicht nur einen lokalen Bonus genießen, sondern schon bei ihrem Probegig im 4 Rooms vor einigen Wochen beweisen konnten, dass der schmissige Mix aus SISTERS OF MERCY, FIELDS OF THE NEPHILIM und straightem Goth-Metal die perfekte Livemusik ist. Dementsprechend engagiert und positiv wirkt der heutige Auftritt auf dem WGT: Man spürt die Freude der Band über die Rückkehr auf die Bühne, auf welcher man - wie die anderen Bands des exakt dem Billing von 1992 entsprechenden Auftaktabends - schon vor genau zwei Dekaden stand. Das überwiegend flotte Material perlt dank hervorragendem Sound wie ein Sommerregen über die Zuschauer, die im Verlauf des Gigs zunehmend auftauen, und so bleibt nach gut 60 Minuten ein angenehmes Gefühlskino zwischen Nostalgie und Erfrischung. Neben den noch bevorstehenden LOVE LIKE BLOOD ganz klar die Gewinner des Abends.
Zunächst allerdings noch ein kurzer Blick auf THE ETERNAL AFFLICT, die den meisten durch ihren Hit "San Diego" bekannt sein dürften, der im Grunde dann auch alle Trademarks des Schaffens in sich vereint: Die Deutschen stehen für treibenden Fitnessstudio-Pop mit Gesangsfetzen, die eher an Parolen als an Lyrik erinnern.
Ein insgesamt schickes Pausenbrot, dem auf die lange Distanz allerdings ein wenig die Luft ausgeht. Dass die Bude nach "We Lebanon You", "Agony" und anderen bei erwähntem "San Diego" in der Nachspielzeit dann trotzdem kocht, bedarf wohl keiner Erwähnung...
Damit wären wir dann auch schon bei den erwähnten LOVE LIKE BLOOD, die nach mehr als zehn Jahren Bühnenabstinenz im Lineup der Jahrtausendwende zur finalen Retrospektive antreten. Und etwas traurig ist es ja schon: Die nach einem KILLING JOKE-Song benannten Deutschen, die vielen Leuten zumindest dem Namen nach bekannt sein dürften, haben nach 23 Jahren Bandgeschichte ihre Auflösung beschlossen und liefern mit einem in jeglicher Hinsicht grandiosen Gig doch eigentlich nur Gründe, die gegen eben diese sprechen: Instrumental und vor allem stimmlich bestens aufgelegt stehen LLB heute Abend für eine mitreißende Bandleistung, die vom zahlreich anwesenden Publikum nach allen Regeln der Kunst abgefeiert wird. Einen großen Anteil am dynamischen Gesamtbild hat sicherlich die per Voting gestaltete Setlist, die bis auf ein, zwei Balladen angenehm nach vorne drängt und so - wie vorher schon AGE OF HEAVEN - einen fast befreienden Charakter zeigt. Denn sind wir doch einmal ehrlich: So anspruchsvoll und unkonventionell beispielsweise GOETHES ERBEN auch sein mögen, so ungleich passender ist an einem solchen Abend dann eben doch das vereinnahmend fließende und vor allem tanzbare Material der Geislinger. Ein in jeder Hinsicht gelungener Auftritt.
Freitag
Der Freitag startet mit 18 SUMMERS, die unter ihrem ehemaligen Namen SILKE BISCHOFF den ein oder anderen Klassiker veröffentlicht haben und nach der Jahrtausendwende unter neuem Namen in etwas elektronischere Gefilde vorstießen. Da das neue 18 SUMMERS-Album laut Band noch etwas warten muss und man außerdem keine Songs spielen wolle, die ohnehin noch niemand kennt, beschränken sich die Deutschen heute auf einen Best Of-Gig, der viel Legendäres und paar Perlen der Reinkarnation bietet. Dabei kommt neben dem fast komplett gespielten SB-Meilenstein "To Protect And To Serve" (1995) beispielsweise auch "A Girl Of 18 Summers" zu Gehör - klarer Höhepunkt ist jedoch "On The Other Side", selbst wenn Flauchers Stimme nach all den Jahren nicht mehr ganz so zerbrechlich wie auf Platte wirkt. Ein schöner Auftritt, der nicht zuletzt durch die sympathische Art der Band in Erinnerung bleiben wird.
Die nun folgenden Niederländer GOTHMINISTER lassen sich im Grunde recht schnell besprechen, denn hier wird zwischen RAMMSTEIN und OOMPH martialisch die Partykeule geschwungen. Was in Sachen Songwriting eher als solide treibende Nummer durchgeht, kann hinsichtlich der Bühnenshow durchaus punkten: Die Verwendung von allerlei Podesten und kanzelähnlichen Aufbauten vermittelt eine Stimmung, die zugleich Predigt und Kultveranstaltung zitiert, dabei allerdings immer dem militärischen Charakter der Musik gerecht werden kann. Richtig beeindruckend wird das Ganze schließlich, sobald die Bühne im hellen Schein von Feuer und Pyros entbrennt - in puncto Show jedenfalls haben GOTHMINISTER an diesem Wochenende die Nase ziemlich weit vorn.
Vergleichsweise zahm geben sich anschließend UMBRA ET IMAGO, die auf vergangenen WGTs vorrangig durch ihre freizügige Liveshow aufgefallen waren. Heute konzentriert man sich hingegen aufs Musikalische und tut sich damit keinen Gefallen: Mag sein, dass sich die Band im Rahmen ihres ernüchternd simplen Schaffens um relevante Abhandlungen zur Zeit bemüht - für mich persönlich bleiben die Deutschen auch nach diesem wenig begeisternden Konzert der Inbegriff von Reißbrettmusik mit überwiegend ausgelutschter Lyrik.
Wie man ein Publikum nachhaltig von den imaginären Sitzen reißt, zeigen anschließend dann COVENANT: Die Schweden liefern in der Schnittmenge von Electro, DEPECHE MODE und Popmusik einen unglaublichen Auftritt ab, der durch vielseitig eingesetzte LED-Module auch optisch zu einem Erlebnis wird. Dabei schlägt gerade die körperlich spürbare Verhärtung der auf Platte mitunter handzahmen Nummern positiv zu Buche, da dem vereinnahmenden Songmaterial - von "Brave New World", "Call The Ships To Port" und "Ritual Noise" bis zu "The Men" - so ein enormer Punch mit auf den Weg gegeben wird. Ein rundum gelungener Auftritt für Augen und Ohren also, der nach knapp 70 Minuten fast ein wenig zu früh endet.
Rundum gelungen präsentieren sich anschließend auch DEINE LAKAIEN, wenn auch auf ganz andere Art und Weise: Die Band hat sich für den diesjährigen Auftritt ein kleines Kammerorchester samt großem Flügel mitgebracht und interpretiert in der Folge eigene Stücke auf reduziert-klassischem Wege. Dadurch fallen nicht nur die ebenso vielseitigen wie ausgefeilten Strukturen des Schaffens so richtig ins Auge - auch Veljanovs unverwechselbare Stimme kommt durch diesen naheliegenden Kunstgriff in einer Art und Weise zur Geltung, die man bei Klassikern wie "Love Me To The End" oder "Into My Arms" nur als magisch beschreiben kann. Ein mehr als gelungener Abschluss dieses überraschend vielseitigen Tages, der in der Clubhalle schließlich mit reichlich EBM und technoiden Maschinenklängen endet.
Samstag
Reichlich EBM und technoide Maschinenklänge - damit sind wir dann auch mittendrin im Samstag, der mit DESTROID zunächst die beatlastige Ausgabe von COVENANT oder auch WOLFSHEIM aufs Tablett bringt. Das Gebotene fließt über die gesamte Spielzeit recht flockig ins Gehör, verweilt dort auch ein wenig länger, und löst sich schließlich doch in eine Abfolge warm pulsierender Bässe nebst trance-lastiger Effekte auf. Immerhin ist die Stimme von Fronter Daniel Myer (HAUJOBB) wirklich angenehm und sorgt dafür, dass die Deutschen zu keinem Zeitpunkt nervig werden. Schöner Auftakt.
Vergleichsweise anstrengend wirken dagegen die Schweden AGREZZIOR, die vor allem mit Uffta-Rhythmik und suboptimaler Gesangsleistung auffallen. Es steht zu vermuten, dass genau dadurch vielleicht die punkige Attitüde der Band unterstrichen werden soll - für den Uneingeweihten hingegen wirkt das Material der Nordländer über weite Strecken eher stümperhaft...
...womit wir gleich die nun folgenden FADERHEAD abhandeln können: Billig zusammengeschraubter Elektroschrott mit vereinzeltem Atzenappeal und Autotune-Gebratze, für den man sich im Fitnessstudio wohl jahrelang das Graue aus dem Kopf gepresst haben muss. Schlimme Geschichte, das.
Unerwartet zugänglich wiederum FEINDFLUG, die mal eben nebenbei für den höchsten Füllstand des Wochenendes sorgen. Positiv fällt zunächst auf, dass man die Lautstärke im Vergleich zum Auftritt vor zwei Jahren auf ein erträgliches Maß heruntergeschraubt hat - die martialischen Klangcollagen kommen zwar immer noch fies aus den Boxen, gewinnen durch die etwas klarere Abmischung allerdings an Ausstrahlungskraft und können ihren Sogeffekt umso besser entfalten. Optisch servieren die Uniform-Fetischisten eine Mischung aus alten Filmaufnahmen (Stukas, Krieg, die ganze Palette), Rot-Blau-Kontrasten und Strobo-Flak, während durch den freizügig eingesetzten Nebel hier und da Schützengrabenromantik aufkommen darf. Wenn man sich auf diese fein abgestimmte Mischung einlässt - und das wollen wir heute tun - dann sind FEINDFLUG zu Recht eine der großen Bands des Genres, auch wenn mir noch immer ein wenig Gesang zum Glück fehlt.
Ganz und gar nicht fehlen würde mir dagegen der Gesang von FRONT 242, die den von FEINDFLUG verursachten Ansturm nicht ganz halten, aber immer noch für schwüle Temperaturen sorgen können. Die Musik der Belgier ist durchweg rhythmusorientiert und wirkt bisweilen wie ein ins Hier und Jetzt verpflanztes Aerobicvideo aus den 80ern - die Schlagzeile "Powercore mit Cindy Crawford" drängt sich geradezu auf. Dazu bellen die beiden sportlichen Fronter abwechselnd ihre Parolen, was bei dafür empfänglichen Personen wohl einen gewissen Anfeuerungseffekt haben mag, von meiner Warte aufgrund der eintönigen Strukturen allerdings eher ermüdend wirkt. Wenn man das Schlechteste aus frühem Rap und NDW verbindet, ist das Ergebnis in gewisser Weise eben absehbar - da helfen auch die mitunter reizvollen instrumentalen Bausteine nicht viel. Richtig peinlich dann die längere Pause nach knapp 15 Minuten, die offiziell mit technischen Problemen begründet wird, aber aufgrund des generellen Auftretens eher den Eindruck von Starallüren hinterlässt. Insofern waren FEINDFLUG der nicht ganz so heimliche und verdiente Headliner dieses Samstags, der wohl nur aufgrund der genreprägenden Historie der FRONT nicht ganz oben im Billing stand.
Sonntag
Den Sonntag eröffnen TEMPLE OF TWILIGHT mit ihrer unaufdringlichen und nicht sonderlich nachhaltigen Interpretation des Goth Rocks. Klar, rein handwerklich wird von flimmernden Basslinien und verhalltem Gesang bis hin zum melancholischen Gitarreneinsatz jedes Kästchen abgehakt, aber als Gesamtwerk kommt die tief in den 80ern verwurzelte Melange nur äußerst schwer in die Gänge.Vielleicht ist es auch nur die unbändige Vorfreude auf den Headliner, die mir hier ein wenig die Sinne trübt - irgendwie fluffig sind die entspannten Nummern der Deutschen nämlich durchaus.
ULTERIOR geben sich im Anschluss merklich druckvoller, was an vielen Sachen liegen könnte: Die Briten wirken vergleichsweise smart bis arrogant, holen aus ihren reduzierten Möglichkeiten zwischen Ur-SISTERS und der Punk-Schlagseite von Stücken wie "Sister Speed" das Maximum heraus und schaffen es trotz gelegentlicher Britrock-Remineszenzen sogar, nicht uncool zu wirken. Irgendwie bemerkenswert und ziemlich anders - das reicht mitunter schon aus, um im Gedächtnis zu bleiben.
Noch deutlicher wird das SISTERS-Worshipping anschließend bei NOSFERATU:Die Briten haben die ersten Scheiben ihrer Landsmänner offenbar mit dem großen Löffel gegessen, auch wenn es hier lyrisch eher die Karpaten sind, die für angenehmes und stets zugängliches Schauern sorgen. Allzu Euphorisches lässt sich dazu mangels eigenen Inputs nicht sagen, allerdings darf man der seit Ende der 80er aktiven Band auch einfach so mal Beifall zollen - nicht zuletzt, weil "Vampires Cry" und "Lucifer Rising" schlicht großartige Goth-Rocker vor dem Herrn sind.
Nachdem MEGAHERZ gnädigerweise dem Abendbrot zum Opfer gefallen sind und die Klänge des "Blade Runner"-OST für eine angenehme Überraschung sorgten, schicken sich mit leichter Verspätung KILLING JOKE an, dem WGT einen Hauch des Legendären zu verleihen. Optisch wirken die Briten zunächst vor allem alt, woran auch ein gewohnt rot angemalter Jaz Coleman nicht allzu viel ändert - KILLING JOKE anno 2011 sind in die Jahre gekommene Helden, denen die Revolution schon längst nicht mehr aus den Augen tritt. Stattdessen hat man sich nochmal ins bewährte Outfit gezwängt, um dem reichlich anwesenden Publikum zu zeigen, wo die Post im Rock einst ihren Ursprung nahm. Zu Gehör kommt nach bewährtem Rezept ein Best Of, bei dem neben unkaputtbaren Stücken wie "Love Like Blood" oder "The Wait" vor allem die Soundwand der Instrumentalisten positiv ins Auge fällt. Dass Coleman hier nicht immer mithalten kann, macht den Gig im Endeffekt nicht schlechter - essentiell sind KILLING JOKE im aktuellen Musikzirkus allerdings auch nicht mehr.
Und damit zu meinem persönlichen Anwesenheitsgrund auf dem Jubiläums-WGT - zu den FIELDS OF THE NEPHILIM. Die Briten um den charismatischen Endzeit-Cowboy Carl McCoy sind neben den SISTERS vielleicht die Goth-Rock-Band, die jenseits dauerhafter Charterfolge den nachhaltigsten Einfluss auf die Szene hatte und in Form des Übergangsprojektes THE NEFILIM sogar industrialisierten Death Metal gehobener Qualität zustande brachte. Wie grandios die Comeback-Scheibe "Mourning Sun" ausfiel, habe ich an anderer Stelle bereits beschrieben, also hinein in die von Mehlstaub und Trockeneis geschwängerte Halle, wo die Band mit 20 Minuten Verspätung zur Apokalypse bittet.
Der Start in den Set fällt angesichts der WGT-Zielgruppe ungewöhnlich aus: Statt flockiger Kost knallt man den Anwesenden nach angemessener Einstimmung mit "Shroud (Exordium)" den Uptempo-Knaller "Straight Into The Light" vor den Latz, bevor es mit "Penetration" (THE NEFILIM) richtig düster wird: Der Bass pumpt vor unbarmherzigen Stakkatoriffs, Doublebass-Teppiche konkurrieren mit satten Growls, die Stimmung ist nicht zuletzt aufgrund der Lightshow postapokalyptische Perfektion. Fast entschuldigend wirkt da das recht früh platzierte "Moonchild", das für Begeisterung im traditionellen Sektor sorgt und später noch "The Watchman" und das überragende "Sumerland" zur Seite gestellt bekommt. Nach einem weiteren NEFILIM-Stück - einer Art "Zoon"-Medley mit Schwerpunkt auf "Wake World" - und dem psychotisch anmutenden "From The Fire" ist dann nach etwa 50 Minuten auch erst einmal Schluss, was für einen Headliner etwas enttäuschend ist. So hinterlässt der einwandfreie Auftritt trotz Zugabe - das knapp 10-minütige "Last Exit For The Lost" darf selbstredend nicht fehlen - eine Spur Enttäuschung, ohne das Erlebnis als solches nachhaltig schmälern zu können: FOTN sind live auf jeden Fall eine Empfehlung wert!
Das Mitternachtsspecial kommt anschließend von RECOIL, dem Soloprojekt eines gewissen Alan Wilder (Ex-DEPECHE MODE). Selbiger hat sich laut Videoeinblendung "One Strange Hour" auf die Fahnen geschrieben und füllt besagte 60 Minuten mit einem Konzert, das man eher als Installation begreifen sollte: Zu allerlei blinkenden Videoloops gibt es elektronische Klänge zwischen MODE und Triphop, wobei Letzteres über weite Strecken stilprägend wirkt und das Ganze für mich eher zur Tortur verkommen lässt. Speziell die musikalische Unentschlossenheit des Gebotenen - zu wenig Melodie und gleichzeitig zu wenig Härte - macht Wilders wortlose Bemühungen zum Äquivalent von lauwarmer Suppe, was auch der sympathische Akzent des Engländers bei den Zwischenansagen nicht mehr retten kann. Einer kleinen Gemeinschaft von Eingeschworenen gefällt der Bastard aus Lounge-Triphop und ausgebremsten Clubsounds trotz allem, also lassen wir die Willigen tanzen und verziehen uns zum Metstand, wo das göttliche Gesöff die Erinnerung an RECOIL alsbald rückstandslos ins Nirwana drängt.
Montag
Und damit auf zur letzten Schlacht: Es ist Montag in Leipzig, und statt des gewohnten Mittelalter-Overkills steht zum Jubiläum ein vergleichsweise abwechslungsreiches Billing auf dem Plan. Dass das Publikum am Abreisetag aus naheliegenden Gründen etwas spärlicher ausfällt, war zu erwarten - DIE VORBOTEN versuchen das Beste daraus zu machen und legen gegen 17 Uhr einfach mal los. Musikalisch haben sich die Musiker aus Wismar einer wohl kalkulierten Mischung aus alten REITERN, etwas OOMPH und Underdog-Lyrik des Kalibers ONKELZ verschrieben, was nicht nur auf dem Papier etwas schablonenhaft klingt. Auch live werden Songs wie "Schmiede, schmiede!", "Hass" oder "Extreme" aufgrund ihrer ständigen Wiederholung von altbekannten Gegensätzen schnell schal, während der Mangel an Tiefe in pseudo-anstößiger Heimatnostalgie des Kalibers "Vaterland" fast schon aufdringlich wirkt. Dann lieber doch "Fatherland" von den KRUPPS, selbst wenn VORBOTEN-Sänger Karsten heute eine technisch beeindruckende Vorstellung liefert...
Statt "Fatherland" bekommen wir im Anschluss dann NORTHLAND, die mit ihrem melodischen Viking Metal das Partyvolk bei der Stange halten möchten. Die Anwesenden lassen sich gern auf das Material der Spanier ein, was angesichts nachvollziehbarer, um nicht zu sagen repetitiver, Keyboardeinschübe nicht allzu schwer ist - irgendwo zwischen ENSIFERUM und FINNTROLL findet sich immer eine Melodie, die trotz bemühter Variation hinreichend vertraut klingt, um ein paar Dutzend Leute zum Schunkeln zu bewegen. Eine handwerklich überzeugende, wenn auch wenig originelle Vorstellung, die durch das sympathische Auftreten der Band passend abgerundet wird.
Originell im eigentlichen Sinne ist anschließend der kurze Eindruck von COPPELIUS, denn die Berliner üben sich in einer ungewöhnlichen Verquickung von Kabarett, Steampunk-Ästhetik und Metal,der durch die Besetzung - Schlagzeug, Kontrabass, Cello und Klarinette - ein gewisses Maß an Exotik innewohnt. Definitiv ein interessanter Ansatz, der in seiner Wandelbarkeit bisweilen an LETZTE INSTANZ erinnert, ohne jedoch musikalisch ähnliche Wege einzuschlagen - COPPELIUS machen ihr eigenes Ding und dürften damit ganz unterschiedliche Menschen ansprechen, sofern diese ein Faible für das 19. Jahrhundert und die entsprechende Atmosphäre mitbringen.
Damit zur finnischen Runde, die durch CRIMFALL mit einem gerüttelt Maß Fantasy-Metal eröffnet wird. Die Band fabriziert einen seltsamen Bastard aus E-Sinfonik und Breitwand-Gebratze, der mitunter an treibendere BATTLELORE erinnert, ohne jedoch deren kontemplative Qualität zu erreichen. CRIMFALL sind trotz des klassischen Beauty & Beast-Wechselgesangs gefühlsmäßig eher Power Metal und geben sich auch auf der Bühne vergleichsweise agil, was publikumsseitig nach ein paar Anlaufschwierigkeiten entsprechend honoriert wird. Kein spektakulärer Auftritt also, aber doch um Einiges besser als gedacht.
MOONSORROW geben sich nach langem Intro anschließend die Ehre und zocken einen schwelgerischen Set, in dem man richtig versinken müsste, um ihn zu genießen. Da mir das heute nicht vergönnt ist, bleiben die weitläufigen Stücke eher als Hintergrundmusik in Erinnerung - mit "Pimeä" und "Kylän Päässä" als verlässlichen Eckpfeilern.
Eine überraschend grandiose Perle bieten anschließend die MEDIAEVAL BAEBES, ein vielköpfiges Damenensemble aus Großbritannien, das sich dem mittelalterlichen bzw. mittelalterlich inspirierten Satzgesang verschrieben hat. Im authentischen Klanggewand (Blockflöte, Violine, Percussion, usw.) werden chorale Stücke und Balladen zum Besten gegeben, die in ihren mainstreamigen Momenten an BLACKMORE'S NIGHT erinnern, in weiten Teilen aber eher den Geist von Minne und Reigen atmen, als dass sie modernen Hörgewohnheiten Rechnung tragen. Aufgrund der wirklich hervorragend in Szene gesetzten Harmonien, der makellosen Solisten, sowie der stimmungsvollen Einheit aus Performance und Beleuchtung kann man den BAEBES an diesem Montag guten Gewissens den Tagessieg zugestehen - den mittlerweile unsäglichen Metalcore/Folk-Bastard ELUVEITIE sparen wir uns dafür an dieser Stelle.
Insgesamt war das 20. WGT zumindest auf der AGRA eine gewohnt vielseitige Angelegenheit, selbst wenn die hier besprochenen Bands nur einen winzigen Bruchteil des riesigen Programms darstellen: Insgesamt konnten die gut 23.000 Besucher zwischen 280 Konzerten wählen, worin die sonstigen Veranstaltungen und Parties im Rahmen des Festivals noch nicht einmal enthalten sind. In Sachen Umfang, Friedfertigkeit und Service - von Festival-Kindergarten und kostenlosem ÖPNV bis Picknick - blieb das WGT seiner bewährten Linie treu, weshalb man sich durchaus auf das kommende Jahr freuen darf - hier findet sich letzten Endes für jedes etwas Sehenswertes.
www.wave-gotik-treffen.de
PS: Wer eigene Eindrücke gesammelt hat - vor allem aus der Halle 15 - der möge sich doch bitte überlegen, ob er ein paar Zeilen verfassen möchte, die wir hier einfügen können. Bei Interesse bitte einfach eine PN an mich. -rs
Donnerstag
Der Startschuss fällt wie jedes Jahr auf der Leipziger AGRA, wo ab 18 Uhr die Eröffnungsnacht des WGT steigt und mit DAS ICH eine unbestrittene Genregröße die Bühne entert. Wie bereits im Vorfeld bekannt wurde, müssen die Deutschen heute ohne ihren Fronter Stefan Ackermann auskommen, da selbiger nach mehreren Operationen noch immer auf der Intensivstation liegt. Er habe sich jedoch dafür ausgesprochen, dass die Band trotzdem auftritt und so bringen DAS ICH mit verschiedenen Gastsängern (u.a. Vic Anselmo, Oswald Henke) ein formidables Best Of unter die Leute, das von "Destillat" bis zum unvermeidlichen "Gottes Tod" kaum Wünsche offen lässt. Zumindest für die Fans - für den metallischen Normalverbraucher zeitigt das insgesamt etwas zu ausladende Set dann doch einige Längen. Dennoch ein passender und vom bereits reichlich anwesenden Publikum bejubelter Opener.
Nach der Essenspause dann gleich das Dejavú: Oswald Henke is back - dieses Mal unter eigenem Namen auf einer in ein Kerzenmeer verwandelten Bühne stehend und mit einer Handvoll Träume aus der Geschichte von GOETHES ERBEN bewaffnet. Zu Gehör kommen Stücke aus allen Schaffensperioden, was das doch recht theatralische Projekt von "Iphigenie" und "Die Brut", über "Nichts bleibt wie es war", den Uraltkracher "Das schwarze Wesen", "Zinnsoldat", bis hin zum vergleichsweise aktuellen "Kopfstimme" führt. Die Anwesenden geben sich diesem Feuerwerk nostalgischer Erfüllung genussvoll hin, wenngleich man sich von der Außenbahn durchaus fragen darf, ob es hier und da nicht etwas weniger sein dürfte - wirklich mitreißend oder gar dynamisch wird die Werkcollage nämlich nur im Ausnahmefall.
Das ändert sich mit den nun folgenden AGE OF HEAVEN, die in Leipzig nicht nur einen lokalen Bonus genießen, sondern schon bei ihrem Probegig im 4 Rooms vor einigen Wochen beweisen konnten, dass der schmissige Mix aus SISTERS OF MERCY, FIELDS OF THE NEPHILIM und straightem Goth-Metal die perfekte Livemusik ist. Dementsprechend engagiert und positiv wirkt der heutige Auftritt auf dem WGT: Man spürt die Freude der Band über die Rückkehr auf die Bühne, auf welcher man - wie die anderen Bands des exakt dem Billing von 1992 entsprechenden Auftaktabends - schon vor genau zwei Dekaden stand. Das überwiegend flotte Material perlt dank hervorragendem Sound wie ein Sommerregen über die Zuschauer, die im Verlauf des Gigs zunehmend auftauen, und so bleibt nach gut 60 Minuten ein angenehmes Gefühlskino zwischen Nostalgie und Erfrischung. Neben den noch bevorstehenden LOVE LIKE BLOOD ganz klar die Gewinner des Abends.
Zunächst allerdings noch ein kurzer Blick auf THE ETERNAL AFFLICT, die den meisten durch ihren Hit "San Diego" bekannt sein dürften, der im Grunde dann auch alle Trademarks des Schaffens in sich vereint: Die Deutschen stehen für treibenden Fitnessstudio-Pop mit Gesangsfetzen, die eher an Parolen als an Lyrik erinnern.
Ein insgesamt schickes Pausenbrot, dem auf die lange Distanz allerdings ein wenig die Luft ausgeht. Dass die Bude nach "We Lebanon You", "Agony" und anderen bei erwähntem "San Diego" in der Nachspielzeit dann trotzdem kocht, bedarf wohl keiner Erwähnung...
Damit wären wir dann auch schon bei den erwähnten LOVE LIKE BLOOD, die nach mehr als zehn Jahren Bühnenabstinenz im Lineup der Jahrtausendwende zur finalen Retrospektive antreten. Und etwas traurig ist es ja schon: Die nach einem KILLING JOKE-Song benannten Deutschen, die vielen Leuten zumindest dem Namen nach bekannt sein dürften, haben nach 23 Jahren Bandgeschichte ihre Auflösung beschlossen und liefern mit einem in jeglicher Hinsicht grandiosen Gig doch eigentlich nur Gründe, die gegen eben diese sprechen: Instrumental und vor allem stimmlich bestens aufgelegt stehen LLB heute Abend für eine mitreißende Bandleistung, die vom zahlreich anwesenden Publikum nach allen Regeln der Kunst abgefeiert wird. Einen großen Anteil am dynamischen Gesamtbild hat sicherlich die per Voting gestaltete Setlist, die bis auf ein, zwei Balladen angenehm nach vorne drängt und so - wie vorher schon AGE OF HEAVEN - einen fast befreienden Charakter zeigt. Denn sind wir doch einmal ehrlich: So anspruchsvoll und unkonventionell beispielsweise GOETHES ERBEN auch sein mögen, so ungleich passender ist an einem solchen Abend dann eben doch das vereinnahmend fließende und vor allem tanzbare Material der Geislinger. Ein in jeder Hinsicht gelungener Auftritt.
Freitag
Der Freitag startet mit 18 SUMMERS, die unter ihrem ehemaligen Namen SILKE BISCHOFF den ein oder anderen Klassiker veröffentlicht haben und nach der Jahrtausendwende unter neuem Namen in etwas elektronischere Gefilde vorstießen. Da das neue 18 SUMMERS-Album laut Band noch etwas warten muss und man außerdem keine Songs spielen wolle, die ohnehin noch niemand kennt, beschränken sich die Deutschen heute auf einen Best Of-Gig, der viel Legendäres und paar Perlen der Reinkarnation bietet. Dabei kommt neben dem fast komplett gespielten SB-Meilenstein "To Protect And To Serve" (1995) beispielsweise auch "A Girl Of 18 Summers" zu Gehör - klarer Höhepunkt ist jedoch "On The Other Side", selbst wenn Flauchers Stimme nach all den Jahren nicht mehr ganz so zerbrechlich wie auf Platte wirkt. Ein schöner Auftritt, der nicht zuletzt durch die sympathische Art der Band in Erinnerung bleiben wird.
Die nun folgenden Niederländer GOTHMINISTER lassen sich im Grunde recht schnell besprechen, denn hier wird zwischen RAMMSTEIN und OOMPH martialisch die Partykeule geschwungen. Was in Sachen Songwriting eher als solide treibende Nummer durchgeht, kann hinsichtlich der Bühnenshow durchaus punkten: Die Verwendung von allerlei Podesten und kanzelähnlichen Aufbauten vermittelt eine Stimmung, die zugleich Predigt und Kultveranstaltung zitiert, dabei allerdings immer dem militärischen Charakter der Musik gerecht werden kann. Richtig beeindruckend wird das Ganze schließlich, sobald die Bühne im hellen Schein von Feuer und Pyros entbrennt - in puncto Show jedenfalls haben GOTHMINISTER an diesem Wochenende die Nase ziemlich weit vorn.
Vergleichsweise zahm geben sich anschließend UMBRA ET IMAGO, die auf vergangenen WGTs vorrangig durch ihre freizügige Liveshow aufgefallen waren. Heute konzentriert man sich hingegen aufs Musikalische und tut sich damit keinen Gefallen: Mag sein, dass sich die Band im Rahmen ihres ernüchternd simplen Schaffens um relevante Abhandlungen zur Zeit bemüht - für mich persönlich bleiben die Deutschen auch nach diesem wenig begeisternden Konzert der Inbegriff von Reißbrettmusik mit überwiegend ausgelutschter Lyrik.
Wie man ein Publikum nachhaltig von den imaginären Sitzen reißt, zeigen anschließend dann COVENANT: Die Schweden liefern in der Schnittmenge von Electro, DEPECHE MODE und Popmusik einen unglaublichen Auftritt ab, der durch vielseitig eingesetzte LED-Module auch optisch zu einem Erlebnis wird. Dabei schlägt gerade die körperlich spürbare Verhärtung der auf Platte mitunter handzahmen Nummern positiv zu Buche, da dem vereinnahmenden Songmaterial - von "Brave New World", "Call The Ships To Port" und "Ritual Noise" bis zu "The Men" - so ein enormer Punch mit auf den Weg gegeben wird. Ein rundum gelungener Auftritt für Augen und Ohren also, der nach knapp 70 Minuten fast ein wenig zu früh endet.
Rundum gelungen präsentieren sich anschließend auch DEINE LAKAIEN, wenn auch auf ganz andere Art und Weise: Die Band hat sich für den diesjährigen Auftritt ein kleines Kammerorchester samt großem Flügel mitgebracht und interpretiert in der Folge eigene Stücke auf reduziert-klassischem Wege. Dadurch fallen nicht nur die ebenso vielseitigen wie ausgefeilten Strukturen des Schaffens so richtig ins Auge - auch Veljanovs unverwechselbare Stimme kommt durch diesen naheliegenden Kunstgriff in einer Art und Weise zur Geltung, die man bei Klassikern wie "Love Me To The End" oder "Into My Arms" nur als magisch beschreiben kann. Ein mehr als gelungener Abschluss dieses überraschend vielseitigen Tages, der in der Clubhalle schließlich mit reichlich EBM und technoiden Maschinenklängen endet.
Samstag
Reichlich EBM und technoide Maschinenklänge - damit sind wir dann auch mittendrin im Samstag, der mit DESTROID zunächst die beatlastige Ausgabe von COVENANT oder auch WOLFSHEIM aufs Tablett bringt. Das Gebotene fließt über die gesamte Spielzeit recht flockig ins Gehör, verweilt dort auch ein wenig länger, und löst sich schließlich doch in eine Abfolge warm pulsierender Bässe nebst trance-lastiger Effekte auf. Immerhin ist die Stimme von Fronter Daniel Myer (HAUJOBB) wirklich angenehm und sorgt dafür, dass die Deutschen zu keinem Zeitpunkt nervig werden. Schöner Auftakt.
Vergleichsweise anstrengend wirken dagegen die Schweden AGREZZIOR, die vor allem mit Uffta-Rhythmik und suboptimaler Gesangsleistung auffallen. Es steht zu vermuten, dass genau dadurch vielleicht die punkige Attitüde der Band unterstrichen werden soll - für den Uneingeweihten hingegen wirkt das Material der Nordländer über weite Strecken eher stümperhaft...
...womit wir gleich die nun folgenden FADERHEAD abhandeln können: Billig zusammengeschraubter Elektroschrott mit vereinzeltem Atzenappeal und Autotune-Gebratze, für den man sich im Fitnessstudio wohl jahrelang das Graue aus dem Kopf gepresst haben muss. Schlimme Geschichte, das.
Unerwartet zugänglich wiederum FEINDFLUG, die mal eben nebenbei für den höchsten Füllstand des Wochenendes sorgen. Positiv fällt zunächst auf, dass man die Lautstärke im Vergleich zum Auftritt vor zwei Jahren auf ein erträgliches Maß heruntergeschraubt hat - die martialischen Klangcollagen kommen zwar immer noch fies aus den Boxen, gewinnen durch die etwas klarere Abmischung allerdings an Ausstrahlungskraft und können ihren Sogeffekt umso besser entfalten. Optisch servieren die Uniform-Fetischisten eine Mischung aus alten Filmaufnahmen (Stukas, Krieg, die ganze Palette), Rot-Blau-Kontrasten und Strobo-Flak, während durch den freizügig eingesetzten Nebel hier und da Schützengrabenromantik aufkommen darf. Wenn man sich auf diese fein abgestimmte Mischung einlässt - und das wollen wir heute tun - dann sind FEINDFLUG zu Recht eine der großen Bands des Genres, auch wenn mir noch immer ein wenig Gesang zum Glück fehlt.
Ganz und gar nicht fehlen würde mir dagegen der Gesang von FRONT 242, die den von FEINDFLUG verursachten Ansturm nicht ganz halten, aber immer noch für schwüle Temperaturen sorgen können. Die Musik der Belgier ist durchweg rhythmusorientiert und wirkt bisweilen wie ein ins Hier und Jetzt verpflanztes Aerobicvideo aus den 80ern - die Schlagzeile "Powercore mit Cindy Crawford" drängt sich geradezu auf. Dazu bellen die beiden sportlichen Fronter abwechselnd ihre Parolen, was bei dafür empfänglichen Personen wohl einen gewissen Anfeuerungseffekt haben mag, von meiner Warte aufgrund der eintönigen Strukturen allerdings eher ermüdend wirkt. Wenn man das Schlechteste aus frühem Rap und NDW verbindet, ist das Ergebnis in gewisser Weise eben absehbar - da helfen auch die mitunter reizvollen instrumentalen Bausteine nicht viel. Richtig peinlich dann die längere Pause nach knapp 15 Minuten, die offiziell mit technischen Problemen begründet wird, aber aufgrund des generellen Auftretens eher den Eindruck von Starallüren hinterlässt. Insofern waren FEINDFLUG der nicht ganz so heimliche und verdiente Headliner dieses Samstags, der wohl nur aufgrund der genreprägenden Historie der FRONT nicht ganz oben im Billing stand.
Sonntag
Den Sonntag eröffnen TEMPLE OF TWILIGHT mit ihrer unaufdringlichen und nicht sonderlich nachhaltigen Interpretation des Goth Rocks. Klar, rein handwerklich wird von flimmernden Basslinien und verhalltem Gesang bis hin zum melancholischen Gitarreneinsatz jedes Kästchen abgehakt, aber als Gesamtwerk kommt die tief in den 80ern verwurzelte Melange nur äußerst schwer in die Gänge.Vielleicht ist es auch nur die unbändige Vorfreude auf den Headliner, die mir hier ein wenig die Sinne trübt - irgendwie fluffig sind die entspannten Nummern der Deutschen nämlich durchaus.
ULTERIOR geben sich im Anschluss merklich druckvoller, was an vielen Sachen liegen könnte: Die Briten wirken vergleichsweise smart bis arrogant, holen aus ihren reduzierten Möglichkeiten zwischen Ur-SISTERS und der Punk-Schlagseite von Stücken wie "Sister Speed" das Maximum heraus und schaffen es trotz gelegentlicher Britrock-Remineszenzen sogar, nicht uncool zu wirken. Irgendwie bemerkenswert und ziemlich anders - das reicht mitunter schon aus, um im Gedächtnis zu bleiben.
Noch deutlicher wird das SISTERS-Worshipping anschließend bei NOSFERATU:Die Briten haben die ersten Scheiben ihrer Landsmänner offenbar mit dem großen Löffel gegessen, auch wenn es hier lyrisch eher die Karpaten sind, die für angenehmes und stets zugängliches Schauern sorgen. Allzu Euphorisches lässt sich dazu mangels eigenen Inputs nicht sagen, allerdings darf man der seit Ende der 80er aktiven Band auch einfach so mal Beifall zollen - nicht zuletzt, weil "Vampires Cry" und "Lucifer Rising" schlicht großartige Goth-Rocker vor dem Herrn sind.
Nachdem MEGAHERZ gnädigerweise dem Abendbrot zum Opfer gefallen sind und die Klänge des "Blade Runner"-OST für eine angenehme Überraschung sorgten, schicken sich mit leichter Verspätung KILLING JOKE an, dem WGT einen Hauch des Legendären zu verleihen. Optisch wirken die Briten zunächst vor allem alt, woran auch ein gewohnt rot angemalter Jaz Coleman nicht allzu viel ändert - KILLING JOKE anno 2011 sind in die Jahre gekommene Helden, denen die Revolution schon längst nicht mehr aus den Augen tritt. Stattdessen hat man sich nochmal ins bewährte Outfit gezwängt, um dem reichlich anwesenden Publikum zu zeigen, wo die Post im Rock einst ihren Ursprung nahm. Zu Gehör kommt nach bewährtem Rezept ein Best Of, bei dem neben unkaputtbaren Stücken wie "Love Like Blood" oder "The Wait" vor allem die Soundwand der Instrumentalisten positiv ins Auge fällt. Dass Coleman hier nicht immer mithalten kann, macht den Gig im Endeffekt nicht schlechter - essentiell sind KILLING JOKE im aktuellen Musikzirkus allerdings auch nicht mehr.
Und damit zu meinem persönlichen Anwesenheitsgrund auf dem Jubiläums-WGT - zu den FIELDS OF THE NEPHILIM. Die Briten um den charismatischen Endzeit-Cowboy Carl McCoy sind neben den SISTERS vielleicht die Goth-Rock-Band, die jenseits dauerhafter Charterfolge den nachhaltigsten Einfluss auf die Szene hatte und in Form des Übergangsprojektes THE NEFILIM sogar industrialisierten Death Metal gehobener Qualität zustande brachte. Wie grandios die Comeback-Scheibe "Mourning Sun" ausfiel, habe ich an anderer Stelle bereits beschrieben, also hinein in die von Mehlstaub und Trockeneis geschwängerte Halle, wo die Band mit 20 Minuten Verspätung zur Apokalypse bittet.
Der Start in den Set fällt angesichts der WGT-Zielgruppe ungewöhnlich aus: Statt flockiger Kost knallt man den Anwesenden nach angemessener Einstimmung mit "Shroud (Exordium)" den Uptempo-Knaller "Straight Into The Light" vor den Latz, bevor es mit "Penetration" (THE NEFILIM) richtig düster wird: Der Bass pumpt vor unbarmherzigen Stakkatoriffs, Doublebass-Teppiche konkurrieren mit satten Growls, die Stimmung ist nicht zuletzt aufgrund der Lightshow postapokalyptische Perfektion. Fast entschuldigend wirkt da das recht früh platzierte "Moonchild", das für Begeisterung im traditionellen Sektor sorgt und später noch "The Watchman" und das überragende "Sumerland" zur Seite gestellt bekommt. Nach einem weiteren NEFILIM-Stück - einer Art "Zoon"-Medley mit Schwerpunkt auf "Wake World" - und dem psychotisch anmutenden "From The Fire" ist dann nach etwa 50 Minuten auch erst einmal Schluss, was für einen Headliner etwas enttäuschend ist. So hinterlässt der einwandfreie Auftritt trotz Zugabe - das knapp 10-minütige "Last Exit For The Lost" darf selbstredend nicht fehlen - eine Spur Enttäuschung, ohne das Erlebnis als solches nachhaltig schmälern zu können: FOTN sind live auf jeden Fall eine Empfehlung wert!
Das Mitternachtsspecial kommt anschließend von RECOIL, dem Soloprojekt eines gewissen Alan Wilder (Ex-DEPECHE MODE). Selbiger hat sich laut Videoeinblendung "One Strange Hour" auf die Fahnen geschrieben und füllt besagte 60 Minuten mit einem Konzert, das man eher als Installation begreifen sollte: Zu allerlei blinkenden Videoloops gibt es elektronische Klänge zwischen MODE und Triphop, wobei Letzteres über weite Strecken stilprägend wirkt und das Ganze für mich eher zur Tortur verkommen lässt. Speziell die musikalische Unentschlossenheit des Gebotenen - zu wenig Melodie und gleichzeitig zu wenig Härte - macht Wilders wortlose Bemühungen zum Äquivalent von lauwarmer Suppe, was auch der sympathische Akzent des Engländers bei den Zwischenansagen nicht mehr retten kann. Einer kleinen Gemeinschaft von Eingeschworenen gefällt der Bastard aus Lounge-Triphop und ausgebremsten Clubsounds trotz allem, also lassen wir die Willigen tanzen und verziehen uns zum Metstand, wo das göttliche Gesöff die Erinnerung an RECOIL alsbald rückstandslos ins Nirwana drängt.
Montag
Und damit auf zur letzten Schlacht: Es ist Montag in Leipzig, und statt des gewohnten Mittelalter-Overkills steht zum Jubiläum ein vergleichsweise abwechslungsreiches Billing auf dem Plan. Dass das Publikum am Abreisetag aus naheliegenden Gründen etwas spärlicher ausfällt, war zu erwarten - DIE VORBOTEN versuchen das Beste daraus zu machen und legen gegen 17 Uhr einfach mal los. Musikalisch haben sich die Musiker aus Wismar einer wohl kalkulierten Mischung aus alten REITERN, etwas OOMPH und Underdog-Lyrik des Kalibers ONKELZ verschrieben, was nicht nur auf dem Papier etwas schablonenhaft klingt. Auch live werden Songs wie "Schmiede, schmiede!", "Hass" oder "Extreme" aufgrund ihrer ständigen Wiederholung von altbekannten Gegensätzen schnell schal, während der Mangel an Tiefe in pseudo-anstößiger Heimatnostalgie des Kalibers "Vaterland" fast schon aufdringlich wirkt. Dann lieber doch "Fatherland" von den KRUPPS, selbst wenn VORBOTEN-Sänger Karsten heute eine technisch beeindruckende Vorstellung liefert...
Statt "Fatherland" bekommen wir im Anschluss dann NORTHLAND, die mit ihrem melodischen Viking Metal das Partyvolk bei der Stange halten möchten. Die Anwesenden lassen sich gern auf das Material der Spanier ein, was angesichts nachvollziehbarer, um nicht zu sagen repetitiver, Keyboardeinschübe nicht allzu schwer ist - irgendwo zwischen ENSIFERUM und FINNTROLL findet sich immer eine Melodie, die trotz bemühter Variation hinreichend vertraut klingt, um ein paar Dutzend Leute zum Schunkeln zu bewegen. Eine handwerklich überzeugende, wenn auch wenig originelle Vorstellung, die durch das sympathische Auftreten der Band passend abgerundet wird.
Originell im eigentlichen Sinne ist anschließend der kurze Eindruck von COPPELIUS, denn die Berliner üben sich in einer ungewöhnlichen Verquickung von Kabarett, Steampunk-Ästhetik und Metal,der durch die Besetzung - Schlagzeug, Kontrabass, Cello und Klarinette - ein gewisses Maß an Exotik innewohnt. Definitiv ein interessanter Ansatz, der in seiner Wandelbarkeit bisweilen an LETZTE INSTANZ erinnert, ohne jedoch musikalisch ähnliche Wege einzuschlagen - COPPELIUS machen ihr eigenes Ding und dürften damit ganz unterschiedliche Menschen ansprechen, sofern diese ein Faible für das 19. Jahrhundert und die entsprechende Atmosphäre mitbringen.
Damit zur finnischen Runde, die durch CRIMFALL mit einem gerüttelt Maß Fantasy-Metal eröffnet wird. Die Band fabriziert einen seltsamen Bastard aus E-Sinfonik und Breitwand-Gebratze, der mitunter an treibendere BATTLELORE erinnert, ohne jedoch deren kontemplative Qualität zu erreichen. CRIMFALL sind trotz des klassischen Beauty & Beast-Wechselgesangs gefühlsmäßig eher Power Metal und geben sich auch auf der Bühne vergleichsweise agil, was publikumsseitig nach ein paar Anlaufschwierigkeiten entsprechend honoriert wird. Kein spektakulärer Auftritt also, aber doch um Einiges besser als gedacht.
MOONSORROW geben sich nach langem Intro anschließend die Ehre und zocken einen schwelgerischen Set, in dem man richtig versinken müsste, um ihn zu genießen. Da mir das heute nicht vergönnt ist, bleiben die weitläufigen Stücke eher als Hintergrundmusik in Erinnerung - mit "Pimeä" und "Kylän Päässä" als verlässlichen Eckpfeilern.
Eine überraschend grandiose Perle bieten anschließend die MEDIAEVAL BAEBES, ein vielköpfiges Damenensemble aus Großbritannien, das sich dem mittelalterlichen bzw. mittelalterlich inspirierten Satzgesang verschrieben hat. Im authentischen Klanggewand (Blockflöte, Violine, Percussion, usw.) werden chorale Stücke und Balladen zum Besten gegeben, die in ihren mainstreamigen Momenten an BLACKMORE'S NIGHT erinnern, in weiten Teilen aber eher den Geist von Minne und Reigen atmen, als dass sie modernen Hörgewohnheiten Rechnung tragen. Aufgrund der wirklich hervorragend in Szene gesetzten Harmonien, der makellosen Solisten, sowie der stimmungsvollen Einheit aus Performance und Beleuchtung kann man den BAEBES an diesem Montag guten Gewissens den Tagessieg zugestehen - den mittlerweile unsäglichen Metalcore/Folk-Bastard ELUVEITIE sparen wir uns dafür an dieser Stelle.
Insgesamt war das 20. WGT zumindest auf der AGRA eine gewohnt vielseitige Angelegenheit, selbst wenn die hier besprochenen Bands nur einen winzigen Bruchteil des riesigen Programms darstellen: Insgesamt konnten die gut 23.000 Besucher zwischen 280 Konzerten wählen, worin die sonstigen Veranstaltungen und Parties im Rahmen des Festivals noch nicht einmal enthalten sind. In Sachen Umfang, Friedfertigkeit und Service - von Festival-Kindergarten und kostenlosem ÖPNV bis Picknick - blieb das WGT seiner bewährten Linie treu, weshalb man sich durchaus auf das kommende Jahr freuen darf - hier findet sich letzten Endes für jedes etwas Sehenswertes.
www.wave-gotik-treffen.de
PS: Wer eigene Eindrücke gesammelt hat - vor allem aus der Halle 15 - der möge sich doch bitte überlegen, ob er ein paar Zeilen verfassen möchte, die wir hier einfügen können. Bei Interesse bitte einfach eine PN an mich. -rs