Euroblast Vol. 7

Euroblast Vol. 7

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Köln, Underground
22.10.2011
Djent ist für viele der härteren Musik zugeneigte Menschen immer noch Terra Inkognita und spricht man jemanden darauf an, ist ein großes Fragezeichen im Gesicht des Angesprochenen eher die Regel als die Ausnahme. Dass es dennoch der richtige Schachzug der Veranstalter des Euroblast war, vom Konzept „Europäischer Underground mit ein paar (über-)regionalen Zugpferden“ praktisch komplett auf Djent umzusatteln, zeigt die 7. Ausgabe des kleinen Festivals: Erstmals ist man im größeren und mit mehr Möglichkeiten ausgestatteten Underground, erstmals ist man zweitägig und, am wichtigsten, erstmals kann ein „Ausverkauft“ verbucht werden - auch weil zum Teil weder Kosten noch Mühen gescheut wurden, um nach Köln zu kommen, aus der Türkei, der Ukraine, Venezuela und Australien, um ein paar der weitesten Anreisen zu nennen.
Unglücklicherweise glänzen wir am ersten Tag der Veranstaltung krankheits- bzw. terminbedingt mit Abwesenheit, weshalb uns unter anderem MNEMIC und die beim letzten Mal so überzeugenden CHIMP SPANNER & ALIASES leider durch die Lappen gehen. Ein Grund mehr, am Samstag das volle Programm zu genießen, was sich jede Menge anderer Besucher auch gedacht haben, so dass vor dem Underground und in allen drei Räumen innen (großer bzw. normaler & kleiner Konzertraum, die wechselweise mit kleinen Überschneidungen ununterbrochen bespielt werden, und der dazwischen liegende Kneipenbereich) schon um 15:30 eine Menge los ist.

XERATH eröffnen die musikalische Europareise mit jeder Menge Action. Druckgroove mit Cavalera-Beigeschmack trifft auf sphärische Momente, was auf und vor der Bühne zu wüstem Schleudern der langen Haare, so vorhanden, führt. Es ist angenehm, dass man zum Einstieg nicht gleich mit übermäßigem Gefrickel gefordert wird, selbst wenn trotz der reichlich vorhandenen Energie der Musik den wiederholten Aufforderungen zum Pitten um die frühe Zeit noch kaum nachgekommen wird, auch weil die Briten dafür doch das ein oder andere Break zu viel einsetzen. Erst als Frontwüstling Richard sich kurz vor Ende einen Zuschauer ausguckt und ihn direkt dazu auffordert, ein Pit loszumachen - sonst würde es von der Bühne mit ihm gestartet -, kommt etwas mehr Bewegung rein. Unterhaltsam und gelungen ist der Start in den Tag aber allemal.

Bei ILLUCINOMA sieht das anfangs etwas anders aus, gut 40 Leute sind auch in dem kleinen Raum nicht wirklich viel. Dass die Holländer dann noch mit fehlendem Monitorsound zu kämpfen haben, während die Zuhörer sich an der Verfrickelung ohne auf die Schnelle wahrnehmbare Haltegriffe und dem nicht sonderlich bemerkenswerten prötteligen Gebrüll abarbeiten, ist dem Spaß auch eher abträglich. Das Interessanteste ist da fast schon das „Sendung mit der Maus“ Shirt des Rhythmusgitarristen. Vielleicht wäre es bei Vertrautheit mit den Songs anders gewesen, doch so plärrt das Quintett an den meisten eher vorbei.

Was ein Glück, dass es DEVASTATING ENEMY gibt, die labyrinthische Strukturen mit gesalzenen Dreschflegeln bearbeiten. Die Melodien haben thrashige Momente, abgelöst werden sie von tödlichem Dauerfeuer mitsamt Breaks, was insgesamt für einen etwas corigen Anstrich sorgt. Hervorstechend ist der Bass, nicht nur wegen der den Hals zierenden Leuchtpunkte und der Drive der Österreicher überzeugt live, woran kleine Späße wie sich anspielende Gitarren nicht unbeteiligt sind. Abseits der wilden Gewitter ist Frontmann Daniel zwar mehr oder weniger allein für das Stageacting verantwortlich, das tut dem Plus im Gesamteindruck aber nichts. Offen bleibt die Frage, wie originell und mitreißend das auf Platte ist.

AFEKTH dagegen, was soll ich sagen, machen völlig verwirrten / verwirrenden Krach. Eine Gitarre plingt gedankenverloren vor sich hin, wird von aufgetürmten Wuchtwänden bekämpft, versteht es aber, sich stets durch die Einschläge durchzuplingen. Die Krone setzt dem ganzen Sänger Szymur auf, dem Aussehen nach ein Verwandter von Pete Doherty, der wie sein Alter Ego macht, was er will, auf einer Bandbreite von GREEN DAY bis Hardcore und einfach selbst den Pit startet, weil ihm zu wenig los ist. Nein danke.

Im ersten Moment mindestens so kurios schauen KRYN buchstäblich aus der Wäsche - wann sieht man schon mal einen Metalfronter in weißer Cargohose und dunkler Trainingsjacke? Aber leidenschaftlich und überraschend melodisch singen kann Karlo, da wird das Outfit Nebensache. Der Zauber des Gesamtkonstrukts der Kroaten erschließt sich zäh und mühsam, was auch den Kontrast zwischen den wenigen richtig mitgehenden Zuschauern und der glotzenden Mehrheit erklärt. Kreissägengitarren treffen abrupte Wechsel in Dynamik und Stil und langsam findet man einen Zugang zum Charme von KRYN, bis das „Hurt“ Cover kommt. Es beginnt schräg, dann werden die Schubregler hochgefahren und das Lied ist glatt versenkt, herrje! Dieser Makel bleibt auch in der Nachbetrachtung bestehen, während die eigenen Kompositionen weiterempfohlen werden können.

In der Tradition des heutigen Tages wird es im kleinen Raum wieder spezieller: CRUENTUS kombinieren den Kontrast aus poppigen und geschrienen Vocals mit einem durchweg nachvollziehbaren Grundrhythmus, schweren Grooves und Elektroelementen, für die Binar via Keyboard und Laptop sorgt. Je mehr sie laut Ansagen in ihrer Historie zurückgehen desto kreischiger werden die Polen, packen tut jede Epoche nur die wenigsten, so dass die Stimmung eher ruhig – böse Zungen sagen mau – ist und man lieber schnell fünf Minuten frische Luft schnappt, statt bis zum Ende zu verweilen.

Etwas bekannterer und schon mal in der Stadt gewesen, prompt wird es im großen Raum merklich voller. Beim letzten Mal hatten PROGHMA-C sich das redlich verdient, doch heute springt der Funke nicht richtig über. Während es der positiv befremdlichen Atmosphäre zuträglich ist, dass der auf den ersten Blick grobschlächtig erscheinende Sänger Piotr sich mit geschlossenen Augen in den Lieder zu verlieren scheint, ist es auf die Dauer nicht förderlich, wenn der Rest der Band in ausufernden instrumentalen Passagen ebenfalls leicht verloren geht. So wird es eine Spur zu verschleppt, disparat, dissonant, was verhältnismäßig wenige im Publikum offensichtlich goutieren, während die Mehrheit schweigend dasteht. Schade, besonders wenn man weiß, wie packend die Band live sein kann.

Von der Linie des Spezialprogramms wird drüben natürlich nicht abgewichen, doch jetzt „spielt“ der (nicht ganz) heimliche Gewinner des Tages auf: THE ALGORITHM, Typ Schwiegermuttis Liebling in Hemd und Pullover, jagt ein Programmierfeuer sondergleichen in die Menge. Ein wenig befremdlich ist es schon, wie Menschen mit den wildesten Shirts zum, im Prinzip, Techno made in France abfahren, aber zum einen bangt der gute Rémi wie ein Berserker und zum anderen verirrt sich immer mal wieder etwas Ähnliches wie Riffs und Schlagzeug in den Misch. FEAR FACTORY und eine RAMMSTEIN-ähnliche Melodie schweben scheinbar in der durchgeplanten Elektroanarchie. Faszinierend und verstörend zugleich, auch im Rückblick beim Anschauen der kompletten Aufzeichnung.

Letztes Mal der gefeierte Headliner mitten in der Nacht, dürfen MONUMENTS heute schon um zivile 19:30 loslegen und das „ausverkauft“ macht sich ein erstes Mal ein wenig negativ bemerkbar, weil man ohne vollen Körpereinsatz kaum noch weiter als bis zur Theke kommt. Aber da ist ja bekanntlich der schönste Platz und Sicht und Sound sind völlig in Ordnung, denn selbst wenn jetzt deutlich mehr Leben im Publikum ist, geht es recht djentlemanlike (*hust*) zu. Aus dem „herausragend“ bei Ausgabe 6 wird aus meiner Sicht heute ein „routiniert“. Klar sind die Briten tolle Musiker, die mitreißend aufspielen und die Masse ordentlich in Bewegung bringen, aber die Spontaneität, die aus einem guten Auftritt etwas Besonderes macht und gerade bei derart technisch anspruchsvoller Musik ein Sahnehäubchen ist, lassen sie vermissen. Gesammelte Erfahrung muss eben nicht nur Vorteile haben.

Aufgrund des Andrangs bei MONUMENTS dürfen VISIONS vor einer überschaubaren Zahl beginnen, die sie schnell auf ihre Seite ziehen können. Einfach ein sympathisches „fucking mental in Germany“ brüllen und loszimmern, so einfach kann es sein. Es gibt kein leeres Gepose, wenn die Briten krachend brachial voll auf die Mappe servieren, das tut auch mal gut. Mit der Zeit immer deutlicher wird, dass ihre Basis mehr oder weniger gewöhnlicher Metalcore ist, nur eben ausgebaut mit abenteuerlichen, mit Dissonanzen spielenden Gitarrenläufen und mehr rhythmischer Vertracktheit. Würden sie noch auf die ineffektiven Klargesangspassagen verzichten, wäre das ziemlich schick, so ist es zumindest eine Zeit lang unterhaltsam.

Als Djent praktisch noch nicht erfunden war oder zumindest niemandem dieser Ausdruck geläufig war, waren TESSERACT schon aktiv und, wie die Zeit vergeht, ist vor einigen Monaten bereits zum dritten Mal der Sänger ausgetauscht worden. Der neue Mann, Elliot Coleman, ist dann in meinen Augen auch (noch) der Schwachpunkt des Kollektivs. Um ihn herum wird gezockt, gekracht, geschwelgt und gezaubert, aber ihm fehlt noch die Ausstrahlung, um dagegen halten zu können. Und wenn man eine so technische, nicht rein instrumentale Band ist, braucht es jemanden, der sich durch die um ihn aufgetürmten Kaskaden kämpft. Aber gut, Zeit in diese Rolle reinzuwachsen muss man ihm zugestehen, und mit meiner Meinung gehöre ich den Reaktionen nach heute auch zu einer Minderheit, denn der Großteil feiert die Briten, nicht ganz zu Unrecht.

Ein letztes Mal werden im Kleinen Grenzen ausgelotet und wieder gibt es eine Überraschung, denn bei den blutjung aussehenden DISPERSE ist der Sänger gleichzeitig Keyboarder, weshalb das Keyboard vorne in der Mitte der Bühne steht. Mit ihrer federleicht schwebenden Musik könnten sie der Ruhepol nach einem langen Tag sein, aber nach elfmal mehr oder minder vor Energie berstender Musik fällt es schwer, sich darauf einzulassen und sanft in Träume zu entgleiten. In unmittelbarer Kombination mit ihren Landsleuten PROGHMA-C hätte das sicher eindringlicher gewirkt, doch so bin ich in erster Linie irritiert von der leidenden Mimik von Frontmann Rafał, die keine schlüssige Einheit mit der Musik und seinem (mit reichlich Hall versehenen) Vortrag eingehen will.

Zum Teil schon auf Reserve laufend bewegt sich dann alles, was noch gehen kann, zum Headliner und Abschlussakt des Euroblast Vol.7, TEXTURES. Die Niederländer sind ganz alte Hasen in diesem Geschäft, haben im Vorfeld ihres brandneuen Albums allerdings auch ein paar Besetzungswechsel vornehmen müssen. Der große Unterschied zu TESSERACT ist, dass Daniel de Jongh mehr als ein Jahr und nicht erst ein paar Monate dabei ist, so dass er im Verhältnis wesentlich mehr Zeit hatte, sich mit der Situation und Musik zu arrangieren. Das kommt ihm und dem Gesamtauftritt zugute, zumal TEXTURES am heutigen Tag vergleichsweise zugänglich sind, weil sie fordern ohne zu überfordern, wobei ich nicht genau festmachen kann, was genau jetzt der entscheidende Kniff ist, der sich so auswirkt.

Selbst wenn nicht jede Band sich als Volltreffer entpuppt hat, tut die Konzentration auf Djent dem Euroblast gut. Das Genre oder vielleicht eher die Toleranz seiner Anhänger sorgt für eine enorme Bandbreite, das bunt gemischte internationale Publikum ist bei einer Veranstaltung mit der überschaubaren Größe von gut 600 Leuten etwas ganz Besonderes und das Team hat den friedlichen, freundlichen und fast schon familiären Charakter bewahrt, der das Euroblast von Anfang an ausgezeichnet hat. Man darf sich jetzt schon mit Fug und Recht auf Ausgabe 8 freuen, die im Oktober 2012 ansteht, zumal John & Daniel garantiert wieder das ein oder andere unerwartete Ass aus dem Ärmel ziehen werden.
Abschließende kleine Randbemerkung an die Euroblast-Veteranen: Die Obsttradition wurde selbstverständlich fortgeführt.

Fotos von Yvonne

Bildergalerie

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