Euroblast Vol. 8
Euroblast Vol. 8
Köln, Underground & Live Music Hall
19.10.2012
19.10.2012
Binnen weniger Jahre ist aus einer kleinen, alle paar Monate stattfindenden und sich auf den europäischen Underground konzentrierenden Veranstaltung ein mehrtägiges Festival geworden, das zwar immer noch im überschaubaren Rahmen stattfindet, aber aufgrund des Zusammenhalts innerhalb der Djent / Tech / Modern Prog Szene Menschen aus 43 Ländern nach Köln lockt. Wohl keine andere Szene hat ein derart weltumspannendes Familientreffen mit einer so durchweg freundlichen und kommunikativen Atmosphäre zu bieten, dass sich zudem noch auf das wesentliche konzentriert: die Musik. [mba]
Freitag, 19.10. – Underground
Inzwischen hat sich das Festival auf drei Tage und zwei Locations ausgedehnt. Am Donnerstag, wo sich das Ganze noch Warm-Up schimpft, und am Freitag rempelt und kuschelt man im Underground, wo immer zwei Bands zeitgleich die Hütte einreißen. Während es in der großen Halle des Clubs schon enorm kuschelig zugeht, hat man im kleinen höhlenartigen Raum noch intensiver die Möglichkeit, mit der Band und anderen Festivalbesuchern auf Tuchfühlung zu gehen.
Aus dem sonnigen Südspanien angereist sind V3CTORS, die modernen, djentisierten Gitarrensound mit wütendem Shouting und leidenschaftlich vorgetragenen cleanen Refrains mixen. Dabei verstrickt sich die Band hier und da auch schon mal in frickeligen, arhythmischen Sphären und weiß mit tiefgestimmten Gitarren wenig zärtlich in die biergefüllten Magengruben zu schlagen. Damit passen sie wie angegossen zum Euroblast-Festival, können aber gegen die nebenan die großen Raum des Undergrounds füllenden UNEVEN STRUCTURE kaum anstinken.
Die Franzosen, die erst kürzlich mir „Februus“ ein beeindruckendes Klangwerk abgeliefert haben, sind die inoffiziellen Headliner am Freitag. Zu dem treibenden Sound der Band, die irgendwie die Lücke zwischen den finsteren VILDHJARTA und den leuchtenden TESSERACT füllen, erreicht die Stimmung definitiv ihren Höhepunkt. Viele Fans nutzen im Anschluss der gelungenen und mit einem guten Sound gesegneten Show die Möglichkeit, sich mit den Bandmitgliedern fotografieren zu lassen. Wohl eine der Superstar-Bands des Djent.
Für die ausgefallenen RED SEAS FIRE springen AGENT FRESCO ein, die zwischen den vielen ungewöhnlichen Bands dieses Festivals tatsächlich noch wie Paradiesvögel wirken können. Die Isländer musizieren fern vom Metal in einer unverwechselbaren, sehr atmosphärischen Postrock-Variante, die vor allem durch den sehr hohen Gesang und noisige Gitarrenwände bestimmt wird und in diesem kleinen Ambiente sympathisch rau herüberkommt. Die Band scheint in ihrer Musik zu schwelgen und auch das Publikum, das mit dem Songmaterial bestens vertraut ist, steigt begeistert mit ein. Geheimtipp!
Nach einer etwas zu lang geratenen Umbaupause starten CIRCLE OF CONTEMPT auf der Hauptbühne durch. Die Finnen spinnen ein schwer zu durchdringendes Soundgewebe, bedienen sich rifftechnisch mit vollen Händen aus dem MESHUGGAH-Fundus, lassen aber anhand zahlreicher halsbrecherischer Breaks ihre musikalische Verbundenheit zum Metalcore durchblicken. NEOSIS, die auf der Nebenbühne den Headliner-Posten innehaben, jonglieren ebenso geschickt und waghalsig, fast bis zur technischen Schmerzgrenze, mit Riffs und Rhythmen und kombinieren die maschinelle Präzision mit einigen melodiösen Gesangseinlagen.
Deutlich schmutziger gehen da die mittlerweile fast schon zu den Urgesteinen des Mathcore/Progressive Deathcore zählenden WAR FROM A HARLOTS MOUTH zu Werke. Die Berliner feiern an diesem Abend den Release ihres deutlich schwerfälliger tönenden und mit seiner apokalyptischen Atmosphäre wunderbar zum nahenden Weltuntergang passenden neuen Albums „Voyeur“. Zwischen den bedrückenden neuen Stücken verirrt sich aber auch älteres Material der Marke „Heeey...Let's Start A Band“ und „If You Want To Blame Us For Something Wrong, Please Abuse This Song“, bei denen sich im bühnennahen Moshpit deutlich mehr Bewegung anbahnt. Trotz der Zurückhaltung des Publikums zeigen sich Fronter Nico, der ein Meister des Fiesen-Grimassen-Schneidens ist und Basser Filip, der mitsamt Instrument ein spontanes Bad in der Menge nimmt, als leidenschaftliche Entertainer. Ein unterhaltsamer Abschluss des ersten Tages! [yb]
Samstag, 20.10. – Live Music Hall
Wohnt man nicht gerade in fußläufiger Entfernung zum Veranstaltungsort sondern in einer anderen Stadt, kann ein Start zur Mittagszeit schon mal eine hohe Hürde darstellen, weshalb wir STEALING AXION und HACKTIVIST versäumen und erst mit dem mehr oder weniger heimlichen Gewinner des letzten Jahres in den Tag starten.
Zur Liveverstärkung hat Programmierkünstler Rémi Gallego alias THE ALGORITHM MONUMENTS-Drummer Mike Malyan dabei und die beiden holpern erst mal ins Set, was Rémi zum sofortigen Neustart bewegt. Doch auch in der dann flüssig laufenden Performance will der Funke in die schon sehr ordentlich gefüllte Live Music Hall nicht annähernd so zündend überspringen wie 2011 im dicht gedrängten kleinen Nebenraum des Underground. Nicht ganz unschuldig daran könnte sein, dass sich die Waage zwischen rein elektronischen Samples und via Computer eingespielten Riffs dieses Mal ganz deutlich in die erstere Richtung neigt. Das bringt die Menge zwar zum Wogen, aber nicht zum Toben, und für das Debütalbum „Polymorphic Code“ (VÖ 23. November) erhoffe nicht nur ich mir wieder ein wenig mehr Ausgewogenheit.
Next in line sind die ursprünglich als Soloprojekt von dem vor einiger Zeit noch bei MONUMENTS aktiven Paul Ortiz gegründeten CHIMP SPANNER, die mittlerweile auf einige Liveerfahrung zurückblicken können. Anmerken lassen sich das die ebenfalls instrumental agierenden Herren aber kaum, zu versunken scheinen sie in ihre Darbietung, die die Aufbietung einiger technischer Fähigkeiten erfordert. Daneben glänzen vor allem die frisch polierten Gitarren in den verträumten Klangozeanen, doch das gelegentliche Anziehen des Härtegrads samt gleichzeitig eingewobener melodischer Leads verhindert Trancezustände geschickt und gefällig. Mehr Emotionen weckt nur die manchmal minimal angedeutete Bluesnote, die die Hypnose aufbricht und zeigt, dass nicht nur melodisch dissonant denkende, sondern eben auch fühlende Menschen auf der Bühne stehen. Schön.
Aus ganz anderem Holz geschnitzt sind DESTRAGE. Die Italiener drapieren nicht nur ein paar Erkennungsmerkmale in Form von Bannern auf der Bühne, sie zeigen ihre Lust am Auftreten auch mit Action und Publikumsanfeuerungen, obwohl weniger als die Hälfte der eben noch Anwesenden sich zu Beginn vor der Bühne tummeln. Diejenigen, die sich von der guten Laune der Mailänder anstecken lassen, sehen dann auch darüber hinweg, dass sich die kunterbunte Mischung von diversen Elementen mehr oder weniger modernen Metals mit der Zeit etwas abnutzt, weil einige rhythmische Kniffe das Fehlen von Hits nicht ausgleichen können. Mit dem Titeltrack des (noch, bald aber nicht mehr) aktuellen Albums „The King Is Fat N Old“ gibt es zum Abschluss immerhin einen Semi-Hit, der den insgesamt ohnehin guten Eindruck von der Band noch verstärkt.
Gute Laune und den Willen zur Animation haben auch VILDHJARTA mitgebracht, doch überziehen die beiden Sänger dabei etwas. Ihr oft asynchrones Bangen ist nur eine Randerscheinung und die launigen Ansprachen sind anfangs ebenfalls in Ordnung, desto länger der Auftritt dauert, desto rätselhafter wird es aber, wie bei der seltsamen Wortkonstruktionstheorie, dass sich „Shiver“ aus „Kacken in der Dusche“ („Shit + Shower = Shiver“) gebildet hat. Musikalisch können die vielen Schweden im Grunde überzeugen, bei den Liedenden wäre eine klarere Linie jedoch willkommen, und der Kontrast der Gesangsstile von Daniel und Vilhelm ist heute nicht unbedingt ein Trumpf, weil das zuziehende Röhren arg brutal in die Musik grätscht. Das öffnende Schreien lässt ihrer Ausdrucksstärke dagegen auf angenehme Art freieren Lauf und rettet den Gesamteindruck.
Sogar beim mittlerweile weltumspannenden Euroblast gibt es Exoten oder zumindest darf man die erstmals in Europa auftretenden Inder SKYHARBOR wohl noch so einordnen. Dementsprechend ist es (nicht nur für mich) mehr als eine kleine Überraschung, mit welcher Qualität die von der Atmosphäre selbst sehr begeistert wirkenden Musiker begeistern können. Die Lieder vereinen Anspruch mit nachvollziehbaren Strukturen und ziehen in den richtigen Momenten an. Vermutlich würde das sogar rein instrumental gut klingen, doch mit Dan Tompkins haben SKYHARBOR auch einen Sänger mit dem richtigen Timing für die schwebenden wie die zupackenden Momente, der durch seine klare Stimme einen guten Kontrast zu den gelegentlichen Ballermomenten bietet. Nach einer Weile lässt der Zauber zwar ein wenig nach, weil Dan sich immer seltener gegen den rings um ihn entfesselten Sturm durchsetzen kann, das fügt dem erfrischenden und sehr überzeugenden Auftritt jedoch keinen spürbaren Schaden zu.
Mit dem dritten Euroblastauftritt in Folge sind MONUMENTS Veteranen der Richtungsänderung der Veranstaltung gen Djent / Tech / Modern Prog. Zugleich scheinen sie den Schwung von dem vor kurzen (endlich!) veröffentlichten Debütalbum ohne Reibungsverluste mitgebracht zu haben, denn der Auftritt entwickelt sich binnen Minuten zum Highlight des Tages. Das Publikum braucht oft kaum mehr Akkorde, um in die Lieder reinzukommen, als die sehr gut abgestimmte Band, was das wechselseitige Anstacheln zu einer vollwertigen Ergänzung der Mischung aus Gefühligkeit und Beklopptheit auf der Bühne macht. Dazu gehört auch, dass die Musiker eine gewissen Selbstzufriedenheit mit ihrem Tun ausstrahlen, gerade Olly Steele darf sich meinetwegen aber gerne bei jedem Auftritt ein wenig an sich selbst berauschen, macht es sein nach Schabernack aussehendes Sympathieträgergrinsen doch noch eine Spur breiter. Dass Frontmann Matt Rose sich von der ausgelassenen Stimmung soweit anstecken lässt, dass er die Bassdrum als Sprunghilfe benutzt und (erfolgreich) einen Circle Pit fordert, ist ein mehr als gleichwertiger Stimmungsausgleich für einige wenige Längen in den Liedern.
Es folgt mit JEFF LOOMIS der außerhalb der Kernzielgruppe des Festivals wohl bekannteste Musiker des Wochenendes und die vergleichsweise traditionellere Ausrichtung des Solomaterials des ehemaligen NEVERMORE Gitarristen ist zunächst eine sehr willkommene, erfrischend erscheinende Abwechslung. Die Betonung liegt allerdings auf zunächst, denn dass der zweite Gitarrist gelegentlich ein paar in Ordnung gehende, aber nicht übermäßig charismatische Vocals beisteuert, kann nicht verhindern, dass sich nach einer Viertelstunde erste Langeweile breit macht. Bei der Verkehrung der Rolle der Gitarrensoli, von instrumentalen Highlights innerhalb eines „regulären“ Liedes hin zu den Stützpfeilern der Musik, scheiden sich mit Fug und Recht die Geister und heute bin ich nicht der einzige, der deshalb von JEFF LOOMIS scheidet. Daran ändern auch die zur vermeintlich vollwertigen Band auffüllenden Mitmusiker nichts, zumal sie im Endeffekt doch bloßes Beiwerk sind.
In der Bloodchamber ist das letzte und nach zwei Jahren immer noch aktuelle Album von Tagesheadliner AFTER THE BURIAL nicht auf überwältigende Gegenliebe gestoßen. Deshalb stellt sich ob des begeisterten Empfangs heute erst mal ein wenig Verwunderung ein, die jedoch von den mitreißend aufspielenden Amerikanern binnen in Windeseile weggefegt wird. Der Mob tobt und tanzt, der Bassdruck ist noch im geschütztesten inneren Organ spürbar und das Quintett nimmt die ihm entgegen geschleuderte Energie nur zu gerne auf, um sie potenziert zurückzuwerfen, was mit einer ausgefeilten Kombination aus Melodien, Attacken und Breakdowns exquisit gelingt. Auf die gelegentlichen Pig Squeals könnte man wohl verlustlos verzichten, unterhaltungstechnisch sind AFTER THE BURIAL aber absolut auf Augenhöhe mit MONUMENTS, zumal sie das Spiel mit dem Publikum eine Spur besser drauf haben – Amerikaner halt… Schön auch, dass inmitten des „Bounce or push!“ Platz für ein wenig Blödsinn ist, oder wie soll man die für das neue Stück „Wolf Among Ravens“ ausgepackten, leuchtend giftneongrünen Gitarren sonst beurteilen? Ein großer Spaß und würdiger Tagesabschluss.
Sonntag, 21.10. – Live Music Hall
Fast ausgeschlafen und frischen Mutes geht es Sonntag weiter, nur MONOPHONIST und DESTINY POTATO sind beim Eintreffen in der Live Music Hall bereits Geschichte. Zum Start gibt es also einen kleinen Exkurs nach Osteuropa mit JONCOFY aus der Ukraine. Sieht man die etwas schüchtern wirkenden, jungen Burschen auf der in diesem Moment sehr groß wirkenden Bühne, mag man kaum glauben, dass die Wurzeln für die Band schon vor fünf Jahren gelegt wurden. Gleichzeitig merkt man besonders Bandkopf Maxim „Math_Max“ den Willen an, nicht nur musikalisch zu überzeugen, selbst wenn seine Ansprachen ans Publikum noch etwas unnatürlich überdreht wirken. Die Kombination aus dissonanten Gitarrenklängen und (sehr) cleanem Gesang passen ins Festivalbild, sind im Vergleich aber eher mittelprächtig unterhaltsam. Die kurz nach der Mittagszeit heute noch sehr überschaubare Besucherzahl hilft allerdings auch nicht wirklich.
Wenn John, einer der beiden Festivalköpfe, bei der Ankündigung der folgenden PANZERBALLETT einen „Mindfuck“ verspricht, darf man eine Augenbraue hochziehen, schließlich sind an diesem Wochenende eine ganze Reihe Bands angetreten, um gewohnte musikalische Strukturen zu rekonstruieren. Doch der Prog Death Jazz des Münchner Quintetts entpuppt sich tatsächlich und eindeutig als Großmeister unter den Hirnverknotern. Man weiß nicht so ganz, warum Bandgründer, Gitarrist und Ansprachenkönig Jan Zehrfeld eine Haube mit Gummischläuchen auf dem Kopf hat – stellt euch von SLIPKNOT gebastelte Dreadlocks vor. Man ist irritiert von dem zufriedenen Feldherrnblick, den Saxofonist Alexander von Hagke in seinen spielfreien Momenten über die Menge streifen lässt. Man wundert sich, wie Schlagzeuger Sebastian Lanser gleichzeitig so angestrengt und so unglaublich amüsiert gucken kann. Und dann ist da noch die Musik, bei der man nicht weiß, ob das Hirn flüchten oder das Herz auf die Bühne springen will. Abenteuerliche Umarbeitungen von „Time Of My Life“ und charakteristischen PANTERA-Riffs in „Vulgar Display Of Sauerkraut“ stehen neben Eigenkompositionen ohne unmittelbar auffindbare Haltegriffe wie „Mustafari Likes Di Carnival“. Ein grandios-chaotisches Abenteuer, das von Jan mit einem Marty McFly Zitat treffend zusammengefasst wird: „I guess you guys aren’t ready for that. But your kids are gonna love it!“
So schwer oder einfach die Aufgabe im direkten Anschluss auch ist - AKELDAMA erledigen sie gewöhnungsbedürftig. Die aufgedreht wirkenden zwei Sänger von VILDHJARTA am Vortag sind nichts zu dem Übermut, mit dem Andrew Zink und Connor Reibling über die Bühne tollen. Vor allem der sich munter durch alle möglichen Gesangsstile wühlende Andrew hat in den cleanen Passagen einen bis ins Mark gehenden Klang irgendwo zwischen Billy Corgan (SMASHING PUMPKINS) und Benjamin Kowalewicz (BILLY TALENT), der mir schwer aufs Gemüt schlägt. Dabei schlägt sich die Truppe im Grunde nicht so schlecht, wenn die Musik erst mal im Fluss ist, aber neben einer Unzahl an Break(down)s verhindern rätselhafte eingespielte Keyboardsounds, dass das zu oft geschieht, so dass sich beim Ende des Auftritts ein wenig Erleichterung einstellt. Würden AKELDAMA die Musik etwas mehr lassen und weniger zurechtbiegen, sähe das womöglich anders aus.
Kontrastreich geht es weiter mit den „Buddhisten“ des Festivals, DISPERSE. So ruhig, bescheiden und schwelgend wie die jungen Polen musiziert sonst wohl niemand an diesem Wochenende, nur die Leidensmiene, die Keyboarder und Sänger Rafal beim Singen aufsetzt, ist fast schon zu viel des Guten – erst Recht, wenn man keine Ahnung hat, wovon er gerade singt, aber es muss etwas Todtrauriges sein. Umso tiefer fährt der Schock in die Glieder, als zum Abschluss des Auftritts eine THE PRODIGY Druckwellenattacke geritten wird, die jeden noch so tief Meditierenden mit Sicherheit aus seiner Trance zurück auf die Boden der tanzenden Tatsachen bringt.
Mit EXIVIOUS, die mit Gitarrist Robin Zielhorst und Bassist Tymon Kruidenier zwei ehemalige (Kurzzeit-)Mitglieder von CYNIC in ihren Reihen haben, bleiben wir auf der introvertierten Seite des Spektrums. Die jazzig verspielte, instrumentale Musik ist erstaunlich stark am Schlagzeug ausgerichtet, was die beiden Gitarren weit mehr als üblich zu Zuspielern und Vorlagengebern macht. Ein bisschen Führung oder (musikalische) Animation wäre willkommen, doch trotz ihrer Erfahrung sind die vier sich showtechnisch selbst genug. Dass der Charakter sämtlicher Kompositionen (mir) deutlich zu sehr in Richtung Intermezzi neigt und klare Stimmungswechsel sowie große Auffälligkeiten ausbleiben, schiebt die Niederländer ein wenig mehr in die „Zwischenspiel einer Sludge/Noise-Platte“-Kategorie, als sie es vermutlich eigentlich verdient haben.
Die zweite große Überraschung des Tages nach PANZERBALLETT sind die schwedischen C.B MURDOC, deren Rückgrat drei Mitglieder der aufgelösten Black Metaller MÖRK GRYNING bilden. Selbst wenn die Rolle der reichlich flächigen Synthieklänge durchweg rätselhaft und hintergründig bleibt, hat die technische Death-Thrash Mischung ausreichend geradlinigen Schwung, um aus dem Stand mitzureißen, und ist gleichzeitig zerfahren genug, um ins Festivalprogramm zu passen. Zumindest sehen das diejenigen so, die den Auftritt des Sextetts nicht zu einer letzten Pause vor dem Endspurt nutzen, und sich von der blendend aufgelegten Band erstklassig unterhalten lassen. Während Schlagzeuger Carl-Gustaf Bäckström vor Freude ständig Sticks ins Publikum wirft, zieht Fronter Johan Ljung mit einem kuriosen Kniff die Aufmerksamkeit ziemlich exklusiv auf sich: Der proppere Sänger hat an seinem Mikrofon eine Lampe befestigt, die ihm beim Singen mitten ins Gesicht leuchtet. Je nach Kopfhaltung sorgt das für interessante Effekte, oft sieht es aber auch einfach nur albern aus. Neben der Musik gebührt C.B MURDOC ein klares Daumen hoch für das muntere Aufbrechen der leicht eingekehrten Lethargie, unter anderem dank Johans Sprung in den Fotograben, von wo aus er die ersten Reihen unmittelbarer zum Mitmachen anstachelt.
Fast schon eine leidige Tradition sind die Sängerwechsel bei TESSERACT, die erst im September erneut einen neuen Mann vorgestellt haben. Umso schöner, dass Ashe O’Hara sich der Aufgabe heute nicht nur mutig stellt, sondern sie gleichermaßen stimmgewaltig wie ausdrucksstark meistert. Wenn er mit der Zeit noch lernt, live etwas seltener zu Boden zu blicken, kann er irgendwann vielleicht auch mit dem extrem flippigen Bassisten Mos mithalten, der mit Knien, Beugen, Biegen und Kreiseln ein komplettes Aerobicprogramm absolviert und quasi nebenher ein paar Vocals beisteuert. Ob es am reichhaltigeren Erfahrungsschatz oder schlicht der vorhandenen Qualität des Songwritings liegt, ist nicht mit absoluter Sicherheit zu sagen, doch im „klassischen“, MESHUGGAH-inspirierten Djent können nur wenige Bands mit den Londonern mithalten. Die Lieder haben praktisch keine Längen und ziehen zur rechten Zeit an oder lassen atmosphärisch locker, so dass die Spieltechnik weniger selbstzweckgebunden wirkt als bei jeder anderen Band an diesem Wochenende. Eine feine Band, ein sehr guter Auftritt.
Der erste Gedanke zu SCAR SYMMETRY? Endlich normale Leute! Natürlich ist das eine Meinung, die viel mit den sonstigen Vorlieben und Konzertbesuchen zusammenhängt, aber auf dem Euroblast ist es im besonderen Maße erfrischend, wenn ein Kontrapunkt in Form von anspruchsvoller und dennoch sofort nachvollziehbarer Musik gesetzt wird. Die mittlerweile wieder ziemlich gut gefüllte Live Music Hall sieht das ähnlich und lässt sich bereitwillig von den beiden Sängern zum Anfeuern animieren. Während der Lieder könnten die cleanen Vocals von Lars Palmqvist, der dem Auftreten und der Stimme nach auch problemlos in einer Power Metal Band singen könnte, zwar etwas lauter sein, das Wechselspiel mit Kamerad Roberth Karlsson funktioniert aber ausnehmend gut und erhält von dem agilen Gitarrenduo die passenden Vorlagen pfannenfertig serviert. Dass nicht nur im Publikum zahlreiche Fans der Band sind, zeigen gen Ende AKELDAMA und ein fleißiger Euroblast Helfer, die die Bühne entern, freie Mikros übernehmen und gemeinsam mit SCAR SYMMETRY das (vor-)letzte Hurra anstimmen.
Zum wohlverdienten Abschluss eines langen Wochenendes gibt es mit LONG DISTANCE CALLING eine Art Essenz des Euroblast: Einerseits bietet die instrumentale Darbietung ausgiebig Gelegenheiten zum Wogen und Schwelgen, andererseits wird jegliches Anziehen von Tempo oder Härtegrad vom immer noch zahlreich anwesenden Publikum aufgesaugt wie Flüssigkeit von einem trockenen Schwamm. Da die Münsteraner – jetzt bloß nicht „Studentenmusik!“ rufen! – sich im Allgemeinen ziemlich auf die Atmosphäre konzentrieren, gibt es zwar eine Diskrepanz zum „normalen“ Stageacting, das vor allem Gitarrist Florian Füntmann noch aus MISERY SPEAKS (R.I.P.) Zeiten in den Knochen zu stecken scheint. Dem Unterhaltungswert kommt das allerdings durchaus zu Gute, denn zumindest mir fehlen größere „Aha!“ und „Oho!“-Momente in der Musik von LONG DISTANCE CALLING, die einem langen Tag ein Ausrufezeichen hinterherschicken könnten. So gesehen kann sich die Rekrutierung von Martin Fischer für gelegentlichen Gesang auf Liveauftritte nur positiv auswirken.
Selbst wenn die beliebten Obstschalen in diesem Jahr weichen mussten, bleibt das Euroblast etwas Besonderes. Das drückt sich nicht nur in der aufrichtigen Begeisterung der Veranstalter für alle handverlesenen Bands aus, sondern unter anderem auch darin, dass kleine, weniger bekannte Acts exakt die gleiche Hintergrunddekoration haben wie die Headliner: Eine Projektion ihres Namens, eingebettet ins Euroblastdesign. Und selbst wenn Kuttenträger an diesem Wochenende exotischer waren als Australier oder Ukrainer, ist jedermann gleichermaßen willkommen - um aufzufallen muss man schon schräge Hüte und Handschuhe kombinieren, denn abgesehen von Shirts der anwesenden Bands war das Erscheinungsbild des Publikums wieder mal erfreulich heterogen. So soll es sein, so darf es bleiben.
In diesem Sinne freuen wir uns schon auf das nächste Familientreffen im Herbst 2013, auch weil die Euroblast-Crew neben aller Freundlichkeit immer für interessante und positive Überraschungen bei der Bandauswahl gut ist. [mba]
Fotos von Yvonne
Freitag, 19.10. – Underground
Inzwischen hat sich das Festival auf drei Tage und zwei Locations ausgedehnt. Am Donnerstag, wo sich das Ganze noch Warm-Up schimpft, und am Freitag rempelt und kuschelt man im Underground, wo immer zwei Bands zeitgleich die Hütte einreißen. Während es in der großen Halle des Clubs schon enorm kuschelig zugeht, hat man im kleinen höhlenartigen Raum noch intensiver die Möglichkeit, mit der Band und anderen Festivalbesuchern auf Tuchfühlung zu gehen.
Aus dem sonnigen Südspanien angereist sind V3CTORS, die modernen, djentisierten Gitarrensound mit wütendem Shouting und leidenschaftlich vorgetragenen cleanen Refrains mixen. Dabei verstrickt sich die Band hier und da auch schon mal in frickeligen, arhythmischen Sphären und weiß mit tiefgestimmten Gitarren wenig zärtlich in die biergefüllten Magengruben zu schlagen. Damit passen sie wie angegossen zum Euroblast-Festival, können aber gegen die nebenan die großen Raum des Undergrounds füllenden UNEVEN STRUCTURE kaum anstinken.
Die Franzosen, die erst kürzlich mir „Februus“ ein beeindruckendes Klangwerk abgeliefert haben, sind die inoffiziellen Headliner am Freitag. Zu dem treibenden Sound der Band, die irgendwie die Lücke zwischen den finsteren VILDHJARTA und den leuchtenden TESSERACT füllen, erreicht die Stimmung definitiv ihren Höhepunkt. Viele Fans nutzen im Anschluss der gelungenen und mit einem guten Sound gesegneten Show die Möglichkeit, sich mit den Bandmitgliedern fotografieren zu lassen. Wohl eine der Superstar-Bands des Djent.
Für die ausgefallenen RED SEAS FIRE springen AGENT FRESCO ein, die zwischen den vielen ungewöhnlichen Bands dieses Festivals tatsächlich noch wie Paradiesvögel wirken können. Die Isländer musizieren fern vom Metal in einer unverwechselbaren, sehr atmosphärischen Postrock-Variante, die vor allem durch den sehr hohen Gesang und noisige Gitarrenwände bestimmt wird und in diesem kleinen Ambiente sympathisch rau herüberkommt. Die Band scheint in ihrer Musik zu schwelgen und auch das Publikum, das mit dem Songmaterial bestens vertraut ist, steigt begeistert mit ein. Geheimtipp!
Nach einer etwas zu lang geratenen Umbaupause starten CIRCLE OF CONTEMPT auf der Hauptbühne durch. Die Finnen spinnen ein schwer zu durchdringendes Soundgewebe, bedienen sich rifftechnisch mit vollen Händen aus dem MESHUGGAH-Fundus, lassen aber anhand zahlreicher halsbrecherischer Breaks ihre musikalische Verbundenheit zum Metalcore durchblicken. NEOSIS, die auf der Nebenbühne den Headliner-Posten innehaben, jonglieren ebenso geschickt und waghalsig, fast bis zur technischen Schmerzgrenze, mit Riffs und Rhythmen und kombinieren die maschinelle Präzision mit einigen melodiösen Gesangseinlagen.
Deutlich schmutziger gehen da die mittlerweile fast schon zu den Urgesteinen des Mathcore/Progressive Deathcore zählenden WAR FROM A HARLOTS MOUTH zu Werke. Die Berliner feiern an diesem Abend den Release ihres deutlich schwerfälliger tönenden und mit seiner apokalyptischen Atmosphäre wunderbar zum nahenden Weltuntergang passenden neuen Albums „Voyeur“. Zwischen den bedrückenden neuen Stücken verirrt sich aber auch älteres Material der Marke „Heeey...Let's Start A Band“ und „If You Want To Blame Us For Something Wrong, Please Abuse This Song“, bei denen sich im bühnennahen Moshpit deutlich mehr Bewegung anbahnt. Trotz der Zurückhaltung des Publikums zeigen sich Fronter Nico, der ein Meister des Fiesen-Grimassen-Schneidens ist und Basser Filip, der mitsamt Instrument ein spontanes Bad in der Menge nimmt, als leidenschaftliche Entertainer. Ein unterhaltsamer Abschluss des ersten Tages! [yb]
Samstag, 20.10. – Live Music Hall
Wohnt man nicht gerade in fußläufiger Entfernung zum Veranstaltungsort sondern in einer anderen Stadt, kann ein Start zur Mittagszeit schon mal eine hohe Hürde darstellen, weshalb wir STEALING AXION und HACKTIVIST versäumen und erst mit dem mehr oder weniger heimlichen Gewinner des letzten Jahres in den Tag starten.
Zur Liveverstärkung hat Programmierkünstler Rémi Gallego alias THE ALGORITHM MONUMENTS-Drummer Mike Malyan dabei und die beiden holpern erst mal ins Set, was Rémi zum sofortigen Neustart bewegt. Doch auch in der dann flüssig laufenden Performance will der Funke in die schon sehr ordentlich gefüllte Live Music Hall nicht annähernd so zündend überspringen wie 2011 im dicht gedrängten kleinen Nebenraum des Underground. Nicht ganz unschuldig daran könnte sein, dass sich die Waage zwischen rein elektronischen Samples und via Computer eingespielten Riffs dieses Mal ganz deutlich in die erstere Richtung neigt. Das bringt die Menge zwar zum Wogen, aber nicht zum Toben, und für das Debütalbum „Polymorphic Code“ (VÖ 23. November) erhoffe nicht nur ich mir wieder ein wenig mehr Ausgewogenheit.
Next in line sind die ursprünglich als Soloprojekt von dem vor einiger Zeit noch bei MONUMENTS aktiven Paul Ortiz gegründeten CHIMP SPANNER, die mittlerweile auf einige Liveerfahrung zurückblicken können. Anmerken lassen sich das die ebenfalls instrumental agierenden Herren aber kaum, zu versunken scheinen sie in ihre Darbietung, die die Aufbietung einiger technischer Fähigkeiten erfordert. Daneben glänzen vor allem die frisch polierten Gitarren in den verträumten Klangozeanen, doch das gelegentliche Anziehen des Härtegrads samt gleichzeitig eingewobener melodischer Leads verhindert Trancezustände geschickt und gefällig. Mehr Emotionen weckt nur die manchmal minimal angedeutete Bluesnote, die die Hypnose aufbricht und zeigt, dass nicht nur melodisch dissonant denkende, sondern eben auch fühlende Menschen auf der Bühne stehen. Schön.
Aus ganz anderem Holz geschnitzt sind DESTRAGE. Die Italiener drapieren nicht nur ein paar Erkennungsmerkmale in Form von Bannern auf der Bühne, sie zeigen ihre Lust am Auftreten auch mit Action und Publikumsanfeuerungen, obwohl weniger als die Hälfte der eben noch Anwesenden sich zu Beginn vor der Bühne tummeln. Diejenigen, die sich von der guten Laune der Mailänder anstecken lassen, sehen dann auch darüber hinweg, dass sich die kunterbunte Mischung von diversen Elementen mehr oder weniger modernen Metals mit der Zeit etwas abnutzt, weil einige rhythmische Kniffe das Fehlen von Hits nicht ausgleichen können. Mit dem Titeltrack des (noch, bald aber nicht mehr) aktuellen Albums „The King Is Fat N Old“ gibt es zum Abschluss immerhin einen Semi-Hit, der den insgesamt ohnehin guten Eindruck von der Band noch verstärkt.
Gute Laune und den Willen zur Animation haben auch VILDHJARTA mitgebracht, doch überziehen die beiden Sänger dabei etwas. Ihr oft asynchrones Bangen ist nur eine Randerscheinung und die launigen Ansprachen sind anfangs ebenfalls in Ordnung, desto länger der Auftritt dauert, desto rätselhafter wird es aber, wie bei der seltsamen Wortkonstruktionstheorie, dass sich „Shiver“ aus „Kacken in der Dusche“ („Shit + Shower = Shiver“) gebildet hat. Musikalisch können die vielen Schweden im Grunde überzeugen, bei den Liedenden wäre eine klarere Linie jedoch willkommen, und der Kontrast der Gesangsstile von Daniel und Vilhelm ist heute nicht unbedingt ein Trumpf, weil das zuziehende Röhren arg brutal in die Musik grätscht. Das öffnende Schreien lässt ihrer Ausdrucksstärke dagegen auf angenehme Art freieren Lauf und rettet den Gesamteindruck.
Sogar beim mittlerweile weltumspannenden Euroblast gibt es Exoten oder zumindest darf man die erstmals in Europa auftretenden Inder SKYHARBOR wohl noch so einordnen. Dementsprechend ist es (nicht nur für mich) mehr als eine kleine Überraschung, mit welcher Qualität die von der Atmosphäre selbst sehr begeistert wirkenden Musiker begeistern können. Die Lieder vereinen Anspruch mit nachvollziehbaren Strukturen und ziehen in den richtigen Momenten an. Vermutlich würde das sogar rein instrumental gut klingen, doch mit Dan Tompkins haben SKYHARBOR auch einen Sänger mit dem richtigen Timing für die schwebenden wie die zupackenden Momente, der durch seine klare Stimme einen guten Kontrast zu den gelegentlichen Ballermomenten bietet. Nach einer Weile lässt der Zauber zwar ein wenig nach, weil Dan sich immer seltener gegen den rings um ihn entfesselten Sturm durchsetzen kann, das fügt dem erfrischenden und sehr überzeugenden Auftritt jedoch keinen spürbaren Schaden zu.
Mit dem dritten Euroblastauftritt in Folge sind MONUMENTS Veteranen der Richtungsänderung der Veranstaltung gen Djent / Tech / Modern Prog. Zugleich scheinen sie den Schwung von dem vor kurzen (endlich!) veröffentlichten Debütalbum ohne Reibungsverluste mitgebracht zu haben, denn der Auftritt entwickelt sich binnen Minuten zum Highlight des Tages. Das Publikum braucht oft kaum mehr Akkorde, um in die Lieder reinzukommen, als die sehr gut abgestimmte Band, was das wechselseitige Anstacheln zu einer vollwertigen Ergänzung der Mischung aus Gefühligkeit und Beklopptheit auf der Bühne macht. Dazu gehört auch, dass die Musiker eine gewissen Selbstzufriedenheit mit ihrem Tun ausstrahlen, gerade Olly Steele darf sich meinetwegen aber gerne bei jedem Auftritt ein wenig an sich selbst berauschen, macht es sein nach Schabernack aussehendes Sympathieträgergrinsen doch noch eine Spur breiter. Dass Frontmann Matt Rose sich von der ausgelassenen Stimmung soweit anstecken lässt, dass er die Bassdrum als Sprunghilfe benutzt und (erfolgreich) einen Circle Pit fordert, ist ein mehr als gleichwertiger Stimmungsausgleich für einige wenige Längen in den Liedern.
Es folgt mit JEFF LOOMIS der außerhalb der Kernzielgruppe des Festivals wohl bekannteste Musiker des Wochenendes und die vergleichsweise traditionellere Ausrichtung des Solomaterials des ehemaligen NEVERMORE Gitarristen ist zunächst eine sehr willkommene, erfrischend erscheinende Abwechslung. Die Betonung liegt allerdings auf zunächst, denn dass der zweite Gitarrist gelegentlich ein paar in Ordnung gehende, aber nicht übermäßig charismatische Vocals beisteuert, kann nicht verhindern, dass sich nach einer Viertelstunde erste Langeweile breit macht. Bei der Verkehrung der Rolle der Gitarrensoli, von instrumentalen Highlights innerhalb eines „regulären“ Liedes hin zu den Stützpfeilern der Musik, scheiden sich mit Fug und Recht die Geister und heute bin ich nicht der einzige, der deshalb von JEFF LOOMIS scheidet. Daran ändern auch die zur vermeintlich vollwertigen Band auffüllenden Mitmusiker nichts, zumal sie im Endeffekt doch bloßes Beiwerk sind.
In der Bloodchamber ist das letzte und nach zwei Jahren immer noch aktuelle Album von Tagesheadliner AFTER THE BURIAL nicht auf überwältigende Gegenliebe gestoßen. Deshalb stellt sich ob des begeisterten Empfangs heute erst mal ein wenig Verwunderung ein, die jedoch von den mitreißend aufspielenden Amerikanern binnen in Windeseile weggefegt wird. Der Mob tobt und tanzt, der Bassdruck ist noch im geschütztesten inneren Organ spürbar und das Quintett nimmt die ihm entgegen geschleuderte Energie nur zu gerne auf, um sie potenziert zurückzuwerfen, was mit einer ausgefeilten Kombination aus Melodien, Attacken und Breakdowns exquisit gelingt. Auf die gelegentlichen Pig Squeals könnte man wohl verlustlos verzichten, unterhaltungstechnisch sind AFTER THE BURIAL aber absolut auf Augenhöhe mit MONUMENTS, zumal sie das Spiel mit dem Publikum eine Spur besser drauf haben – Amerikaner halt… Schön auch, dass inmitten des „Bounce or push!“ Platz für ein wenig Blödsinn ist, oder wie soll man die für das neue Stück „Wolf Among Ravens“ ausgepackten, leuchtend giftneongrünen Gitarren sonst beurteilen? Ein großer Spaß und würdiger Tagesabschluss.
Sonntag, 21.10. – Live Music Hall
Fast ausgeschlafen und frischen Mutes geht es Sonntag weiter, nur MONOPHONIST und DESTINY POTATO sind beim Eintreffen in der Live Music Hall bereits Geschichte. Zum Start gibt es also einen kleinen Exkurs nach Osteuropa mit JONCOFY aus der Ukraine. Sieht man die etwas schüchtern wirkenden, jungen Burschen auf der in diesem Moment sehr groß wirkenden Bühne, mag man kaum glauben, dass die Wurzeln für die Band schon vor fünf Jahren gelegt wurden. Gleichzeitig merkt man besonders Bandkopf Maxim „Math_Max“ den Willen an, nicht nur musikalisch zu überzeugen, selbst wenn seine Ansprachen ans Publikum noch etwas unnatürlich überdreht wirken. Die Kombination aus dissonanten Gitarrenklängen und (sehr) cleanem Gesang passen ins Festivalbild, sind im Vergleich aber eher mittelprächtig unterhaltsam. Die kurz nach der Mittagszeit heute noch sehr überschaubare Besucherzahl hilft allerdings auch nicht wirklich.
Wenn John, einer der beiden Festivalköpfe, bei der Ankündigung der folgenden PANZERBALLETT einen „Mindfuck“ verspricht, darf man eine Augenbraue hochziehen, schließlich sind an diesem Wochenende eine ganze Reihe Bands angetreten, um gewohnte musikalische Strukturen zu rekonstruieren. Doch der Prog Death Jazz des Münchner Quintetts entpuppt sich tatsächlich und eindeutig als Großmeister unter den Hirnverknotern. Man weiß nicht so ganz, warum Bandgründer, Gitarrist und Ansprachenkönig Jan Zehrfeld eine Haube mit Gummischläuchen auf dem Kopf hat – stellt euch von SLIPKNOT gebastelte Dreadlocks vor. Man ist irritiert von dem zufriedenen Feldherrnblick, den Saxofonist Alexander von Hagke in seinen spielfreien Momenten über die Menge streifen lässt. Man wundert sich, wie Schlagzeuger Sebastian Lanser gleichzeitig so angestrengt und so unglaublich amüsiert gucken kann. Und dann ist da noch die Musik, bei der man nicht weiß, ob das Hirn flüchten oder das Herz auf die Bühne springen will. Abenteuerliche Umarbeitungen von „Time Of My Life“ und charakteristischen PANTERA-Riffs in „Vulgar Display Of Sauerkraut“ stehen neben Eigenkompositionen ohne unmittelbar auffindbare Haltegriffe wie „Mustafari Likes Di Carnival“. Ein grandios-chaotisches Abenteuer, das von Jan mit einem Marty McFly Zitat treffend zusammengefasst wird: „I guess you guys aren’t ready for that. But your kids are gonna love it!“
So schwer oder einfach die Aufgabe im direkten Anschluss auch ist - AKELDAMA erledigen sie gewöhnungsbedürftig. Die aufgedreht wirkenden zwei Sänger von VILDHJARTA am Vortag sind nichts zu dem Übermut, mit dem Andrew Zink und Connor Reibling über die Bühne tollen. Vor allem der sich munter durch alle möglichen Gesangsstile wühlende Andrew hat in den cleanen Passagen einen bis ins Mark gehenden Klang irgendwo zwischen Billy Corgan (SMASHING PUMPKINS) und Benjamin Kowalewicz (BILLY TALENT), der mir schwer aufs Gemüt schlägt. Dabei schlägt sich die Truppe im Grunde nicht so schlecht, wenn die Musik erst mal im Fluss ist, aber neben einer Unzahl an Break(down)s verhindern rätselhafte eingespielte Keyboardsounds, dass das zu oft geschieht, so dass sich beim Ende des Auftritts ein wenig Erleichterung einstellt. Würden AKELDAMA die Musik etwas mehr lassen und weniger zurechtbiegen, sähe das womöglich anders aus.
Kontrastreich geht es weiter mit den „Buddhisten“ des Festivals, DISPERSE. So ruhig, bescheiden und schwelgend wie die jungen Polen musiziert sonst wohl niemand an diesem Wochenende, nur die Leidensmiene, die Keyboarder und Sänger Rafal beim Singen aufsetzt, ist fast schon zu viel des Guten – erst Recht, wenn man keine Ahnung hat, wovon er gerade singt, aber es muss etwas Todtrauriges sein. Umso tiefer fährt der Schock in die Glieder, als zum Abschluss des Auftritts eine THE PRODIGY Druckwellenattacke geritten wird, die jeden noch so tief Meditierenden mit Sicherheit aus seiner Trance zurück auf die Boden der tanzenden Tatsachen bringt.
Mit EXIVIOUS, die mit Gitarrist Robin Zielhorst und Bassist Tymon Kruidenier zwei ehemalige (Kurzzeit-)Mitglieder von CYNIC in ihren Reihen haben, bleiben wir auf der introvertierten Seite des Spektrums. Die jazzig verspielte, instrumentale Musik ist erstaunlich stark am Schlagzeug ausgerichtet, was die beiden Gitarren weit mehr als üblich zu Zuspielern und Vorlagengebern macht. Ein bisschen Führung oder (musikalische) Animation wäre willkommen, doch trotz ihrer Erfahrung sind die vier sich showtechnisch selbst genug. Dass der Charakter sämtlicher Kompositionen (mir) deutlich zu sehr in Richtung Intermezzi neigt und klare Stimmungswechsel sowie große Auffälligkeiten ausbleiben, schiebt die Niederländer ein wenig mehr in die „Zwischenspiel einer Sludge/Noise-Platte“-Kategorie, als sie es vermutlich eigentlich verdient haben.
Die zweite große Überraschung des Tages nach PANZERBALLETT sind die schwedischen C.B MURDOC, deren Rückgrat drei Mitglieder der aufgelösten Black Metaller MÖRK GRYNING bilden. Selbst wenn die Rolle der reichlich flächigen Synthieklänge durchweg rätselhaft und hintergründig bleibt, hat die technische Death-Thrash Mischung ausreichend geradlinigen Schwung, um aus dem Stand mitzureißen, und ist gleichzeitig zerfahren genug, um ins Festivalprogramm zu passen. Zumindest sehen das diejenigen so, die den Auftritt des Sextetts nicht zu einer letzten Pause vor dem Endspurt nutzen, und sich von der blendend aufgelegten Band erstklassig unterhalten lassen. Während Schlagzeuger Carl-Gustaf Bäckström vor Freude ständig Sticks ins Publikum wirft, zieht Fronter Johan Ljung mit einem kuriosen Kniff die Aufmerksamkeit ziemlich exklusiv auf sich: Der proppere Sänger hat an seinem Mikrofon eine Lampe befestigt, die ihm beim Singen mitten ins Gesicht leuchtet. Je nach Kopfhaltung sorgt das für interessante Effekte, oft sieht es aber auch einfach nur albern aus. Neben der Musik gebührt C.B MURDOC ein klares Daumen hoch für das muntere Aufbrechen der leicht eingekehrten Lethargie, unter anderem dank Johans Sprung in den Fotograben, von wo aus er die ersten Reihen unmittelbarer zum Mitmachen anstachelt.
Fast schon eine leidige Tradition sind die Sängerwechsel bei TESSERACT, die erst im September erneut einen neuen Mann vorgestellt haben. Umso schöner, dass Ashe O’Hara sich der Aufgabe heute nicht nur mutig stellt, sondern sie gleichermaßen stimmgewaltig wie ausdrucksstark meistert. Wenn er mit der Zeit noch lernt, live etwas seltener zu Boden zu blicken, kann er irgendwann vielleicht auch mit dem extrem flippigen Bassisten Mos mithalten, der mit Knien, Beugen, Biegen und Kreiseln ein komplettes Aerobicprogramm absolviert und quasi nebenher ein paar Vocals beisteuert. Ob es am reichhaltigeren Erfahrungsschatz oder schlicht der vorhandenen Qualität des Songwritings liegt, ist nicht mit absoluter Sicherheit zu sagen, doch im „klassischen“, MESHUGGAH-inspirierten Djent können nur wenige Bands mit den Londonern mithalten. Die Lieder haben praktisch keine Längen und ziehen zur rechten Zeit an oder lassen atmosphärisch locker, so dass die Spieltechnik weniger selbstzweckgebunden wirkt als bei jeder anderen Band an diesem Wochenende. Eine feine Band, ein sehr guter Auftritt.
Der erste Gedanke zu SCAR SYMMETRY? Endlich normale Leute! Natürlich ist das eine Meinung, die viel mit den sonstigen Vorlieben und Konzertbesuchen zusammenhängt, aber auf dem Euroblast ist es im besonderen Maße erfrischend, wenn ein Kontrapunkt in Form von anspruchsvoller und dennoch sofort nachvollziehbarer Musik gesetzt wird. Die mittlerweile wieder ziemlich gut gefüllte Live Music Hall sieht das ähnlich und lässt sich bereitwillig von den beiden Sängern zum Anfeuern animieren. Während der Lieder könnten die cleanen Vocals von Lars Palmqvist, der dem Auftreten und der Stimme nach auch problemlos in einer Power Metal Band singen könnte, zwar etwas lauter sein, das Wechselspiel mit Kamerad Roberth Karlsson funktioniert aber ausnehmend gut und erhält von dem agilen Gitarrenduo die passenden Vorlagen pfannenfertig serviert. Dass nicht nur im Publikum zahlreiche Fans der Band sind, zeigen gen Ende AKELDAMA und ein fleißiger Euroblast Helfer, die die Bühne entern, freie Mikros übernehmen und gemeinsam mit SCAR SYMMETRY das (vor-)letzte Hurra anstimmen.
Zum wohlverdienten Abschluss eines langen Wochenendes gibt es mit LONG DISTANCE CALLING eine Art Essenz des Euroblast: Einerseits bietet die instrumentale Darbietung ausgiebig Gelegenheiten zum Wogen und Schwelgen, andererseits wird jegliches Anziehen von Tempo oder Härtegrad vom immer noch zahlreich anwesenden Publikum aufgesaugt wie Flüssigkeit von einem trockenen Schwamm. Da die Münsteraner – jetzt bloß nicht „Studentenmusik!“ rufen! – sich im Allgemeinen ziemlich auf die Atmosphäre konzentrieren, gibt es zwar eine Diskrepanz zum „normalen“ Stageacting, das vor allem Gitarrist Florian Füntmann noch aus MISERY SPEAKS (R.I.P.) Zeiten in den Knochen zu stecken scheint. Dem Unterhaltungswert kommt das allerdings durchaus zu Gute, denn zumindest mir fehlen größere „Aha!“ und „Oho!“-Momente in der Musik von LONG DISTANCE CALLING, die einem langen Tag ein Ausrufezeichen hinterherschicken könnten. So gesehen kann sich die Rekrutierung von Martin Fischer für gelegentlichen Gesang auf Liveauftritte nur positiv auswirken.
Selbst wenn die beliebten Obstschalen in diesem Jahr weichen mussten, bleibt das Euroblast etwas Besonderes. Das drückt sich nicht nur in der aufrichtigen Begeisterung der Veranstalter für alle handverlesenen Bands aus, sondern unter anderem auch darin, dass kleine, weniger bekannte Acts exakt die gleiche Hintergrunddekoration haben wie die Headliner: Eine Projektion ihres Namens, eingebettet ins Euroblastdesign. Und selbst wenn Kuttenträger an diesem Wochenende exotischer waren als Australier oder Ukrainer, ist jedermann gleichermaßen willkommen - um aufzufallen muss man schon schräge Hüte und Handschuhe kombinieren, denn abgesehen von Shirts der anwesenden Bands war das Erscheinungsbild des Publikums wieder mal erfreulich heterogen. So soll es sein, so darf es bleiben.
In diesem Sinne freuen wir uns schon auf das nächste Familientreffen im Herbst 2013, auch weil die Euroblast-Crew neben aller Freundlichkeit immer für interessante und positive Überraschungen bei der Bandauswahl gut ist. [mba]
Fotos von Yvonne