Neuborn Open Air

Neuborn Open Air

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Neuborn, Alter Sportplatz
23.08.2013

Freitag

Zum inzwischen neunten Mal gibt sich das kleine, aber feine Neuborn Open Air als ein möglicher Endtermin des Festivalsommers die Ehre. Kinderkrankheiten sind mit dieser Erfahrung weitgehend ausgemerzt und einige originelle Besonderheiten wie der Biertraktor auf dem zum Campingplatz umfunktionierten Feld oder die Frühstücksgelegenheit im unmittelbar nebenan gelegenen Vereinsheim sorgen für wiedererkennbaren Flair. Zudem erweist sich die strikte Trennung der verschiedenen Areale – Parkplatz, Campingplatz & Veranstaltungsgelände – spätestens am Samstag als doppelt sinnvoll, da der Himmel alle Schleusen öffnet und versucht, sowohl die auf dem Kopf wie auch die im Geiste Langhaarigen davonzuspülen.

Am Eröffnungstag ist davon allerdings noch wenig zu sehen, so dass wir bei bestem Wetter unseren Einstand vor der in einem kleinen Tal am Waldrand gelegenen Bühne mit ALPHA TIGER genießen können - STONEHEAD & SLAMDOWN sind uns aus logistischen Gründen leider entgangen. Die auf einer kleinen Erfolgswelle surfenden Sachsen geben sich beinkleidtechnisch gewohnt bunt und hauteng, während die Show weiterhin mehr auf den Einsatzwillen des Quintetts als auf Feinabstimmung bis ins letzte Glied setzt. Das ist allerdings auch vollkommen in Ordnung, denn wer nur mit (der jeweils möglichen) Perfektion zufrieden ist, darf die Zeit gerne mit Kopfhörern im heimischen Ohrensessel verbringen, während die Unterhaltungssüchtigen sich am Bangen und Rumrennen erfreuen, selbst wenn mal nicht jeder (gesangliche) Ton sitzt. Ein, zwei stimmliche Pfund dürfte Frontmann Stephan zwar gerne noch zulegen, trotzdem und trotz der noch etwas spärlichen Kulisse in unmittelbarer Bühnennähe bleibt der Auftritt von ALPHA TIGER als gelungen im Gedächtnis.

Etwas ausgefuchster sind die folgenden SINBREED, die allerdings auch auf einen wesentlich reichhaltigeren Erfahrungsschatz zurückblicken können. Schließlich hat Herbie Langhans schon eine ganze Reihe Alben besungen, außerdem sammelt Drummer Frederik Ehmke seit 2005 die Erfahrung bei BLIND GUARDIAN, die der im letzten Jahr zur Band gestoßene Marcus Siepen bereits haufenweise besitzt – Marcus ist übrigens das einzige aktuelle Mitglied von SINBREED, das nicht bereits bei der Vorgängerband NEOSHINE aktiv war. Im Gegenzug sind der Enthusiasmus und das Berauschen an sich selbst nicht ganz so ausgeprägt wie bei ALPHA TIGER, die Wirkung beim inzwischen zahlreicheren Publikum ist aber spürbar besser. Vielleicht liegt das an der größeren Zuwendung zum etwas zeitgenössischeren Power Metal, vielleicht an der geographischen Nähe zum SINBREED Hauptquartier Wiesbaden oder vielleicht auch nur an der etwas fortgeschrittenen Uhrzeit und der damit verbundenen gesteigerten Feierbereitschaft. Der Einklang zwischen Darbietung und Reaktion darauf ist in jedem Fall harmonisch, so dass Gitarrist Flo Laurin eigentlich gar keinen Grund hat, während der Lieder derart verbissen dreinzuschauen. Vielleicht ist er, anders als die folgenden Gesellen, aber auch einfach nicht zur Rampensau geboren.

Im Kontrast zu mehr oder weniger dem kompletten Programm zu stehen, ist für ESKIMO CALLBOY mittlerweile fast schon Tagesgeschäft, denn der hyperaktive Elektrocore der mal mehr, mal weniger offensichtlich verkleideten Burschen ist nicht nur die Antithese zu ihrer beschaulichen Heimat Castrop-Rauxel, sondern widerspricht auch ungefähr 700 metallischen Genrekonventionen. Doch wenn das das umtriebige Sextett schocken könnte, stünden sie heute ganz sicher nicht auf dieser Bühne – und es funktioniert wieder. Während also einige Altrocker die Köpfe vorerst überwiegend waagerecht schütteln, findet sich allerhand Jungvolk in Bühnennähe ein, schaltet das Hirn ab und erfreut sich an dem wilden Treiben. Besonders viele Actionpunkte sammeln wie üblich die beiden Mikroschwinger Kevin und Sushi, während Gitarrist Daniel im Froschkostüm (?) nicht nur auf dem Foto wie ein armer Tropf aus der Wäsche schaut. Spätestens beim (etablierten) Covern von Katy Perry nimmt das komödiantische Züge an, als kunterbunte Überleitung in den Abend kann man aber durchaus mit den CALLBOYs leben. Nie gewöhnen werde ich allerdings an die zu den heftigsten Einschlägen aufgeführten synchronen Gymnastikübungen…
mba

Wer die CALLBOY-Pause maximal sinnvoll genutzt und es sich am Pavillon mit Gerstensaft hat gut gehen lassen, der ist optimal eingestellt auf die nun folgende TANKARD-Sause. Auch wenn der Thrash der Hessen nicht unbedingt meine Bierstelle ist, so muss ich doch zugeben, dass die Band live für eine ordentliche Portion Spaß gut ist. Das scheint eine stattliche Anzahl Headbanger ebenso zu sehen, ist der Platz vor der Bühne zur Prime Time doch bestens gefüllt. Verantwortlich dafür ist die energiegeladene Bierformance der Band, die zu keinem Zeitpunkt schlechte Stimmung aufkommen lässt. Großen Anteil daran hat erwartungsgemäß Fronter Gerre, der wie üblich den agilen Derwisch gibt, immer wieder von links nach rechts und von rechts nach links über die Bühne huscht und mit einer Vielzahl an mal mehr, mal weniger lustigen Ansagen das Publikum anheizt. Und es funktioniert: die Meute prostet ihm zu und bedankt sich bei den bier Trunkenbolden für eine gelungene Einstimmung auf den heutigen Headliner.

Wer an diesem Abend bis jetzt den Anspruch in „anspruchsvoll“ vermisst hat, kommt nun auf seine Kosten, denn die Schweden DARK TRANQUILLITY fahren das volle Programm auf. In den letzten Jahren haben die Melodic Death Metal-Helden ihr ohnehin schon reichhaltiges Arsenal an Hits stetig erweitert, so dass es nicht verwundert, dass sie ihre Show gleich mal mit einem ihrer größten Glanzlichter namens „Terminus (Where Death Is Most Alive)“ eröffnen. Mit visueller Unterstützung durch eine Leinwand brennen Mikael Stanne und seine Kollegen ein wahres Feuerwerk ab und zeigen der feierwütigen Masse, wie zeitloser Melodeath zu klingen hat. Im Gepäck haben sie auch eine Hand voll Songs vom neuen Album „Construct“, dessen Promotion sich natürlich auch in der Festivalsaison anbietet, doch trotz der Konzentration auf neueres Material schaffen DARK TRANQUILLITY den erfreulichen Spagat zwischen noch unverbrauchten Hits der Marke „Endtime Hearts“ und Altbewährtem wie „Lost To Apathy“. So fressen wenig überraschend nicht nur die Bloodchamber-Redakteure dem sympathischen Lockenkopf am Mikro aus der Hand, auch der Rest der Neuborn-Besucher labt sich an der beeindruckenden Spielfreude der Göteborger. Die ungefähr 90 Minuten bester Unterhaltung durch diesen würdigen Headliner setzen einen gelungenen Schlusspunkt unter den bunten ersten Tag des Festivals, glücklich, zufrieden und erschöpft schleichen sich die Festivalbesucher in Richtung Zeltplatz…
tse

Samstag

Während man sich aus den Schlafsäcken schält und den Freitag Revue passieren lässt, ziehen dunkle Wolken am Himmel auf – der Wettergott scheint es nicht gut zu meinen mit dem Neuborn Open Air, fängt es doch an, wie aus Eimern zu kübeln. So wird bei UNCLE HERB und SUPERBUTT vermutlich nicht viel los gewesen sein vor der Bühne, jedenfalls verharrt nicht nur die Bloodchamber-Crew unter ihrem Pavillon. Der eine oder andere nutzt sogar die (Un-)Gunst der Stunde, um ein wenig Schlaf nachzuholen, doch irgendwann klart der Himmel auch in der tiefsten Pfalz wieder auf, so dass endlich wieder gemosht werden kann…

…oder auch eher gematscht, denn vor der Bühne hat sich nun natürlich ein ansehnlicher Sumpf gebildet. Das macht den niederländischen Thrashern von IZEGRIM aber wenig aus, sie sind froh, dass der Regen nachlässt und sich immer mehr Headbanger vom sicher scheinenden Zeltplatz auf das Veranstaltungsgelände wagen. So müssen sie ihre tödlich angehauchten Thrash-Salven nicht ins leere Rund feuern, sondern können schon erste positive Reaktionen einheimsen. Besonders in der ersten Reihe vor der Bühne zeigt man sich sehr aktiv, was Bassistin und Sängerin Marloes Voskuil gar dazu veranlasst, mit ihren Fans auf Tuchfühlung zu gehen. Zwar ist nicht jeder Song ein Volltreffer, so mancher kleine Hit wie das brandneue „Celebratory Gunfire“ kann aber nachhaltig zu überzeugen, so dass all diejenigen, die sich hier zu dieser gar nicht mal mehr so frühen Stunde beschallen lassen, ordentlich wachgerüttelt werden.

Ironischerweise sieht sich nun plötzlich die Sonne veranlasst, zwischen den sich nach und nach verziehenden Wolken hervorzulugen, und als dann AHAB in ihr Set einsteigen, ist von der vorangegangenen Weltuntergangsstimmung zumindest wettertechnisch nichts mehr übrig. Doch die Nautic Doomster setzen natürlich alles daran, dem jetzt strahlenden Sonnenschein zu trotzen und zumindest musikalisch eine apokalyptische Stimmung heraufzubeschwören. Was ihnen auch erwartungsgemäß gut gelingt, woraus sich aber irgendwie ein schizophrenes Szenario ergibt. Denn was das Songwriting betrifft, spielen die Süddeutschen ohnehin in der Champions League, und auch an der Live-Performance gibt es nichts zu mäkeln – im Gegenteil, die hallenden Gitarren dröhnen genau so präzise wie die Slowmotion-Drums, und die Growls des Herrn Droste sind vom feinsten. Das wird vom Publikum auch anerkennend, aber leider nicht überschwänglich honoriert. Woran aber nur die Wetterkapriolen Schuld sind – wo ist bitte der wolkenverhangene, düstere Himmel, wenn man ihn braucht? So bleibt die abschließende Erkenntnis, dass dieser gute Auftritt in einem zwielichtigen Keller möglicherweise ein Wahnsinnsgig gewesen wäre.

Von solchen hypothetischen Weihen sind TEXAS IN JULY weit entfernt. Rein musikalisch betrachtet liefern die fünf Amis nämlich leider kaum ein Argument gegen die Behauptung einiger Kollegen, dass es sich hier um „Schrottcore“ handelt. Die fünf Jungspunde hangeln sich von einem Breakdown zum nächsten, Sänger Alex Good (!) röhrt dazu permanent in ein und derselben Tonlage vor sich hin – so macht Metalcore keinen Spaß, sollte man meinen. Für eine nicht unerhebliche Anzahl an Karate-Kids und Violent Dancern jedoch scheinen hier musikalische Träume wahr zu werden, toben sie sich auf dem schlammigen Acker vor der Bühne doch nach Lust und Laune aus. Alles falsch zu machen scheint diese Band also nicht, und zumindest die Gitarristen lassen hier und da auch so etwas wie technische Versiertheit und Spielwitz aufblitzen. Viel mehr bleibt von diesem verzichtbaren Auftritt allerdings nicht hängen, denn das Gebotene hat man in dieser Form schon unzählige Male gehört, und oft genug auch besser.
tse

Genderwahnsinn hin oder her, bei CRUCIFIED BARBARA kommt jeder auf seine Kosten. Heavy Metal meets Rock'n'Roll, und die Damen haben sichtlich Spaß dabei. Sichtlich Spaß daran hätte auch Lemmy Kilmister, denn sowohl optisch als auch musikalisch dürfte das genau sein Metier sein. „The Crucifier“ macht denn Auftakt, und innerhalb weniger Sekunden vergrößert sich die Menschentraube vor der Bühne. Der dreckige Stil kommt gut an, da passen weitere Lieder wie „Motorfucker“ oder „Shut Your Mouth“ gut ins Konzept. Eine Verschnaufspause gibt es gegen Ende des Auftrittes mit einer gelungenen Ballade, bevor zum Abschluss noch ein MOTÖRHEAD Cover zum Besten gegeben wird. Diese Show hätte ruhig etwas länger sein dürfen, doch verständlicherweise kehren CRUCIFIED BARABARA auch nach längeren Zugabe Rufen nicht mehr zurück bzw. dürfen das nicht.

Ich muss zugeben, dass ich MOONSPELL noch nie so richtig auf dem Schirm hatte, und mir deshalb etwas ungewisse, teilweise unschöne Vorstellungen mache. Was wird da wohl kommen? Gothic Metal? Langatmige Keyboardpassagen und endlos währende Balladen? Falsch gedacht! Mich haut es beinahe von den Socken, als ich die ersten Klänge von „Alpha Noir“ (???) vernehme. Wie geil ist das denn bitte? Richtig groovige Klänge, die mit unzähligen melodischen Elementen einhergehen und dabei kein bisschen an Härte verlieren. Und irgendwie schaffen es die Jungs, sich mit jedem Song zu steigern, genauso wie sie meine Freude an diesem Auftritt steigern können. Allein die saubere Spielweise, mit der die Songs runtergerattert werden, ist eine Sache für sich, und das steht auch ganz klar im Mittelpunkt. Kein langes Gerede, dafür umso mehr Spielzeit. Selbst die obligatorische Zugabe wird ziemlich pragmatisch gelöst: „Also, wir gehen jetzt kurz von der Bühne und kommen gleich wieder, dann gibt es noch ein paar Songs.“ Insgesamt waren es wohl knapp zwei Stunden, und mit „Alma Mater“ und „Opium“ habe ich meine persönlichen Highlights gefunden.
ms

Das Fazit fällt ein wenig so aus, wie man es im Vorfeld erahnen konnte: Das Neuborn Open Air hat sich die strukturellen Gegebenheiten wie die ländliche & fast schon familiäre Atmosphäre, die kurzen Wege und die meist gelassene, manchmal etwas rustikale aber immer freundliche Art aller Mitarbeiter bis hin zu den nur indirekt am Festival Beteiligten Frühstückskünstlern des benachbarten Vereinsheims positiv zu eigen gemacht, kleine eigene Akzente wie den Partytraktor gesetzt und uns in seiner Gesamtheit überzeugt, selbst wenn man (ebenfalls aus strukturellen Gründen) im Vergleich zu anderen (lies: größeren) Festivals natürlich leichte Abstriche beim Versorgungsangebot von Dusche bis Essen in Kauf nehmen muss. Trotz der Wetterproblematik, auf die im Rahmen des Möglichen unter anderem mit einem Abschlepptraktor für den verschlammten Parkacker reagiert wurde, bleibt uns das Neuborn Open Air deshalb in sehr guter Erinnerung - und falls das Aufgebot im nächsten Jahr wieder ähnlich abwechslungsreiche Turbulenzen mit Qualitätsheadlinern kreuzt, stehen die Chancen auf ein Wiedersehen in der Rheinland-pfälzischen Pampa nicht schlecht.
mba

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