X. In Flammen Open Air

X. In Flammen Open Air

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Torgau, Entenfang
02.07.2015

Vorwort

Dass es an diesem Wochenende heiß war, ja sogar verdammt heiß, dürfte wohl auch der letzte Kühlschrankverkäufer mitbekommen haben. Deshalb erübrigen sich in einem Qualitätsmedium wie dem unseren auch jegliche temperaturbezogenen Wortspiele zum 10. In Flammen Open Air, da diese im Nachhinein ebenso ergiebig aus den journalistischen Kehlen fließen dürften wie der Schweiß aus den Häuten der an diesen drei Tagen pausenlos transpirierenden Festivalbesuchern.

Nicht weit von Torgau entfernt, auf dem Gelände des With Full Force wurde ebenso gelitten, unter anderem auch wegen der fiesen Hitze. Wenn dort aber gönnerhaft ausnahmsweise mal auch mitgebrachtes Wasser aufs Festivalgelände genommen werden durfte, konnte der Torgauer Besucher darüber nur müde lächeln. Beim In Flammen gab's seit jeher keinerlei Mitbring-Restriktionen - ist es nicht in Glas verpackt, dürft ihr es mit vor die Bühne nehmen. Da sich der Abkühl-Faktor von achselwarmen Getränken jedoch in Grenzen hielt, griff man eh meist traditionell zur kühl servierten Hopfenkaltschale - natürlich stilecht von der Froschkotze-Bar. Für weitere Erfrischung sorgten neben dem guten alten Schlauch-of-Death-and-cold-Water auch erstmals zwei Duschcontainer, welche gegen kleines Entgelt eiskaltes Nass von allen Seiten versprachen.

Nun aber genug von der alten Glühkugel, es sei abschließend nur noch die Erkenntnis gestattet, dass doch erstaunlich wenige Wärmeopfer anzutreffen waren. Anscheinend wird die Szene mit dem Alter vernünftiger bzw. es war stets auch genügend Solidarität anwesend, um hektisch abgelegte Alkoholopfer unter die nächsten schattigen Bäume zu zerren. Denn ja, liebe With Full Force Besucher, hier gab's jede Menge Wald und Bäume! Und unter diesen konnte man sich nicht nur prima verstecken, sondern auch mit minimalem oder auch vollem Körpereinsatz seinem musikalischen Hobby beiwohnen - denn es ist auch ne Form von Toleranz, niemanden zu verachten, der seine müden Knochen auf ein Bänkchen vor der Bühne platziert.

Ebenso vielfältig präsentierte sich wie immer die musikalische Auswahl an diesem Wochenende. Da reichten sich Old School Death Metaller und knallige Speed-Thrasher das Mikro in die Hände, da posierten grimmige Black Metaller gleich nach melancholischen Düsterrockern oder schwerfälligen Doominauten. Die Auswahl war jedenfalls üppig und entsprechend dem eigenen Geschmack gab es je nach Befragtem auch keine feste Rangfolge in der Qualität des Gebotenen. Was den einen spontan begeisterte, ließ der andere links liegen, aber ein jeder dürfte wohl den einen oder anderen Leckerbissen verputzt haben. Wem unsere nun folgenden subjektiven Geschmäcker allein nicht zusagen, der darf zwecks Zugabe von Zusatzstoffen gern mal bei den geschätzten Kollegen vom Kreuzer oder Metal Impetus vorbeischauen. Nachdem er sich hier durchgeackert hat, verständlicherweise.

Zu den Duschcontainern gesellten sich ein generell üppigeres Zeltplatzgelände, minimal gestiegene Versorgungspreise sowie eine unübersehbare zweite Zeltbühne auf der Neuigkeitenseite. Passé war damit das etwas umständliche Shuttle-Experiment vom letzten Jahr. Stattdessen gab es nun, leicht zeitversetzt, stets die doppelte Gitarrenladung aufs Gehör, insofern man die wenigen Schritte nicht scheute. Und damit begeben wir uns nun gedanklich zurück zum Beginn der ganzen Sause. [cr]

Donnerstag

In eben jener Zusatz-Schießbude werden nämlich die traditionell am Donnerstag aufgetischten Warmup-Häppchen kredenzt. Beginnend mit THE LAST HANGMEN, dem belegten Brötchen mit der einen oder anderen Fleischeinlage: Immer wieder gern konsumiert von Melo-Death-Liebhabern, aber eben noch keine vollwertige Mahlzeit. Provozierendes Gemüse wie KOMMANDO polarisiert da schon deutlich mehr. Vermutlich passt das hervorragend auf die dick beschmierte ENDSTULLE, hinterlässt beim Otto Normalmetaller jedoch einen bitteren Nachgeschmack aufgrund des unnötig provozierenden Auftretens.

RESURRECTED vergleicht man wohl am besten mit diesem Weißbrot, welches man in kleinen Körben ungefragt beim Italiener untergemogelt bekommt. Da langt man gerne mal ausgiebig zu, nimmt einen Happen Death Metal, aber wartet insgeheim eigentlich nur auf den Hauptgang. Diesen servieren passenderweise direkt im Anschluss die SKANNERS, jene italienische Band, die man außerhalb des In Flammen Open Airs kaum beachtet, hier jedoch stets aufs Neue abfeiert. Energetisch und erschreckend gut gelaunt geben sie wie immer alles, was die Poren hergeben und die Temperaturen im Zelt nehmen beängstigende Werte an. Faust-Fetischisten kommen jedenfalls auf ihre Kosten, davon fliegen jede Menge durch die Luft. Ehrlicherweise muss man sich jedoch eingestehen, dass der Reiz mit jedem Auftritt ein wenig schwindet. Pizza schmeckt eben doch am besten, wenn man sie nicht jede Woche serviert bekommt.

Entschädigen soll uns jedoch die großartige Feuershow, die es nach Einbruch der Dunkelheit auf der Wiese unter einem orange gefärbten Vollmond als kleines Special zu sehen gibt. [cr]

Freitag

Ja, verdammte Hacke, es ist heiß. Zu jeder Bewegung muss man sich zwingen, außer zu Aktivitäten, die etwas mit 'kalt' oder mit 'Wasser' oder am besten mit beidem zu tun haben. Dementsprechend entspannt wird in den Tag gestartet. Dennoch, als in der Mittagshitze SKELETHAL das Buffet eröffnen und direkt danach DEATHRITE den Old School Deathmetal weiterführen, erheben sich erstaunlich viele ausgetrocknete Scheintote aus ihren Gräbern und pirschen zur Hauptbühne. Passt ja auch irgendwie. Wenn man schon dem Tod ins Auge blicken muss, dann wenigstens mit Stil und ner ordentlichen Schmalzbemme in der Hand.

Weniger stilvoll geht es mit RECTAL SMEGMA weiter. Und spontan denke ich an einen hinterhältig müffelnden Gorgonzola. Der stammt zwar eigentlich aus Italien, aber die holländischen Jungs lassen sich deswegen nicht die Käsekrone vom Haupte reißen (oder um im passenden Jargon zu bleiben: von der Eichel pflücken). Ihr lyrisch geradliniger und rhythmisch auf den Punkt gebrachter Grindcore kommt zwar immer mit einem komischen Nachgeschmack daher, findet aber erwartungsgemäß jede Menge ekstatische Anhänger.

Um auch mal einen anderen Geschmack im Mund zu bekommen, machen wir nun einen Abstecher zur Zeltbühne, wo gerade WANDAR den Beweis antreten, dass Black Metal durchaus auch bei Helligkeit und Gluthitze funktionieren kann, auch wenn dabei die Gesichtsbemalung etwas leidet. Eigentlich längst dem Geheimtippstatus entwachsen sind die scheuklappenlosen Hallenser quasi das alles entscheidende Gürkchen auf dem ordentlich belegten Sandwich. Die hätten garantiert auch auf der großen Bühne alle Mann satt bekommen.

Obwohl durchaus mit allen Musikern auf der Zeltbühne mitleidend, sind es nun vor allem IRON WALRUS, denen man am liebsten mehrere Eimer Frischwasser gegönnt hätte. Aber wer drauf besteht, seine Walross-Masken um jeden Preis auftragen zu müssen, der muss wohl auch damit leben, wie ein dickes, schwabbeliges Stück Schmelzkäsen auf dem Trockenen langsam zu zerfließen. Selten passt jedoch ein Bandname derart gut zur Gesamtsituation wie heute: Denn eisern kämpfen sich die Doom-Rocker durch ihre schwermütigen, aber mitreißenden Songs ohne sich auch nur zu beschweren. Das beeindruckt durchaus.

Wieder zurück an der Hauptbühne haben die nur untenrum eingepellten Pferdewürste von STALLION weitaus weniger scheu, ihre Körper zu präsentieren. In den 80ern war man da halt noch etwas offener und hatte nichts zu verbergen. Während der gesamten Old School Heavy Latex Thrash Sause bleibt eigentlich nur die Frage im Raum, ob wohl das Universum kollabieren würde, teilte man ihnen mit, dass Raider mittlerweile Twix heißt.

Ebenfalls nicht Teil unseres Raum-Zeit-Kontinuums scheint die Frontsalami von NOMINON zu sein. Zu Old School Death Metal mag ja auch der eine oder andere Schluck aus der Pulle zu gehören, der alte Schwede hat anscheinend sich jedoch mit all seine Inkarnationen in allen Paralleluniversen gleichzeitig einen hinter die Pelle gekippt. Dementsprechend wankelmütig schwappen die Riffs auf das Publikum darnieder, was sich teils wohl etwas mehr versprochen hatte.[cr]

EYEHATEGOD also, wenn auch nur kurz. Fangen wir so an: Wenn der Mann, der Gott hasst, nur halb so fertig aussieht wie Mike Williams, dann denkt sich Gott höchstwahrscheinlich: "Hate on, bro! You're almost dead." Von diesem rein optischen und somit nichtigen Detail abgesehen machen EHG genau das, was sie eben so machen: Zähen bis sperrigen Sludge mit Hardcore-Kante, den man entweder hasst oder liebt. Da sich das Ganze performancetechnisch nicht unbedingt zu Höhenflügen aufschwingt - das Stageacting pendelt zwischen krank und unbeteiligt - schleppen wir unseren Kadaver vorerst zur Bar und überlassen einen gut gemeinten Circlepit dem Down To Earth Motherfucken Post Amplification Blues...

Kann bei TERRORIZER LA irgendwas schief gehen? - Denkt man nicht, denn das gut abgehangene Nackensteak aus Kalifornien verspricht schön angepunkten Grindcore mit 'nem Schuss Todesahnung: "World Downfall", einmal durch und keine Mätzchen. Am Mikro gibt's ausreichend Bier, die Zeichen stehen auf Vollbedienung, der Pit sabbert und ohne großes Getue holzt sich der Vierer durch seinen ewigen Klassiker. Dass die Bandaction auf allen Positionen durchaus Luft nach oben lässt, schieben wir einfach mal auf Alter und Temperaturen. Außerdem fällt dieses Jahr bei mehreren Festivals auf, dass gerade amerikanische Bands erstaunlich wenig Spirit und ernüchternd viel Arbeitsethos im Gepäck haben.
Inwieweit besagte Scheibe dagegen im Publikum für Bewegung sorgen kann, lasst ihr euch am besten vom Tobs erklären - das Stadtmagazin Kreuzer hat dem IFOA nämlich ebenfalls eine Nasen-, äh, Nachlese angedeihen lassen. [rs]

Marzipan. Ich hasse Marzipan. Schon als Kind wurde mir davon schlecht, obwohl Gleichaltrige ihre kleine Schwester dafür verkauft hätten. Vor einer Weile jedoch gab ich dem Süßkram wieder eine Chance, da sich ja Geschmäcker auch ändern können. Genau wie bei DARKENED NOCTURN SLAUGHTERCULT, die ich vor vielen Jahren abgehakt hatte und denen ich nun erneut eine Chance geben wollte, da Unmengen von Geschmacksträgern sie vergöttern. Jedoch genauso angewidert wie meine erneute Begegnung mit Marzipan fällt nun das Wiedersehen mit der unsympathischen Kratzbürste und ihren Mannen aus. Ja, es gibt sie wohl, die Marzipanfreunde und Staubsauger Black Metaller. Aber was sie daran finden, werde ich wohl nie verstehen.

VADER hingegen rufen da schon eher positivere Kindheitserinnerungen wach. Irgendwann einmal hatte ich mit denen angefangen, die harten Klänge zu erforschen. Dann irgendwann trat eine Art Übersättigung ein und nun, nach etwas Fastenzeit, kann man es in vollen Zügen genießen, die Polen, deren unverwechselbares Frontgrunzen noch so gut im Gedächtnis ist wie damals, wieder neu zu entdecken. Klar, die Faszination mag nicht mehr so üppig sein wie früher. Aber den guten alten Kinderriegel, dem eigenen Nachwuchs als erzieherische Maßnahme entwendet, kann man auch als Erwachsener noch in vollen Zügen genießen. [cr]

Mit den BÖMBERS kommt anschließend der Hauptgang auf Tableau: Falscher Hase in Whiskey-Cola-Jus. Die Norweger sind im Grunde so etwas wie die Lebensversicherung von MOTÖRHEAD, denn wenn Lemmy & Co. irgendwann gar nicht mehr können – dem Vernehmen nach singt der Meister zu „Overkill“ bereits tagesaktuelle Textvariationen – wartet mit den BÖMBERS eine hervorragende Cosplay-Alternative im Schrank.
Musikalisch kaum gefordert, rockt sich der Dreier heute Abend gut gelaunt durch den hinlänglich bekannten Backkatalog der Briten und kann dabei vor allem auf Abbaths originalgetreuen Gesang bauen: Ob „No Class“, „Stone Dead Forever“ oder eben „Killed By Death“ – mit geschlossenen Augen sind die Unterschiede zwischen Vorbild und Kopie marginal, zumal sich auch die BÖMBERS durch einen gewissen Sinn für trockenen Oneliner-Humor auszeichnen. Nach dem zehnten Bier oder beim Bikertreffen dürfte mit den Jungs folglich überhaupt nichts schiefgehen, schon gar nicht, falls man MOTÖRHEAD ohnehin auf dem musikalischen Speiseplan hat.
Was mich persönlich an der Nummer stört, ist allerdings der fade Beigeschmack: Wenn eine prägende Figur der zweiten Welle, die für einige der wichtigsten kreativen Leistungen in ihrem Genre verantwortlich zeichnet, 60 Minuten lang eine der langweiligsten Konsensbands des Planeten imitiert, dann krieg ich nach dem dritten Song einfach Bauchschmerzen. [rs]

Sonnabend

Das feiste Grinsen aufgrund des furiosen vormittäglichen Auftaktschauspiels (1. Frühstück bestellen, 2. Vollen Plastikteller am Rand anheben, 3. Das Ganze auf den Boden verteilen, 4. Sofort reflexartig den Kaffee auch noch darüber gießen, 5. Neues Frühstück plus Wischlappen bestellen) sowie die letzten Reste des Rühreis im Gesicht führt die Trägheit dazu, dass das sonnabendliche Appetithäppchen in Form von CARNATION eher so akustisch von der Seite mitgenommen wird. Die belgische Old School Death Geschoss verursacht jedoch auch ohne direkten Treffer ordentlich Kollateralschaden. ENTOMBEDs L.G. Petrov jedenfalls scheint seinen geistigen Nachfolger bereits gefunden zu haben, später wird man ihn im CARNATION-Leibchen bewundern können.

Ganz ohne an den Haaren herbeigezogene kulinarische Metaphern lässt sich das nun folgende Fressgelage beschreiben: Denn gefuttert wird auf dem In Flammen seit nunmehr 3 Jahren stets im wahrsten Sinne des Wortes. Der hausgemachte Kuchen nebst dazu passendem heißen Kaffee hat keine besonders hohe Lebenserwartung, selbst bei diesen Temperaturen. Spontan nutzt ein Besucher die kurze Ruhepause, um seiner Angebeteten einen Heiratsantrag zu unterbreiten. Diese schiebt sich noch schnell einen Krümel aus dem Gesicht, wirft ein "Ja" in die Runde und alle haben sich zu den Klängen von Helene Fischer ganz doll lieb. Das ist zwar jetzt nicht unbedingt voll trve und so, aber das Thema mit der Toleranz hatten wir ja schonmal.

Deshalb schnell rüber ins Black Metal Zelt gekrochen auf der Suche nach ein bisschen frostbitten darkness. Hier zeigen gerade TEMPLE OF OBLIVION, wie man es selbst ohne nennenswertes musikalisches Können in eine Band schaffen kann: Einfach schwarz-weiß anpinseln, einen festen Stand suchen und den Gesichtsausdruck eines Stahlpfeilers auflegen, fertig ist der menschliche Bannerträger. Optisch passt das dann natürlich besonders gut, wenn auch der Rest der Band entsprechend plakativ daherkommt. Ob sie damit in die Geschichtsbücher eingehen, sei noch dahingestellt, Interesse an selbigen ist jedenfalls ausgiebig vorhanden. Die entsprechende historische Einleitung, die fast jedem Song vorangestellt wird, braucht's eigentlich nicht. Der teils majestätische, aber auch rohe Black Metal überzeugt auch ohne Erklärung durch Vielschichtigkeit. Aber wer weiß, vielleicht muss man sich ja im Erzgebirge stets rechtfertigen, wenn man Lieder mit Kriegsthematik zum Besten gibt? [cr]

Nach einem knapp dreistündigen Versuch, der Niedrigtemperatur-Garmethode durch Ackerflucht auszuweichen, unterläuft uns auf dem Rückweg zum Camp ein menschlicher, allzu menschlicher Fehler: HUMANITAS ERROR EST spielen im gut geheizten Zelt und kredenzen dem geneigten Publikum schwedisch inspirierten Schwarzwurzelsalat mit suizidalen Tendenzen. Also rein in die gute Stube, wo Band und Zuschauer bereits kollektiv im eigenen Saft schmoren.
In musikalischer Hinsicht darf man das prominent aufgetragene SETHERIAL-Shirt durchaus ernstnehmen, denn deren flächige, frostige Spielweise auf „Nord…“ blitzt auch bei HEE immer wieder durch. Die Leipziger vermeiden in der Folge allerdings das Ausladende und schwer Greifbare der Schweden, bleiben durch kürzere Songs und klare Strukturen insgesamt zugänglicher, was live natürlich immer einen Vorteil darstellt. Im Zusammenspiel mit den hörbar am DSBM kratzenden Vocals entwickelt sich so ein angenehmer Mahlstrom, der trotz vereinzelter harscher Übergänge ganz vorzüglich mundet und Genrefreunden hiermit ans Herz gelegt sei. [rs]

Trotz kaltem Schwarzmetall ist jedoch von Abkühlung noch nicht viel zu bemerken. Viel frischer wird's dann nach kurzer Zeit mit MACBETH und deren 30 Bühnenjahren aber auch nicht. Mag sein, dass es beim BigMac ratsam ist, jahrzehntelang nichts am Rezept zu ändern. Im Falle des (angel)sächsischen Urgesteins kommt das schrammelige Death/Thrash Fleischpaket mit einem Sänger, der wohl gerne mal in einer Mittelalter-Truppe schreien würde, aber eher recht altbacken daher. Wer alt genug ist, nostalgische Erinnerungen an DDR-Gigs hervorkramen zu können, dem ist das natürlich alles schnuppe. Die Jüngeren fühlen sich eher an Gelegenheiten erinnert, bei denen ihre Eltern irgendetwas ziemlich Peinliches veranstaltet haben.

Apropos peinlich: IRON THOR mit ihren Kostümen aus dem Fundus von "Masters Of The Universe" möchten in jedem Fall nicht ernst genommen werden. Alberne Aktionen wie das Anhimmeln halbnackter Dekotussis mit zu viel Feuer in der Kehle, das Schwingen eines gigantischen Plastikhammers oder dem Verbiegen einer unglaublich stabilen und eigentlich unverbiegbaren Eisenstange zeugen von einem gesunden Selbstbewusstsein. Etwas, was beim Aufführen von klassischem, schnörkellosen Heavy Metal mit Sicherheit nicht schaden kann. Ganz so wie Heinz von der Imbissbude um die Ecke, der felsenfest behauptet, Spaghetti Carbonara müssen unbedingt mit einer ordentlichen Menge Sahnesoße aus dem Pappbecher zubereitet werden, egal was der dahergelaufene Italiener behauptet - Seine Kunden mögen das ja schließlich so. [cr]

Von der Imbissbude geht's hernach direkt ins Schlachthaus, wo GRABAK bereits mit halben Windhunden um sich schmeißen. Der Sound ist hier fast besser als auf der Hauptbühne und macht die schwarz getünchten Uptemponummern der Sachsen trotz Tageslicht und gefühlten 66 °C (Black Metal, Hölle, ...) zu einem veritablen Mahl. Dazu eine angenehm unprätentiöse Aufmachung, fertig ist die Bude.

Noch ein wenig fertiger - im Sinne von ansprechender - wirken im Anschluss allerdings GATEWAYS TO SELF-DESTRUCTION, die mir bereits beim letzten Gig positiv aufgefallen waren. Ähnlich wie bei HUMANITAS ERROR EST bricht sich auch hier ein gewisser DSBM-Einschlag Bahn, was in Verbindung mit den prominent eingesetzten Leadgitarren absolutes Schwelg- und Suchtpotenzial hat.
GTSD arbeiten viel mit Flächen, haben mit der dezent gekalkten Mara (Alma aus F.E.A.R. lässt grüßen) eine passende Sängerin am Start und verstehen es schlicht ziemlich gut, mit vergleichsweise einfachen Mitteln packende und elegante Songs zu schreiben: Auf songinternen Fluss ausgerichteter Black Metal mit sorgensüßen Leads und vernebeltem Kreischen – das kitzelt die Synapsen und sorgt mit gleichermaßen trostlosen wie anmutigen Momenten für ein rundum wohliges Gefühl im Bauch. Und mal ganz ehrlich: Wer als Coversong dann auch noch das perfekt zum Bandstil passende "Brave" (KATATONIA) aus dem Ärmel zaubert , der hat in meinem Buch bereits gewonnen. Ziemlich große Show mit Sternchen! [rs]

Wer dann irgendwie die Assoziation "Band mit 4 Buchstaben und Nautik-Thema = Doom" herstellt, dem dürfte sich bei MAAT alsbald das Fischstäbchen im Halse herumdrehen. Der Death Metal der Berliner mag zwar durchaus auch schleppendere Passagen beinhalten, vorrangig orientiert sich der ägyptisch interessierte Todesmetall eher an Vorbildern wie NILE. Spannend bis über den gelungenen Auftritt hinaus bleibt auch die Frage, ob der MAAT-Sänger nebenberuflich als Synchronsprecher für Johann König tätig ist.

Bei CLITEATER bräuchte man zwar nicht lange nach kulinarischen Assoziationen suchen, dennoch lasse ich die unerschrockenen Niederländer mal in Ruhe ihr Ding durchziehen. Dem Bandnamen entsprechend schwappt jedoch eine Woge der erregten Gemüter vom Bühnenvorplatz quer über das Restgelände. Sogar meine Bratwurst scheint kurz aufzustöhnen bei einer von links einschlagenden Grindcore-Breitseite. Jedoch überlasse ich die finale Bewertung einem Kollegen: "CLITEATER? Na geil wie immer!"

Der schwere Absturz nach dem Klimax folgt jedoch mit den persönlich weniger anregenden ATTIC, die wohl besser auf dem namensgebenden Dachboden hätten bleiben sollen. Sie bieten mit unerschrocken hohem Gesang, faden Songstrukturen und dem Fehlen jeglicher Ironie leider all das, was mich um traditionelle Heavy Metal-Suppe einen großen Bogen laufen lässt. Dann lieber doch noch mal schnell zu DYSANGELIUM ins Black Metal Zelt geflohen. Deren rasender Riffwalzen-Eintopf benötigt zwar eine Weile, um die Skeptikmauer zu überwinden, kann anschließend jedoch vor allem durch die dichte Atmosphäre Eindruck hinterlassen.

Etwas schwierig platziert wie ein Würstchen auf der Käseplatte einer Veganer-Party lassen sich OMNIUM GATHERUM jedoch nicht beirren und ziehen ihr im Vergleich zum restlichen Billig etwas melodischeres (oder in gewissen Kreisen auch als "püppihaftes" bezeichnetes) Programm mit Leidenschaft durch. Schade, dass die anfänglichen Tonprobleme den durch jahrelanges konstantes Am-Ball-Bleiben erarbeiteten stimmigen Gesamtsound vor allem im Gitarrenbereich nicht ganz zur Geltung kommen lassen. So braucht es fast zu lange, bis die Finnen ihr Publikum einfangen können. Einmal im Netz lässt man sich jedoch gern in andere Sphären entführen. Und überhaupt: Das beispielhafte Würstchen hätte ich mir eh zuerst geschnappt. [cr]

"Wolle mit scharf?!" – Nein, will ich nicht! Schon gar nicht, wenn es um einen qualitativ hochwertigen Sahneeisbecher wie DARK FUNERAL geht! Dann möchte ich nämlich einfach nur unter den Bäumen stehen, ein Kaltgetränk schnabulieren und mir mit den Umstehenden gegenseitig versichern, wie unfassbar geil diese Perle des nordischen Schwarzmetalls eigentlich ist.
Leider schlüpft heute ausgerechnet der (mitgebrachte) Soundmann in die Rolle eines übereifrigen Pinguins und schüttet „Scharf!!!“ mit vollen Händen in jedes verfügbare Ohr. Konsequenterweise besteht der DF-Gig aus 100 Dezibel Schlagzeug und 50 Dezibel oberen Mitten, die vielleicht vom Soundboard nach dieser einen schwedischen Band klingen – vor der Bühne kann man den auf moderne Festivalohren getrimmten Matsch jedoch nur mit Kenntnis der Veröffentlichungen in konkrete Songs zerlegen. Gute Nachricht für DARK FUNERAL in ökonomischer Hinsicht: Mit dem Mann an den Reglern könnt ihr zukünftig auf Leadgitarristen verzichten, denn der spielt maximal für den Monitor.
Rein musikalisch machen die Herren dabei vermutlich vieles richtig: "Dark Desires" und "Hail Murder" erkennt man zuverlässig am Chorus, "Atrum Regina" und "666 Voices Inside" an den Ansagen, die im Übrigen die Momente sind, wo man Fronter Heljamadr noch am ehesten hören kann. Ansonsten kämpft der Gute gegen übermächtigen Lärm und hat dabei mit seiner (in meinen Augen) recht gewöhnlichen Stimme eine verdammt schwere Zeit.
Wie gesagt: Bandleistung und Setlist stimmen durchaus, aber das IFOA braucht beileibe keine dynamikbefreite Wall Of Sound, die man selbst beim WFF noch auf dem Zeltplatz hören könnte. Und den ewigen Verweis auf Ohrenstöpsel kann ich übrigens auch nicht mehr hören: Mischt die Musik so ab, dass sie für ungestöpselte Ohren taugt und dann steht es empfindlicheren Naturen frei, den Pegel mittels Plugs noch zu senken. Temporärer Tinnitus ist kein Indiz für einen geilen Abend, nie gewesen! [rs]

Bewährt wie das gute alte panierte Schweineschnitzel sind ENTOMBED A.D. als Headliner eigentlich immer eine sichere Nummer. Kennt man, mag man und da ist man auch nicht böse, wenn Mutti das an zwei Sonntagen hintereinander serviert. Aushängeschild Petrov macht nicht ganz selbstverständlich einen sehr vitalen und engagierten Eindruck. Man fragt sich gar kurz, ob im Old School Death Metal jetzt auch Violent Dancing angesagt ist. Jedoch vernichtet der Mann auf der Bühne mit seinen ausschweifenden Bewegungen lediglich Tausende von kleinen Flugtierchen, die den Freitod im Bühnenscheinwerfer suchen. Auch durch die Songauswahl zeigt sich recht deutlich, dass ENTOMBED eine Band für ihre Fans sind: "Neues Album? Ja, haben wir. Aber wenn die Leute eh immer nur das alte Zeug hören wollen, dann kriegen sie das eben auch." Und so wirft einmal mehr eine Vielzahl gestreckter Hände lange Schatten auf im Takt wehende Haare voller Insekten, während die letzten Riffs von "Left Hand Path" in der Dunkelheit verschwinden.

Aber halt, verschwinden wäre jetzt, als würde man in einem ausländischen Restaurant aufs Dessert verzichten, nur weil man anhand der Bezeichnung auf der Speisekarte keine Ahnung hat, was sich dahinter verbirgt. Tatsächlich waren auch mir trotz vorhandener Begeisterung im Bekanntenkreis ANAAL NATHRAKH bisher lediglich durch ihren unaussprechlichen Namen bekannt. Zum Glück widerstehe ich dem üblichen Drang zur Bettruhe und sieh da: Das Dessert mundet doch gar sehr. Dabei fällt es schwer, das Gebotene aufgrund seiner musikalischen Ausrichtung in Worten zu beschreiben. "Avantgardistisch angehauchter extremer Metal mit redseligem Frontmann" trifft es vielleicht ganz gut. Denn der aggressive, aber auch groovige und bewegende Death Black Metal der Briten spielt nur zu gern mit dem Unerwarteten und mag es gar nicht, auf der Stelle zu stehen. Ebenso hibbelig gibt sich Fronter Dave Hunt, der ja letztes Jahr bereits mit BENEDICTION Gefallen am In Flammen Open Air gefunden hat. Vielleicht sind seine kleinen, höchst engagierten und bewusst provokativen Geschichten zwischen den Songs manch einem etwas zu viel Gerede, mir als Freund vom good ol' british english geht das jedoch runter wie Öl.

Und damit geht auch das Jubiläums IFOA zu Ende. Ein Festival, dass uns jedes Jahr aufs Neue mit spannenden Bands versorgt und sich dennoch stets treu geblieben ist. Ein Festival, wo sich sehr alte Freunde wiedertreffen können und neue Freundschaften entstehen. Ein Festival, bei dem man sich einfach wohlfühlt. Dafür wie immer einen dicken Dank an alle Beteiligten. Wir kommen wieder, das ist eine Drohung! [cr]

Nachfolgend noch ein paar Impressionen von Oliver Göhlke, auf der Suche nach Bandfotos werdet ihr hier fündig.

Bildergalerie

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