Year Of No Light - Tocsin

Year Of No Light - Tocsin
Ambient / Doom Sludge Metal
erschienen am 22.11.2013 bei Debemur Morti Productions
dauert 57:18 min
Bloodchamber-Wertung:

Tracklist

1. Tocsin
2. Géhenne
3. Désolation
4. Stella Rectrix
5. Alamüt

Die Bloodchamber meint:

Als ich vor etwas über drei Jahren meine CD-Sammlung im Bereich der Post Metal / Sludge Schublade aufzufüllen versuchte, stolperte ich zwischen Bestellungen von ISIS, ROSETTA und MOUTH OF THE ARCHITECT auf ein Cover, das mich sogleich in seinen Bann zog. „Ausserwelt“ hieß der Titel einer Veröffentlichung, die mir der Online-Versandhändler unter den Empfehlungen schmackhaft machte. Dass ausgerechnet dieser Release in der Folge ein langjähriger Begleiter für mich werden sollte, hatte ich da noch nicht auf dem Schirm. Ich fühlte mich beim Hören wie INCEPTION-Hero Dominick „Dom“ Cobb. Angespült an den Ufern des Limbus. Verloren in Gedanken und Träumen. Umschlossen von surrealen Gebilden. Aber vor allem schien die Welt um mich zusammenzubrechen. Tonnenweise brachen gewaltige Gesteinsbrocken aus Bergmassiven herab und stürzten in die Fluten. YEAR OF NO LIGHT erzeugten eine cineastische Landschaft vor meinem inneren Auge, die mich noch heute versinken lässt.

Nun folgt mit „Tocsin“ ein Nachfolgealbum das – wenn man die einleitenden Voraussetzungen betrachtet – auf hohe Erwartungshaltungen trifft. Die Franzosen sehen sich selbst weniger als Komponisten, sondern vielmehr als musikalische Architekten. Metal für die nächste Kathedrale – Hauptsache es hallt! Es verwundert daher nicht, dass sich das Sextett in der Vergangenheit verstärkt mit filmischen und theatralischen Projekten auseinandergesetzt hat. Das Stichwort „Soundtrack“ muss hier zwingend genannt werden. Denn trotz der natürlich vorhandenen Stilelemente, die eingangs genannt wurden, stellt die Band so etwas wie den Vertreter des „Cineastic Soundtrack Metal“ dar.

„Tocsin“ schließt auch genau dort an. Der Namensgeber des wieder komplett instrumental gehaltenen Albums sorgt für leinwandtaugliche Bilder im Kopf. Ein langsamer, unfassbar geduldiger Aufbau, der sich in einer immer fieser und düsterer werdenden Stimmung entlädt. Klanglandschaften, die mühevoll aufgebaut werden, nur um sie anschließend brachial einstürzen zu lassen. Für viele Hörer mag das zäh erscheinen, für Genrefreude allerdings wie ein faszinierendes Abenteuer. „Géhenne“ stellt dagegen meinen YEAR OF NO LIGHT Erwartungshorizont ziemlich auf den Kopf. Fast schon optimistisch-tanzbar schaukelt der Song in atypischer Manier dahin und wirkt – obwohl wahrscheinlich eingängiger als ein Großteil des üblichen Bandmaterials – geradezu verstörend. Möglicherweise wollten die Franzosen aber auch erst einmal beruhigen. Das abschließende Songtrio versteht es wiederum, den Hörer in die Untiefen des Limbus hinab zu ziehen. Vor allem „Désolation“ würde auf einem HANS ZIMMER O.S.T. gar nicht auffallen – zumindest gute fünf Minuten lang. Dann setzen sie wieder ein, diese abgrundtief verzerrten Gitarren, die beiden Schlagzeuge, das elegische und voller kleiner Details arrangierte Keyboard- und Elektronikspiel. Es gibt diese Momente, in denen man wirklich das Gefühl hat, YEAR OF NO LIGHT würden dem Hörer einen musikalischen Gedanken einimpfen. Und doch – um den Vergleich mit dem großen Hollywood-Blockbuster fortzusetzen – wartet man deutlich häufiger auf den „Kick“ als auf „Ausserwelt“. YEAR OF NO LIGHT scheinen sich phasenweise in ihrer selbst erschaffenen Atmosphäre zu verlieren. Die Gradwanderung zwischen Faszination und Schwermut ist äußerst gewagt. Man wird derart in gedankenverlorene Welten geworfen, dass man den Zugang verliert und die Musik fast schon wieder ausblendet. So ist vor allem „Alamüt“ im Grunde in seinen 13 Minuten öfter langweilig als aufregend. Nimmt man das gewöhnungsbedürftige „Géhenne“ dazu, hat man schon zwei von fünf Songs mit der Skiptaste versehen.

Harte Worte, die aber durchaus im Hinterkopf behalten werden sollten. „Tocsin“ ist ein insgesamt richtig starkes, instrumentales Ambient-Album, dass durch seine düsteren Sludge und Post Metal Elemente, sowie die cineastische Herangehensweise massenhaft Punkte sammeln kann. Es ist spannend, faszinierend, mitreißend und erhaben; in gewissen Momenten aber auch von gedankenverlorener Lethargie beseelt. Die Qualität des Vorgängers erreicht „Tocsin“ darüber hinaus nicht. Für Genrefreunde allerdings kein Hindernis. „Tocsin“ gehört definitiv in jedes gut sortierte Sludge/Post Metal Regal. Ich drehe jetzt mal meinen Kreisel. Mal sehen ob ich wach bin oder träume. Wäre schön, wenn mir ansonsten jemand mal einen „Kick“ verpassen könnte…
-