Nemesis Sopor - MMXL
Black Metal
erschienen am 17.02.2017 bei Geisterasche Organisation
dauert 57:13 min
Digisleeve-Version lim. 300
erschienen am 17.02.2017 bei Geisterasche Organisation
dauert 57:13 min
Digisleeve-Version lim. 300
Bloodchamber-Wertung:
Tracklist
1. Untertan 15:09
2. Saat 01:58
3. Herrscher 09:09
4. Despot 07:09
5. MMXL 06:53
6. Atarax 10:06
7. Zeit Der Sterne 06:50
Die Bloodchamber meint:
Setzt euch bequem, es wird ein wenig dauern. Nach dem bereits sehr ansprechenden 2014er Streich "Glas" legen NEMESIS SOPOR mit "MMXL" einen Nachfolger vor, der in mancherlei Hinsicht neue Wege beschreitet: Mit Geisterasche Organisation steht den Sachsen erstmals ein stilsicherer Vertriebspartner zur Seite, soundtechnisch machen die knapp 57 Minuten dank Necromorbus-Veredelung einen erstklassigen Eindruck und auch in Sachen Themenfindung sind die zum Vierer geschrumpften Dresdner auf ihrem dritten Langeisen dort angekommen, wo andere Vertreter eines lustvoll in altem Glanze erstarrenden Genres niemals einen Fuß auf den Boden bekommen dürften. Schauen wir uns das gute Stück also ein wenig näher an.
Einen frühen Hinweis auf die Ratlosigkeit, die NEMESIS SOPOR mit ihrer ideologiebefreiten Vorstellung von schwarzmetallischem Habitus auszulösen vermögen, liefert ironischerweise das Label selbst, indem es "MMXL" flugs unter dem verführerischen (und auch meinerseits gern genutzten) Terminus "Post Black Metal" ablegt. Was für eine erste Einordnung taugen mag, erweist sich auf den zweiten Blick schon als bedauerliche Verkürzung, denn "MMXL" ist trotz seiner scheinbar grenzgängerischen Ambitionen vom ersten Ton an genau und nur eines: Black Metal. Atmosphärischer zwar (man denke hier etwa an AGRYPNIE oder GEIST), aber dennoch zutiefst seelenschwarz, wenn es die wieder und wieder heranbrandende knochenbleiche Garstigkeit lustvoll mit melodischen Ornamenten und relaxt rockenden "Alles wird gut"-Versprechen kontrastiert. Wenn es nach derlei stimmungsbildenden Interludes die monumental riffende Faust umso druckvoller durch den bebenden Brustkorb treibt. Wenn es sich sprachlich an George und Trakl orientiert, um den Aufstieg künstlichen Bewusstseins im Heute und Morgen zu umdenken. Das mag in Kombination zwar ungewohnt sein, doch ist es mitnichten Post, Experimental oder Avantgarde. Hier zeigen sich vielmehr Anzeichen einer Leidenschaft, die musikalische Darbietung und Botschaft gleichermaßen wertschätzt. Genau der Stoff also, aus dem (nicht nur) Black Metal idealerweise zu Form und Leben kommt.
Musikalisch setzen die Kompositionen zunächst auf bewährte Ingredienzen: Minimal verwaschene Tremologitarren sorgen für Textur, der mixseitig hervorragend inszenierte Bass verleiht auch längeren Aufstiegen stets eine gewisse Lebendigkeit, während sich die gleichfalls superb tönenden Drums in vergleichsweise songdienlichen Wassern umtun. Letztere reichen von Blastexkursionen und satten Doublebassausfahrten bis hin zu intimen Stelldicheins, die ganz entscheidend vom bewussten Verzicht leben. Über dem so gelegten Fundament tummeln sich dann je nach Stimmung semi-verzerrte Gitarrenintermezzi und offen gespielte Rockgitarren (wie man sie etwa von EIS kennt), DSBM-lastige Sorrowleads, ansatzweise folkloristische Zupfereien und immer wieder eine Vielzahl verklärt hallender Saitentöne, die ihre gleichermaßen gliedernde und verbindende Wirkung mitunter erst nach mehreren Durchläufen preisgeben.
Idealtypisch agieren NEMESIS SOPOR in Tracks wie dem viertelstündigen Opener oder auch "Herrscher", wobei gerade zweitere Nummer ein Lehrstück für emotional packende Komposition ist: Ausgehend vom besinnlichen "Saat" bricht sich der Track mit einem unglaublich monumentalen Midtemporiff Bahn, das in Verbindung mit kongenialem Drumpattern und der nicht nur hier makellosen Gesangsdarbietung zum triumphalen Durchmarsch gerät. Nach kurzem Innehalten und erneutem Ansturm wähnt man sich schließlich am Ende allen Wünschens und versinkt in pastoraler Selbstbetrachtung, während am Horizont schon der Schatten des nahenden Despoten dräut.
Im Gegensatz dazu stehen Stücke wie der beinahe instrumentale Titeltrack mit seinem erwartungsvollen Grundtenor, dessen Funke sich gegen Ende in leidenschaftlicher Raserei entladen darf. Oder das sogartig anschwellende Prachtstück "Atarax" (mit dem schönsten Mikrobreak der Scheibe), das gleichermaßen ziellos und von melancholischer Sehnsucht durchzogen wirkt: "Zu unbekannten Ufern brechen wir auf ohne uns..." - in solchen Momenten finden musikalischer Ausdruck und lyrischer Gehalt so mühelos zueinander, dass man letzteren fast aus dem Auge verliert und damit einen wichtigen Aspekt des Albums zu verpassen droht. Die metaphernreich zwischen Weltenende und technomantischem Elysion pendelnde Lyrik gehört nämlich nicht nur aufgrund der makellosen Darbietung von RS zu den Glanzpunkten, sondern besticht jenseits von Science Fiction und Cyborgs mit philosophischen Fragestellungen im Spannungsfeld von Mensch und Maschine.
Ein Konzept dieser Tragweite ist angesichts der zur Debatte stehenden Zeiträume und der zu verhandelnden Konkursmasse kein leichtes Brot, was NEMESIS SOPOR sehr gut wissen: "MMXL" bietet keine feststehende Erzählung, sondern einen so informierten wie flüchtigen Blick auf jenes singuläre Ereignis, in dessen Zuge eine künstliche Intelligenz dem menschlichen Geist erstmals ebenbürtig (und kurz darauf haushoch überlegen) sein wird. Und natürlich auf das, was diese Erfahrung mit Wesen machen könnte, die uns ähnlich sind. Oder besser: Die - angesichts der verbleibenden knapp 25 Jahre - essenziell wir selbst sein werden. Für mich persönlich vielleicht das spannendste Thema dieser Zeit und in derart hochwertiger Umsetzung die Schwarzkirsche auf der Endzeittorte.
Wer sich nach dieser wortreichen Rezension fragt, wo denn die musikalischen Feinheiten und einschlägigen Referenzen sind, sei hiermit um Vergebung gebeten: "MMXL" hat ein über die reine Performance hinaus gehendes Potenzial und das zugrunde liegende Konzept nebst eindringlicher Sprache sind Federn an der intellektuellen Fußsohle, die das kompositorische Bauchgefühl vorzüglich ergänzen. Das aus dieser Liasion resultierende Kitzeln zu übergehen wäre unangemessen, was sich letzten Endes in der Besprechung niederschlägt.
Jenseits von derlei Interpretationen fällt "MMXL" deutlich gestraffter als noch "Glas" aus, wenngleich die Dresdner ihrer vergleichsweise epischen Herangehensweise treu geblieben sind. Freunde atmosphärisch dichten Schwarzmetalls sollten sich daher einen Gefallen tun und zugreifen. Den Teaser findet ihr hier:
"MMXL"-Teaser bei Youtube
Einen frühen Hinweis auf die Ratlosigkeit, die NEMESIS SOPOR mit ihrer ideologiebefreiten Vorstellung von schwarzmetallischem Habitus auszulösen vermögen, liefert ironischerweise das Label selbst, indem es "MMXL" flugs unter dem verführerischen (und auch meinerseits gern genutzten) Terminus "Post Black Metal" ablegt. Was für eine erste Einordnung taugen mag, erweist sich auf den zweiten Blick schon als bedauerliche Verkürzung, denn "MMXL" ist trotz seiner scheinbar grenzgängerischen Ambitionen vom ersten Ton an genau und nur eines: Black Metal. Atmosphärischer zwar (man denke hier etwa an AGRYPNIE oder GEIST), aber dennoch zutiefst seelenschwarz, wenn es die wieder und wieder heranbrandende knochenbleiche Garstigkeit lustvoll mit melodischen Ornamenten und relaxt rockenden "Alles wird gut"-Versprechen kontrastiert. Wenn es nach derlei stimmungsbildenden Interludes die monumental riffende Faust umso druckvoller durch den bebenden Brustkorb treibt. Wenn es sich sprachlich an George und Trakl orientiert, um den Aufstieg künstlichen Bewusstseins im Heute und Morgen zu umdenken. Das mag in Kombination zwar ungewohnt sein, doch ist es mitnichten Post, Experimental oder Avantgarde. Hier zeigen sich vielmehr Anzeichen einer Leidenschaft, die musikalische Darbietung und Botschaft gleichermaßen wertschätzt. Genau der Stoff also, aus dem (nicht nur) Black Metal idealerweise zu Form und Leben kommt.
Musikalisch setzen die Kompositionen zunächst auf bewährte Ingredienzen: Minimal verwaschene Tremologitarren sorgen für Textur, der mixseitig hervorragend inszenierte Bass verleiht auch längeren Aufstiegen stets eine gewisse Lebendigkeit, während sich die gleichfalls superb tönenden Drums in vergleichsweise songdienlichen Wassern umtun. Letztere reichen von Blastexkursionen und satten Doublebassausfahrten bis hin zu intimen Stelldicheins, die ganz entscheidend vom bewussten Verzicht leben. Über dem so gelegten Fundament tummeln sich dann je nach Stimmung semi-verzerrte Gitarrenintermezzi und offen gespielte Rockgitarren (wie man sie etwa von EIS kennt), DSBM-lastige Sorrowleads, ansatzweise folkloristische Zupfereien und immer wieder eine Vielzahl verklärt hallender Saitentöne, die ihre gleichermaßen gliedernde und verbindende Wirkung mitunter erst nach mehreren Durchläufen preisgeben.
Idealtypisch agieren NEMESIS SOPOR in Tracks wie dem viertelstündigen Opener oder auch "Herrscher", wobei gerade zweitere Nummer ein Lehrstück für emotional packende Komposition ist: Ausgehend vom besinnlichen "Saat" bricht sich der Track mit einem unglaublich monumentalen Midtemporiff Bahn, das in Verbindung mit kongenialem Drumpattern und der nicht nur hier makellosen Gesangsdarbietung zum triumphalen Durchmarsch gerät. Nach kurzem Innehalten und erneutem Ansturm wähnt man sich schließlich am Ende allen Wünschens und versinkt in pastoraler Selbstbetrachtung, während am Horizont schon der Schatten des nahenden Despoten dräut.
Im Gegensatz dazu stehen Stücke wie der beinahe instrumentale Titeltrack mit seinem erwartungsvollen Grundtenor, dessen Funke sich gegen Ende in leidenschaftlicher Raserei entladen darf. Oder das sogartig anschwellende Prachtstück "Atarax" (mit dem schönsten Mikrobreak der Scheibe), das gleichermaßen ziellos und von melancholischer Sehnsucht durchzogen wirkt: "Zu unbekannten Ufern brechen wir auf ohne uns..." - in solchen Momenten finden musikalischer Ausdruck und lyrischer Gehalt so mühelos zueinander, dass man letzteren fast aus dem Auge verliert und damit einen wichtigen Aspekt des Albums zu verpassen droht. Die metaphernreich zwischen Weltenende und technomantischem Elysion pendelnde Lyrik gehört nämlich nicht nur aufgrund der makellosen Darbietung von RS zu den Glanzpunkten, sondern besticht jenseits von Science Fiction und Cyborgs mit philosophischen Fragestellungen im Spannungsfeld von Mensch und Maschine.
Ein Konzept dieser Tragweite ist angesichts der zur Debatte stehenden Zeiträume und der zu verhandelnden Konkursmasse kein leichtes Brot, was NEMESIS SOPOR sehr gut wissen: "MMXL" bietet keine feststehende Erzählung, sondern einen so informierten wie flüchtigen Blick auf jenes singuläre Ereignis, in dessen Zuge eine künstliche Intelligenz dem menschlichen Geist erstmals ebenbürtig (und kurz darauf haushoch überlegen) sein wird. Und natürlich auf das, was diese Erfahrung mit Wesen machen könnte, die uns ähnlich sind. Oder besser: Die - angesichts der verbleibenden knapp 25 Jahre - essenziell wir selbst sein werden. Für mich persönlich vielleicht das spannendste Thema dieser Zeit und in derart hochwertiger Umsetzung die Schwarzkirsche auf der Endzeittorte.
Wer sich nach dieser wortreichen Rezension fragt, wo denn die musikalischen Feinheiten und einschlägigen Referenzen sind, sei hiermit um Vergebung gebeten: "MMXL" hat ein über die reine Performance hinaus gehendes Potenzial und das zugrunde liegende Konzept nebst eindringlicher Sprache sind Federn an der intellektuellen Fußsohle, die das kompositorische Bauchgefühl vorzüglich ergänzen. Das aus dieser Liasion resultierende Kitzeln zu übergehen wäre unangemessen, was sich letzten Endes in der Besprechung niederschlägt.
Jenseits von derlei Interpretationen fällt "MMXL" deutlich gestraffter als noch "Glas" aus, wenngleich die Dresdner ihrer vergleichsweise epischen Herangehensweise treu geblieben sind. Freunde atmosphärisch dichten Schwarzmetalls sollten sich daher einen Gefallen tun und zugreifen. Den Teaser findet ihr hier:
"MMXL"-Teaser bei Youtube