Welch' Album, welch' Verwirrung: "Dol Guldur" war für mich sozusagen Initialzündung und Schock in einem, da ich zum damaligen Zeitpunkt eher Dark Funeral, Amorphis und frühen Thy Serpent zugetan war, und beim Bestellen dieser Scheibe das einmal mehr gelungene Cover den Ausschlag gab. Entsprechend gross war die Ernüchterung, als mit "Nightshade Forests" dann gleich mal 11 Minuten Musik anstanden, die irgendwie durchweg nach Intro klangen - keine Raserei, kein Geknüppel, nix. Die Frage war: Wann geht's endlich los?
In diesem Moment ist allerdings das Wichtigste bereits passiert: Wenn einen diese Scheibe nur am Rockzipfel erwischt, dann kommt man nicht mehr davon los - zu verlockend sind die träumerischen Melodien der Pfeifen und Hörner, zu weit die klassisch inspirierte Orchestrierung der nebelverhangenen Landschaften, und dazu pulsiert der ruhige, stete Takt nächtlicher Trommeln, der den düster gekrächzten und geflüsterten Legenden zu betörendem Eigenleben verhilft. Das Fundament aus elektrischen Gitarren ist zwar noch präsent, hat auf "Dol Guldur" aber vermehrt dekorativen Charakter und sorgt mit einfachen Riffs für schwarzmetallische Untermalung der bombastischen Arrangements.
Der auf "Minas Morgul" angedeutete Weg findet hier auch zu vollkommener Blüte, was die Kunst der rezitativen Wiederholung und das Ausloten atmosphärischer Eleganz betrifft. Die überlangen Songs (9-11 Minuten) wirken dabei trotz vielfältiger Details hinsichtlich Instrumentierung und Percussion wie aus einem Guss, sie zelebrieren ihre eigene Vielschichtigkeit, indem sie die einzelnen Fäden entwirren und reduzieren, nur um sie anschliessend wieder zu einem mächtigen Strom zusammen zu führen, der den Hörer atemlos und entspannt zugleich hinterlässt.
"Dol Guldur" ist der schwarze Hauch des Ringgeistes, das Feuer in den Gruben von Moria und der Wind zwischen den Blättern Lothloriens - eine zeitlose Wanderung, die ihr euch nicht entgehen lassen solltet...