Alcoholika La Christo - Toxicnology Part 1 & 2

Alcoholika La Christo - Toxicnology Part 1 & 2
Gothic / Industrial
erschienen am 15.09.2006 bei Locomotive Music
dauert 72:54 min
Bloodchamber-Wertung:

Tracklist

1. Glamours day of Suicide
2. Toxicnology
3. Etienne
4. Industrial messiah
5. Mi sangre
6. Desolation
7. La Bestia
8. Souffrir
9. Crimelinks
10. Dunkel heit
11. Depression
12. Tristezza
13. Trance la Mort
14. Raza la Bronce
15. Desolate
16. Nazischwein
17. Pene tration
18. Hannibal
19. Suenos
20. Witchcraft
21. Matador
22. Hiden Track

Die Bloodchamber meint:

Meine Güte – Was ist mir denn da untergekommen? Das neuste Album einer Ein-Mann-Gothic-Industrial-Band aus Bolivien – Südamerika, für die, die es nicht wissen -, deren Songs englische, spanische, französische und deutsche Elemente enthalten und außerdem neben einigen unerwarteten Stilbrüchen und Tabus auch noch folklorische Anspielungen aufweisen können. Der erste Gedanke: „Hm, wie viele Kolonialmächte gab es in Bolivien?“ Naja, egal… Das alles klingt nicht nur durchgeknallt, es stellt sich auch sehr schnell heraus, dass es das auch in maßloser Schonungslosigkeit ist. Wunderbar, dass das Album bei mir gelandet ist, denn so mancher nicht ganz so geneigte Kollege würde wohl bei diesem 22 Tracks umfassenden Wahnsinn spätestens nach der Hälfte oder dem ersten richtig ekligen Stimmungsbruch resignieren und dieses kongeniale Meisterwerk würde ohne jegliche Chance in der „nicht-hörbar-Ecke“ verschwinden.

Leider dürfte die Schmerzgrenze bei vielen schon beim dritten Song erreicht sein, denn nach dem dramatisch-düsteren, mit Babygeschrei, verzerrten Stimmen und Hammerschlägen unterlegten Introszenario und dem Titletrack, der nicht nur wegen des häufigen Gebrauchs des englischen f-Wortes sehr stark an eine industrielle Sepulturaunterart erinnert, wird es richtig ekelhaft. Nachdem eine Art Jahrmarktorgel auf fortissimo für die ordentliche Partystimmung gesorgt hat, driftet alles in den, von Latinovocals der übelsten Sorte begleiteten, poppigen Bereich ab. Wer diese Strophe und die weitere übersteht wird dafür mit dem wiederum von erwähnter Orgel begleiteten, mit richtig harten Vocals unterlegten Refrain belohnt, der mächtig Stimmung macht. Begleitet wird das Ganze von diversen gesampleten weiblichen Vocals und maschinellen Geräuschen, wie sie immer wieder auf der Ganzen Platte prächtig großzügig verteilt vorkommen.

Das Klangbild ist jedenfalls auf dem „Toxicnology Part I“ – Abschnitt durchgehend recht durchgeknallt und teilweise unerhört erdrückend. Die Samples sind sehr abgefahren, ordentlich komponiert und lassen ständig aufhorchen. Mitunter ist das Klanggefüge dermaßen komplex und fast schon überfüllt, dass man sich ausschließlich durch das oft extrem schnelle industrial-typische Riffing einen roten Faden durch das angenehme Chaos legen kann. Doch das gilt bei weitem nicht für alle Songs. Jedes Lied ist ein im durchschnitt etwa 3 minütiges Erlebnis, wobei die Vielfalt wirklich bemerkenswert ist. Nach einem zumeist gesampleten Einstieg wird in der Regel entweder das entstandene Gebilde durch heftigstes Gebolze und Geschrei über den Haufen geworfen, oder man durchläuft durch abstruse Gesangsparts, Samples oder auch südamerikanisch typische Rhythmen die verschiedensten Stimmungen. Mal fühlt man sich wie umringt von Trillerpfeifen und gerufenen Marschrhythmen in einem Stadion auf einem Kreuzzug durch Polizeibarrikaden gegen einen Schiri, der gerade eine Fehlentscheidung gegen die Heimmannschaft getroffen hat, mal versinkt man in traurig träumerischen Welten, die auf Französisch wie von Alizee besungen zu werden scheinen.
Manche Songs klingen nach Ministry, andere nach Sepultura, wieder andere nach verschiedensten Elektro- und Gothicacts oder eben nach etwas ganz anderem.
Es klingt zwar fast unmöglich, aber die Band hat es wirklich geschafft, ein gelungenes Gleichgewicht aus Gothic und Industrial herzustellen und einen eigenen, jederzeit erkennbaren Charakter in den Songs zu hinterlassen. Brutalität geht Hand in Hand mit Gefühl – nicht gerade selten auch innerhalb eines einzigen, kurzen Songs.
Besonders auffällig und erwähnenswert ist vielleicht das Lied „Dunkel heit“, das nicht nur einen deutschen Titel trägt, sondern auch noch in sehr unorthodoxer Betonung von einem leicht abgewandelten, deutschen „Vater unser“, gesprochen von einer scharfen und selbstbewusst klingenden jungen Dame, eingeleitet wird. Tituliert wird das Ganze auf der Stelle mit „Gebet eines abgefuckten Junkies“. Der weitere Ablauf ist begleitet von Polizeisirenen im Hintergrund, Samples und harten Männervocals. Währendessen zählt selbige Frauenstimme eine Fülle von düsteren, gefühlsbetonten deutschen Worten auf. Die Beschreibung sollte für sich sprechen – es wird nicht langweilig.

Als Übergang für den zweiten Teil des Albums bietet sich der herausragende Song „Depression“ an, der dank der atmosphärischen Keys und des mitreißenden Refrains stark an Project Pitchfork erinnert, da „Toxicnology Part II“ etwas gefühlsbetonter und weniger experimentell ausfällt. Die Exotik verschwindet und ein fundamentiertes, fast schon erschreckend europäisch meisterliches Gothicgebilde erhebt sich aus dem wundervollen Einklang aus Keys, Riffing und sehr viel Seele. Dieser Eindruck bleibt dank sehr gut eingesetzten weiblichen Vocal-Samples, die eine sinnlich, verführerische Note hinterlassen bis zum fünften Lied „Nazischwein“ bestehen. Hier geht es wieder räudig, agressiv, brutal und knallhart industrial zur Sache.
Ohne weiter auf Einzelheiten einzugehen, soll nur noch erwähnt sein, dass im weiteren Verlauf einige Perversionen, Gefühlschaos, Pop-Rock und alptraumhafte Repetitionen abgehandelt werden – hach, ein Traum!
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