In The Woods... - Heart Of The Ages

In The Woods... - Heart Of The Ages
Avantgarde Black Metal
erschienen in 1995 bei Misanthropy
dauert 59:07 min
Bloodchamber-Wertung:

Tracklist

1. Yearning The Seeds Of A New Dimension (12:24)
2. HEart Of The Ages (8:23)
3. ...In The Woods (7:50)
4. Mourning The Death Of Aase (3:33)
5. Wotan's Return (14:52)
6. Pigeon (3:01)
7. The Divinity Of Wisdom (9:08)

Die Bloodchamber meint:

Mitte der 90er in Thüringen: Die Schule ließ genügend Zeit für ausgedehnte Sommernächte in Wald und Flur, der Geist war im besten Sinne unbeschwert und wenn man zusammen am Feuer saß, der Mond schwer in den Tannen hing und die Frösche am nahen Weiher sangen, dann schien das Leben in jeglicher Hinsicht intensiver zu sein, als man je zu träumen wagte. Den Soundtrack zu diesem Fühlen und Denken lieferten Bands wie ULVER ("Bergtatt", "Kveldssanger"), NAGLFAR ("Vittra") und EMPYRIUM ("A Wintersunset..."), SUMMONING veröffentlichten ihr wegweisendes Album "Minas Morgul", während LIMBONIC ART dem tiefschwarzen Metall mit "Moon In The Scorpio" völlig neue atmosphärische Dimensionen eröffneten.
IN THE WOODS..., eine damals nahezu unbekannte Formation aus Norwegen, betrat mit ihrem Debüt also fruchtbares Land und schaffte es, dieser Epoche - nicht nur im subjektiven Empfinden - ihren ganz eigenen Stempel aufzudrücken: Wenn man einen Klassiker daran misst, inwiefern er zu seiner Zeit einzigartig und unverfälscht unter anderen aufragt, welche Türen er öffnete und welche Stimmungen er auf neue Art und Weise auszudrücken vermochte, dann ist "HEart Of The Ages" vielleicht einer der Klassiker schlechthin.

Musikalisch verband das Künstlerkollektiv auf seinem Erstling die harsche Kälte des Blackmetals mit Stilmitteln, die man mittlerweile wohl als Paganmetal bezeichnen würde, führte progressive Songstrukturen jenseits von Vers-Chorus ein und rundete die Mixtur mit damals unerhörten Keyboardpassagen nebst Frauengesang ab. Das bis heute Fesselnde daran ist die Tatsache, dass "HEart Of The Ages" bei aller Entwicklung, bei allem Stimmungswandel, zutiefst organisch klingt und Zeugnis von einem in dieser Form unerreichten, romantisch-realistischen Naturverständnis ablegt.
Der knapp 13-minütige Opener "Yearning..." lockt den Hörer zunächst mit sphärischen Keyboardtupfern, steigert sich dann über ein doomig anmutendes Riff samt klagender Leadgitarre in einen wanderliedartigen Part mit majestätischem Klargesang, um nach einer geflüsterten Zäsur den emotionalen Hammer auszupacken: Begleitet von einem so erlösenden wie markerschütternden Schrei treibt das Schlagzeug den Song in gemässigte Schwarzwurzelgefilde samt flächigen Riffs und klaren Leadgitarren, bevor ab der 9-Minuten-Marke eisige Kälte die Oberhand gewinnt und abschließend das Anfangsthema wieder aufgegriffen wird. Die entsprechenden Stimmlagen reichen von jener rabenhaft kreischenden Höhe, die Jens Rydén auf "Vittra" nur selten erreichte, bis hin zu episch-klagendem Klargesang und heiserem Flüstern, was den natürlichen, sich stetig wandelnden Charakter der Musik perfekt ergänzt.
"HEart Of The Ages" kommt anschließend etwas weniger dramatisch daher, spielt mit klaren Chören, Grillenzirpen und naturverbundenen Harmonien und verströmt vielleicht deswegen den Geist der heute als Pagan oder Heathen Metal bekannten Subgenres. Das erneut sinfonische Outro leitet über zur Bandhymne, die neben Black'n'Roll-Anflüge genuinen Schwarzmetall und infernalisches Gekreisch setzt, bevor man gegen Ende kurz in Richtung ANATHEMA driftet, die ja mit "Silent Enigma" ebenfalls gerade eine prägende Scheibe veröffentlicht hatten. Und wo wir gerade bei anderen Bands sind: Wenn THERION ihren ein Jahr später erschienenen Song "Siren Of The Woods" nicht zumindest an das atmosphärische, von weiblichem Gesang getragene "Mourning The Death Of Aase" angelehnt haben, schreibe ich demnächst nur noch zweiseitige Reviews.
Mit "Wotan's Return" folgt die zweite Langnummer, ein ziemlich wilder Ritt durch sämtliche Klangfarben dunkler Musik, erneut durch ein rein elektronisches Intermezzo aufgelockert und mit ebenso stimmungsvollen wie seltenen Pianoklängen aufwartend. Den Ausklang der aufwühlenden Reise besorgt nach dem fragilen Streicher/Piano-Instrumental "Pigeon" schließlich "The Divinity...", eine trotz gelegentlicher Ausbrüche getragene Ode an die Fähigkeit, das Glück in der eigenen Existenz zu erkennen, statt sich in ewiger Suche nach dem Unerfindlichen aufzureiben.

"HEart Of The Ages" nimmt euch mit auf eine Reise, die von der Schönheit Norwegens, von alten Göttern und den Tiefen des Ichs einen Bogen zu philosophischen Fragen nach Sinn und Verstehen schlägt, die sich an Mythen aufrichtet, um sie im nächsten Moment ihrer Patina zu entkleiden und auf dem Tablett der Moderne zu sezieren. IN THE WOODS... beschäftigen sich hier auf zutiefst spirituelle Weise mit ewigen Fragen und bieten statt Antworten neue Blickwinkel - eine lyrisch und musikalisch visionäre Leistung, für die nur eine Wertung in Frage kommen kann.
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