PROLOG
Es war wohl so gegen 7:00 Uhr am Morgen, als mich das schrille Plärren des Telefons aus mehr oder weniger jugendfreien Träumen riss. Die Großstadtsonne gähnte bereits durch's Fenster, ließ ihr gnadenloses Licht über den Sauladen wandern, den ich seit geraumer Zeit Büro nannte und ich dachte nur: 'Zu früh, verdammt; viel zu früh!'. Ein Blick auf's Kanapee verriet mir zudem, dass Helga bereits gegangen war – dabei hatte ich insgeheim schon ein wenig mit Frühstück gerechnet...
Egal. Nachdem die bei erfolglosen Privatdetektiven scheinbar unvermeidliche Whiskyflasche ihren Weg in den Papierkorb gefunden hatte – einen Korb übrigens, der trotz seines Namens erstaunlich wenig Papier enthielt – angelte ich in freudiger Erwartung eines Feindbildes nach dem Hörer des Telefons: ''Ja, bitte? Ich hab Schädel wie Hanne, Scheisslaune und das Tier in meinem Mund hat sich bisher auch noch nicht vorgestellt – also ist es besser wichtig!'' - ''Verzeihung, das hab ich nicht gewollt...'', sagte eine seltsam dünne Stimme am anderen Ende, ''...naja, vielleicht rufe ich besser später noch einmal an.'' - ''Ja nee, lass mal stecken. Oder denkste, ich leg mich jetzt nochmal hin und zähl' Dönertiere? Das hättest du dir schon früher überlegen müssen!''
Seltsam, wie schnell mich der Klang einer kraftlosen Stimme immer wieder dazu brachte, mir vollkommen unbekannte Personen von oben herab zu duzen. Mit nicht ganz ruhigen Fingern fischte ich eine Goldfield aus der Packung und zündete sie an. ''Wer bist'n überhaupt?'', fragte ich, während Rauch und Flugstaub im bleichen Licht des Morgens eine unheilige Allianz eingingen. - ''Aber aber, Mister Zahl – Sie sollten das Prozedere bereits kennen: Mein Name tut nichts zur Sache, ich habe lediglich das Geld, welches Sie so dringend benötigen und mehr müssen Sie für den Moment nicht wissen.''
Das konnte ich schon immer leiden: Warum besassen andere Leute das Geld, welches ich so dringend benötigte – also eigentlich mein Geld – und entblödeten sich obendrein nicht, mir eben diesen Fakt genüsslich unter die Nase zu reiben? Warum hatten andere Leute überhaupt irgendetwas, was ich im Laufe meines Lebens jemals brauchen würde und warum, zum Teufel, hatte Helga die Pfandflaschen mitgenommen? Ist das Gerechtigkeit?
''Soso, Smartie.'', motzte ich zurück, ''Und was verleitet dich zu der Annahme, dass ich deine Kohle auch nur mit dem kleinen Finger anrühren würde?'' - ''Nun, Mister Zahl, es ist nicht nur das Geld. Ich habe gestern etwas gefunden, das das Engagement und die Einsatzbereitschaft ihrerseits enorm steigern sollte...'' - ''Und das wäre?'' - ''Sagt ihnen der Name Slayer etwas?''
Slayer..., Slayer? - SLAYER! - Mein Herz setzte kurz aus. ''Nö, kenn ich nicht.'', wiegelte ich ab, während ich die Götter des Metal lautlos um Verzeihung anflehte und begann, mich im Zimmer umzusehen. - ''Das ist aber seltsam, Mister Zahl; schliesslich tragen Sie seinen Namen auf einem Kleidungsstück mit sich herum...''
Ich sank augenblicklich zusammen. Konnte es tatsächlich sein...? Von der Tür meines Zimmers erstreckte sich die nach einer durchzechten Nacht übliche Kleidungsspur in Richtung Bett. Allerdings gab es einen Schönheitsfehler: Etwa einen Meter vor dem Bett tat sich eine Lücke genau an der Stelle auf, wo normalerweise ein T-Shirt liegen sollte! Flüstersmartie hatte mich bei den Eiern, wie es schien...
Prompt holte mich seine dünne Stimme in die Realität zurück: ''Wie steht es nun, Zahl? Haben Sie etwas Zeit, damit wir uns treffen können?''
Ich überlegte kurz, aber im Grunde gab es keine Alternative: ''Wenn das so ist'', sagte ich langsam, ''dann schlag' ich vor, du schwingst die Hufe und wir setzen das Ganze in meinem Büro fort. Wäre fantastisch, wenn du unterwegs an 'nem Geldautomaten vorbeikommst...'' - ''Natürlich, wir treffen uns dann in etwa einer halben Stunde bei Ihnen. Auf Wiedersehen!''
'Jaja. From hell, du Wurm!', dachte ich so bei mir, schleuderte den Hörer auf die Gabel und federte vom Sessel, um mich etwas – wie sagt man? - frisch zu machen. Auf dem Weg zum Bad kam ich am Bett vorbei und blickte erneut fassungslos auf die leere Stelle. In der Luft hing ein bittersüsser Hauch von Flieder, ein Hauch von Verrat – und ich konnte Helga aus der Ferne leise lachen hören...
''SCHMERZLICH WILLKOMMEN!''
Als es läutete, hatte ich bereits annähernd humanen Zustand erreicht und überdies eine Mordswut im Bauch. Ich betätigte den Summer, lehnte die blickdicht verglaste Tür mit meinem Firmenzeichen leicht an und schaute noch einmal kurz in den Spiegel, bevor ich mich lässig im Sessel plazierte. Sollte Smartie ruhig kommen! Mein Brecheisen war heute jedenfalls in Konversationslaune...
Nach endlosen Minuten, die ich nutzte, um der Dramatik wegen die Holzjalousie herabzulassen, quietschte die Bürotür dann endlich in ihren Angeln, schwang auf – und schloss sich wieder. Einfach so...
Ich war ein wenig verwirrt. Normalerweise war das Öffnen einer Tür nahezu untrennbar mit dem Eintreten einer Person verbunden, umso mehr, wenn man sich mit eben jener Person verabredet hatte. Doch während ich noch mit einem weiteren zerfallenden Weltbild haderte, vernahm ich auch schon ein Rascheln und kurz darauf drang durch das gedämpfte Licht die bekannte Fistelstimme from hell an mein Ohr: ''Mister Zahl? Wir hatten bereits fernmündlich das Vergnügen und ich bin erfreut, nun endlich ihre persönliche Bekanntschaft zu machen...''
Ich richtete mich auf, lugte vorsichtig über den Rand der auf Hochglanz polierten Pressspanplatte und fiel beinahe von Stuhl: In der Mitte des Raumes stand ein etwa zehn Zentimeter grosses Ding und blickte mich vom Angorateppich mit seinen schmalen Augen so erwartungsvoll an, dass ich mich beinahe geschmeichelt fühlte. Im selben Augenblick fiel mir jedoch wieder ein, dass eben jenes Flauschdingens die Fäden bei der Entführung meiner Fanartikel gezogen hatte und meine Züge wurden umgehend etwas kantiger, gnadenloser.
''Aha, da biste ja. Soll ich dir gleich das Esszimmer umbauen oder willst du erst versuchen, dich noch weiter reinzureiten?'' - ''Ich denke nicht, dass Sie in der Lage sind, mir zu drohen'', liess der dreiste Zwerg sich vernehmen, ''und ich hoffe inständig, dass wir die Sache friedlich beilegen können.'' - ''Jaja, die Hoffnung stirbt zuletzt!'', fuhr ich das am ganzen Körper bepelzte Etwas an, ''Aber jetzt mal Butter bei die Fische: Wo ist mein Shirt? Und sag nicht, du hättest es in der Hosentasche!''
Seine Gelassenheit war mir etwas unheimlich. Er sah mich kurz an und zauberte eine Flasche Bier aus dem Nichts: ''Sie müssen mich begleiten, Zahl. In Dresden steigt ein DeathMetal-Konzert und ich bin minderjährig, was in mancherlei Hinsicht von Nachteil ist. Sie werden sich folglich als meine Aufsichtsperson zur Verfügung stellen und überdies die Bierflaschen transportieren, da meine Grösse mir diesbezüglich enge Grenzen setzt. Sofern Sie damit einverstanden sind, wird ihrem Shirt nichts passieren und das Bier wird in dieser einen Nacht fliessen, wie Milch vom Euter der Heiligen Kuh. Sollten Sie sich allerdings als Widerporst erweisen...''
Er brauchte den Satz nicht zu beenden, denn ich war bereits geschlagen. - ''Wann geht's los?'', fragte ich ihn. Ein kaum merkliches Grinsen umspielte seinen Mund, als er die Bierflasche öffnete: ''Sie sollten packen, der Fahrer ist in zehn Minuten hier.''
Ob die beiden die Heilige Kuh finden, wie gross die Tschechei wirklich ist und was eigentlich Helga den ganzen Tag gemacht hat, erfahrt ihr demnächst im zweiten Teil...