Je älter eine Szene ist, desto ferner rückt der Anfang, ihr Ursprung und die Einflüsse, die zum Entstehen führten. Und je weiter wir in der Zeit fortgeschritten sind, desto stärker neigen wir dazu, die Vergangenheit zu verklären und Mythos umzugestalten. Nirgends wird dies deutlicher als bei der zweiten Welle des Black Metal in Norwegen, die nicht nur Anlass zu diversen Buchveröffentlichungen und Dokumentationen wurde, sondern inzwischen auch dabei ist, den
Weg ins Kino zu vollziehen. Ein wenig unspektakulärer gestaltet es sich bei den schwedischen Nachbarn und der dort ansässigen Extremmetalszene, obwohl die dortigen Ereignisse in der zweiten Hälfte der 80er Jahre für die Entwicklung extremen Metals mindestens genau so wichtig waren. Aber es fehlt wahrscheinlich der entscheidende Skandal. Wenn man über die Anfänge des Death Metal in Nordeuropa berichtet, dann geht es eben vornehmlich um Musik und deshalb wird diese künstlerische Epoche wohl auch nie in einer Hollywoodproduktion ausgeschlachtet werden.
Auch wenn der haarsträubende Aufhänger fehlt, kann man sich dennoch sehr sachkundig darüber informieren, wie es eigentlich dazu kam, dass neben den USA ausgerechnet Schweden zum Zentrum einer Entwicklung wurde, die einen musikalischen Extremismus pflegte, wie ihn die Welt bislang noch nicht gesehen hat. Einen differenzierten Überblick hierzu bietet das Buch
Schwedischer Death Metal von Daniel Ekeroth. Der Autor ist Jahrgang 1972 und hat in diversen Bands Bass gespielt, darunter DELLAMORTE, INSISION oder USURPRESS. Er hat also all die Streetcredibility, um in ihm nicht bloß jemanden mit akademischem Interesse am Thema, sondern einen unmittelbar Beteiligten zu sehen. Und genau das ist die große Stärke von „Schwedischer Death Metal‟. Das Buch holt den Leser sehr nah an die Anfänge der Szene heran und lässt vor allem die Beteiligten selbst sprechen. Ekeroth hat hierfür eine Unmenge an Interviews geführt, die dem Buch als Basis dienen. Zu einem beträchtlichen Teil darf man den thematisch sortierten Originalwortlaut von Musikern lesen, wenn es um die Beschreibung eines Konzerts, eines Demos oder einer Person geht. Dabei werden oftmals auch mehrere Perspektiven nebeneinandergestellt, um die Darstellung nicht zu einseitig werden zu lassen.
Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf den Anfängen. Wer sich unter dem recht allgemein gehaltenen Titel eine Gesamtdarstellung vorstellt, hat Pech gehabt. In dem Moment, in dem sich die Szene international etabliert hat, endet das Buch auch schon. Ein großes Verdienst von Ekeroth ist es, mit unheimlicher Akribie deutlich zu machen, wie sehr Death Metal Kind der 80er Jahre ist. Und er fängt nicht mit Death Metal an, sondern mit der Entwicklung extremer Musik in Schweden überhaupt, wofür er sich viel Zeit nimmt. Und wie so oft beginnt alles mit dem Punk, D-Beat und frühem Hardcore, der dann Taktgeber für die Initialzündung für extremen Metal überhaupt wurde, nämlich BATHORY. Und wenn wir über Beschleunigung und Brutalisierung von Metal reden, dann führt natürlich auch in Schweden kein Weg am Thrash vorbei.
All diese Entwicklungen zeichnet Ekeroth minutiös nach, was für den nur oberflächlich interessierten Leser bisweilen auch mühselig werden kann. Denn spätestens wenn wir uns der Entwicklung von MORBID, NIHILIST, GRAVE, GROTESQUE und dann der für Ekeroth zentralen Band ENTOMBED zuwenden, wird mit größter Genauigkeit die Chronologie sämtlicher Demos, Konzerte und personalen Entwicklungen dokumentiert. Seine Liebe zum Detail stellt aber gleichzeitig auch eine Schwäche des ganzen Buches dar, da wir hier vor allem einen Parforceritt in rein zeitlicher Reihenfolge durch Undergroundveröffentlichungen mitmachen, der manchmal einfach zu viel des Guten ist. Das Hauptproblem ist dabei vor allem der Listencharakter, den einzelne Kapitel durch den Nachvollzug der Veröffentlichungen von Monat zum Monat eines Jahres haben. Ekeroth stellt sich dabei auch nicht als der größte Stilistiker unter den Geschichtsschreibern des Metal dar. Wie so mancher Kollege der metalaffinen schreibenden Zunft neigt er dazu, sich in Superlativen zu ergehen. Wenn man zum x-ten Mal liest, dass dieses Tape einfach das Krasseste Brutalste gewesen ist, was man je hören durfte, dann nutzt sich der angepeilte Effekt ab. Dass der Autor selbst so empfindet, ist offensichtlich. An solchen Stellen zeigen sich die Grenzen der Fähigkeit, objektiv zu dokumentieren, worin man selbst involviert war und was einem viel bedeutet. Kurz: So sehr sich Ekeroth bemüht, den Blick des historisierenden Journalisten einzunehmen, so sehr bleibt er letztlich Fan und Zeitzeuge.
Die Darstellung findet ihr Ende im Black Metal. Im achten Kapitel finden wir eine kurze Darstellung der Anfänge der schwedischen Szene mit einigen Ausführungen zu DISSECTION, MARDUK und ABRUPTUM. Danach folgt ein kleiner Ausblick auf die weitere Entwicklung des Death Metal und seiner unterschiedlichen Stilrichtungen, die aber keine zwanzig Seiten einnimmt. Je weiter wir uns in die Neunziger bewegen, desto unübersichtlicher wird es und desto oberflächlicher wird entsprechend auch die Darstellung. Einen nicht unbeträchtlichen Teil des weiteren Buches nehmen drei kleine Lexika ein, die der Autor zusammengestellt hat. In Zeiten von großen Internetdatenbanken wirkt dies ein wenig anachronistisch, doch macht es einfach Spaß darin zu stöbern und sich inspirieren zu lassen. Den ersten Teil bildet eine alphbetische Übersicht über schwedische Death-Metal-Bands und trotz kleinem Schriftbild kommt Ekeroth hier auf 150 Seiten. Dabei liegt natürlich auch der Schwerpunkt auf den frühen Jahren, sprich den 80ern und 90ern, und dabei kommt so manche Kuriosität zu Tage, bis hin zu obskuren Bands, von denen nur noch zu vermuten ist, dass sie auch mal ein Demo aufgenommen haben könnten, wenn man dem glaubt, was Zeitgenossen so berichten. Danach werden schwedische Fanzines vorgestellt und es gibt eine kleine Übersicht über die wichtigsten Akteure der schwedischen Szene, von denen wir viele, wie z.B. Nicke Andersson, auch schon in den ersten Kapiteln ausführlich kennengelernt haben.
„Schwedischer Death Metal‟ ist ganz sicher ein wichtiges Buch für jeden Fan dieser Musikrichtung. Der Charme des Buches entsteht vor allem durch seine Nähe zu der Zeit, als ein paar Jugendliche in der Provinz und in Vororten Stockholms aus purer Langeweile und Freude an der Provokation musikalischer Radikalität eine ganz neue Form verliehen haben. Wer ein differenziertes Bild davon haben will, wie das abgelaufen ist, sollte unbedingt zugreifen und sich mit Ekeroth auf eine Zeitreise begeben. Wer genauer wissen will, was es eigentlich mit der Ästhetik dieser Musik auf sich hat, mit ihrem Texten und Themen, und wer ein bisschen tiefer ins eigentlich Musikalische eintauchen will, der stößt schnell an die Grenzen von „Schwedischer Death Metal‟. Das Buch bietet keine tiefergehende Analyse oder gar Deutung des Phänomens Death Metal. Bei allen Schwächen im Stil ist Ekeroths umfassendes Werk doch sehr ordentlich lesbar und stellt somit inzwischen einen Klassiker dar, der bei jedem Bücherfreund unter den Metalheads im Regal stehen sollte.
Daniel Ekeroth:
Schwedischer Death Metal
Index Verlag, 2009
ISBN 978-393687818-9
€ 24,95
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