Wenn ein Teil der Jugend geht…

Wenn ein Teil der Jugend geht…

Special
28.03.2005

Wer kennt es nicht, dieses Gefühl, das vertraute Melodien in einem lostreten können? In unserer schnelllebigen Konsumgesellschaft sind musikalische Akzente und Konstanz zwar selten geworden, doch hat wohl jeder einzelne von uns einen ganz bestimmten Song oder eine ganz bestimmte Band, mit der er oder sie mehr als nur schnöde musikalische Unterhaltung verbindet. Es ist einfach ein wundervolles Gefühl, wenn einem beim bloßen erklingen der Melodie Bilder der vergangenen Jahre im Kopf vorbeilaufen und die Vergangenheit Revue passieren lässt. Mit WIZO tritt nun eine Kapelle ab, die für mich persönlich einen großen Teil meiner Jugend ausmachte (und das obwohl ich eigentlich nicht wirklich alt bin) und die mich über viele Jahre meines bisherigen Lebens begleitet hat und (so pathetisch das nun auch klingen mag) in guten und schlechten Zeiten immer ein musikalischer Teil von mir war.

Mein erster Kontakt mit den Sindelfinger Punkrockern erfolgte im Zuge einer Klassenfeier zu seligen Fünftklasszeiten. Das Politikverständnis hielt sich zwar in Grenzen, aber die Mucke war geil, und ein Song wie „Kopfschuss“ vom 94 er Album „UUAARRGH“ war für uns kleine Wichte natürlich ein derber Schocker. Genauso wie die Jahre kamen und gingen, kam und ging auch Musik und vieles mehr – WIZO sind immer geblieben. Im Zuge der Beerdigung der Band will ich nun einen Blick zurückwerfen, euch dabei aber keine sentimentalen Versatzstücke des ersten Kollektivbesäufnisses, des ersten Joints oder wirklich mal punkigen Demobesuchen präsentieren, sondern einen ganz nüchternen Rückblick auf die Geschichte der Band wagen und zudem vom vorletzten Konzert der „Legende der glorreichen neunziger Jahre“ berichten.


Die Band




Die Band WIZO wird im Jahre 1986 im Zuge der Umbenennung der Vorgängerband „Wieso“ gegründet. Wann genau und wie „Wieso“ gegründet wurde, differiert in den Erzählungen, jedenfalls stoßen die beiden Haupt WIZO´s Axel und Jörni Ende 1985 zu der Gruppe. Das erste Konzert der jungen Truppe, die eine Art Ventil darstellte, um aus den müden Wirren der Daimlerstadt zu entkommen, erfolgte dann am 27.11.87 in Herrenberg. In der Folgezeit spielten WIZO in zahlreichen kleinen Clubs und Lokalitäten und hauen nebenbei noch das Demo „Keiner ist Kleiner“ raus, das in Szenekreisen schon für etwas Aufsehen sorgt.

Ein wichtiges Ereignis in der Laufbahn der Süddeutschen war das Aufeinandertreffen mit Fratz Thum, einem Regensburger Punkrocker, mit dem die Band ihr eigenes Label „HULK RÄCKORZ“ gründet. Auf dieser Independent Firma erscheint dann zunächst die „Klebstoff“ EP, und dann schließlich im Jahre 1991 die erste LP „Fürn Arsch“. Um diese Platte zu promoten greift die Band zu ungewöhnlichen Mitteln und zockt kurzerhand einen Gig vor dem Gericht, in dem gerade die Verhandlung gegen Manfred Krug stattfindet (Der Schauspieler hatte damals irgendein verhältnismäßig harmloses Verkehrsdelikt begangen, wurde von Seiten der Regenbogenpresse aber übel behandelt). Nach dieser PR trächtigen Aktion schafften es die Sindelfinger im Jahre 92 sogar in die Bild Zeitung und durften sich den netten Titel an die Brust heften die „schlechteste Platte des Jahres“ veröffentlicht zu haben. Die Rede ist dabei von der „Roy Black ist tot“ Single, die zum ersten Todestag des verstorbenen Schlagerbarden erschien.

Im selben Jahr erscheint die zweite LP „Bleib Tapfer“, die als zentrales Thema den Tod behandelt, und netterweise die gesamte „Fürn Arsch“ LP als Bonus dabei hat. Wieder einmal Schlagzeilen machte die Band, als dem Staat plötzlich auffiel, dass der im Original auf „Fürn Arsch“ stehende Song „Kein Gerede“ terroristische Tendenzen aufweist, weswegen man ihn gleich auf den Index setzte. Die „Bleib Tapfer/Fürn Arsch“ CD musste fortan mit einer Karaoke Version eben jenen Songs auskommen.

Im Zuge der Veröffentlichung der dritten Langspielplatte „UUAARRGH“ im Jahre 1994 spielten WIZO ein Konzert bei den Chaostagen in Hannover, was ihnen wieder enorme Promotion einbrachte. Nebenbei gefällt die neue Platte dem NoFX Bassisten Fat Mike so gut, dass der den Deutschen kurzerhand einen Deal auf seinem Label anbietet, sodass die Sindelfinger nun auch in Amerika viele CDs verkaufen.

1995 erscheint die „Herrénhandtasche“ EP, welche auch ohne großen Major Deal in die Top 100 einschlägt und der Band die Möglichkeit verschafft als Vorgruppe von DIE ÄRZTE zu touren. Neben dieser erfolgreichen Tournee sind vor allem noch Konzerte in Amerika ausschlaggebend für den weiteren Weg der Band. Der Erfolg gipfelt in einem Gig beim Bizarre Festival, bei dem einige Kameras des mitfilmenden WDR dran glauben mussten, weil sie den Zuschauern die Sicht zur Bühne versperrten.

Mittlerweile war der langjährige Drummer ausgetauscht worden, und die Band war bundesweit bekannt. Einer der vielen netten WIZO Skandale sollte folgen, als die Kirche gegen das Symbol des Schwein am Kreuz mobil machte, und es kurzerhand verbieten ließ (Das Symbol zierte damals nicht nur Aufkleber und T Shirts, sondern auch das Innencover der „UUAARRGH“ ). Dann wurde es etwas still um die Band, die zwar immer noch fleißig weitertourte und auch diverse (Split) Singles veröffentlichte (u.A. auch die „Doof wie Scheiße“ Single).

Erst im Jahr 2001 hörte man dann wieder von den WIZOs, die sich auch von ihrem zweiten Drummer getrennt haben, und mit Hernn Guhl ihren auch aktuellen Trommler fanden. Mit diesem Mann wurde der Song „R.A.F.“ aufgenommen, der auf einem Sampler von Fatwreck erschien (Label des NoFX Bassers).

Nun wollte man einen Nachfolger zur „UUAARRGH“ aufnehmen und fertigte erste Songs an. Im Zuge der zweiten Japan Tour des Trios im Jahre 2003 kam es dann aber immer mehr intern zum bröckeln. Man hatte sich musikalisch einfach totgelebt und sich nichts weiter zu sagen. Nach der Rückkehr von diesem Trip nach Fernost, wurde der Entschluss gefasst, die Band nach dem nächsten Album (das praktisch in den Grundzügen schon fertig war) aufzulösen.

Axel machte sich nun alleine daran die unfertigen Songstücke aneinanderzufügen und spielte das Album, das auf den Namen „Anderster“ hört auch fast im Alleingang ein. Eine Woche vor Veröffentlichung des Werkes erklärten WIZO offiziell ihren Abschied:

WIZO wird nach der Tour ab März 2005 aufhören, eine real existierende Band zu sein. Wir konzentrieren uns fortan völlig darauf, als „Legende der glorreichen Neunziger“ in den Köpfen unserer Fans weiter zu leben.

Axel Kurth, Kopf der Band, hat beschlossen, WIZO als Teil seines musikalischen Schaffens hinter sich zu lassen: „Nach 18 Jahren Stress, Spaß und Skandalen mit WIZO ist mir das Medium „Punkrockband“ endgültig zu reaktionär und vor allem zu langweilig geworden. Punk bleibt meine Lebenseinstellung, Zeit für was Neues.“


Obwohl die Band für ihr Abschiedsalbum keinerlei Werbemaßnahmen traf (in der tat wurde das erscheinen lediglich im Band Newsletter angekündigt) verkaufte sich das Teil binnen weniger Tage über 10.000mal. Die Abschiedstournee, die die Band auch zum ersten und einzigen Mal in ihrer Karriere nach Italien führte, bestand aus 35 Konzerten. Am 5.3. 2005 war dann endgültig Schluss mit der alten Kapelle WIZO.


Die Musik

Das „Bleib Tapfer“ Album enthält wie gesagt die gesamte „Fürn Arsch“ LP als Bonus. Dieses Album zeigt alle Trademarks, die die Band seit jeher ausmachten. Mal lustig, mal sozialkritisch; mal deutsch, mal englisch, dabei immer schön einprägsam, melodisch und nicht zu platt. Musikalisch ging es bei WIZO auch schon immer sehr weitreichend zu, so finden sich neben Ska, Schlager, was auch immer Einflüssen sogar die ein oder anderen Metal Riffs. Da wird in „Nix & Niemant“ gegen Nazis gesungen, in „Leichen“ bekommen Carnivoren ihr Fett weg, und in „Seelenbrant“ wird der Verfall der Menschlichkeit angeprangert. Mit „Diese Welt“ findet sich sogar ein auch heute leider noch mehr als aktuelles sozialkritisches Stück, das zu den Klassikern der Band zählt. Wenn auch offiziell nur in der Karaoke Version enthalten, zählt wohl vor allem der Song „Kein Gerede“ zu den Highlights.

Die Platte, die bei den meisten Fans der Band als deren bestes Werk gilt, und insgesamt wohl einer der größten deutschsprachigen Punkrockklassiker. 20 neue Songs, darunter einige der größten „Hits“ der Bandgeschichte wie „Kopfschuss“, „Raum der Zeit“, „Das goldene Stück Scheiße“ und „Die letzte Sau“. Textlich mittlerweile noch bissiger und insgesamt weniger Fun Anteil als noch auf dem letzten Werk. In Jedem Fall auch heute noch eine Referenz und eine absolut uneingeschränkte Kaufempfehlung.





Die EP von 1995 enthielt 8 neue Songs. Das Französische Schlager Remake „Poupée de Cire“ und der Übersongs „Quadrat im Kreis“ (der Passauer Punks gewidmet ist, die Selbstmord begangen haben, und zu deren Lieblingsbands WIZO gehörte) zieren auch heute noch das Live Set der Sindelfinger. Rein lyrisch die am schwersten zu verdauende WIZO Platte, da die Texte sehr verworren sind, und der Grat zwischen Spaß und Ernst sehr schmal ist.






Das Abschiedsalbum „anderster“ enthält 14 Songs, die allesamt innerhalb der letzten 7 Jahre entstanden sind. Das Album wurde von der Fanbasis durchaus kritisiert, wenn auch nicht absolut verteufelt. Und in der Tat klingt das Album „anders“ als man es gewohnt ist. Musikalisch eher zahm, und auch lyrisch fehlt ein wenig der Biss der früheren Tage. Mit dem Lebensbekenntnis „Nana“, dem kritischen „Jimmy“ und dem ultimativen Abschiedssong „Z.G.V.“ stehen aber immerhin drei absolute Knaller auf der Scheibe, die zwar nicht die beste WIZO Veröffentlichung ist, aber immer noch besser als vieles vom Rest.





Das Vorletzte Konzert am 3.3. 2005 im LKA Stuttgart

Es war schon irgendwie ein wehmütiges Gefühl als wir (ein Kumpel und ich) nach knapp 2 Stunden Fahrt (inklusive allerlei Irrwege durch Stuttgart selbst) das LKA betraten. Der Merchandising Stand wurde nahezu belagert, und auch sämtliche anderen freien Plätze der Halle sollten alsbald mit knapp1500 Menschen gefüllt sein (Das Konzert war, wie sämtliche anderen der Tour ausverkauft). Um kurz vor 21 Uhr betraten die drei zentralen Gestalten des Abends, namentlich Axel Kurth, Jörn Genserowski und Thomas Guhl, zum ersten Mal die Bühne um ihre eigene Vorgruppe anzusagen. Die ROCK N ROLL STORMTROOPERS, bezeichnenderweise auch aus Sindelfingen, sollten das Publikum schon mal vorheizen. Das gelang ihnen mit ihrer mitunter wirklich netten Melange aus ganz altem Hardrock, den Ramones, und noch allerlei anderen Vertretern der alten Schule aber nicht immer. Den größten Teil dazu haben mit Sicherheit die Zuschauer beigetragen, die, vor allem in den unteren Altersklassen, diesem Sound nicht wirklich aufgeschlossen gegenüberstanden.
Die vier Kerle auf der Bühne ließen sich den Spaß dadurch aber löblicherweise nicht verderben, und posten was das Zeug hielt (rein optisch sowieso die reinste Katastrophe – Jeans Hotpants und Kutten – mehr als geil). Der 45 Minütige Set war dann aber doch schnell vorbei, und das Warten auf den Hauptact des Abends begann.

Und um kurz nach 22 Uhr war es dann soweit. Die Bühne wurde mit Nebelschwaden verdeckt, und der Trauermarsch erklang. Begleitet von dieser Atmosphäre trugen die drei WIZOS einen schneeweißen Sarg herein, auf dem das WIZO Logo prangerte. Nachdem das Publikum mit einer Klobürste und Dreckwasser „geweiht“ wurde, der Sarg vor den Drums aufgebart war, und sich alle zu ihren Instrumenten begeben haben, begann Fronter Axel mit einer Trauerrede. Mit andächtiger Stimme wurde hier über das traurige Verscheiden der Band philosophiert, noch einmal mitgeteilt, dass es sich um das vorletzte Konzert handelt, und noch einmal kurz auf die letzten 19 Jahre eingegangen. Die Grabrede endete mit einem gequiekten „Aber heute könnt ihr noch mal pogen bis die Ärsche bluten“, und läutete den Set mit „Kopfschuss“ ein. Von diesem Zeitpunkt an, war der gesamte Innenraum bis hin zum Mischpult immer in Bewegung. Die Securities hatten einiges zu tun, die immer wieder ankommenden Surfer zu bewältigen, und die platt gedrückten Kerle aus den ersten reihen zu ziehen. Der Sound war während des gesamten WIZO Gigs absolut super – druckvoll, fett aber immer glasklar.

Sofort im Anschluss an „Kopfschuss“ folgte mit „Nana“ das erste Stück der neuen Platte, welches auch erstaunlich gut aufgenommen wurde. Hier wurde auch zum ersten Mal an diesem Abend der Text ein bisschen auf Abschied getrimmt, und abgeändert, was natürlich von der Spontanität und Kreativität der Band zeugt. Es folgten dann im Laufe des Konzertes noch sämtliche Hits der Band, immer wieder eingebettet in Zwischenansagen ( in Sachen Gelaber kann man WIZO nichts vormachen, da sinds schon mal seine paar Minuten Pause zwischen den Stücken, in denen Axel einfach irgendeinen Scheiß daherbrabbelt). Absolute Highlights dabei waren das mit einem kurzen „Kein Gerede“ Lead eingeleitete „Kopf ab, Schwanz ab, Has“, der Hit „Raum der Zeit“(stilvoll mit Megaphon und Sirenen Intro) und der Klassiker „Nix & Niemant“ ( „alle Nazis sind scheiße“).

Den Stimmungsvollsten Moment im regulären Set stellte mit Sicherheit „Quadrat im Kreis“ dar, dessen Text immer noch einer der intensivsten des Genres ist, und auch musikalisch wohl der „reifste“ Song ist, den die Band jemals geschrieben hat. Mit „Hund“, bei dem noch mal das ganze LKA Kopfstand, beendete man den Hauptteil des Konzertes(sehr geil mit dem „For Whom the Bell Tolls“ Riff eingeleitet). Natürlich war klar, dass die Band noch einmal wiederkehren würde, schließlich war das schon vorher lautstark geforderte „Kein Gerede“ noch nicht gespielt („Spinnt ihr? Das spielen wir heute nicht – wir stehen doch unter Polizeibeobachtung“). Mit „Könnt ihr ein Geheimnis für euch behalten?“ wurde dann auch eben jener Song eingeleitet, der die letzten Kraftreserven aus der schwitzenden Zuschauermasse lockte, und nebenbei auch den heftigsten Pogo des Abends provozierte. Mit „Alte Frau“ gabs dann erstmal noch was zum abkühlen, bevor die Band sich mit dem ultimativen Abschiedssong „Z.G.V.“ gebührend verabschiedete. Dieses Stück, das schon auf CD wehmütig klingt, entfachte Live nun seine volle Wirkung, und stellte eigentlich den perfekten Schlusspunkt dar.

Doch es ging noch weiter. Unter den lauten Forderungen des Publikums kehrte die Band noch einmal mehr zurück, und spielte „Die letzte Sau“ in einer extended Abschiedsversion, die noch minutenlang nach Ende des Songs von den Zuschauern gegrölt wurde. Als Outro diente eine von WIZO etwas parodistisch neu eingespielte Version von „Time to Say Goodbye“, während der die drei Herren es sich nicht nehmen ließen ihre blanken Ärsche zum endgültigen Schluss zu präsentieren. Nach dem Konzert fast dasselbe Bild wie zum Einlass. Nur umgekehrt. Manche verließen die Halle und begaben sich auf den Heimweg, die anderen belagerten wieder den Merchandising Stand. In einem Punkt sind sich aber wohl alle einig: Es war ein schöner Abend, der aber trotzdem mit diesem wehmütigen Gefühl aufhört, mit dem er angefangen hat.

„Und jetzt spritzt das warme Blut aus dem Hals der Punkrockband, und mit ihr stirbt ein kleines Stück Geschichte eurer Jugend. Der Band ist es – für heute – egal, doch ihr wisst es ganz genau: Heute stirbt viel mehr als nur die alte Punkrockband“
aus der Abschiedsversion von „Die letzte Sau“



Setlist:
Intro
Kopfschuss
Nana (Abschiedsversion)
Gute Freunde
Hey Thomas
Geisterfahrer
Der lustige Tagedieb
Klebstoff
Weiter
Das goldene Stück
Diese Welt
Der Käfer
RAF
W8ing 4 U
Kopf ab, Schwanz ab, Has!
Raum der Zeit
Nix & Niemant
Kadett B
Quadrat im Kreis
Poupee de Cire
Tod im Freibad
Hund
Kein Gerede
Alte Frau
ZGV
Die letzte Sau
Outro (Time to say goodbye)


Band-Profil

-