...do reptoids dream of human sheep?


Interview mit Nutrition
Black Metal / Industrial aus USA
NUTRITION haben mit ihren beiden EPs „Hyperdimensional Awakening“ (2009) und „Eye Of The Anunnaki“ (2010) frischen Wind ins schwarzmetallische Grenzwasser gebracht und warten überdies mit einem ebenso abgefahrenen wie interessanten Konzept auf. Grund genug also, den Anime- und Gamefreaks etwas auf die Pelle zu rücken – vielleicht finden sich zwischen Reptoiden, David Icke und mehrdimensionalem Songwriting ja ein paar Plätze zum Verweilen…

Guten Abend, Gentlemen! Danke vorweg für eure Teilnahme an diesem kleinen Fragebogen, den ihr nun auch umgehend mit einer Einführung beginnen dürft: Wer seid ihr, wo habt ihr euch wann getroffen, und wer sagt uns, dass ihr keine Reptoiden seid?

Jeremy Mauney:
Haha, dazu später mehr. Das Konzept für NUTRITION entstand irgendwann 2007. Ich war gerade aus Tokio zurück nach Kentucky gezogen und wollte dort ein neues Metalprojekt aufziehen, da ich meine japanische Band DETRITUM durch den Ortswechsel natürlich verlassen musste. Es dauerte allerdings zwei Jahre, bis ich mir über die Ausrichtung der Band klar wurde – im Grunde schwebte mir zu dieser Zeit eine wirklich böse klingende BM-Variante mit ein paar Vangelis-Synths vor.
Dann traf ich Roland. Ich hatte ein paar Internet-Anzeigen geschaltet, in denen ich nach Musikern für ein ‚SciFi-Black Metal‘-Projekt suchte und er bekundete sein Interesse. Als ich kurz darauf sein Soloprojekt INLAID RUST hörte, war mir sofort klar, dass das genau die Musik war, die mir vorschwebte – er würde also auf lange Sicht die komplette musikalische Seite abdecken können. Die Tatsache, dass wir nur zwei Leute in der Band haben würden, stellte darüber hinaus sicher, dass er bei seinen teilweise kruden Einfällen wirklich freie Hand hat – und so war NUTRITION geboren.
Das wir keine Reptoiden sind, erkennt man übrigens am besten an unserer chronischen Pleite. :)
Roland LaGoy: Yeah, genau so war es. Ich graste auf der Suche nach Musikern ein paar Foren ab und sah Jeremy’s Post in einem abgefahrenen Thread über Science Fiction, Explosionen, Laser und ähnlich witzigen Scheiß. Also trafen wir uns, sprachen Konzept und Zuständigkeiten ab, und fertig war NUTRITION: Zwei Typen ohne Hemmungen, die den Leuten über’s Netz ein paar frische Audiobrocken vor den Latz knallen, oder so…

Ich hatte euer recht ungewöhnliches Thema schon angeschnitten: Worum geht es bei dieser Reptoiden-Geschichte und wie seid ihr darauf gestoßen? Und was überzeugt euch davon, dass das eine gute Grundlage für eine Band ist?

Jeremy:
Nun, ich habe mich 2005 – in meinem ersten Jahr in Tokio - erstmals mit dem Thema beschäftigt und in dieser Richtung recherchiert. Ich arbeitete damals für ein Manga-Studio und musste für ein Projekt Nachforschungen zum zweiten Weltkrieg und politischer Symbolik ganz allgemein anstellen, wobei ich entdeckte, dass die meisten modernen Symbole ihre Ursprünge in Babylon, Sumer, Mesopotamien und Ägypten haben. Das war eine wirklich interessante Geschichte, also vertiefte ich mich mehr und mehr in die Materie und stolperte schließlich über David Icke.
David Icke war Profifußballer und später Nachrichtensprecher bei der BBC. Während seiner Tätigkeit beim Fernsehen erlangte er urplötzlich eine Art von Einsicht oder Erleuchtung, was bestimmte Dinge in dieser Welt betrifft, woraufhin er über 40 Länder bereiste, stets auf der Suche nach den verborgenen Mechanismen, der ‚geheimen Agenda‘ , die unsere Welt kontrolliert. Keine Frage: Seinen Job als TV-Moderator war er umgehend los, dafür hagelte es Spott und Verunglimpfung von allen Seiten. Das wirklich Interessante für mich war allerdings, dass viele Dinge, über welche er bereits in den 1990er Jahren geschrieben hatte, später wirklich eintraten oder zum heutigen Zeitpunkt Wirklichkeit werden.
Wie auch immer, irgendwann in den späten 1990ern hörte Icke jedenfalls von verschiedenen Seiten über die Reptoids (also Reptilien in Menschengestalt) und begann seine eigenen Recherchen zum Thema. Die Ergebnisse könnte man etwa so zusammenfassen: Es gibt auf der Erde insgesamt 13 ‚königliche‘ Blutlinien, die seit Anbeginn unserer Zeit – also etwa seit der sumerischen Zivilisation – an den Hebeln der Macht sitzen, aber all diese Blutlinien sind nur Maskerade für eine feindselige Rasse multidimensionaler, reptilienartiger Aliens, die diese Welt seit Ewigkeiten kontrolliert.
Mit Blick auf die NUTRITION ergab sich dadurch natürlich eine fruchtbare Konstellation: Als ich Roland Anfang 2009 traf, war ich bereits vier Jahre knietief in einer Mischung aus Verschwörungen und Reptoiden versunken, die Frage nach einem geeigneten Konzept dem entsprechend hinfällig – etwas Besseres als bösartige, reptilienartige Aliens, die nach der Weltherrschaft streben, kann einer Sci-Fi Black Metal-Band nämlich gar nicht passieren. Und das ist dann auch schon die Geschichte hinter dem Konzept.
Roland: *ausdrucklose Miene*

Vor ein paar Jahren habe ich mit James von EWIGKEIT ein ebenfalls recht verschwörungslastiges Interview geführt und es fällt auf, dass sich derartige Geschichten oft um das Gefühl drehen, dass die Dinge von irgendwem oder irgendetwas kontrolliert werden. Könnte das mit der Entfremdung des Einzelnen von der Gesellschaft zusammenhängen, damit, dass wir die Welt, die wir (oder unsere Wissenschaftler) erfunden haben, einfach nicht mehr verstehen?

Jeremy:
Die meisten Leute verstehen von der Welt wirklich gar nichts, sie fügen sich einfach und halten damit dieses ganze System aus Arbeiten, Schlafen, Steuern zahlen, Krieg führen, Starkult und so weiter am Laufen! Niemand von denen wird jemals einen Blick über den Tellerrand der Gesellschaft werfen, und sei es nur, weil sie auf Schritt und Tritt zugebombt werden: Mit Signalen, unterschwelligen Botschaften, mit ebenso bequemen wie eingefahrenen Gedanken und Ideen, mit (medial) verzerrten und verfremdeten Versionen von dem, was um sie herum geschieht. All das geschieht nicht ohne Grund, und ich denke das wird sich in den nächsten Jahren zeigen.
Roland: Wirklich, dieser Ort ist das Letzte, aber ein paar Leute scheinen so langsam aufzuwachen und das ganze Ausmaß zu erkennen – auch wenn sie derzeit noch nichts tun können. Denn Fakt ist: Solange sich die große Herde brav in eine vorgegebene Richtung treiben lässt, werden die Wenigen, die eine Minute innehalten um den Sinn des Ganzen zu entschlüsseln, immer wieder eingefangen, gebrochen und zurück ins Glied gezwungen.

Ein weiterer Aspekt ist vielleicht der Umgang mit dem Mangel an individueller Kontrolle, dem Gefühl der Hilflosigkeit des Einzelnen: Die Annahme einer allumfassenden, monumentalen Kontrollinstanz könnte dann als eine Art von Entschuldigung für die eigene Tatenlosigkeit herhalten, das Eingeständnis der eigenen Schwäche unausweichlich erscheinen lassen…

Jeremy:
Am Ende ist jeder für sich selbst verantwortlich, auch wenn externe Kontrollmechanismen mit Blick auf die Verbindungen zwischen Politik und multinationalen Konzernen sicherlich nicht immer zu vermeiden sind. Aber es liegt in der Verantwortung des Einzelnen, diese Mechanismen zu durchschauen und bloß zu stellen!
Wenn man einen Teil der Kontrolle über das eigene Leben abtritt (wie in einer Gesellschaft), dann besteht immer die Gefahr des Missbrauchs, und dagegen gibt es nur ein Mittel: Man muss so nah wie möglich am Puls des Geschehens sein, man muss sich für die einflussreichen Systeme einer Gesellschaft – von Politik bis hin zur Nahrungsmittelindustrie – interessieren und daraus Schlüsse für das eigene Handeln ziehen.
Roland: Word!

Ich habe ein paar eurer Themen gegoogelt und dabei kam von sumerischen Tontafeln bis hin zu amerikanischen TV-Ansagern mit Mimikentgleisungen so ziemlich alles zum Vorschein, was man als Enthüllung verstehen kann oder eben nicht. Welchen Sinn haben diese „Wahrheiten“, wenn sie doch nur ein weiteres, vielleicht noch größeres Mysterium enthüllen, eine noch mächtigere Verschwörung, etwas das sich unserem Verständnis vollkommen entzieht – von Kontrolle ganz zu schweigen? Was nützt es zu „wissen“, wenn dieses Wissen letztendlich keine Macht bringt?

Jeremy:
Hmm, ich denke trotzdem, dass Wissen auf einem fundamentalen Level Macht bedeutet, zumindest wenn man es richtig anstellt. Würde man beispielsweise Leute in die Verantwortung für ihre Taten nehmen, indem man (durch Nähe zu den oben genannten Prozessen) eine gewisse Transparenz herstellt, also Wissen akkumuliert und Unrecht aufzeigt, dann wäre es schwieriger die Wahrheit zu vertuschen. Verschwörungen hätten so kaum eine Basis, da sie ihre Macht ja gerade aus der Unwissenheit der Massen beziehen.

Könnt ihr nachvollziehen, dass derartige Themen manchen Leuten lächerlich oder sogar vollkommen verrückt erscheinen? Warum ist es trotzdem wichtig, sich damit zu beschäftigen?

Jeremy:
Nachvollziehen kann ich das auf jeden Fall, denn mir selbst ist genau das passiert. Gerade meine Familie, ein streng christliches Haus, hat mich umgehend für verrückt erklärt und begann mir mit allerlei „mentaler Evaluation“ den Kopf waschen. Als ich ihnen im Gegenzug die grundlegenden Mechanismen von Religionen darlegen wollte, wurde die Situation schließlich echt haarig, haha…
Das ist übrigens auch eine Sache, die uns vielleicht mit Black Metal verbindet: Wir sind nicht unbedingt Fans von organisierter Religion. Ich denke es ist wichtig, dass die Leute ab und zu auch mal einen Schritt zurücktreten, sich einen Überblick über alle Aspekte des Lebens und ihrer eigenen Existenz verschaffen, um infolge dieser Betrachtungen vielleicht den Betrug hinter ihrem Gott oder ihren Göttern zu entdecken. In meinem Bekanntenkreis jedenfalls hat diese Strategie gewirkt und ein paar Menschen dazu gebracht, die Verschwörung als das zu sehen was sie ist.
Roland: Hmmm, ich habe irgendwann aufgehört mit Anderen über diese non-konformen Ideen zu reden, weil es die meisten einfach nicht interessiert. Wenn man Menschen mit einer einfachen Wahrheit konfrontiert, für die sie noch nicht bereit sind, dann nimmt man ihnen zunächst einmal ihre heile Welt und das kann nach meiner Erfahrung übel enden – zum Beispiel werden alte Freunde so manchmal zu Feinden. Insofern finde ich es gut, wenn man alternative Denkweisen vorsichtig aufzeigt oder den Samen dafür legt (wie durch Musik), aber alles darüber hinaus ist im Endeffekt vergebliche Liebesmüh‘, die sich nur selten lohnt. Es steht jedem Einzelnen frei sich für seine Sichtweise zu entscheiden – man kann das sprichwörtliche Pferd zum Wasser führen, aber trinken muss es von allein.

Meinem Empfinden nach sind Verschwörungstheorien eng mit dem Aufstieg moderner Massenmedien verknüpft, gerade mit Blick auf das Internet. Wie kann man denn nun Wahrheit über ein derart manipulierendes und manipuliertes Medium verbreiten, wie die zahllosen Versionen von Realität auseinanderhalten und gewichten?

Jeremy:
Natürlich ist es anfangs schwierig sich einen Weg durch den Dschungel der falschen und manipulierten Informationen zu bahnen, aber wenn man dran bleibt und aus dem Gelesenen seine eigenen Schlüsse zieht, dann werden sich mit der Zeit glaubhafte Züge herauskristallisieren. Das Gute am Netz ist ja, dass hier Beweise einem sehr breiten Publikum zugänglich gemacht werden, was sich nicht zuletzt daran zeigt, dass sich unter den Gegnern des Netzes so viele Mitglieder der intriganten Elitezirkel finden. Wenn es nach ihnen ginge, wäre das Internet niemals öffentlich zugänglich geworden. Wir sollten es daher so lange wie möglich nutzen und versuchen, jegliche staatliche Zensur in diesem Bereich zu unterbinden.
Roland: Yeah, die Freaks da draußen sollten sich endlich hinsetzen, nachdenken und zwei und zwei zusammenzählen – die Wahrheit kommt dann von allein. Und am Ende, glaub‘ mir, am Ende wird immer die Wahrheit stehen, selbst wenn der ganze verdammte Planet das Gegenteil behauptet.

Eine Frage am Rande: Wie könnte sich das Problem mit der Wahrheit in einer Welt darstellen, in der jeder Mensch per Neuronalverbindung am Netz hängt (wie in „Ghost In The Shell“ oder „Otherland“)? Wird Wahrheit dann noch eine mehr oder weniger feste Größe sein, oder lediglich eine Zustandsbeschreibung für das was wir gerade erleben können oder dürfen?

Jeremy:
In der Tat eine interessante Frage, denn das Endziel für unsere Rasse könnte sein, das Leben als gehorsame Arbeitssklaven zu fristen: Kontrolliert und chemisch ruhiggestellt durch die Nahrungsmittel- und Pharmaindustrie, bis zur Einfalt abgestumpft durch eine geistlose Unterhaltungsindustrie, die vor unterschwelliger Werbung und politischer (Un-) Willensbildung nur so strotzt.
Ich glaube allerdings nicht, dass „sie“ es schlussendlich wirklich so weit bringen werden – das Ganze wird ein Ende haben.

Und damit nun zu etwas vollkommen Anderem, der Musik nämlich. Ihr erschafft mit Hilfe von Black Metal-Aspekten und spacigen Soundeffekten eine dichte, bisweilen cyberpunkige Atmosphäre – ist das der Sound zur Zeit, zur Gesellschaft? Welche Intentionen und Einflüsse verarbeitet ihr?

Jeremy:
Ich habe mir mittlerweile die Finger blutig geschrieben, also geht das gleich weiter zu Roland…
Roland: Haha, danke dafür, aber mit dem Themenwechsel muss ich jetzt erst mal klarkommen. Gleich vorweg: Cyberpunk ist genau mein Ding – und er ist verdammt lebendig! – aber ich würde schon sagen, dass NUTRITION im Hier und Jetzt verwurzelt sind. Insofern wollte ich mich musikalisch nicht allzu weit von der Gegenwart entfernen, wenngleich die Einflüsse für den ganzen Future-Soundtrack-Space-Kram natürlich bei Bands wie TANGERINE DREAM, KLAUS SCHULTZ, 65 DAYS OF STATIC, VANGELIS oder KAVINSKY liegen, ziemlich abgefahrenes Zeug also. Jenseits dieser Einflüsse ist es mir wichtig, dass die Musik die Themen ergänzt und verstärkt, denen Jeremy zu gutturalem Ausdruck verhilft, ziemlich abgehobene Materie also, die mit einem Bein im Wahnsinn und mit dem anderen im Weltall steht. Genau aus diesem Grund würde ich dann auch sagen, dass der Space Metal-Ansatz wirklich gut funktioniert.

Hast du denn noch andere Projekte neben NUTRITION? Wie entscheidest du, welcher Song für welche Band funktionieren könnte?

Roland:
Ich bin in ein paar Bands mehr oder weniger aktiv, die meisten davon metallischer Natur. Dabei ziehe ich es persönlich vor, nur mit jeweils einer Band zu arbeiten, denn das hilft mir dabei, mich beim Schreiben auf ein ganz bestimmtes Thema oder eine Stimmung zu konzentrieren. Das ist jedenfalls besser als ein Haufen wirrer Ideen für viele unterschiedliche Projekte – das würde mich nach ein paar Tagen in den Wahnsinn treiben. Ich bin auch keiner von den Freaks, die nachts über den Highway düsen, plötzlich Musik in ihrem Kopf hören und dann dringend mit 200 Sachen nach Hause rasen müssen, um sie dort auf dem Klavier zu spielen. Wenn ich schreiben will, dann setze ich mich hin und lege los – die Ideen kommen so von ganz allein.

Nun ist euer Ansatz ja recht eigenständig: Es gibt zwar noch eine Band aus der Schweiz, die spacigen Black Metal macht, aber im Gegensatz zu deren kalter Anmutung klingen NUTRITION fast schon organisch. Habt ihr lange überlegt, welchen Sound ihr anstrebt oder war das eher eine zufällige Entdeckung?

Roland:
Nun ja, als mir Jeremy erstmals erklärt hat, was er sich thematisch vorstellt, habe ich im Kopf ein paar Varianten durchgespielt, die der Story sozusagen Leben einhauchen sollten. Davon ausgehend entstanden mehrere Rohversionen von einem kompletten Song (ohne Gesang) und die brachte ich anschließend zu Jeremy, um mir sein OK für den generellen Sound zu holen. Produktionstechnisch haben wir uns absichtlich für ein eher professionelles Klangbild entschieden, also wenig Reverb, generell weniger Lo-Fi, aber mehr Bass als bei klassischem Black Metal. Das Resultat ist ein druckvoller „in your face“-Sound, der vielleicht auch etwas organischer als vergleichbare Produktionen klingt.

Wäre das mit einem Label und dem entsprechenden finanziellen Support eventuell anders ausgefallen?

Roland:
Haha, dazu nur so viel: Label und Studiobudget klingen echt nett, aber wahrscheinlich würden Jeremy und ich die Kohle großzügig in Pot und Alkohol investieren, um die Scheibe dann kurz vor 12 in einem übermenschlichen Anfall von „massive metal willpower“ aus den Fragmenten auf meiner Festplatte zusammenzunieten. Also in etwa genauso, wie wir es jetzt auch machen, haha…

Wie läuft das überhaupt – fängst du mit Gitarren an und gehst dann an die Feinheiten, oder startest du am Keyboard und entwickelst die Ideen dann weiter?

Roland:
Ist eigentlich ganz einfach. Sobald Jeremy mich einweiht, wie die die einzelnen Songs in seinen Augen klingen sollten, starte ich in jedem Fall mit den Drums – Geschwindigkeit und das komplette Gerüst für den ganzen Song stehen also von Anfang an. Als nächstes kommen dann die Harmonien und Melodien der beiden Gitarren, später dann Synths und Bass. Die Vocals werden meist zum Schluss aufgenommen.
Das ist meine Art Metal zu schreiben: Immer zuerst das Schlagzeug. Ich habe zu dem Zeitpunkt noch nicht die geringste Ahnung von Melodie oder ähnlichen Dingen, und ich merke gerade, dass das irgendwie etwas seltsam klingt… …egal. Jeder hat seine Methode und das hier ist meine.

Der Gesang klingt auf angenehme Weise krank, aber wer hat euch zu den Effekten verholfen? Zuviel CHER gehört?

Jeremy:
Klar war das CHER… …oder warte, vielleicht auch nicht. Großen Einfluss hatte sicherlich 80s-Science Fiction, diese albernen Roboter-FX und eigentlich alles, was sich nach digital komponiertem oder gefiltertem Zeug anhört. Die ganzen spaßigen Sachen, die ich irgendwie unterbringen wollte. Die FX selbst kamen dann aber größtenteils von Roland, der mit meinen Aufnahmen etwas herumspielte…
Roland: …genau, so sieht’s aus. Wir wollten dem Material noch etwas mitgeben, ohne dabei in die falsche Richtung abzutreiben und so nahm ich die Aufnahmen mit nach Hause. Ich hab‘ eine Unmenge von Effektgeräten und Software, also schön entspannt zurückgelehnt und dann die Vocals durch alle möglichen Wölfe gedreht: Pitch-shifting, panning, distortion, vocoder, delay, künstliche Chöre – das ganze Programm, einfach nur so zum Spaß. Offenbar hat ihm Einiges davon gefallen und deswegen steht das nun auch in aller Cheesigkeit auf den EPs. Es ist eben diese 80s-Cheesigkeit und das macht es am Ende dann wieder verdammt cool, haha…
Ein weiterer Antrieb war natürlich der Effekt bei den Hörern, dieser leicht geschockte „…the fuck?!?“-Reflex. Es ist ein Schritt weg vom Konventionellen und ein paar Leute haben damit auch ihre Probleme, aber man kann nun mal nicht die ganze Welt glücklich machen…

Für mich klingt „Eye Of The Anunnaki“ etwas zahmer als die erste EP – der Sound ist besser und die Songs sind in sich variabler. Wolltet ihr ein passendes Gegenstück zum ungestümen Erstling oder steht „Eye…“ für eine generelle Entwicklung weg von der Hektik?

Jeremy:
Wir wollten von Anfang an keinen zweiten Teil zu „Hyperdimensional…“ machen, sondern auch ein paar neue Sachen ausprobieren, eine Art natürlicher Entwicklung also. Und Roland hat im instrumentalen Bereich sicherlich auch noch ein paar Kohlen aufgelegt…
Roland: Ja, scheiße. Ich dachte immer, die Neue wäre das Biest von den beiden! Die aktuellen Stücke sind teilweise verdammt schnell und ich hatte echt Mühe, mir einige der Bass/Gitarre/Synth-Patterns einzuprägen.
Was den Sound betrifft, haben wir ein paar Feinjustierungen an den Instrumenten vorgenommen und hier und da ein wenig am Mix geschraubt, aber es sollte – und wird – keine größeren Veränderungen im Gesamtsound von NUTRITION geben. Wir werden uns auch in Zukunft am Vorbild der Debüt-EP orientieren, denn ich hasse nichts mehr als Bands, die unter gleichem Namen ihren stilistischen Swinger-Neigungen fröhnen. Sollten NUTRITION jemals ihren Sound ändern (was sie nicht werden), dann würde das definitiv nicht mehr unter dem Namen NUTRITION laufen.

Die unvermeidliche Frage wäre nun, ob ihr denn ein Album plant? Und was würde darauf zu finden sein – gänzlich neues Material oder zunächst die beiden EPs?

Jeremy:
Darüber machen wir uns gerade Gedanken. Es wird in näherer Zukunft auf jeden Fall ein Album von uns geben, aber ich kann dazu jetzt noch nichts Konkretes sagen.
Roland: Yeah, wir haben das Baby mit Mühe und Not in die Luft bekommen und da schwirren noch eine Menge Ideen herum, die wir bisher nicht umgesetzt haben, damit erst mal die Basics stehen. Ein Album ist eine Frage der Zeit, auf jeden Fall – aber so ein Teil muss definitiv ran!

Musstet ihr James Fogarty eigentlich überzeugen euch bei DTM unterzubringen oder habt ihr ihn mit eurer Thematik sofort umgehauen?

Jeremy:
Ich habe ihm bei Myspace eine Anfrage geschickt und er hat sich unser Zeug offenbar angehört. Kurz danach kam eine Mail, in der er uns sein Interesse bekundete und damit war das dann auch durch.

Was haltet ihr von seiner Art des Kunstvertriebs, was sind Vor- und Nachteile einer Onlinestruktur?

Jeremy:
Sagen wir mal so: Wenn die Finanzmärkte endgültig kollabieren und Währungen nur noch in Erinnerungen existieren, dann ist DTM auf jeden Fall vorne dabei.
Roland: Haha, yeah shit… wild.

Jeremy, du warst eine Zeit lang in Japan and willst offenbar auch dorthin zurück – was ist für dich das Interessanteste an der Kultur?

Jeremy:
Oh Mann, alles! Ich habe in Tokio gelebt, knapp außerhalb der großen Städte wie Shinjuku, und es war einfach nur der Wahnsinn, zumal ich mit den ganzen japanischen Animes, mit Monster- und Samuraifilmen aufgewachsen bin. Ich kann es kaum erwarten, bis wir später in diesem Jahr wieder dort sind, durch die Stadt laufen, oder durch die ländlicheren Gegenden, und dazu im Ohr den Blade Runner-Soundtrack, haha…

Du hast dort ja auch für den bekannten Manga/Anime-Designer Tetsuo Hara gearbeitet. Diese Kunstgenres haben ihre eigene Ästhetik, was Tempo, Symbolik, Charakterdesign und die Kombination seltsamer Zutaten betrifft – war es schwer für dich, das alles zu lernen und dich anzupassen?

Jeremy:
Verdammt, ja. Ich habe quasi nochmal bei null angefangen: Neue Geräte, neues Papier, neues Vokabular, neue Techniken, der ganze Sermon. Ich musste lernen, genau wie Tetsuo Hara zu zeichnen und der Typ zeichnet unglaublich detailliertes Zeug. Es war manchmal wirklich eine Qual, aber ich sah mich selbst ein wenig wie Daniel-san in Karate Kid und wurde schließlich einer der Lead Designer im Digitalbereich. Später habe ich die Stelle dann für einen besser bezahlten Job als Englischlehrer aufgegeben, denn Tokio ist ein teures Pflaster und meine Vorliebe für astronomisch teure Monsterpuppen war anders einfach nicht zu finanzieren.


Hat sich die Ästhetik des Anime-Genres – die bisweilen dystopischen Tendenzen, die Kombinationen von Wissenschaft, Mythen und Esoterik - auf deine anderen Betätigungsfelder ausgewirkt, auf NUTRITION?

Jeremy:
Nicht unbedingt, abgesehen davon, dass sich meine Arbeit im Mangastudio und meine damalige Band DETRITUM natürlich manchmal in die Haare bekommen haben. Da musste ich dann oftmals Arbeit liegen lassen, um noch rechtzeitig zur Probe in Akihabara, der Nerd-Hauptstadt überhaupt, zu kommen.
NUTRITION stellt in meinen Augen kein dystopisches Zukunftsgemälde dar, wenn ich nicht gerade etwas aus dem Blickwinkel der Reptoiden betrachte. Es geht nicht darum Angst zu verbreiten. Ich glaube einfach, dass die Menschheit irgendwie aus ihrer chemisch induzierten Insomnia erwachen und ihre Geschicke wieder selbst in die Hand nehmen wird. Eine Art Happy End für diesen echt verrückten Sci-Fi Animeplot, den wir Realität nennen.

Welche Anime würdest du persönlich als essentiell erachten?

Jeremy:
Ninja Scroll, Ghost In The Shell, Tekkonkinkreet, Akira, Prinzessin Mononoke, Vampire Hunter D, Perfect Blue, Cowboy Bebop The Movie, …und haufenweise mehr.
Roland: Da werde ich meine Meinung mal in die Waagschale werfen und Ghost In The Shell mit einem Ausrufezeichen versehen, auch das Sequel ist wirklich spitze. Überhaupt mag ich Filme, die sich mit der Zukunft befassen – Appleseed, Wonderful Days, Dead Leaves. Alles klasse Filme, also holt sie euch.

OK, Roland, dann machen wir gleich bei dir weiter. Du schätzt Spielesoundtracks nicht nur, sondern du komponierst sie auch – woher rührt dein Interesse dafür?

Roland:
Richtig, ich komponiere und produziere freiberuflich Musik und Sounds für unabhängige Studios. Die Story dahinter ist aber nicht sonderlich spannend, denn ich habe meine Liebe zu Computerspielen und deren Soundtracks einfach mit meiner Tätigkeit als Musiker verbunden, was zu einer durchaus angenehmen Beschäftigung führte. Überhaupt kann ich ohne Musik nicht lange leben, ich muss ständig irgendwas schreiben und wenn ich gerade keine Band an der Hand habe, dann suche ich mir eben ein anderes Ventil.
NUTRITION ist insofern ein Bindeglied, als dass man der Musik meine Affinität zu Spielen und meine Erfahrung im Soundtrack-Bereich deutlich anhört. Und man darf ja nicht vergessen: Jeremy hat die Idee mit den Computerspielen als Element überhaupt erst erwähnt und mir damit einen geradezu idealen Brocken hingeworfen…

Mittlerweile werden die Spieleproduktionen ja immer größer und auch im Audiobereich tut sich einiges, gerade hinsichtlich der Umsetzung mit Orchester und all diese Sachen. Hat das auch die Qualität der Soundtracks an sich und das Standing der Komponisten verändert?

Roland:
Unabhängig davon ob Spielesoundtracks die gleiche Anerkennung wie ihre filmischen Pendants erfahren, ist die Softwareentwicklung mittlerweile einfach die weit bedeutendere Industrie. Es gibt ein paar grundlegende Unterschiede zwischen diesen beiden Branchen und Medien, die einen Vergleich schwierig machen: Zum Einen ist ein Filmsoundtrack statisch, man weiß in etwa was kommt und bei wiederholtem Schauen wird sich am Score selbst absolut gar nichts ändern. Dagegen sind Spielesoundtracks dann doch relativ abgedreht, denn sie müssen dynamisch sein und möglichst nahtlos auf die Entscheidungen des Spielers eingehen. Das ändert meinerseits natürlich die Art zu Komponieren und führt im Endeffekt auch zu deutlich anderer Musik.
Der nächste Unterschied ist die Zeit, die zur Verfügung steht. Spieleproduzenten haben es mittlerweile sehr gut raus, die Komponisten relativ frühzeitig in der Entwicklung einzubinden und dadurch eine organisch wachsende Soundkulisse zu fördern. Das ist natürlich etwas Anderes als der beim Film oftmals anzutreffende Last Minute-Ansatz, auch wenn es nicht immer klappt: Bei Mass Effect beispielsweise – einem Spiel, dass NUTRITIONs Synth-Sound massiv beeinflusst hat – lief den Entwicklern gegen Ende die Zeit so schnell davon, dass Teile des Soundtracks nicht mehr orchestriert werden konnten. Das Geile an der Sache ist aber, dass solche „Pannen“ in Spielen trotzdem wirken können und manchmal sogar besser als die eigentlich geplanten Sachen. Für mich ist der Soundtrack zu Mass Effect ein einziger grandioser Ritt und der Fakt, dass niemand hört oder bemerkt, welche Teile orchestriert und welche „nur“ am Computer irgendwelcher Freaks entstanden sind, beweist eine simple Erkenntnis: Gute Musik bleibt gute Musik, egal wie sie letztendlich umgesetzt wird. Im Endeffekt kann meines Erachtens jeder Spielesoundtrack mit jedem lieblos einge-„Hans-Zimmer“-ten Filmscore mithalten.
Scheiße Mann, ich brauche dringend einen Schluck Wasser, yo. Heil Satan!

Wo siehst du die gravierendsten Unterschiede zwischen älteren und neuen Spielesoundtracks?

Roland:
Es gibt wohl eher generelle Entwicklungen in der digitalen Technologie, die alle Formen von Musik betreffen. Jeder, der am Computer den Startknopf findet, kann mit einer nahezu endlosen Flut von Sounds experimentieren und softwarebasierte Studios nutzen, die mittlerweile mit jedem „echten“ Studio auf Augenhöhe sind.
Nimm mich zum Beispiel: Ich habe auf meinem Rechner digitale Bibliotheken mit allen Instrumenten eines klassischen Orchesters und ich habe Bibliotheken mit – was weiß ich - all den Geräuschen, die verschiedene Steine machen, wenn sie aufeinander prallen. Denn das ist ja das Nächste: Gerade Soundtracks haben die Fesseln des rein Instrumentalen schon längst abgestreift und suchen sich neue Wege, um dem Geschehen auf dem Bildschirm eine akustische Entsprechung zu geben. Da geht es darum, mit Synthesizern und digitalen Effektbibliotheken Sounds zu erschaffen, die so vor ein paar Jahren noch nicht denkbar waren und diese technische Entwicklung ist wohl der größte Unterschied zwischen jeder Form von alter und neuer Musik. Alles andere kann man nicht neu erfinden.
Und damit schließt sich dann auch unerwartet der Kreis zu NUTRITION: Ich bin überzeugt, dass diese Band in dieser Form vor zehn Jahren undenkbar gewesen wäre, einfach weil die Technologie fehlte.

Dann lasst abschließend hören, welche 5 Spiele eurer Meinung nach den besten Soundtrack haben – ich lege mal vor:

Advent Rising
Probotector II
Gothic 3
Grim Fandango
Castlevania (various)

Jeremy:
Ich spiele gar nicht mehr so viel, aber im Zweifelsfall geht nix über SNES:

R-Type III
Space Megaforce
Strike Gunner
Super Star Wars
Contra III
Super Mario World
Mega Man X

Roland: Ja, die Gothic-Serie ist ein Klassiker. Da Jeremy mit seinen SNES-Soundtracks hochklassig und ohne Ausfall vorgelegt hat, werde ich mal ein paar Exoten hervorkramen, die mir irgendwie immer im Kopf rumspuken:

Gauntlet 4 (Sega Genesis) - Hitoshi Sakimoto hat hier ein paar Dinge abgezogen, die in der Konsolenmusik bis dato unbekannt waren und seitdem nie wieder erreicht wurden. Ein episches Audiodesign jenseits sämtlicher vorhandener Hardware-Beschränkungen.

Jets N Guns (indie game) – hat mich geplättet. Der OST stammt von der Metalband MACHINAE SUPREMACY und ist quasi Metal mit 8-Bit-Chiptuning. Perfekt.

Weitere Kandidaten:

Unreal
Deus Ex
Mass Effect

Alle diese OSTs haben in irgendeiner Weise Einfluss auf NUTRITION gehabt.

OK. Jeremy, Roland – ich danke euch für dieses Monster und wünsche euch viel Erfolg mit NUTRITION. Die letzten Zeilen gehören euch:

Jeremy:
Bleibt wachsam und genießt die Musik.
Roland: Yeah, besucht uns bei Myspace und lasst uns einen Kommentar da. We're down... no less! Keep stuff real gang, later yo!


www.myspace.com/nutrition
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