Von düsteren Märchen und blutroten Gezeiten...


Interview mit Elvenking
Folk Power Metal aus Italien


Die Italiener ELVENKING haben in Form von "Red Silent Tides" ihre mittlerweile sechste Scheibe veröffentlicht und sind darauf zumindest vom optischen Eindruck her deutlich erwachsen geworden. Da sich zur lyrischen Ernsthaftigkeit auch eine neue musikalische Breite gesellt, war es an der Zeit für eine etwas detailliertere Nachfrage - das Ergebnis lest ihr im Folgenden.

Hallo Avdan, ich freue mich, dass du so kurz vor der Tour noch Zeit für ein kleines Interview hast...


Hallo zurück! Das ist kein Problem...

Dann lass uns doch zunächst ein wenig über eure neue Scheibe „Red Silent Tides“ reden. Fangen wir mit dem Titel an: Meine ersten Assoziationen hatten mit Blut, mit den Gezeiten des Lebens und dem Ozean zu tun. Während der Puls des Lebens still bleibt, scheint das Thema Reise und Aufbruch (ins Ungewisse?) recht präsent zu sein. Was verbindest du mit dem Titel?

Das ist in meinen Augen eine sehr treffende Analyse des Titels. Das Album ist textlich überaus emotional und persönlich ausgefallen, und diesen Ansatz sollte auch das Gesamtbild widerspiegeln. Es geht auf „Red Silent Tides“ um die Verlorenheit, die das Leben bisweilen bestimmt, aber auch um ganz konkrete Verluste und um das Gefühl, auf hoher See verloren zu sein – zwischen Hingabe, tiefen Gefühlen und dem metaphorischen Blut des Daseins.
Wir haben uns also aus unseren Träumen, Hoffnungen und Albträumen ein Schiff gebaut, mit welchem wir nun auf einen fernen Leuchtturm zusteuern. Aber weist er die richtige Richtung? Gibt es überhaupt richtig und falsch, oder ist jeder Schritt, den man nur tut ein Schritt in die richtige Richtung?

Und was war der Anstoß für diese ernste lyrische Reise?

Wie gesagt: Es ist eine sehr persönliche Angelegenheit, was sich in den bisher intimsten Texten niederschlägt. Hinter einigen Bandmitgliedern liegen harte Zeiten und es gab neben profanen Hindernissen auch Verluste im Umfeld der Band, die uns geliebter Personen beraubten – „Red Silent Tides“ zeigt und kompensiert diese Umstände durch ihre Mischung aus emotionalen und romantischen Momenten.

Da kommt mir die nächste Frage fast ein wenig frech vor. Ich finde das Artwork der Scheibe sehr faszinierend, speziell diese Maske im Mond, die mich immer noch ein wenig verwirrt: Wenn man sich – vor dem Hintergrund eures Werdegangs – die aktuellen Bandfotos ansieht und dazu die ernstere musikalische Ausrichtung von „The Cabal“ und anderen Songs des Albums nimmt, könnte man durchaus auf die Idee kommen, dass ihr entweder eine Maske abgeschüttelt habt – oder mit „Red Silent Tides“ eine weitere aufsetzt. Kommt nach Folkmetal, modernisiertem Powermetal und folkigen Zwischenspielen jetzt ein etwas düsteres Gesicht?

Wir tragen definitiv keine Masken, weder menschlich noch musikalisch. Das würde vielleicht der Fall sein, würden wir stets die Dinge tun, die unsere Fans von uns erwarten oder die uns von anderen Seiten angetragen werden. Aber es ist uns überaus wichtig, dass wir uns treu bleiben – als Musiker, und vor allem als Menschen.
Wer ELVENKING etwas besser kennt oder schon ein wenig länger verfolgt, der weiß, dass wir uns in einem permanenten Zustand der Entwicklung befinden. Es gab und gibt keine verlässlichen Vorhersagen, was unsere Alben betrifft – die einzigen Konstanten sind großartige Musik und unser Händchen für Melodien. Deswegen ist es bisher eigentlich bei jeder Veröffentlichung so gewesen, dass sich ein paar unserer bisherigen Fans beschwert haben. Wir haben uns darauf eingestellt und in gewisser Weise kann ich das auch nachvollziehen – andererseits verkaufen wir mit jedem Album ein wenig mehr und spielen vor einem wachsendem Publikum. Das zeigt, dass wir offenbar nicht nur äußerst loyale und verständnisvolle Fans haben, sondern auch immer ein paar neue Leute für ELVENKING begeistern können.

Noch ein kurzer Rückgriff: Wer hat das Cover gestaltet?

Das Bild stammt von Sam Araya, der auch schon für die Gestaltung von CRADLE OF FILTHs „Thornography“ verantwortlich war. Er ist ein absolut großartiger Maler und ich liebe seine Arbeit für „Red Silent Tides“.

Kommen wir zu einem Thema, was ich in der Maskenfrage bereits angeschnitten habe: Seid ihr noch – oder immer wieder – auf der Suche nach eurem Stil? Als Gesamtpaket wirkt „Red Silent Tides“ auf mich wie euer erwachsenes Album, aber vielleicht ist es auch „nur“ eine weitere Etappe...

...wir sind nicht auf der Suche nach einem neuen Stil, und das nächste Album wird definitiv wieder anders ausfallen. Wie sich „Wyrd“ von „Heathenreel“ unterscheidet, wie letzteres anders war als „The Winter Wake“, so wird auch unser kommendes Schaffen sicher neue Wege aufzeigen und beschreiten. Daher würde ich sagen: Wenn ihr nach einer Band sucht, die auf jedem Album das Gleiche macht, dann solltet ihr euch von ELVENKING nicht allzu viel versprechen. Seid ihr dagegen an einer Band interessiert, die sich musikalisch weiterentwickelt, ohne dabei ihren Grundcharakter aufzugeben, dann solltet ihr ELVENKING durchaus mal im Kopf behalten.

Auffällig ist auch, dass die durch euren Bandnamen geweckten Assoziationen – und das sind vorwiegend Fantasy- und Märchenthemen – in den letzten Jahren kaum noch eine Rolle spielen. Seid ihr auf dem Weg zu düsteren Ufern?

Stimmt, es gibt immer noch viele Leute, die denken, dass das Konzept hinter ELVENKING auf Fantasy und ähnlichen Dingen basiert, aber im Grunde ist eher das Gegenteil der Fall. Gerade wenn man sich die Texte ansieht, dann dürfte das sehr schnell klar werden. Die Verbindung zu derartigen Themen steckt im Bandnamen, ja, aber das war es dann auch schon.

Habt ihr euch Gedanken gemacht, wie weit man das musikalische und lyrische Konzept strecken kann, bevor es sich vollkommen von den doch recht starken Assoziationen des Bandnamens abkoppelt?

Ja, das haben wir in der Tat. Es stand sogar mehrfach zur Debatte, ob wir den Bandnamen nicht ändern sollten, weil er in manchen Augen nicht mehr mit den musikalischen und lyrischen Themen zusammenpasst, oder weil er Interessierten ein nicht ganz treffendes Bild von dem liefert, was sie bei ELVENKING erwartet. Aber wir wurden sozusagen mit dieser Band und auch mit diesem Namen geboren, wir sind ihm verbunden.
Außerdem ist die Idee des Märchens, zumindest der dunkleren Variante, nicht vollständig aus unserem Schaffen verschwunden, da wir uns metaphorisch und in verschiedenen Ausdrucksformen immer wieder an diesem Konzept orientieren. Der alte, schaurige König ist also noch immer hier.

Was ist aus deiner persönlichen Sicht der rote Faden, der sich durch alle Scheiben zieht, der ELVENKING als Band und euch als Musiker seit den Anfängen den Weg weist?

Emotionen. Das ist es, was wir mit unserer Musik immer zum Ausdruck bringen wollten – unsere Texte und Songs sollen Gefühle ausdrücken und sie auch auf Hörerseite wecken. Und wenn man dann Post von Fans bekommt, die es mit unseren Stücken durch schwierige Perioden ihres Lebens geschafft haben, die uns für den Rückhalt und den neu gefundenen Mut in Ausnahmesituationen danken, dann hat man in dem, was man tut, wohl irgendetwas vollkommen richtig gemacht.

Unbestritten. Das neue Album wirkt auf mich streckenweise sehr straight und durchaus dunkel, wodurch die „fröhlichen“ Parts der Violine manchmal ein wenig befremdlich klingen. Sind diese hellen Momente, speziell der Violine, eine Art Hommage an eure Vergangenheit?

Empfindest du das so? Ich würde vielleicht viel eher sagen, dass die Violine ein wichtiges Element ist, dass unseren Sound schon immer geprägt hat. Mittlerweile versuchen wir, dieses Instrument etwas organischer in den Gesamtsound einzufügen und ironischerweise gibt es sogar Leute, die die Violine gar nicht hören, aber wenn man ein wenig aufpasst und mit dem Klang vertraut ist, dann findet man sie in jedem einzelnen Song. An der Wichtigkeit dieses Instruments für uns hat sich also nichts geändert, nur arrangieren wir unsere Songs mittlerweile vielleicht ein wenig anders.

Welche anderen Einflüsse würdet ihr für die Stimmung auf „Red Silent Tides“ hervorheben, wo kamen Diskussionen über die musikalische Ausrichtung auf und welche Überlegungen ergaben sich während des Songwritings?

Nun, beim Songwriting für dieses spezielle Album gab es einiges an Diskussionsstoff, gerade wenn man sich Stücke wie „What's Left Of Me“ oder „Those Days“ vor Augen hält. Während des Schreibens und Komponierens denken wir allerdings nur selten über ein eventuelles Ergebnis nach und so passiert es manchmal, dass wir uns anschauen und so etwas sagen wie „...wow, das ist ja schon komplett anders, was denkt ihr? - Die Fans werden wahrscheinlich verrückt, die anderen werden es in der Luft zerreißen... - OK, also machen wir's!“ Und dann machen wir es. :)
Es ist für uns einfach keine Option, etwas nicht zu machen, nur weil manche unserer Hörer es vielleicht nicht verstehen würden. Das Wichtigste ist eben doch immer, dass man sich selbst treu bleibt in dem was man tut.

Ein weiteres interessantes Thema sind die Balladen der Scheibe, denn „Possession“ beispielsweise klingt nach der Art von Song, die Bands wie WHITESNAKE oder AEROSMITH in den 80/90ern im Radio untergebracht haben. Hast du ein spezielles Faible dafür?

Ich liebe „Possession“! Es ist genau der Song geworden, nach dem wir schon immer gesucht haben, eben weil es diesen 80er Balladen-Vibe hat: Diese Art von Song, welche die Mädchen damals dahinschmelzen ließ wie Butter in der Sonne. Du siehst, wir können mitunter auch äußerst romantisch sein...

Wie wirken sich die oben beschriebenen Faktoren denn auf Konzerten aus? Entwickeln sich eure Fans mit euch oder hat der Wandel von der mit Folk assoziierten guten Laune zur streckenweise melancholische Kombination von Metal, akustischen Passagen und Hardrock für Veränderungen gesorgt?

Natürlich hat er das, und ich finde das großartig. Im Grunde ist ELVENKING eine Band, die nicht unbedingt mit der sogenannten Folkmetal-Szene assoziiert werden möchte, denn wir sind in meinen Augen meilenweit von Bands entfernt, die auf der Bühne tanzen müssen und deren lyrische Expertise sich in den Themenbereichen Alkohol und Party erschöpft. Wir sind in dieser Hinsicht komplett anders gestrickt und glücklicherweise scheinen das die Besucher unserer Shows auch zu verstehen. Zumindest haben wir in den letzten Jahren immer weniger Kilt-Träger im Publikum, was ja vielleicht ein ganz guter Indikator für einen derartigen Wandel ist...

Etwas befremdlich wirkt auf mich der Pressetext zu „Red Silent Tides“, der vor allem beim Vorabtrack „The Cabal“ das „höhere kommerzielle Potenzial“ betont. Machen wir das doch gleich zum Thema: Ist die neue Scheibe eine Art kommerzielle Wasserscheide in eurem Schaffen und wie kommerziell kann Musik wie die eure deiner Meinung nach überhaupt sein?

Ich finde es überaus amüsant, dass man in einem Genre wie Metal überhaupt von „kommerziellem Potenzial“ spricht. Kommerz bedeutet im Endeffekt, dass man gewisse – auch künstlerische – Entscheidungen mit dem alleinigen Ziel der Verkaufsförderung trifft, und gerade im Metal kommt ein einziger Schritt zu viel in diese Richtung doch eher einem ideellen Selbstmord gleich.
Wir können von unserer Musik definitiv nicht leben, aber mir persönlich ist es egal, ob in unserem Schaffen höheres kommerzielles Potenzial steckt – das Wichtigste für uns ist und bleibt qualitativ hochwertige Musik.

Umgesetzt habt ihr das Ganze im Studio mit Dennis Ward und Mat Sinner. Wie war die Zusammenarbeit, was waren eure Ziele?

Die Zusammenarbeit mit zwei Persönlichkeiten wie Dennis und Mat war absolut großartig! Dennis, so mein Eindruck, hat sich im Laufe der Aufnahmen mehr und mehr in die Musik von ELVENKING hineingefühlt, hat versucht, sie komplett zu verstehen und den Weg nachzuvollziehen, den wir stilistisch und auch vom reinen Songmaterial her einschlagen wollten.
Wir hatten ihn gefragt, weil uns schon am Anfang klar war, dass in den neuen Stücken dieser Hardrock-Vibe steckt – und er schien uns genau der richtige Mann zu sein, um das Ganze noch etwas in den Vordergrund zu kitzeln. Außerdem hatten wir schlicht die Schnauze voll von Gitarrenwänden, von getriggerten Drums und den anderen modernen Produktionsstandards – wir wollten einen etwas urigeren Klang, sozusagen back to the roots. Und jeder der das Album hört, wird sehen: Dennis hat diesen Ansatz einfach perfekt umgesetzt.

Lernt man im Verlauf solcher Produktionen mit erfahrenen Urgesteinen etwas, auch wenn man eigentlich aus einer etwas anderen Richtung kommt?

Eine Menge! Die beiden sind einfach nur geballte Erfahrung und Kompetenz, also wäre alles andere eine absolute Überraschung. Dem entsprechend fühlt man sich über weite Strecken wie ein verdammt junger und unerfahrener Musiker... :)

Kommen wir abschließend zum Tourgeschehen. Ihr seid aktuell mit PRIMAL FEAR unterwegs, die noch einmal etwas andere Leute anziehen – irgendwelche Hoffnungen und Befürchtungen?

Sicher funktionieren die Fans von PRIMAL FEAR etwas anders, aber es gibt mit melodischem Metal schon einen Berührungspunkt und ich denke, dass die Kombination insgesamt gut passen wird. Unser Ziel ist es natürlich rauszugehen, uns zu zeigen, und im günstigsten Fall vielleicht ein paar scheuklappenfreie Leute von dem zu überzeugen, was wir machen. Wir freuen uns auf jeden Fall auf unsere Fans, die uns durch alle musikalischen Gezeiten begleitet haben und denen wir nun zeigen möchten, wo ELVENKING aktuell stehen – dass wir stärker sind als jemals zuvor, und dass wir das auch wissen.

Avdan, wir sind am Ende dieser kleinen Reise. Ich danke dir vielmals für deine Zeit und Energie und hoffe, dass euch „Red Silent Tides“ auf eurem Weg einen ordentlichen Schritt nach vorn bringen wird. Die letzten Worte gehören dir:

Ich danke dir für das Interview und hoffe natürlich, dass „Red Silent Tides“ für alle Fans und Interessierten ein Album voller angenehmer Entdeckungen ist. Kommt an Bord, lasst euch treiben zwischen Träumen und Emotionen – und vielleicht sehen wir uns ja schon bald vor deutschen Bühnen!

Avdan/ELVENKING


www.elvenking.net
www.myspace.com/elvenking
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