Ein Hoch auf die Skip-Taste !


Interview mit Dritte Wahl
Punk aus Deutschland - Rostock
Die vom Schicksal gebeutelten Rostocker Punk Heroen DRITTE WAHL haben mit ihrem aktuellen Album "Fortschritt" mal eben die beste deutschsprachige (Punk)Platte seit einigen Jahren rausgehauen. Stimme/Gitarrist Gunnar nimmt Stellung zum Tod ihres Bassisten, zur neuen CD, den Böhsen Onkelz, zu Hansa Rostock und der Herrlicheit einer Skip-Taste. Viel Spaß !


Hallo Leute !

Bevor es richtig losgeht, möchte ich euch erst noch mein herzlichstes Beileid aussprechen. Auch ich war schockiert, als ich Anfang des Jahres die Nachricht von Markos Tod vernommen habe.

Leider kommen wir an dem Thema in diesem Interview nicht vorbei, schließlich war Busch’n Gründungsmitglied von DRITTE WAHL und seit den Anfängen der Band Ende der 80er immer mit dabei. Stand nach seinem Tod eine Auflösung von DRITTE WAHL zur Debatte ?


So richtig nicht. Das war auch irgendwie voll die unwirkliche Zeit. Busch’n war ein zäher und drahtiger Kerl und ich habe bis zum Schluß geglaubt, daß er das noch schafft. Wir haben zwar mal besprochen was wir tun und mit wem es weiter gehen kann falls die Sache schief geht, aber so richtig beschäftigt hab ich mich damit dann erst später. Busch’n hat uns jedenfalls gesagt, daß er gern möchte, das es mit DRITTE WAHL weitergeht und so machen wir es jetzt auch.

Heute seid ihr ja wieder zu dritt, euer neuer Mann an den vier Saiten hört auf den Namen Stefan. Was kannst Du uns über ihn erzählen ? Wird er in Zukunft ein vollwertiger Ersatz und auch ins Songwriting und Gesangsparts mit eingebunden ?

Stefan ist ein langjähriger Freund von uns und er war unser Wunschkandidat. Wir wußten daß er menschlich, spielerisch und gesangstechnisch zu uns passen würde und freuen uns, daß er jetzt dabei ist. Er hat vorher bei den Crushing Caspars und bei Höart Höart Höart gespielt und wird in Zukunft sicher auch unseren Sound mit beeinflussen. Ein vollwertiges Bandmitglied ist er schon.

Endlich ist eure neue Scheibe „Fortschritt“ fertig. Ihr habt ja verdammt lange für den „Halt Mich Fest“ (2001) Nachfolger gebraucht und die Zeit mit zwei Live Scheiben und einer Quasi-Best Of auf Englisch überbrückt. Warum hat das so lange gedauert ?

In erster Linie fehlte es uns an akzeptablen Texten. Wir haben auf den 6 deutschen Alben und diversen Singles schon allerlei Themen abgearbeitet und wollten uns nicht allzu sehr wiederholen. Vielleicht sind auch die Ansprüche an uns selbst gestiegen und so mancher Text, den ich früher bedenkenlos ins Mikrofon gebrüllt hätte, landet jetzt im Mülleimer?! Wie dem auch sei, wir wollten jedenfalls erst neue Songs aufnehmen, wenn wir mit denen auch 100%-ig zufrieden sind. Mit der englischen Platte und den zwei Live-Scheiben haben wir die Zeit ja ganz gut überbrückt!

Wie kam es zu der „Tooth For Tooth“ CD ? Ich persönlich fand die Scheibe zwar gut, aber letztendlich liegt der Reiz bei DRITTE WAHL halt doch irgendwie auch bei den deutschen Texten. Wie bewertest Du die Scheibe aus heutiger Sicht ?

Die Idee zu „Tooth For Tooth“ entstand auf der Europa-Tour mit The Exploited im Jahre 2003. Zeitgleich kam über das Internet ein Angebot unsere Texte zu Übersetzen. Ein Engländer, der dort Deutsch/Englisch Übersetzung studiert, hat uns dann die Texte ins Englische übertragen – sonst wäre so ein Projekt auch nicht möglich gewesen.
Bei den meisten Leuten ist diese Scheibe nicht so besonders gut angekommen. Wir hatten damit aber auch was ganz anderes vor. Wir wollten ja ins Ausland mit der Platte und dann wurde Busch’n krank, schon bevor die CD/LP fertig war. Mal sehen, im Oktober/November sind wir auf Tour und dann versuchen wir mal im Ausland englisch zu singen.
Ich glaube hier ging es vielen wie mir mit meinen englischen Toten Hosen CD’s. Die sind sicher ganz gut, aber gehört habe ich sie noch nicht seht oft. Ich mag die Songs eben auf deutsch.

Widmen wir uns nun „Fortschritt“. Für meine Begriffe ist die CD mal wieder absolut gelungen, obwohl ihr euch stilistisch diesmal zwei Ausflüge in unbekannte Gefilde gegönnt habt, die mir nicht so richtig gefallen haben : auf „Wir kaufen uns ein kleines Stück“ experimentiert ihr mit Hop Hop Einflüssen, und „Rastermann“ ist gar ein fast lupenreines Raggae Stück. Was hat euch denn zu diesen Exkursen bewogen ?

Für „Rastermann“ hatte ich den Text schon fertig und es mußte einfach ein Raggae Stück werden. Paßt eben gut zusammen. Die HipHop/Crossover Nummer „Wir kaufen uns ein kleines Stück“ entstand relativ spontan. Wir hatten das Riff und der Text kam auch ziemlich schnell. Wir haben ja auch früher schon den einen oder anderen Ausflug in andere Gefilde gewagt. Wir verbieten uns da nichts - was gefällt wird gemacht! Und Stücke wie „Hash“, „So wie ihr seid“ oder „Bad K.“ kamen auch immer ganz gut an.
Zum Glück gibt es ja die Skip-Taste!

Ansonsten ist die Scheibe aber sehr gradlinig und beeindruckt vor allem mal wieder durch die Lyrics, die nach wie vor ein breites Spektrum von politischen Stellungnahmen bis hin zu zwischenmenschlichen Beziehungen abdecken. Zu ein paar Tracks hab ich nachfolgend mal ein paar Nachfragen :

In dem kurzen Punkkracher „Unschreibbar“ geht es wohl mehr oder weniger um das Thema Songwriting. Aber was hat es mit dem seltsamen Summen am Ende auf sich ?


Wir haben unseren Technikus Dirk gebeten mal ein Gesumm äußersten Wohlbefindens mit einem Schuß Genugtuung zu probieren. Wie man hört ist es ihm sensationell gelungen!

Der Refrain von „Plakativ“ lautet : „Würd ich mich trauen – dann würd ich Bomben bauen (…) oder ein paar von euch verhauen“. Ein klassisches Punk Thema also, der Kampf gegen das System. Wieviel Wahrheit steckt hinter diesem Text ? Wärst Du bereit, für Änderungen in der Politik zur Gewalt zu greifen ?

Der Text relativiert sich ja in der letzten Strophe selbst „Natürlich bin ich zu vernünftig und viel zu ängstlich obendrein...“. Manchmal aber sitze ich vor dem Fernseher und möchte die Politnicks, die sich da einen zurecht labern, nehmen und schütteln bis sie zur Vernunft kommen! Darum geht es in diesem Lied!

Das einfühlsame „Auf Der Flucht“ kann man als Tribut an Busch’n bzw. als eine Art Abschied interpretieren ?

Klar ist das ein Abschiedssong. Busch’n kannte noch die Musik. Wir haben das Lied noch zusammen geprobt. Ich hätte den Song auch aufgenommen, wenn Busch’n noch da wäre. Man kann ihn auch in andere Situationen hinein interpretieren. In die Nazi-Zeit, zum Beispiel, wo sich viele Familien getrennt haben um zu überleben. Nach Busch’ns Tod ist das Lied aber für mich doch sehr eindeutig mit ihm verbunden.

Der Titeltrack der Scheibe stand ja auf englisch bereits auf „Tooth For Tooth“ und ist der mit Abstand längste Song auf dem Album, hat aber ironischerweise auch den kürzesten Text. Steckt da ein System hinter ? Wie wichtig ist Dir die Aussage des Songs ?

Der Song ist eine kurze Momentaufnahme. Mir ist das gar nicht aufgefallen – kürzester Text – längster Song!? Respekt, du hast dir ja richtig Gedanken gemacht – vielen Dank!
Es geht bei dem Lied mehr um eine Stimmung, die wir erzeugen wollen, als um ein detailliertes Bild der heutigen Zeit. Deshalb ist er sehr kurz und spielt mit Phrasen und Bildern.

Der Text zu „SAS Beluga“ dreht sich um einen gleichnamigen Fischkutter, der 1999 vor der Küste Mecklenburgs unter mysteriösen Umständen gesunken ist. Kannst Du noch ein bißchen mehr zu diesem Thema erzählen ?

Es ist ein Thema, das gerade hier an der Küste ziemlich durch die Medien ging. Ein sehr mysteriöser Unfall und eine sehr merkwürdige Handlungsweise der Behörden. Ein Fischkutter kentert bei schönstem Wetter und die Marine hält in der Nähe gerade ein Manöver ab, Akten verschwinden, Spuren werden verwischt – da gibt es viel Platz für Spekulationen. Es gibt dazu ein recht gutes Buch: „Der Untergang der Beluga“.

„Weißes Boot“ ist eine Coverversion von einer polnischen Band namens Rote Gitarren. Was hat euch gerade an diesem Song gereizt ?

Zu meiner Kinderzeit war der Song im Osten ein Riesenhit und lief laufend im Radio. Ich hab dann neulich mal auf nen Flohmarkt die Platte gekauft und so kam die Idee!

Die Platte endet mit einer plattdeutschen Neueinspielung eures Classics „Hoch Im Norden“. Wie kam es denn dazu ?

Das war noch eine Idee von Busch’n. Der fragte mich irgendwann, ob wir nicht „Hoch im Norden“ mal plattdeutsch machen wollen. Ich hab dann meinen Vater gefragt, ob er uns den Text übersetzen könnte – und er konnte. Der Rest war dann einfach. Mein Vater hat es sich dann auch nicht nehmen lassen selbst eine Zeile zu singen!

Wie auch schon auf dem Vorgänger bei „Brot und Spiele“ wimmelt es auf „Fortschritt“ wieder nur so von Gastauftritten. Während Punkkollegen wie Daily Terror ja absolut nachvollziehbar sind, wundern mich schon ein wenig die Kollaborationen mit Mitgliedern von Corvus Corax respektive Tanzwut.

Unser Techniker kannte die Jungs irgendwie von früher und wir wollten bei „Auf der Flucht“ gern Dudelsäcke haben und da haben wir kurz angerufen und die sind ins Auto gestiegen und zu uns nach Braunschweig gekommen – großartige Sache – vielen Dank! Dasselbe gilt auch für die anderen Mitstreiter (Lady Godiva, Freygang, Final Virus, Crushing Cuspars, Mainpoint) – einmal kurz gefragt und schon ging es los!

Verlassen wir „Fortschritt“ und wenden und allgemeinen Themen zu. Im Herbst werdet ihr zusammen mit den englischen Punkgöttern The Exploited auf Tour gehen. Was erwartest Du Dir von den Shows mit Wattie und seinen Schergen?

Wir waren ja 2003 schon mal mit The Exploited unterwegs und das war eine sehr schöne Zeit. Wir haben uns sehr gut verstanden und freuen uns jetzt auf die Tour. Und es sind, gerade im Ausland, auch viele Stationen dabei, wo wir noch nicht waren!
Der große Traum vom Rock´n´Roll!

Wie sieht eure weiter Planung aus ? Werdet ihr euch nach der Tour direkt an ein neues Album setzen ?

Nein nein, so schnell geht das nicht. Wir wollen erst einmal viele Konzerte spielen. Nächstes Jahr soll eine CD mit unseren Singles, Bonussongs und raren Tracks erscheinen. In der Zwischenzeit sammeln wir Material für eine DVD, die wir 2008 zu unserem 20. Geburtstag veröffentlichen wollen. Und nicht zu vergessen: Üben üben üben!
Ideen sammeln wir aber natürlich nebenbei schon mal!

Ihr habt ja dieses Jahr auch auf dem With Full Force Festival gespielt. In wiefern unterscheidet sich eine Clubshow von einer solchen Masse von Fans, vor denen ihr ja nicht schließlich alle Tage spielt ?

Es ist beides schön. Auf der einen Seite der direkte Kontakt zum Publikum bei kleinen Konzerten, aber jeder, der Musik macht träumt auch von der großen Bühne – die meisten jedenfalls! Wir haben das Glück beides machen zu können!

Obwohl ihr ja auch in der Metalszene ein absolutes Standing habt und ziemlich bekannt seid, hat es mit dem richtig großen Durchbruch bis jetzt noch nicht geklappt, obwohl ihr meiner Meinung nach mindestens genauso viele eingängig Hits habt wie bspw. Die Toten Hosen. Woran liegt es Deiner Meinung nach, daß ihr von Radio und TV nach wie vor gemieden werdet ?

Vielleicht fehlt die große Firma dahinter – mit Videoproduktionen und Radiowerbung usw. Ich kann aber sagen, das wir mit dem, was wir erreicht haben sehr glücklich sind und wenn es uns gelingt, noch einige Zeit dieses Level zu halten ist alles gut! Gegen mehr Erfolg sträuben wir uns aber natürlich auch nicht, nur erzwingen wollen wir das nicht!

Wie beurteilst Du den Stand der deutschsprachigen Punkszene allgemein ? Mittlerweile scheint sich ja wieder viel im Underground abzuspielen, nachdem der Punk Hype Anfang/Mitte der 90er deutlich abgeebbt ist.

Es gab und gibt einen Haufen guter Punkbands, nur das Interesse der Medien verläuft halt wellenförmig! Momentan ist Punkrock in aller Munde und mit Bands wie Blink 128, Offspring und Green Day wird viel Geld verdient. Die Szene, in der wir uns tummeln ist davon aber recht unberührt und auch zu Zeiten, wo der Punk fast totgeschrieben wurde hatten wir volle Häuser.

Es gibt übrigens Leute, die euch in mancher Hinsicht als eine Art „Punk-Gegenstück“ zu den Böhsen Onkelz sehen. Was sagst Du zu solchen Vergleichen ?

Ich höre das immer wieder und so recht gefallen will mir das nicht. Ich hab mit den Onkelz nichts am Hut, höre sie nicht und will auch nicht unbedingt mit denen verglichen werden. Da dieser Vergleich aber immer wieder kommt scheint ja was dran zu sein!
Die haben nun gerade eine Anzeige am Hals, weil sie bei ihren letzten Konzerten wohl doch noch mal das eine oder andere verbotene Stück herausgeholt haben – da haben sie dann wenigstens nochmal gezeigt auf welcher Seite sie stehen!

Noch was Gemeines kurz vor Ende : wenn ich richtig im Bilde bin, seid ihr ja Fans des FC Hansa Rostock (die übrigens gestern gegen „meinen“ VfL Bochum 1:0 verloren haben). Wie schwer hat euch – aber auch die Region – der Abstieg der Kogge getroffen ?

Hansa hat in den vergangenen Jahren schon so einige Spielzeiten erlebt, in denen sie richtig schlecht gespielt haben, nur haben sich da immer noch drei Vereine gefunden die noch dusseliger waren. Wenn man jahrelang immer gegen den Abstieg spielt, dann erwischt es einen vielleicht auch irgendwann!? Wir waren aber schon traurig!
Etwas strange ist dieses Geschäft aber auch! Da gibt es Vereine wie Hansa Rostock, die finanziell alles im grünen Bereich fahren, und deshalb auch den Kader bezahlbar halten und dann können/dürfen andere Vereine jährlich 7.000.000 in den Sand setzen! Aber das Leben geht weiter, nur was war denn das in Bochum? Hatten wir nicht ein stillschweigendes Abkommen, das aus Bochum immer drei Punkte nach Rostock gehen?

Einen hab ich noch : wenn Du Dir eine Art All Time Punk Band zusammenstellen könntet, wer wäre bei dieser Gruppe dabei ?

Das ist wirklich schwer, zumal ich viele Musikanten auch nicht mit Namen kenne. Jello Biafra wäre auf jeden Fall dabei! Vielleicht auch Kuddel (Die Toten Hosen – mh) an der Gitarre und im Songwriting und Eugen (Sänger von den Skeptikern) für die Backing Vocals. Willi von The Exploited könnte Schlagzeug spielen! Der Bassist von Primus noch dazu und fertig wäre eine schöne Band.

Danke für das Interview ! Ich hoffe daß ihr mit „Fortschritt“ endlich mal richtig dicke Lorbeeren erntet und uns noch viele Jahre erhalten bleibt. Die letzten Worte gehören Dir :

Wir wünschen allen Lesern und Leserinnen viel Kraft für die kalten und düsteren Monate, die unweigerlich kommen werden!
Bis die Tage!
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