"Decadence Over Indonesia"? Das wär mal was!
Interview mit September Murder
Death Metal aus Deutschland - Thale
Death Metal aus Deutschland - Thale
Seit dem 2009er Release "Agony In Flesh" hat sich einiges getan im Hause SEPTEMBER MURDER. Die Entwicklung der Band ist aber spürbar positiv und dementsprechend präsentiert sich das Quartett im folgenden Email-Interview, das unter anderem einige Fragen zum neuen Album "He Who Invokes Decadence" beantwortet, auch als eine geschlossene Einheit. Lediglich die gemeinsamen Reiseziele betreffend könnten noch Spannungen entstehen - aber lest selbst!
Wie ist euer neues Album "He Who Invokes Decadence" bisher so angekommen? Was sagen die Kritiker, was sagen die Fans?
Clemens (Drums): Hi Tim! Im großen Ganzen ist das Album überwiegend positiv bis sehr positiv aufgenommen worden. Die meisten Fans stehen der Entwicklung unseres Sounds offen gegenüber und auch viele Kritiker sind der Platte mit Interesse und offenen Ohren begegnet.
Fast vier Jahre sind seit eurem ersten Studioalbum "Agony In Flesh" ins Land gezogen. Wieso hat es so lange gedauert, bis ihr mit eurem Zweitwerk um die Ecke gebogen seid und was hat sich in dieser Zeit geändert?
Clemens: Das lag zum einen an den zwei Line-Up-Wechseln seit dem Debütalbum und zum anderen an der Frage, auf welchem Wege die neue Scheibe vertrieben werden sollte.
Kurz nach den "Agony"-Aufnahmen stieß ich als Nachfolger für den damaligen Schlagzeuger zur Band, wollte schnell Teil des Bandsounds werden und ihn natürlich auch mitgestalten. Da die Chemie stimmte, brauchten wir zwar nicht lange, um uns für die anstehenden Live-Aktivitäten im Jahr 2009 aufeinander einzuspielen. Beim gemeinsamen Songwriting merkten wir jedoch schnell, dass das neue Material wachsen musste und wir die Zeit für Experimente brauchten, um uns musikalisch noch besser kennen zu lernen. In dieser Zeit änderte sich unser Sound, denn klassischer Death Metal im engeren Sinne reichte nun nicht mehr aus um uns auszudrücken. Im Frühjahr 2011, als die "Decadence"-Recordings ins Haus standen, verließ uns unser damaliger Bassist. Da wir uns aber selbst keinen Zeitdruck für die Fertigstellung des Albums auferlegt haben, hatte Marcus genug Zeit, um Ende des Jahres seinen Part in den tiefen Frequenzbereichen beizusteuern.
Da zwischenzeitlich unser ursprüngliches Label Maintain Records aus privaten Gründen dicht gemacht hatte, standen wir nach Abschluss der Aufnahmen in Kontakt mit einigen interessanten und interessierten Labels, wurden uns aber auch der Möglichkeiten bewusst, die sich durch einen weltweiten, aber unabhängigen Eigenrelease bieten. Erstmals nach der 2007er EP "After Every Setting Sun" nahmen wir die Zügel wieder komplett selbst in die Hand, versuchten aber diesmal, die Sache besser informiert und vorbereitet anzugehen.
Da ihr über einen derart langen Zeitraum an dem neuen Album gewerkelt habt, sind sicher auch die Songs zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten entwickelt und geschrieben worden, oder?
Clemens: Einige der Parts, die wir verarbeitet hatten, stammten wohl sogar noch aus der Zeit zwischen "After Every Setting Sun" und "Agony In Flesh". Liege ich da richtig, Emu? Ebenso hatte ich auch noch ein, zwei alte Riffs auf Halde. Doch der Großteil der Songs ist tatsächlich innerhalb eines Jahres entstanden. "Two Culprits, One Oath", den wir als Erstes fertig geschrieben hatten, ist immer noch recht traditionell gehalten. Zwei Songs später folgte "In Celebration Of Mankind's Wretchedness", wo dann der stilistische Knoten platzte. Seitdem können wir uns komplett auf unser Gefühl verlassen, was tatsächlich möglich ist gemeinsam in dieser Band zu Stande zu bringen. So war es für uns auch alles andere als ein Beinbruch, dass "Among Vultures" als zuletzt entstandenes Stück im Post Rock endete.
Emu (Gitarre): Ja, einige der Ideen hatte ich aus dem "Archiv" gekramt, da meiner Meinung nach der Zeitpunkt reif war. Das beschränkte sich jedoch nur auf Kleinigkeiten, Interludes, Bridges oder Strukturformen. 95% des Materials entstand jedoch während der eigentlichen Schaffensphase zu "He Who Invokes Decadence".
Auch stilistisch hat sich in dieser Zeit einiges getan – welche Bands standen für den Sound von "Agony In Flesh" Pate, welche für "He Who Invokes Decadence"?
Emu: Hmm, das lässt sich schwer sagen. Als wir "Agony In Flesh" schrieben, verarbeitete ich an sich jeglichen Death Metal-Einfluss, den ich hatte, da es damals auch meine Intention war, ein reines Death Metal-Album zu schreiben. Nach "After Every Setting Sun" wurden die ersten Labels auf uns aufmerksam und wir wurden recht schnell unter Vertrag genommen. Also hieß es, das, was wir bis dato machten, einfach weiter zu machen, und so tobten wir uns an "Agony In Flesh" regelrecht aus. Dass ich in diesen Jahren gern Bands wie IMMOLATION oder SUFFOCATION hörte, wird man dem Album auch sicher anmerken.
Bei "He Who Invokes Decadence" war die Situation gänzlich anders. Clemens war mittlerweile 1-2 Jahre in der Band und ich wusste, dass ich mit ihm musikalisch weitaus mehr Experimente wagen konnte. Wir versuchten uns so gut es ging von unseren Metal-Höhrgewohnheiten abzukoppeln, um weitestgehend offen für jegliche Form von Idee zu sein. "Decadence" sollte als der "nächste Schritt" fungieren und zu 100% SEPTEMBER MURDER sein. Daher ist es schwer zu sagen, welche Bands und ob überhaupt jemand dafür Pate stand. Ziel war es lediglich Musik zu machen.
Das neue Album mischt dem harschen Death Metal vermehrt proggige Einschübe unter. Wenn ihr euch für eine Seite entscheiden müsstest, würdet ihr euch weiter in Richtung Prog Metal entwickeln? Oder würdet ihr den Hau-Drauf-Death Metal dann zu sehr vermissen?
Clemens: Solch eine gravierende Entscheidung zu treffen, fände ich persönlich für den kreativen Prozess sehr hinderlich. Zudem sind wir es niemandem schuldig, eine feste Schiene zu fahren und sehen auch in kommerzieller Hinsicht keinen Grund dafür, uns irgendeinem Geschmack anzubiedern. Mir persönlich gefällt es besser, wenn eine Band Musik macht, die sie selbst verkörpert, als wenn sie dies tut, indem sie Genrekriterien im Sinne einer Szenecredibility bestmöglich erfüllt, aber eigentlich nichts wirklich zu sagen hat. Davon abgesehen, finde ich es aber schön, in unserem aktuellen Live-Programm alte Sachen Seite an Seite mit den neuen vertreten zu haben.
Worum geht es lyrisch auf dem neuen Album und wer zeichnet dieses Mal für die Texte verantwortlich?
Oliver (Gesang): Für die Texte des Albums war - wie immer - ich verantwortlich. Es geht in den Texten um den voranschreitenden moralischen und zwischenmenschlichen Verfall des Menschen und seine Konsequenzen. Wenn man zu einem schlechten Menschen wird, hat das Gründe und vor allem Auswirkungen auf das direkte soziale Umfeld. Jeder Song für sich erzählt eine kleine Geschichte über meine Beobachtungen und Eindrücke, die ich versucht habe während des Schreibprozesses aufzuschnappen. Die gelebte Depression und unser Unmut, der sich mit fortschreitendem Alter immer mehr auszubreiten scheint, beschäftigen uns mehr als das Streben nach Glück. Dies ändern zu wollen ist immer leicht gesagt, aber in der Ausführung meist schwierig. Es sind vielschichtige Texte, inspiriert durch das Leben selbst.
Zwei in Kapuzen gehüllte Personen scheinen einen geheimnisumwitterten Baum zu bewachen, während eine Schar Vögel einem blutroten Mond entgegenfliegt. Von wem stammt diese Zeichnung und in wie fern spiegelt das Cover den Inhalt von „He Who Invokes Decadence“ wieder?
Oliver: Das Artwork stammt von Christian Herzer, einem guten Freund der Band, und die darin zu findenden Fotografien von Mario Grönnert, welcher ebenfalls ein guter Freund von uns ist.
Das Cover ist sozusagen der vorletzte Akt des gesamten Artworks, da dieses in sich geschlossen eine Geschichte erzählt. Hier empfehle ich den Kauf eines physischen Exemplars der Scheibe, denn nur so wird man auch den letzten Akt erfahren. Konkret beschreibt das Artwork die letzten beiden Songs des Albums, welche inhaltlich zusammenhängen. Es ist die Versinnbildlichung des Zerfalls in Form einer Familie. Von Anfang bis Ende der Geschichte begleitet man einen Mann, der zum Monster wird. Er zieht zwei Söhne heran, welche ihren Vater für das verachten, was er tut. Beim Anschauen der Grafiken und dem Lesen der Texte beobachtet man ein generationenübergreifendes Unheil, an dessen Ende viel Leid und Qual stehen.
Plant ihr, mit dem neuen Album auf eine kleine Tour zu gehen oder gibt es vielleicht sogar schon Tourdaten?
Clemens: Selbstverständlich wollen wir das Album so oft wie möglich auf die Bühne bringen, denn wir lieben es live zu spielen! Bis Jahresende sind bereits Gigs innerhalb Deutschlands geplant. Aktuell stehen der 20.09. im JuZe Rotenburg (Wümme), der 21.09. im Hanseat Salzwedel, der 18.10. zum Deathcult Armageddon Fest im Bandhaus Leipzig und der 22.11. im Café am Heizhaus in Ilsenburg. Wir hoffen jedoch, noch das eine oder andere Date hinzufügen zu können.
Wenn ihr die Möglichkeit hättet, für eine einflussreiche Band einen Gig zu eröffnen, welche Band wäre das? Und welcher Underground-Band würdet ihr im Gegenzug die Chance bieten, für euch zu eröffnen?
Clemens: Wenn sich eines Tages die Möglichkeit ergäbe, für ARCTURUS zu eröffnen, würde ich mich freuen wie ein kleines Kind! Da die nicht wirklich oft live spielen, wäre das natürlich eine super Gelegenheit, sie mir dann endlich mal live anzuschauen. Als Opener für uns kann ich mir jederzeit unsere Freunde von KINNARA vorstellen. Auf gemeinsamen Gigs hatten wir bereits viel Spaß miteinander!
Marcus (Bass): Als Underground-Band fällt mir sofort GOJIRA ein... nein Spaß! ;) Für diese Band würde ich sehr gern eröffnen und als Undergroundband wäre KINNARA auch meine erste Wahl.
Oliver: Da die Frage eigentlich nur Spinnerei ist, wird meine Antwort dementsprechend realitätsfern ausfallen. Ich würde am liebsten für RAMMSTEIN eröffnen. Musikalisch wären wir dabei zwar komplett auf Kollisionskurs, aber so könnte ich mit Till endlich mal einen Tequila trinken. Die Frage der Underground-Band ist da natürlich weitaus realistischer. Da freue ich mich ebenso auf ein hoffentlich baldiges Wiedersehen mit KINNARA.
Emu: Dem schließe ich mich an. Im Underground gibt es allgemein viel zu viele gute Bands, die niemand kennt, die aber weitaus mehr Aufmerksamkeit verdienten. Ansonsten würde ich gern mal mit Devin Townsend spielen, um mich danach mit ihm über Equipment, Studioproduktionen und Philosophie zu unterhalten… und ihn unter den Tisch zu saufen.
In welchem Land würdet ihr eines Tages gerne mal auftreten?
Oliver: Ich würde am liebsten nach Schweden, Norwegen oder Finnland. Da wollte ich schon immer mal Urlaub machen und so könnte man das perfekt verbinden.
Marcus: In Polen oder Tschechien soll es eine sehr aktive Metalszene geben, die bei Livekonzerten auch gern mal die Sau raus lässt. Das würde mir schon gefallen, dort auch mal zu spielen. Ein befreundeter Schlagzeuger erzählt mir oft über Minitouren in diesen Ländern, die wirklich der Kracher sind!!!
Clemens: Russland und die baltischen Staaten wären auch sehr spannend.
Emu: Meine Güte, sind wir international. Für mich ganz klar Japan, Indonesien, Thailand und vor allem China.
Nachdem endlich euer zweites Album auf dem Markt ist: Welche Ziele werdet ihr als nächstes verfolgen?
Clemens: Es schwirren bereits Ideen im Raum, die wir demnächst beginnen wollen musikalisch in Form zu bringen. Live geht es natürlich weiter volle Kraft voraus und wir würden uns sehr freuen, auch wieder einige Festivals und Open Airs zu spielen!
Werdet ihr in Zukunft weiter in Eigenregie veröffentlichen oder wärt ihr gerne wieder bei einem Label unter Vertrag?
Emu: Das wird sich zeigen. Für "Decadence" hatten wir mehr als genug Labelangebote, jedoch gefielen uns einfach die Konditionen nicht. Der Vorteil war, dass wir uns nicht dazu gedrängt sahen, das Album zwingend über ein Label zu veröffentlichen und in einem größeren Backkatalog im Einheitsbrei zu verschwinden bzw. unterzugehen. Heutzutage können Künstler ihre Musik adäquat selbst vertreiben und jedem zugänglich machen.
Selbstverständlich kann ich mir vorstellen, in Zukunft auch wieder mit einem Label zusammenzuarbeiten, wenn die Umstände es erlauben und die Konditionen stimmen. Uns war es lediglich wichtig, die Rechte für "He Who Invokes Decadence" nicht völlig aus der Hand zu geben und dafür nur Leistungen zu erhalten, um die sich eine Band mittlerweile selbst kümmern kann. Promotion kostet eine Menge Geld und kleine Labels, die einen Katalog mit 30-40 Bands im Rücken haben, geben gerade in diesem Punkt nur das nötigste aus, verdienen aber oft an jeder verkauften Einheit enorm mit. Und das, obwohl die Bands die Studio-, Produktions- und Presskosten des Albums meist selbst getragen haben. Da verschiebt sich meiner Meinung nach das Verhältnis. Um Musik bei iTunes oder Amazon zu vertreiben, braucht man kein Label. Wichtig ist, was das Label abseits dessen für die Band im Zuge der Veröffentlichung leistet. Durch die illegale Verfügbarkeit von Musik hat sich der gesamte Markt verändert. Viele Labels, vor allem kleinere, sind daran zerbrochen und die, die noch kämpfen, kämpfen auf dem Rücken ihrer Künstler. Wo auch sonst? Vorzuwerfen ist ihnen das nicht, schließlich geht es hier ums Überleben. Aber darum geht es auch bei den Künstlern. Wenn Fans aufhören für die Musik, die sie gern hören, zu bezahlen, werden nicht nur die Labels sterben, sondern auch die Bands.
Abschließend bleibt mir nichts weiter, als mich für das Interview zu bedanken. Die letzten Worte gebühren SEPTEMBER MURDER:
Emu: Wir danken ebenfalls fürs Gespräch und danken auch denen, die tatsächlich bis zum Ende gelesen haben. Noch einen Gruß an den Underground und meinen Respekt an alle, die den Metal in jeglicher Form leben: Platten kaufen, Shows besuchen, in unzähligen Netzwerken & Foren Mundpropaganda betreiben und ihre Lieblingsbands unterstützen.
Cheers,
SM
Wie ist euer neues Album "He Who Invokes Decadence" bisher so angekommen? Was sagen die Kritiker, was sagen die Fans?
Clemens (Drums): Hi Tim! Im großen Ganzen ist das Album überwiegend positiv bis sehr positiv aufgenommen worden. Die meisten Fans stehen der Entwicklung unseres Sounds offen gegenüber und auch viele Kritiker sind der Platte mit Interesse und offenen Ohren begegnet.
Clemens: Das lag zum einen an den zwei Line-Up-Wechseln seit dem Debütalbum und zum anderen an der Frage, auf welchem Wege die neue Scheibe vertrieben werden sollte.
Kurz nach den "Agony"-Aufnahmen stieß ich als Nachfolger für den damaligen Schlagzeuger zur Band, wollte schnell Teil des Bandsounds werden und ihn natürlich auch mitgestalten. Da die Chemie stimmte, brauchten wir zwar nicht lange, um uns für die anstehenden Live-Aktivitäten im Jahr 2009 aufeinander einzuspielen. Beim gemeinsamen Songwriting merkten wir jedoch schnell, dass das neue Material wachsen musste und wir die Zeit für Experimente brauchten, um uns musikalisch noch besser kennen zu lernen. In dieser Zeit änderte sich unser Sound, denn klassischer Death Metal im engeren Sinne reichte nun nicht mehr aus um uns auszudrücken. Im Frühjahr 2011, als die "Decadence"-Recordings ins Haus standen, verließ uns unser damaliger Bassist. Da wir uns aber selbst keinen Zeitdruck für die Fertigstellung des Albums auferlegt haben, hatte Marcus genug Zeit, um Ende des Jahres seinen Part in den tiefen Frequenzbereichen beizusteuern.
Da zwischenzeitlich unser ursprüngliches Label Maintain Records aus privaten Gründen dicht gemacht hatte, standen wir nach Abschluss der Aufnahmen in Kontakt mit einigen interessanten und interessierten Labels, wurden uns aber auch der Möglichkeiten bewusst, die sich durch einen weltweiten, aber unabhängigen Eigenrelease bieten. Erstmals nach der 2007er EP "After Every Setting Sun" nahmen wir die Zügel wieder komplett selbst in die Hand, versuchten aber diesmal, die Sache besser informiert und vorbereitet anzugehen.
Da ihr über einen derart langen Zeitraum an dem neuen Album gewerkelt habt, sind sicher auch die Songs zu sehr unterschiedlichen Zeitpunkten entwickelt und geschrieben worden, oder?
Clemens: Einige der Parts, die wir verarbeitet hatten, stammten wohl sogar noch aus der Zeit zwischen "After Every Setting Sun" und "Agony In Flesh". Liege ich da richtig, Emu? Ebenso hatte ich auch noch ein, zwei alte Riffs auf Halde. Doch der Großteil der Songs ist tatsächlich innerhalb eines Jahres entstanden. "Two Culprits, One Oath", den wir als Erstes fertig geschrieben hatten, ist immer noch recht traditionell gehalten. Zwei Songs später folgte "In Celebration Of Mankind's Wretchedness", wo dann der stilistische Knoten platzte. Seitdem können wir uns komplett auf unser Gefühl verlassen, was tatsächlich möglich ist gemeinsam in dieser Band zu Stande zu bringen. So war es für uns auch alles andere als ein Beinbruch, dass "Among Vultures" als zuletzt entstandenes Stück im Post Rock endete.
Auch stilistisch hat sich in dieser Zeit einiges getan – welche Bands standen für den Sound von "Agony In Flesh" Pate, welche für "He Who Invokes Decadence"?
Emu: Hmm, das lässt sich schwer sagen. Als wir "Agony In Flesh" schrieben, verarbeitete ich an sich jeglichen Death Metal-Einfluss, den ich hatte, da es damals auch meine Intention war, ein reines Death Metal-Album zu schreiben. Nach "After Every Setting Sun" wurden die ersten Labels auf uns aufmerksam und wir wurden recht schnell unter Vertrag genommen. Also hieß es, das, was wir bis dato machten, einfach weiter zu machen, und so tobten wir uns an "Agony In Flesh" regelrecht aus. Dass ich in diesen Jahren gern Bands wie IMMOLATION oder SUFFOCATION hörte, wird man dem Album auch sicher anmerken.
Bei "He Who Invokes Decadence" war die Situation gänzlich anders. Clemens war mittlerweile 1-2 Jahre in der Band und ich wusste, dass ich mit ihm musikalisch weitaus mehr Experimente wagen konnte. Wir versuchten uns so gut es ging von unseren Metal-Höhrgewohnheiten abzukoppeln, um weitestgehend offen für jegliche Form von Idee zu sein. "Decadence" sollte als der "nächste Schritt" fungieren und zu 100% SEPTEMBER MURDER sein. Daher ist es schwer zu sagen, welche Bands und ob überhaupt jemand dafür Pate stand. Ziel war es lediglich Musik zu machen.
Das neue Album mischt dem harschen Death Metal vermehrt proggige Einschübe unter. Wenn ihr euch für eine Seite entscheiden müsstest, würdet ihr euch weiter in Richtung Prog Metal entwickeln? Oder würdet ihr den Hau-Drauf-Death Metal dann zu sehr vermissen?
Clemens: Solch eine gravierende Entscheidung zu treffen, fände ich persönlich für den kreativen Prozess sehr hinderlich. Zudem sind wir es niemandem schuldig, eine feste Schiene zu fahren und sehen auch in kommerzieller Hinsicht keinen Grund dafür, uns irgendeinem Geschmack anzubiedern. Mir persönlich gefällt es besser, wenn eine Band Musik macht, die sie selbst verkörpert, als wenn sie dies tut, indem sie Genrekriterien im Sinne einer Szenecredibility bestmöglich erfüllt, aber eigentlich nichts wirklich zu sagen hat. Davon abgesehen, finde ich es aber schön, in unserem aktuellen Live-Programm alte Sachen Seite an Seite mit den neuen vertreten zu haben.
Worum geht es lyrisch auf dem neuen Album und wer zeichnet dieses Mal für die Texte verantwortlich?
Oliver (Gesang): Für die Texte des Albums war - wie immer - ich verantwortlich. Es geht in den Texten um den voranschreitenden moralischen und zwischenmenschlichen Verfall des Menschen und seine Konsequenzen. Wenn man zu einem schlechten Menschen wird, hat das Gründe und vor allem Auswirkungen auf das direkte soziale Umfeld. Jeder Song für sich erzählt eine kleine Geschichte über meine Beobachtungen und Eindrücke, die ich versucht habe während des Schreibprozesses aufzuschnappen. Die gelebte Depression und unser Unmut, der sich mit fortschreitendem Alter immer mehr auszubreiten scheint, beschäftigen uns mehr als das Streben nach Glück. Dies ändern zu wollen ist immer leicht gesagt, aber in der Ausführung meist schwierig. Es sind vielschichtige Texte, inspiriert durch das Leben selbst.
Oliver: Das Artwork stammt von Christian Herzer, einem guten Freund der Band, und die darin zu findenden Fotografien von Mario Grönnert, welcher ebenfalls ein guter Freund von uns ist.
Das Cover ist sozusagen der vorletzte Akt des gesamten Artworks, da dieses in sich geschlossen eine Geschichte erzählt. Hier empfehle ich den Kauf eines physischen Exemplars der Scheibe, denn nur so wird man auch den letzten Akt erfahren. Konkret beschreibt das Artwork die letzten beiden Songs des Albums, welche inhaltlich zusammenhängen. Es ist die Versinnbildlichung des Zerfalls in Form einer Familie. Von Anfang bis Ende der Geschichte begleitet man einen Mann, der zum Monster wird. Er zieht zwei Söhne heran, welche ihren Vater für das verachten, was er tut. Beim Anschauen der Grafiken und dem Lesen der Texte beobachtet man ein generationenübergreifendes Unheil, an dessen Ende viel Leid und Qual stehen.
Plant ihr, mit dem neuen Album auf eine kleine Tour zu gehen oder gibt es vielleicht sogar schon Tourdaten?
Clemens: Selbstverständlich wollen wir das Album so oft wie möglich auf die Bühne bringen, denn wir lieben es live zu spielen! Bis Jahresende sind bereits Gigs innerhalb Deutschlands geplant. Aktuell stehen der 20.09. im JuZe Rotenburg (Wümme), der 21.09. im Hanseat Salzwedel, der 18.10. zum Deathcult Armageddon Fest im Bandhaus Leipzig und der 22.11. im Café am Heizhaus in Ilsenburg. Wir hoffen jedoch, noch das eine oder andere Date hinzufügen zu können.
Wenn ihr die Möglichkeit hättet, für eine einflussreiche Band einen Gig zu eröffnen, welche Band wäre das? Und welcher Underground-Band würdet ihr im Gegenzug die Chance bieten, für euch zu eröffnen?
Clemens: Wenn sich eines Tages die Möglichkeit ergäbe, für ARCTURUS zu eröffnen, würde ich mich freuen wie ein kleines Kind! Da die nicht wirklich oft live spielen, wäre das natürlich eine super Gelegenheit, sie mir dann endlich mal live anzuschauen. Als Opener für uns kann ich mir jederzeit unsere Freunde von KINNARA vorstellen. Auf gemeinsamen Gigs hatten wir bereits viel Spaß miteinander!
Oliver: Da die Frage eigentlich nur Spinnerei ist, wird meine Antwort dementsprechend realitätsfern ausfallen. Ich würde am liebsten für RAMMSTEIN eröffnen. Musikalisch wären wir dabei zwar komplett auf Kollisionskurs, aber so könnte ich mit Till endlich mal einen Tequila trinken. Die Frage der Underground-Band ist da natürlich weitaus realistischer. Da freue ich mich ebenso auf ein hoffentlich baldiges Wiedersehen mit KINNARA.
Emu: Dem schließe ich mich an. Im Underground gibt es allgemein viel zu viele gute Bands, die niemand kennt, die aber weitaus mehr Aufmerksamkeit verdienten. Ansonsten würde ich gern mal mit Devin Townsend spielen, um mich danach mit ihm über Equipment, Studioproduktionen und Philosophie zu unterhalten… und ihn unter den Tisch zu saufen.
In welchem Land würdet ihr eines Tages gerne mal auftreten?
Oliver: Ich würde am liebsten nach Schweden, Norwegen oder Finnland. Da wollte ich schon immer mal Urlaub machen und so könnte man das perfekt verbinden.
Marcus: In Polen oder Tschechien soll es eine sehr aktive Metalszene geben, die bei Livekonzerten auch gern mal die Sau raus lässt. Das würde mir schon gefallen, dort auch mal zu spielen. Ein befreundeter Schlagzeuger erzählt mir oft über Minitouren in diesen Ländern, die wirklich der Kracher sind!!!
Clemens: Russland und die baltischen Staaten wären auch sehr spannend.
Emu: Meine Güte, sind wir international. Für mich ganz klar Japan, Indonesien, Thailand und vor allem China.
Nachdem endlich euer zweites Album auf dem Markt ist: Welche Ziele werdet ihr als nächstes verfolgen?
Clemens: Es schwirren bereits Ideen im Raum, die wir demnächst beginnen wollen musikalisch in Form zu bringen. Live geht es natürlich weiter volle Kraft voraus und wir würden uns sehr freuen, auch wieder einige Festivals und Open Airs zu spielen!
Emu: Das wird sich zeigen. Für "Decadence" hatten wir mehr als genug Labelangebote, jedoch gefielen uns einfach die Konditionen nicht. Der Vorteil war, dass wir uns nicht dazu gedrängt sahen, das Album zwingend über ein Label zu veröffentlichen und in einem größeren Backkatalog im Einheitsbrei zu verschwinden bzw. unterzugehen. Heutzutage können Künstler ihre Musik adäquat selbst vertreiben und jedem zugänglich machen.
Selbstverständlich kann ich mir vorstellen, in Zukunft auch wieder mit einem Label zusammenzuarbeiten, wenn die Umstände es erlauben und die Konditionen stimmen. Uns war es lediglich wichtig, die Rechte für "He Who Invokes Decadence" nicht völlig aus der Hand zu geben und dafür nur Leistungen zu erhalten, um die sich eine Band mittlerweile selbst kümmern kann. Promotion kostet eine Menge Geld und kleine Labels, die einen Katalog mit 30-40 Bands im Rücken haben, geben gerade in diesem Punkt nur das nötigste aus, verdienen aber oft an jeder verkauften Einheit enorm mit. Und das, obwohl die Bands die Studio-, Produktions- und Presskosten des Albums meist selbst getragen haben. Da verschiebt sich meiner Meinung nach das Verhältnis. Um Musik bei iTunes oder Amazon zu vertreiben, braucht man kein Label. Wichtig ist, was das Label abseits dessen für die Band im Zuge der Veröffentlichung leistet. Durch die illegale Verfügbarkeit von Musik hat sich der gesamte Markt verändert. Viele Labels, vor allem kleinere, sind daran zerbrochen und die, die noch kämpfen, kämpfen auf dem Rücken ihrer Künstler. Wo auch sonst? Vorzuwerfen ist ihnen das nicht, schließlich geht es hier ums Überleben. Aber darum geht es auch bei den Künstlern. Wenn Fans aufhören für die Musik, die sie gern hören, zu bezahlen, werden nicht nur die Labels sterben, sondern auch die Bands.
Abschließend bleibt mir nichts weiter, als mich für das Interview zu bedanken. Die letzten Worte gebühren SEPTEMBER MURDER:
Emu: Wir danken ebenfalls fürs Gespräch und danken auch denen, die tatsächlich bis zum Ende gelesen haben. Noch einen Gruß an den Underground und meinen Respekt an alle, die den Metal in jeglicher Form leben: Platten kaufen, Shows besuchen, in unzähligen Netzwerken & Foren Mundpropaganda betreiben und ihre Lieblingsbands unterstützen.
Cheers,
SM