Eisregen - Knochenkult

Eisregen - Knochenkult
Metal
erschienen am 19.09.2008 bei Massacre Records
dauert 53 min
Bloodchamber-Wertung:

Tracklist

1. Stahlschwarzschwanger
2. Treibjagd
3. Erscheine
4. Das liebe Beil
5. 19 Nägel für Sophie
6. Sei Fleisch und Fleisch sei tot
7. Schwarzer Gigolo
8. Süssfleisches Nachtgebet
9. Das letzte Haus am Ende der Straße
10. Knochenkult
11. Blut ist Leben

Die Bloodchamber meint:

In hübscher Regelmäßigkeit veröffentlichen nun EISREGEN ihre Alben, wohl aus Kreativität, wohl aber auch um übereifrigen Kulturverwahrern zuvor zukommen, die mit der blumigen Gottfried Benn'schen Pathologenlyrik nichts anfangen können, und darin sogar eine Gefahr für die HipHop und Porno verseuchte Jugend sehen wollen. Letzte Konsequenz heißt es Zensur für die Künstler, in allerletzter Konsequenz Selbstzensur der Künstler. So sieht es aus mit den demokratischen Freiheiten und der Aufgeklärtheit. Dumpfe Politikhörigkeit (political correctness) ersetzt die freie Meinungsbildung, führt schließlich ins ebenso tumbe Seelenheil einer allgegenwärtig bürgerlichen Mediengläubigkeit.

"... wenn ich im Fleisch bade und das Blut im Auge brennt ..." heißt es in "Treibjagd". Überspitztes Formulieren von sinnfreien Zusammenhängen waren schon immer Traumata von biederen Kunstverbietern, in völliger Verkennung der soziologischen und kulturhistorischen Verlinkungen von der Beschäftigung mit dem Sterben, dem plötzlichen Tod in sogenannten "Schwellenzeiten". Das war in der römischen Antike so, im Hochmittelalter von Karl dem Großen bis hin zum Spätmittelalter und zur Reformation im 16. Jahrhundert. Ergibt die Beschäftigung mit dem Tod (Ars Moriendi) doch noch mehr Möglichkeiten des künstlerischen Interpretierens und Dichtens als nur ein besinnliches Eiapopeia.
Im heutigen Zeitalter der technologischen Revolution erscheint eine Rückbesinnung ins martialische und düster-romantische nur logisch. Man muss als Künstler auch etwas Warmes in der kalten und technikverliebten Gesellschaft bieten. Und diese Wärme ist natürlich durchsetzt von allem, was unsere Ratio ablehnt, wir aber dennoch suchen. Und so lehnen es viele Menschen ab, sich rationell mit dem Sterben auseinander zusetzen. In Zeiten als der Tod allgegenwärtig war (der Süskind-Roman "Das Parfüm" beschreibt das in allen Geruchsfarben), wurde ihm mit Frömmelei begegnet. Ein Ansinnen, dass durchaus richtig, aber auch makaber ist. Ja sogar irrational. Daraus erwuchs eine institutionelle Sterbeindustrie, die den Tod und das Sterben sauber erscheinen lässt, uns den Toten mit all seinen fürchterlichen Begleiterscheinungen den Blicken entzieht.
Und makaber ist EISREGEN noch immer, klar. Dies unterstreicht die Band mit immer noch düsteren Texten - freilich nicht weit entfernt von Mörderphrasen und Mordästhetik in einer lyrischen Erzählperspektive - , die weitaus verschlüsselter (aber nicht minder makaber) daherkommen und von der herrlich druckvoll gestalteten Musik irgendwo zwischen Death Metal, Black Metal und Gothic eingebettet liegen. Letztere Gothic-Komponente wurde stark zurück geschraubt zugunsten kraftstrotzender Sounds, die die Band so berühmt gemacht hatten. "Das liebe Beil" ist so ein Stück, das auch DIE APOKALYPTISCHEN REITER nicht hätten besser schreiben können, oder "Erscheine". Abwechslung wird groß geschrieben, aber findet gleichberechtigt auch Platz neben Härte und Nickfreundlichkeit.

EISREGEN besinnen sich musikalisch auf ihre metallische Herkunft, beweisen mit "Knochenkult", dass man immer noch mit der Band rechnen kann. Zumal die (natürlich noch provokanten) Lyrics zwar handzahm erscheinen, aber nichts an Können und Kunstfertigkeit missen lassen. Angesichts der schwammigen Kunst-/Kulturschwindsucht im unseren schwarz-rot-goldenen Land, von Fast Food aus Müllfleisch, menschenverachtender Wirtschaft und Finanzmarktstrategien, Ausbeutung der Natur, Ausrottung von nahezu 30 % verschiedener Tiergattungen und -arten, Umweltverschmutzung / -kriminalität, unnützen Glaubens- und Wirtschaftskriegen sowie ebenso verrottenden Ansichten des gemeinen Spießbürgers ist "Knochenkult" immer noch ein Lichtblick der etwas anderen Art. Und vor allem erscheint "Knochenkult" so als harmloses Geplänkel in einer völlig verrückten Zeit. Also etwas total normales.
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