Eine ganz profane Angelegenheit


Interview mit Disillusion
Progressive Metal aus Deutschland - Leipzig
Zum Liveauftakt im Rahmen der Deutschlandshows haben wir Andy von DISILLUSION im kalten Backstagekabuff des Conne Island getroffen und ein wenig über das neue Album „Gloria“ und die anlaufende Tournee gesprochen. Lest selbst, was er zu unseren Fragen antwortet. Denn wortkarg ist der charismatische Sänger ganz und gar nicht.

Es gibt ein neues Album von Euch. Es heißt „Gloria“. Zielt der Albumtitel auf den christlichen Ausspruch „Gloria In Excelsis Deo“ ab, oder was meint „Gloria“ wirklich?

Andy: Vor allem ist es nur ein Frauenname. Die schiere Belanglosigkeit der Antwort relativiert deine Frage (allgemeines Gelächter). Der Albumtitel „Gloria“ war aber bereits von Anfang an da, obwohl wir auch andere Ideen hatten. Es steht auf der einen Seite im Spannungsfeld Pracht, Ruhm und – naja – Ehre, aber auf der anderen Seite steht es auch für etwas Morbides. In erster Linie ist der Frauenname gemeint. Der trifft auf ehesten auf alles zu. Davon mal abgesehen, Gloria ist außerdem ein Hammerwort und klingt sehr gut. Zumal es keine Alben gibt, die einen solchen Titel besitzen.

Lass uns über die Produktion reden. Ihr habt für „Gloria“ 18 Monate gebraucht. Warum so lange? Habt ihr wirklich in der ganzen Zeit am Album gewerkelt?

Andy: Nein, leider nicht. Die Platte hat in der Tat sehr lange gedauert. Einige Monate lang schien gar nichts gelaufen zu sein. Es war nicht das Gefühl da, dass alles zusammen passt. Hier fand wirklich ein ekelhafter Reibungsprozess statt, wo wir aus dem Experimentieren raus kamen und uns stellen mussten: Willkommen in der Welt, so klingen wir jetzt. Das hat ein Stück gedauert. Diese Zeit des Auseinandersetzens war aber wichtig für uns, und wir können zufrieden mit dem Ergebnis sein
„Back To Times Of Splendor“ nahm insgesamt 30 Monate in Anspruch. Es scheint also normal für uns zu sein, so lange Zeit zu benötigen. Die Platte ist in den ersten Monaten sehr intuitiv entstanden. Es gab schon diverse Voraufnahmen und Songtitel. „Gloria“ war schon von Anfang an da.
Ich will noch mal betonen, dass wir um den 8. März 2005 ins Studio gegangen sind, die Tür hinter uns geschlossen und bis zum Oktober/November durchgeackert haben. Es war eine total andere Herangehensweise und hat total viel Spaß gemacht. Hier war entgegen der „Splendor“-Produktion – mit dem Abarbeiten von Monat zu Monat – das totale Chaos und Intuition. Das war viel wichtiger und ist auch gut so. Mehr ist es nicht und auch weniger als eine Kulturrevolution.

Das Ergebnis klingt für mich gar nicht so kopflastig. Es klingt teilweise sehr direkt und kompakt. Spiegelt sich der Albumtitel auch im Soundgefüge wider?

Andy: Es ist eine Kombination aus vielen Sachen, die am Ende im Einzelnen nicht so wichtig sind. Unabhängig vom Inhalt gab es in allererster Linie eine Art Körperlichkeit, die nicht allein im Kopfbereich anzusiedeln ist, sondern bis zur Brusthöhe reicht. Die Fokussierung der Körperlichkeiten auf Herz und Hirn ist wichtig für das Album. Das geht nicht in die Eier oder in die Beine. Unterhalb der Brusthöhe läuft also gar nichts, gefühlsmäßig. Jeder Teil, der irgendwie esoterisch wurde und abdriftete, wirkte völlig verloren. Zwei so unterschiedliche Welten wie „Back To Times Of Splendor“ und „Gloria“ zusammenzufügen, wäre schierer Unsinn gewesen. Integral wichtig waren die ersten Monate. Da ist der Ursprung für „Gloria“ zu finden.

"Too Many Broken Cease Fires“ ist der einzige Song, welcher noch merklich an den Vorgänger erinnert. War diese das erste Stück auf „Gloria“, das ihr geschrieben habt?

Andy: Der Song war von „Back To Times Of Splendor“ übrig geblieben, passte aber nicht so richtig in das Albumkonzept rein. Für „Back To Times ... „ war er wiederum zu körperlich. Wie hatten es damals mit aufgenommen, aber nicht zu Ende gemixt.

Dann kann der Song ein Bindeglied zwischen beiden Alben sein?

Andy: Nein. Das ist zuviel der Interpretation. Er gehört schon auf „Gloria“. Er war von Anfang an dabei und hat den gesamten Prozess von „Gloria“ miterlebt. Er ist von „Gloria“.

Der zögerliche Sprechgesang von „Don’t Go Any Further“ deutet darauf hin, dass ihr zwar einerseits gewisse Dinge kritisiert, aber selbst auch keine wirkliche Lösung parat habt. Wogegen richtet sich dieser Song eigentlich?

Andy: Es ist vor allem ein Aufschrei. Viel weniger als gegen oder an jemanden gerichtet. Es ist ein von innen aufbrausendes Anstauen von Gefühlen. Jeder kann nur bis zu einer gewissen Grenze Dinge annehmen, irgendwann ist gut und dann kommt nur Selbstverteidigung. „Don’t Go Any Further“ ist kurz davor.

Inwiefern hat Metal Blade Einfluss auf Euer Zweitwerk genommen?

Andy: Gar nicht. Wir haben der Plattenfirma ziemlich früh gesagt, dass sich was ändern wird. Wir wussten auch am Anfang nicht, wie die Änderung aussieht. Zwar haben wir uns ziemlich früh mit Voraufnahmen ausgetauscht, damit wir relativ entspannt arbeiten können. Aber wir haben das Risiko auf uns genommen und nehmen es auf uns. Die Platte ist seit zwei Tagen draußen und wir glauben, dass alle Unkenrufe vorbei sind. Was Metal Blade ziemlich früh erkannt hat, ist, was bei „Gloria“ gehen kann. Die haben die Promotion komplett für die Platte umgestellt. Das war ein wahnsinniger Kraftakt.

Besteht bei DISILLUSION nicht immer die Gefahr, dass die Alben zu reinen Experimentier-Plattformen für das Salvation-Studio verkommen?

Andy: (lacht) Es ist ganz einfach. Wir hatten einfach keinen Bock auf eine klassische Nummer. So oder so. Der Ursprung, die Idee und eigene Soundverständnis umzusetzen und die Songs gerade stehen zu lassen, war uns wichtig. Das ging beispielweise bei "Don’t Go Any Further" gnadenlos mit den Sprachsamples los.

Gerade „Gloria“ scheint besonders in die „Love it or hate it“-Richtung zu tendieren. Dem Hörer wird quasi ein Batzen vorgeworfen, den er entweder schluckt oder komplett darauf verzichtet.

Andy: Ich weiß nur eins: Es war nicht einfach, die geradlinige Entwicklung, die wir bis zu „Back To Times...“ aufgebaut haben, aufzugeben. Zumal darüber Fans gewachsen sind, die uns unterstützen. „Back To Times ...“ war letztendlich auch nur eine Platte mit einem Anfang und einem Ende, ohne sie jetzt klein reden zu wollen. Es ist ein künstlerisches Werk mit Abschluss.
Was haben wir nun anders gemacht? Stimmung und Stil sind anders als vorher. Wenn es aber bei der neuen Platte an den Elektrobeats scheitert, weiß ich auch nicht mehr. „Gloria“ ist nicht nur ein Experimentierfeld oder nur Spaß, sie ist auch ein Statement. Die Schritte dahin mussten provokant sein. Entweder man liebt es oder man hasst es. Beides sind spannende Gemütsäußerungen. Es ist ein Statement. Entweder jemand fühlt sich davon extrem angegriffen oder es heißt: Endlich, endlich traut sich mal wieder jemand.

Metal Blade hat die Werbezeile „David Lynch on Metal“ herausgegeben. Könnt ihr euch damit identifizieren?

Andy: Das ist definitiv von uns. Es gab auch noch andere Ideen. Es gab aber auch keinen vordergründigen Plan darüber, „Gloria“ – wie eben auch „Back To Times Of Splendor“ - zu einer soundtrackartigen, detailreichen Musik zu machen. Die Platte spielt generell woanders, als "B.T.T.O.S.". Der Spruch umschreibt am besten, was wir ursprünglich wollten.

Geht bei solch kopflastiger Musik, sei es von Musiker- oder Hörerseite, nicht irgendwann der Spaß verloren?

Andy: Es ist keine kopflastige Musik. Es machte die ganze Zeit über Spaß, und macht es auch jetzt. Es ist auf jeden Fall immer schwierig zu sagen, was man sagen will. Das ist eine Art andauernder Prozess. Es ist wie, wenn man die ganze Zeit um seine Freundin schleicht, weil man ihr sagen will, dass man eine Affäre hat. Irgendwann muss das raus.

DISILLUSION zeichnen sich durch ein stimmiges Gesamtkonzept aus, welches oftmals über das rein Musikalische hinausgeht. Könntet ihr euch vorstellen, eventuell auch in anderen Bereichen eure Visionen umzusetzen?

Andy: Ich wüsste nicht, warum sich etwas ändern könnte. Es passiert ohnehin in unserer Musik verdammt viel. „Gloria“ ist ein Befreiungsschlag. Und was danach geht und was danach nicht geht, das werden wir sehen. Zur Zeit fühle ich mich gar nicht so, als könnten wir Dinge nicht tun. Beim nächsten Album können wir alles machen.

Ihr habt die Option, musikalisch all das machen zu können, was ihr wollt. Gibt es da auch musikalische Einflüsse, die euch dazu bewogen, kompakter zu werden?

Andy: Diese Frage stelle ich mir persönlich nicht. Was wir privat hören ist nicht zentral einflussgebend für uns. Natürlich gibt es spezielle Ausnahmefälle. In erster Linie steckt Erfahrung dahinter, wie Musik entsteht. Ein pauschaler Hit besteht nicht nur aus Noten. Auf Erfolg hatten wir auch nicht versucht zu steuern. Auf der anderen Seite steht nicht nur das Experimentieren im Vordergrund. „Gloria“ ist ein Stück weit reaktionär und auch ein Stück experimentell. Aber so außergewöhnlich empfinde ich die Platte nicht.

Ich schon. Ich höre auch andere Musik als nur Metal. Yvonne kann ein Lied davon singen (sitzt neben mir und lacht).

Andy: Genau mein Reden. Ich finde es vordergründig gar nicht so experimentell. Sicher gibt es ungewöhnliche Kombinationen auf „Gloria“, aber vordergründig sind es elf starke Songs, die rein ins Körperliche gehen (hält seine Hand ans Herz) und körperlich sind. Experimente stehen an zweiter Stelle.

Euch gibt es schon recht lange. Wie ist das Stimmungsbild aus Euren Anfangstagen? Blieb davon noch etwas erhalten?

Andy: Wir sind ja seit 1998/2000 eine komplett andere Band. Seitdem klingen wir auch radikal anders. Die Kernfrage bei DISILLUSION war damals, ob wir bei diesem Neustart nicht einen neuen Bandnamen nehmen. Die spannende Fusion von harten Metalattacken, cleanen Gesänge, Akustikpassagen, Jazzloops hatte es schon 1996 bei uns gegeben.

Jetzt steht die Tournee an. Wie stellt ihr euch die Liveumsetzung vor?

Andy: Das werden wir sehen. Das neue Material wird wesentlich besser funktionieren als „Back To Times Of Splendor". Ich wage zu behaupten, dass viele Songs von "B.T.T.O.S." jetzt live das Problem darstellen. Das neue Material ist nicht auf die Live-Umsetzung angelegt, aber die Fehler, wie auf „B.T.T.O.S." haben wir auf jeden Fall nicht gemacht. Was vom Album spielbar ist, wird gespielt.

Was kommt nach der Tournee?

Andy: (lacht) Erst einmal müssen wir eine haben. Zuerst kommen die Deutschlandshows. Was danach kommt, wissen wir noch nicht. Wir hoffen natürlich auf eine Europatour Anfang 2007. Festivals wird es geben. Aber es ist noch nichts unterschrieben. Wenn alles klappt, wird es groß im Sommer. (lacht)

Bands wie Neurosis kommen mit einer visuellen Show auf die Bühne. Schwebt euch auch so etwas vor?

Andy: Ja, aber erst auf Tour. Man kann aber nicht alles machen. Als Band haben wir beschlossen, das Ganze hauptsächlich als Rock’n’Roll-Sache live zu präsentieren. So haben wir uns entschieden, so werden wir es machen. Das ist vor allem wichtig für die Zukunft der Band. Wären wir den nächsten Schritt gegangen, dann wäre etwas flöten gegangen. Heute Abend geht’s um das Rock’n’Roll-Ding. Auf Tour dann mit einer Orchestercrew. Mit so einer Crew können wir uns noch was einfallen lassen. Heute Abend wird es sowieso visuell, denn heute ist die Videopremiere zu "Don't Go Any Further".

Hast du noch abschließende Worte an unseren Leser in der Bloodchamber?

Andy: Metal ist eine Subkultur und als solche unterliegt sie auf jeden Fall einem reaktionären Prinzip. Und wenn es im Metal nicht möglich ist, Wege zu gehen, die nicht massenkonform sind, aber von Herzen kommen, dann weiß ich nicht, was das alles bedeutet. Dann verstehe ich irgendwas falsch.
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