Berliner Nummernrevue für russische Relativsätze
Interview mit Unsoul
Death Metal / Progressive Rock aus Deutschland - Berlin
Death Metal / Progressive Rock aus Deutschland - Berlin
Leipzig, 18.30 Uhr, Grüntee und Bier - man muss wahrlich kein Prophet sein, um festzustellen, dass diese Kombination mit jeder ihrer unheilig-schwarzen Poren den Geist des Heavy Metal atmet.
Unter diesen Umständen erklärte sich Moritz, seines Zeichens Gitarrist bei den Berliner Extrem-Proggies UNSOUL, dann auch umgehend bereit, uns seine ganz persönliche Sichtweise auf das Label-Debüt "Magnetic Mountain" darzulegen. Im Folgenden lest ihr daher ein paar interessante Fakten zur Entstehung des erdverbundenen Vorschlaghammers, erfahrt von den Fundstellen verstimmter Klaviere, und warum Klischee und Freiheit keine Gegensätze sind. Sozusagen Brachialphilosophie zum Mitmachen - Manege frei!
Aloha, Moritz! Wir beginnen den Tanz mit einem Klassiker: Wenn du zwei Sätze hättest, um „Magnetic Mountain“ und UNSOUL an sich einem Menschen zu beschreiben, der noch nie von euch gehört hat – wie sähen die aus?
Ich würde sagen... ...nein, eigentlich ist es meines Erachtens nicht möglich, das in der Form zu machen, da man unsere Musik am Besten einfach hören sollte. Wenn man das unbedingt in Satzform versuchen wollte, würden das ein paar ganz schöne Relativsätze werden. Das Album hat viele Winkel und dunkle Ecken, man kann sich darin leicht verlieren, aber es gibt auch eine Menge zu entdecken.
Also eine Band für Linguisten?
Haha, deswegen hätte ich die Satznummer gern vermieden. Unsere Musik erschließt sich vielleicht nicht auf Anhieb, dafür soll es aber auch nach dem fünften mal Hören immer noch etwas zu bestaunen geben. Der beste Weg, unsere Musik kennennzulernen, sind auf jeden Fall die Liveauftritte! Wir hören von vielen Besuchern, dass sie nicht recht wussten, was sie mit unseren Aufnahmen anfangen sollten, bis sie uns dann live gesehen haben. Da scheint es so eine Art „Aha-Moment“ zu geben. Wahrscheinlich liegt das an der physischen Energie, der Bewegung und dem Alkohol, haha. So ein Konzert hat ja immer etwas Zeremonielles irgendwie.
Um also die erste Frage nachträglich zu beantworten: Ich würde jemandem, der uns nicht kennt raten, einen unserer Gigs zu besuchen.
Nun ist „Magnetic Mountain“ eine sehr skurrile Sache: Auf der einen Seite ist es sehr progressiv, sehr zergliedert und mit Einzelheiten vollgestopft, ohne dabei jedoch die Eingängigkeit zu verlieren, die „Welcome To Annexia“ aufgrund der metaltypischen Grundstrukturen hatte. Wie seht ihr eure Entwicklung zwischen diesen beiden Scheiben?
Auf „Welcome To Annexia“ wollten wir futuristischen Death Metal spielen, es sollte einen außer-irdisches Feeling herrschen. Als ob man sich ganz weit draußen, vielleicht im Weltall, befindet, mit spacigen Sounds und einer irgendwie unwirklichen Aura.
Mir kam das bisweilen wie ein Soundtrack zur letzten Stadt in „Imagica“ von Clive Barker vor, einer surrealen Mischung aus Ruinen, Geometrie, aber auch organischen Elementen und Geistern, die dem Ganzen den Anschein von Leben geben.
Das könnte als Stimmungsbild passen, auch wenn mir das besagte Buch nicht geläufig ist. Es ging uns tatsächlich darum, etwas Fremdes zu erschaffen.
Dementsprechend gestalteten sich auf der EP dann auch die Keyboards sehr spacig, mit eher künstlichen Sounds. Bei „Magnetic Mountain“ hatten wir allerdings ein ganzes anderes Konzept. Die Fremdheit und Unwirklichkeit ist nach wie vor das große Thema, wir wollten aber dieses mal eher die Fremdheit unserer menschlichen Vergangenheit beleuchten. Denn im Grunde ist die technische Entwicklung der letzten 150 Jahre der abgefahrendste Science-Fiction-Roman, den es geben kann. So absonderlich, wie sich wir uns die letzten Jahrzehnte auf diesem Planeten verhalten haben, da müssten einige Außerirdische ganz schön für üben.
Spielt da das Thema Russland eine besondere Rolle?
Ja, genau! Russland ist ein wichtiger Punkt, denn Magnitogorsk – oder „Magnetic Mountain“ - ist eine real existierende Stadt am Ural, die Stalin im Zuge der Industrialisierung errichten ließ. Das Seltsame ist nun, dass diese Stadt in fast keiner Hinsicht dem Wesen einer Stadt gerecht wird – nämlich eine Heimat für Menschen zu sein. Magnitogorsk ist eine Planstadt, ein Industrie- und Schlafkomplex, sie wurde am Reissbrett entworfen, und die Menschen, denen eine Stadt normalerweise ja „gehört“, mussten sich mit den Gegebenheiten arrangieren. Es ist ein Fremdkörper, nicht nur in der Umgebung, sondern vor Allem auch, weil es zwar von Menschen, aber nicht für Menschen geschaffen wurde. Es ist monströs, es ist uns fremd, aber es ist von uns.
Es gibt viele solcher Orte, an denen man sich unwillkürlich fragt, wie so eine unwirkliche Schöpfung existieren kann. Überall diese fremden Elemente, diese isolierten Blasen, die ihre eigenen Gesetze und eine sehr spezielle Ästhetik haben.
Und diese isolierten Fremdkörper wolltet ihr auf „Magnetic Mountain“ musikalisch verarbeiten?
Genau. Die Songs auf dem Album sind auf ihre Weise wie die genannten Orte: Sie sind von uns erschaffen, sie sind allesamt sehr irdisch, aber sie funktionieren nach ihren eigenen Regeln.
Wo wir uns früher über spacige Sounds und „Science Fiction“-Klänge dem Fremdartigen genähert haben, setzen wir nun auf erdverbundene Töne. Sei es das verstimmte Klavier oder der Holzfällerchor; uns war es wichtig, das diese Elemente unsere Klangvorstellungen realisieren können. Ausgangspunkt war der Gedanke an Magnitogorsk, dann kamen die Soundideen. Das Album soll diese unwirkliche Welt schlaglichtartig erhellen. Es ist wie eine Art von Spiel, und wir wollen dieses Spiel übertreiben.
Also eine Mischung aus Kabarett, Wanderzirkus und Nummernrevue? Ein Kind, das mit zufälligen Entdeckungen spielt, bis es etwas Neues findet – um dann mit diesem bis zum Exzess zu spielen?
Ja, vielleicht. Man könnte es auch anders sagen: Für mich ist Metal attraktiv, weil man Dinge ausreizen kann, so nach dem Motto: Moment, da war doch was merkwürdiges, da will ich hin. Es stößt mich ab, aber gleichzeitig zieht es mich wirklich an. Diese Fremdheit, die man mit 14 bei NAPALM DEATH erleben konnte, der Verkehrsunfall-Effekt: Ich finde es eklig, aber ich kann nicht wegsehen. Es ist eine Art Faszination, die nicht unbedingt positiv aufgeladen sein muss.
Wir machen also Metal, weil diese Musik uns die größte Freiheit bietet. Das hört sich auf den ersten Blick vielleicht seltsam an, aber nur weil niemand diese Freiheiten nutzt, werden sie nicht hinfällig.
Viele Bands kleben leider noch immer am männlichen Stereotyp, müssen immer wieder den Kult um Männlichkeit und Kampf zelebrieren, der in weiten Teilen natürlich vollkommen überzeichnet und irrwitzig wirkt. Dem wollen wir neben anderen Schattierungen auch die erwähnte kindliche Perspektive entgegen setzen, dieses Spielerische, Unbedarfte. Im Spiel aufgehen.
Wir wollen überzeichnen, wir wollen das Extreme, wir wollen das absolute Klischee – und zwar so krass, dass es uns absolut fremd wird.
Also die Auflösung der Konvention mit konventionellen Mitteln...
In gewisser Weise kann Metal ja nie authentisch sein, was eben an diesem Hang zur Übertreibung liegt. Aber überall setzt sich mal eine Konvention durch. Dann wissen Alle, was es zu hören geben wird, wenn sie aufs Konzert gehen. Das ist dann toll für Einige, für mich war's das dann aber....
Wir wollen da anders rangehen. Wir versuchen, eine Stimmung so lange auszuloten, bis wir uns ob der Klischeehaftigkeit im Proberaum anschauen und lachen - „Nee, oder? Das kann ja wohl nicht unser Ernst sein“. Dazu dann noch die anderen Elemente, die untypisch erscheinen, aber genau die angestrebte Stimmung verstärken .
Und wie kann man sich die Entstehung dieser Songs vorstellen?
Als erstes steht normalerweise das Gefühl, welches ich erzeugen will. Ich schreibe dann das Grundarrangement und anschließend wird dieses Gerüst mit den Einfällen der Anderen ergänzt. Da einige der Songs während der Aufnahmen entstanden sind, war es mitunter schwierig, alle Elemente stimmig zusammen zu bekommen. Wir sind da immer im Zwiespalt; auf der einen Seite legen wir es darauf an, uns in den Songs und im Songwriting zu verlieren, auf der anderen Seite wollen wir uns um einen roten Faden bemühen. Das ist ein Balanceakt, wie man so sagt.
Wie viel Zeit habt ihr denn dann im Studio verbracht?
Das ist eine gute Frage, und eigentlich auch eine sehr schwierige. Vom ersten Drumtrack bis zur letzten Keyboardspur sind es etwas über 12 Monate gewesen, was auch daran lag, dass wir zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten in Berlin und anderswo aufgenommen haben. Drums und Gitarren wurden in verschiedenen Studios eingespielt, der Gesang und die Soundeffekte haben wir teilweise in Wohnungen aufgenommen, sprich im Schlafzimmer unseres Keyboarders, oder im Wohnzimmer eines Bekannten, wo der herrlich verstimmte Flügel stand.
Das Problem war folgendes: Wenn man einen Sound, ein Geräusch im Kopf hat, dann ist er eben noch lange nicht auf Band, sondern man muss ihn erst finden. Deshalb konnten wir trotz unserer recht genauen Vorstellungen vom Album den Sack einfach nicht zumachen.
Auffällig ist, dass ihr euch das progressive Label nicht über Technikfetischismus oder pseudo-jazzige Improvisationen verdient, sondern eine ziemlich einzigartige, sehr detaillierte und songbezogene Herangehensweise wählt...
Richtig. Bei vielen technischen DM-Bands steht hörbar die Technik selbst im Vordergrund und danach kommt dann erst der Inhalt des Songs. Bei uns ist es genau andersherum: Inhalt und Stimmung stehen immer vor dem technischen Aspekt, zumal ja der angestrebte Grundton eher wie ein Gefühl ist, welches nicht einmal unbedingt an ein bestimmtes Instrument gebunden ist. Ich habe ein Bild vor Augen, welches dann mit möglichst konkreten instrumentalen Entsprechungen gefüllt wird.
Was ja dann doch zu recht anspruchsvoller Musik führt...
Das Endprodukt muss nicht unbedingt anspruchsvoll klingen, der Weg dahin ist aber trotzdem kompliziert. Es ist zweifelsohne schön, wenn sich ein Song so entwickelt, dass man aus sich heraus gehen kann – das ist das Wichtigste. Der Song muss bekommen, was was er verlangt. Das kann eine technische Passage sein, häufig ist es aber etwas Anderes.
Schlagen wir einen Bogen zurück zum konzeptionellen Hintergrund von „Magnetic Mountain“. Wie fügt sich euer Cover in diesen Kontext ein?
Das Bild zeigt Ölfördertürme in Baku, einer Stadt am Schwarzen Meer, und greift das Wesen von Magnitogorsk visuell auf: Es ist eine Science Fiction-artige Szenerie, die sich trotz ihrer Fremdheit in unter uns Menschen abspielt. Insofern arbeiten Musik und visuelle Gestaltung dann auch zusammen: Es geht um kleine Universen, die auf den ersten Blick befremdlich wirken, weil sie ihren eigenen Regeln folgen, aber irgendwie ist uns das auch alles vertraut. Die daraus entstehende Ästhetik ist nicht alltäglich, aber menschlich ist sie allemal.
Als Partner habt ihr euch ein kleines Berliner Label namens Setalight ausgesucht, die ja in etwas anderen Gefilden zu Gange sind. Wie kam es zu der Allianz?
Wir haben unsere Promo zwar an verschiedene Labels geschickt, aber Setalight haben uns durch ihre Herangehensweise überzeugt: Sie fanden in erster Linie unsere Musik unterstützenswert, das sind selbst Musiker, die die geschäftlichen Unannehmlichkeiten mit Labels ganz gut zu kennen scheinen. Es gab kein endloses Status-Gelaber, keine Fragen nach eindrucksvollen Referenzen oder ähnlichen Spirenzchen, die einer relativ jungen Band im Endeffekt nicht weiterhelfen.
Wir sind von diesem Album überzeugt, wir kennen unsere Livequalitäten, und wir wollen aus diesen Dingen das Beste herausholen. Ich hoffe, das wir dafür den richtigen Partner gefunden haben. Schauen wir mal, wie sich die Dinge entwickeln.
Das Stichwort ist gefallen: Livequalitäten. Wo und wann kann man euch denn zum magnetischen Dinner treffen?
Glücklicherweise haben wir mittlerweile ein schlagkräftiges Line Up, das menschlich und spielerisch sehr gut funktioniert. Mit Walid Farruque ist endlich der schwierige Posten des zweiten Gitarristen gebührend besetzt, sodass wir uns gegenseitig nur noch pushen, da wir musikalisch und technisch auf Augenhöhe operieren.
Und was verbindest du persönlich mit Liveauftritten?
Wir wollen live zeigen, dass extreme Musik auf verschiedenen Ebenen funktionieren muss. Natürlich kann sie intellektuell anspruchsvoll sein, aber im Konzert geht es darum, dass sowohl der Bauarbeiter als auch der Literaturstudent dazu abgehen und sich dann bestenfalls saufend in den Armen liegen.
Das hatten wir letztlich auch im Forum: Wie intellektuell ist Metal eigentlich?
Eine gute Frage, die man wahrscheinlich nicht universal beantworten kann. Sagen wir so:
Metal ist genau so intellektuell, wie man ihn gerne haben möchte. Wenn ich mich an die Kooperationen von britischen Grindcore-Bands mit Vertretern der New Yorker Down Town Avantgarde-Szene erinnere, dann scheinen Bands wie CARCASS einen ganz schönen intellektuellen Eindruck in New York hinterlassen zu haben. Trotzdem halten viele Leute diese Musik noch immer für die schlechte Nachahmung einer Klospülung. Ob man Metal nun für intellektuell hält oder nicht, hängt glaube ich eher von den eigenen Herangehensweise ab. Ich mag es, wenn ich bei einer Platte sowohl kopfmäßig gefordert werde, aber damit genauso gut im Bad den Putz von der Decke holen kann.
Musik ist ja erstmal nicht für irgendjemanden gemacht, sondern sie existiert für sich selbst und sollte auch um ihretwillen gehört werden. Danach ist sie natürlich Ausdruck unserer eigenen Interessen, und wenn das dann noch jemandem gefällt – umso besser.
Moritz, ich danke dir für die Zeit, die Spucke, und wünsche euch das Beste für „Magnetic Mountain“ – die letzten Worte dieses Gesprächs gehören dir:
Ralf, ich danke dir und Bloodchamber.de für das Gespräch, das hat großen Spaß gemacht. Allen Leuten, die sich für uns interessieren sollten, kann ich empfehlen, mal www.myspace.com/unsoulmetal anzuchecken. Kauft das Album oder ladet es illegal herunter, aber lasst uns davon nichts wissen. Hoffentlich sehen wir uns mal bei einem Konzert, da kann man sich auch hervorragend betrunken in den Armen liegen und darüber philosophieren, wie intellektuell CARCASS nun wirklich sind, haha.
www.unsoul.de