Düster, konspirativ & konsequent


Interview mit War From A Harlots Mouth
Grindcore / Metalcore aus Deutschland - Berlin
Interview mit Simon Hawemann (g.) von WAR FROM A HARLOTS MOUTH am 12.04.2009 in der Kommärzbanck in Hammerstadt für die Radiosendung Mosh-Club auf Radio T in Chemnitz: www.mosh-club.de.vu und www.radiot.de
Auf der Seite der Sendung könnt ihr euch das Interview als mp3 runterladen.

Eigentlich wollte ich ja mit Fragen zu eurem aktuellen Album beginnen, aber ihr spielt jetzt innerhalb von zwei Wochen das zweite Mal in der ostdeutschen Provinz. Was genau ist vor zwei Wochen in Frankfurt / Oder passiert?

Simon:
Um es in kurz auszudrücken, wir haben die Show nicht spielen können, oder auch nicht spielen wollen. Das Problem war, dass bei so ein paar Metalbands Hitlergrüße aus dem Publikum von uns gesichtet worden sind, und wir versucht haben die verantwortlichen Personen – Veranstalterin, Türsteher und die Dame an der Kasse - zum Handeln zu bewegen, die Leute im Auge zu behalten und ganz bestimmt auch des Ladens zu verweisen. Wir haben da versucht, ein bisschen mobil zu machen und nachdem das von uns gerade frisch angesprochen worden war, ist im Backstage ein Kerl mit „Aryan Brotherhood“ Shirt und „Combat 18“ Tattoo aufgetaucht. Die anderen Bands schienen sich daran nicht zu stören.
Das ging auch einen Schritt zu weit für uns, und wir haben wieder versucht den Verantwortlichen, von denen wir wussten, klar zu machen, dass wir unter diesen Umständen die Show nicht spielen werden. Diese Diskussion zog sich dann über vier Stunden hin, weil uns immer wieder versichert wurde, dass diese Person rausgeworfen wird. Es schaukelte sich dann auch hoch, da diese Person in dem Shirt uns erst erklären wollte, er sei eigentlich links, aber nach und nach kippte seine Stimmung, und er fing an uns mit irgendwelchen 40 Fußball Hooligans zu bedrohen. Das konnte uns auch einer der Türsteher bestätigen, dass solch eine Klientel im Laden war. Nach über vier Stunden war dann auch der Clubbesitzer zu sprechen, und der versicherte uns auch, er würde den jetzt rauswerfen, aber da war es dann eigentlich auch schon zu spät. Relativ detailreich steht es auch bei uns auf der MySpace Seite. Da kann das jeder nachlesen.

Lange Rede, kurzer Sinn, es war halt sehr erschreckend, wie wenig sich die Leute daran gestört haben, dass es Hitlergrüße aus dem Publikum gab und an den Tätowierungen und T-Shirts. Es schien da leider Gottes eine sehr breite Akzeptanz zu geben.

Warum habt ihr die Namen der Bands nicht genannt?

Doch, auf unserer MySpace Seite stehen die Namen der beiden Frankfurter Bands VRANKENVORDE und AHNENGRAB. Das Problem war, dass wir vorher nicht wirklich Line Up Informationen hatten und der Informationsfluss vor der Show sowieso etwas schwierig war. Die Veranstalterin war auch sehr jung und schien zum ersten Mal ein Konzert zu organisieren. Der Informationsfluss war z.B. so schlecht, dass mich irgendwann der Tontechniker im Vorfeld anrief und wissen wollte, was wir für Equipment mitbringen würden und für Sonderwünsche hätten.

Es hat sich dann erst vor Ort herausgestellt, mit wem wir spielen und bei den Namen VRANKENVORDE und AHNENGRAB kratzt man sich schon etwas am Kopf. Allerdings muss man auch dazu sagen, dass im Black- und Pagan Metal Bereich eigenartige Bandnamen und gewisse Provokative Mittel nicht selten sind.

Ich kann aber auch ganz schwer sagen, ob die Bands rechter Gesinnung sind oder nicht. Was ich ganz sicher sagen kann, ist, dass der Sänger von AHNENGRAB noch mit einem der Leute, die den Hitlergruß gezeigt haben, danach kumpelmäßig gequatscht hat. Ich hab den Sänger darauf angesprochen und er hat alles abgestritten, das wäre nur irgendwer gewesen. Ich fand das relativ bezeichnend, dass die beiden Bands sich etwas doof gestellt haben. Ich hatte schon den Eindruck, dass sie die Leute kannten. Beide Sänger haben uns danach dann noch bei MySpace angeschrieben, aber wirklich viel verwertbares ist dann dadurch nicht rausgekommen. Ich kann die Bands und auch das Label [Heiden Klangwerke, bjg] schwer einschätzen, alles sehr eine Grauzone.

Was zieht ihr daraus für Konsequenzen?

Beim nächsten Mal werden wir nicht mehr so lange diskutieren. Ich find es wichtig, dass diskutiert wird und eine Konfrontation stattfindet, um auf das Problem aufmerksam zu machen und man nicht nur ins Auto steigt und wieder fährt. Im Endeffekt war für uns der Fall ja klar und hätte man uns nicht so lange hingehalten, hätte sich alles sehr verkürzt. Für uns jetzt klar, falls so was noch mal passiert, wir sehr deutlich sagen werden, was passiert wenn nicht gehandelt wird. Unsere Abreise wird dann auch schneller geschehen.

Das Doofe war auch, dass wir vor Ort niemanden kannten und auch die einzigen waren, die sich darüber beschwert haben. Wenn die Situation eskaliert wäre, vermute ich mal, dass es schwierig geworden wäre, Leute auf seiner Seite zu haben. Man muss da auch ein bisschen an seine Sicherheit denken, und ich bin nicht scharf darauf sich die Pfosten einkloppen zu lassen. Wäre man in einer vertrauteren Umgebung gewesen und hätte man die Situation besser einschätzen können, hätte man diese Person auch selbst aus dem Club befördern können. Aber zu fünft in einem unbekannten Laden mit unbekannten Bands, die sich nicht daran stören und diese Leute auch zu kennen scheinen, kann man da nicht wirklich viel klüger handeln, als nach einer gewissen Diskussionszeit Leine zu ziehen. Die Konsequenz ist, dass wir weiter konsequent bleiben und weiter Flagge zeigen werden.

Aber ihr sagt nun nicht, in dem und dem Club, in dieser Gegend oder wenn uns nicht bekannt ist, mit wem wir spielen, tauchen wir nicht mehr auf?

Manchmal ist der Informationsfluss schon etwas dünn, in der Regel passiert so was aber nicht und es ist ja auch das erste Mal, dass uns so etwas passiert ist. Ich würde nicht mal sagen, dass wir solche problematischen Regionen meiden wollen, denn ganz im Gegenteil hat sich die Idee ergeben ganz bewusst in diese Regionen mit einem informativen Auftrag zu fahren, Konzerte zu geben und zu informieren, wie und wo die Probleme liegen, da es ja dort niemanden gestört hat. So blöd und vereinfacht es klingt, aber ich denke, dass bei einigen dort eine gewisse Milieuschädigung vorliegt, die wachsen halt einfach damit auf, und das ist der Micha, den kennt man schon lang und der ist ja eigentlich gar nicht schlimm. Das war wahrscheinlich das Problem vor Ort und das herrscht auch woanders vor.

Eine Tour zu dem Thema zu machen und durch Problemregionen zu fahren, ist auch bei der Initiative „Kein Bock auf Nazis“ gut angekommen. Die hatten uns bei MySpace angeschrieben, wir mit ihnen über die Vorfälle diskutiert und die würden das vielleicht auch mit einem Stand unterstützen. Ich denke, den Schwanz einzuziehen und diese Regionen konsequent zu meiden, ist bestimmt nicht das Richtige. Wir werden uns aber bestimmt nicht wieder in eine ähnliche Situation begeben und alleine nach Frankfurt / Oder fahren und große Augen kriegen, wenn so was wieder passiert.

Kommen wir mal auf etwas Erfreulicheres zu sprechen, euer neues Album. Ihr habt in den Pressemitteilungen zur Veröffentlichung groß den Sound herausgestellt, dass ihr nicht mehr so einen klinischen Sound haben wollt. Warum habt ihr das so erwähnt und warum habt ihr euch dafür entschieden?

Dieser klinische Sound hatte sich in letzter Zeit sehr verbreitet, weil den mittlerweile jedes kleine Studio basteln kann. Vor ein paar Jahren gingen alle Metalcore Bands zu Tue Madsen und eine Platte hat sich wie die andere angehört. Das Problem gibt es heute immer noch ,und wir stehen auf ein bisschen echte Produktion. Wir hatten Lust zu experimentieren und Lust drauf analog aufzunehmen, um Sachen zu machen, die anders sind. Es klingt alles ein bisschen echter und mehr nach Liveatmosphäre und für den Moment war es nicht reizvoll für uns wieder so einen klinischen Sound zu haben. Den hatten wir schon auf „Transmetropolitan“, was damals eher eine Zeit- und Geldfrage war. Zeit hatten wir jetzt auch nicht, aber das Anliegen einen anderen Sound zu haben, und so haben wir dann analog aufgenommen.

Bei „Transmetropolitan“ hattest du ja fast allein das Songwriting übernommen.

Würde ich jetzt so nicht sagen. Wir waren als Band ja schon zusammen zu dem Zeitpunkt. Bei der Split mit MOLOTOV SOLUTION war es noch so, da war ich der einzige Saiteninstrumentenbediener. Aber bei der „Transmetropolitan“ hatten wir zu Beginn ein festes Line Up mit Daniel und Filip, und so haben alle am Songwriting mitgewirkt.

Den Unterschied im Songwriting sehe ich eher darin, dass wir damals als Band nicht eingespielt waren und uns noch nicht gefunden hatten. Als wir komplett waren, haben wir auch gleich angefangen die Platte zu schreiben, und es war sehr spontan und musste schnell gehen. Im Gegensatz zu jetzt haben wir kaum darüber nachgedacht, was wir gemacht haben.

Wie würdest du die Veränderungen beschreiben?

Ich seh die Unterschiede als nicht so extrem an. Wir haben uns nur noch mehr Einflüssen geöffnet. Beim letzten Mal war es spontan und schnell, und dieses Mal haben wir uns mehr Zeit genommen und überlegt, was genau wir machen wollen. Wir wollten es abwechslungsreicher gestalten, wollten mehr Einflüsse reinbringen und haben versucht Songs zu schreiben, ohne dabei unseren Stil zu mäßigen. Durch wiederkehrende Elemente haben wir versucht, einen roten Faden reinzukriegen. Vielleicht ist das Album etwas durchdachter und ausgetüftelter.

Was sind das für Einflüsse? Für mich klingt das Album so, dass ihr euch bewusst diesem Trend abwendet, den ihr auch mit gestaltet habt.

Die Platte hätten wir auch gut vorher schreiben können, wenn wir uns da die Zeit dafür genommen hätten. Ich kann’s schwer sagen.

Habt ihr bewusst was geändert, weil Nico jetzt euer Sänger ist? Musstet ihr was ändern?

Nicht wirklich, aber seine Stimme hat dazu eingeladen etwas anders zu machen. Er unterscheidet sich von Steffen ja relativ deutlich bzw. macht andere Sachen. Das hat uns schon bewegt Sachen anders zu machen bzw. anders zu spielen und Experimente zu machen, mit denen auch er etwas anfangen konnte. So haben wir uns quasi gegenseitig den Ball zugespielt und rumexperimentiert.

Um es für mich grob zusammenzufassen: Das Album ist düsterer ausgefallen. Auch textlich?

Würde ich schon sagen, obwohl unsere Texte vorher ja auch nicht lustig waren. Wegen der ironisierten Songtitel wurde das vielleicht mal so aufgegriffen, aber generell war es nie unser Bestreben äußerst lustig zu sein. Auch bei den Texten haben uns dieses Mal etwas mehr Zeit genommen, bei der „Transmetropolitan“ hatte unser alter Sänger bis kurz vor dem Studiotermin nur sehr wenig gemacht und dadurch wurde ich in die Rolle des Schreibers reingedrückt, denn irgendwer musste es ja machen. Da ist dann in relativ kurzer Zeit relativ viel entstanden, oder Sachen, die sich über die Jahre angesammelt hatten, wurden zusammengepuzzelt. Dieses Mal haben Nico und ich uns zusammengesetzt und wussten vorher auch schon, was wir wollten. Eine düstere Atmosphäre wollten wir und haben auch versucht, das durch die Texte zu unterstützen.

Du hast es eben schon erwähnt, Nico schreibt jetzt auch Texte. Kam er selber mit der Idee an oder hast du ihn dazu aufgefordert?

Er wollte Texte schreiben, und ich wollte das auch weiterhin machen, und da war es am einfachsten sich ohne große Egoquerelen auf den Geist zu gehe,n und es zusammen zu machen. So war es dann auch. Wir haben uns zusammengesetzt. Er hat seine Fetzen mitgebracht, ich meine und dann haben wir geschaut, wie wir die Sachen kombinieren können. Wir hatten uns auf einen Themenbereich geeinigt und dann ist das meiste aus den besten Sachen von ihm und mir entstanden. Nur wenige Texte sind alleine von ihm oder alleine von mir.

Wieso gibst du eigentlich immer alle Interviews?

In der Mehrzahl geben wir sowieso keine vernünftigen Interviews. Da kommt nur Schwachsinn dabei heraus, wenn man uns zu fünft irgendwo hinsetzt. Das ist einfach so; das kann man nicht ändern. Und dann hat sich das bei der letzten Platte so ergeben, dass ich das alleine mache. Die Email-Interviews versuch ich schon auch auf andere zu verteilen, aber ich hab schon auch im Vergleich zu den anderen am meisten Zeit.

Wenn ich so deine letzten Interviews so durchlese, betonst du zur Zeit relativ häufig, dass WAR FROM A HARLOTS MOUTH als Nebenprojekt gestartet sind. Warum ist dir die Betonung so wichtig?

Ich betone das in dem Kontext der Frage nach unseren Ambitionen bei der Bandgründung und was für einen Einfluss Publikumsreaktionen und die Meinungen Dritter auf unsere Musik haben. Da komme ich immer auf den Ursprung zurück, dass wir als Spaß- und Nebenprojekt angefangen haben, um uns musikalisch auszuleben. An dieser Grundidee des musikalischen Austobens hat sich auch bisher nichts geändert. Wir wollen das machen, was uns persönlich zufrieden stellt und uns sind die Reaktionen Dritter da egal. Die Grundidee ist halt in einer etwas anderen Form noch vorhanden. Mittlerweile ist es ja zu unserer Hauptband geworden.

Ihr habt jetzt einen Song namens „Scully“. Ihr hattet auf dem letzten Album den Song „Mulder“. Was fasziniert dich oder euch so an Akte X?

Mittlerweile uns. Ich hab die anderen damit angesteckt. Ich hab alle Akte X Staffeln auf DVD. Wir nehmen die mit auf Tour, gucken die uns an und alle stehen drauf. Ich bin mit der Serie aufgewachsen, und es gibt einen Teil in der Mitte der Serie, wo alles sehr zusammenhängend wird und sehr konspirativ ist. Konspirative Geschichten haben mich schon immer interessiert und begeistert, schon als ich noch jünger war. Mulder ist meiner Meinung nach auch der coolste und beste Seriencharakter, den es jemals gab. Bei der letzten Scheibe hat es mich dazu inspiriert, was dazu zu schreiben. Damals hatte der Text nicht so viel mit der Serie zu tun, dieses mal etwas mehr. Gerade das konspirative an der Serie finde ich halt schon immer interessant.

So sehr, dass du dein Mastering Studio danach benannt hast?

Mehr oder weniger. Ich hab es „Moulder“ genannt, mit ou. Natürlich ist es an Mulder angelehnt, aber „mould“ heißt im Englischen auch Schimmel, und das ist so ein Insider Witz zwischen mir und dem Sänger von TIME HAS COME. Wir sagen zu allem immer schimmeln, z.B. zum rumhängen, und er hat mir mal irgendwann erzählt, dass Schimmel „mould“ heißt. So konnte ich meine zwei Insider Begeisterungen halt zusammenbringen.

Ist das ein zweites Standbein von dir? Soll das ein zweites Standbein werden? Wie weit wird das ausgebaut?

Ich hoffe, das soweit ausbauen zu können wie möglich. Es lief jetzt ganz gut, klar sind es meistens Demoproduktionen für Bands aus Berlin, aber ab und zu sind auch ein paar größere Sachen dabei. Kürzlich hab ich ein Album gemastert von einer Band, die ihr Album demnächst über Bastardized rausbringt. ICHOR heißen die, und es war schon ein relativ ambitioniertes Projekt. Das Ziel ist es, es zu etablieren und wenn es etabliert ist, kann man da vielleicht auch irgendwann mit Geld verdienen, um sich ein Standbein aufzubauen. Um sich vor allem erstmal ein erstes Standbein aufzubauen, denn die Musik ist kein Standbein. Das ist vor allem ein Hinkebein.

Die nähere Zukunft ist die „Thrash and Burn Tour“. Vorfreude, Skepsis, was überwiegt?

Unser Slot als dritte Band ist ganz okay. Vorfreude ist auf jeden Fall gegeben, denn unsere letzte ausgedehnte Tour im September und Oktober ist schon etwas her, und mir fällt zu Hause schon die Decke auf den Kopf. Die Tour ist auch mit Abstand die größte, bei der wir mitgefahren sind. Es ist schon aufregend. Man spielt in großen Läden und lernt wieder was dazu. Natürlich werden wir auch Kacke fressen müssen, da unter den anderen Bands wohl auch ein paar Rockstars dabei sind, die sich dementsprechend wohl auch aufführen sollen. In erster Linie bin ich gespannt und nicht allzu skeptisch, denn es wird schon gut laufen, und wir werden sicherlich vor mehr Leuten spielen als sonst. Wir haben auch die Gelegenheit z.B. den durchschnittlichen BLEEDING THROUGH Fan von uns zu überzeugen, der uns vielleicht noch gar nicht kennt. Gespannt trifft es am besten.

Zum Abschluss des Interviews darfst du dir noch ein Lied für die Radiosendung wünschen.

Ich mach es mal ganz einfach. Es gibt nen Metalsong, den ich ziemlich cool finde, von der Band DARKANE, und der Song heißt „Secondary Effects“. Den finde ich ziemlich cool, ist eine schöne eingängige Nummer, die trotzdem gut ballert.
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