Sehr gute Songwriter, die Farben des Metal und Kollektivbewusstsein
Interview mit Nevermore
Power Thrash Metal aus USA - Seattle
Power Thrash Metal aus USA - Seattle
Das neue Album „The Obsidian Conspiracy“ ist just erschienen, man präsentiert es und sich ausgiebig live in diesem Sommer, dazu gibt es mit dem jungen Ungarn Attila Voros ein neues (Live-)Mitglied im seit vielen Jahren aufeinander eingeschworenen NEVERMORE Quartett. Mehr als genug Gründe, um ein paar Fragen zu stellen. Getroffen hat es Bassist Jim Sheppard, der Warrel Dane kurzfristig am Telefon ersetzte, damit dieser seine Stimme schonen kann. Nachdem er zu Beginn des Gesprächs erzählt, dass er seinen Geburtstag (drei Tage vor dem Interview) immerhin eine Stunde feiern konnte, bevor im Hotelzimmer weiter und wieder Lieder mit Attila geprobt werden mussten, geht es los.
Wie fühlt es sich an, wieder mit NEVERMORE am Start zu sein, und was hast du in den letzten Jahren gemacht?
Jim: Es fühlt sich richtig gut an, wieder mit NEVERMORE unterwegs zu sein. Unglücklicherweise war der Grund für die lange Auszeit der Band meine Gesundheit. Ich habe schon mein Leben lang eine Krankheit, und es war der Punkt erreicht, an dem eine Operation notwendig wurde. Ich sollte einmal operiert werden, mich erholen und dann gleich wieder zurück an die Arbeit gehen können, aber es gab Komplikationen und so folgte eine weitere Operation und noch eine… Vier Operationen und drei Jahre, während derer ich mich gefragt habe, ob ich mein gewohntes Leben jemals zurückbekomme. Drei Jahre sind eine lange Zeit. Jetzt bin ich endlich gesund und fühle mich großartig, aber ich halte nichts mehr für selbstverständlich. Ich bin so glücklich, hier zu sein und bereit aufzutreten. Ein Großteil der Auszeit war mir geschuldet, was Warrel (Dane, voc.) und Jeff (Loomis, git.) auch die Gelegenheit gab, ihre Soloscheiben aufzunehmen und andere musikalische Erfahrungen zu sammeln.
Sie haben die Zeit gut genutzt.
Jim lacht: Ja! Ich glaube, genauso wie sie sich selbst in einer anderen musikalischen Identität wiedergefunden haben, hat es NEVERMORE wirklich verbessert, als sie wieder zusammen waren. Ein paar Schritte abseits des Weges… So wie in meinem Fall. Ich war mit meiner Sterblichkeit konfrontiert und es hat mein Leben verändert. Ich glaube, dass Warrel & Jeff, nachdem sie ihre Soloprojekte verfolgt hatten und dann zurück kamen, realisiert haben, wie wertvoll NEVERMORE ist.
Sie haben eine neue Perspektive auch im Bezug auf NEVERMORE gewonnen?
Jim: Ja, und das hat meiner Meinung nach auch in die neuen Lieder gewirkt.
Habt ihr die neuen Songs schon live gespielt oder wird das in zwei Tagen das erste Mal sein? (Das Interview fand zwei Tage vor der Metalfest Reihe statt, bei der NEVERMORE aufgetreten ist)
Jim: In zwei Tagen wird es das erste Mal sein, dass wir die Lieder woanders als im Studio spielen. Das war auch eine andere Erfahrung, denn wir haben sie nie zusammen in der Pre-Production gespielt. Wir sind einfach ins Studio gegangen und haben sie aufgenommen.
Also bist du ein wenig aufgeregt?
Jim: Yeeeahahahaha! Sehr aufgeregt, wie du an meinem Lachen hören kannst.
Kommen wir zu „The Obsidian Conspiracy“. Meiner Meinung nach klingt es bei den ersten Durchläufen ziemlich melancholisch und erst nach mehrmaligem Hören nimmt man sowohl die Vielseitigkeit als auch die Kraft wahr, die in den Liedern steckt. (Jim lacht.) Machst du ähnliche Erfahrungen oder Wahrnehmungen, wenn du die Lieder zum ersten Mal hörst bzw. spielst?
Jim: Ja, natürlich. Aber meine Perspektive ist anders, weil ich NEVERMORE weggenommen wurde. Und als ich dann fit genug war zurück zu kommen, hab ich die Lieder gehört und dachte nur Wow. Ich war überwältigt. Ich war nicht wirklich in das Schreiben involviert, und dann habe ich einige Durchläufe gebraucht. Ich weiß, wie das mit NEVERMORE ist, mit der Musik, die wir spielen. Aber auf der anderen Seite sind Jeff & Warrel so gute Songwriter geworden… Sie sorgen dafür, dass man sich das Album sehr leicht anhören kann. Im ersten Moment ist man überrascht, wie einfach es ist, fast wie ein Pop Album. Aber wenn man anfängt, es konzentrierter zu hören, stecken einige der kompliziertesten und schnellsten Stellen der Band jemals drin. Ich glaube, dass mit der Leichtigkeit der Performance und des Songwritings eine Verschleierung, eine Art von Inkognito einhergeht. Das Songwriting ist zu einem solchen Level gereift, dass es leicht fällt, das Album einfach klingen zu lassen. Und ich glaube, dass sich einige im ersten Moment denken werden: Oh, sie haben sich verkauft. Aber wenn man sich einmal tiefer einhört, kommen einige der schnellsten Sachen, die ich je spielen musste. Das verstehen einige Fans erst mit der Zeit, ich habe zum Beispiel von einem den Kommentar gehört, dass keine schnellen Lieder auf dem Album wären, und dachte nur: „WAS?!“ Es ist etwas verborgen, verschleiert. Das habe ich gedacht, als ich es gehört habe.
Viele Lieder gefallen auf Anhieb ganz gut, aber sie brauchen ihre Zeit, bevor sie Herz oder Hirn erreichen. Auf der anderen Seite gibt es „Emptiness Unobstructed“, eins der eingängigsten Lieder, wenn nicht das eingängigste, das die Band je gemacht hat.
Jim: Ja, ich stimme dir zu, und zur gleichen Zeit gibt es im Refrain diesen NEVERMORE Moment: viel Raum und den irgendwie gespenstischen, gruseligen Gesang und das (singt das Riff ins Telefon) klingt fast poppig. Aber wenn alles in dem Lied zusammen kommt, ist es für mich ein perfektes Beispiel für ein NEVERMORE Lied.
Wie viele Lieder habt ihr geschrieben, bevor die zehn, die auf der Platte sind, feststanden?
Jim: Das ist schwierig zu sagen. Ich glaube, dass die finalen zehn so ziemlich auch die ersten waren, die geschrieben worden sind. Ich habe versucht, etwas zu schreiben, als ich mich von meinen gesundheitlichen Problemen erholt habe. Also hab ich einige Songs geschrieben, bei denen wir uns am Ende aber einig waren, dass sie nicht stark genug sind. So beschäftigt wie Jeff und Warrel waren… Wir sind keine Band, die 20 Lieder schreibt und dann die zehn besten nimmt. Wir versuchen lieber, gleich zehn richtig gute Lieder zu schreiben.
Also sehr konzentriert an die Sache rangehen, so dass keine Zeit vergeudet wird?
Jim: Ja, genau. Vielleicht ein bisschen Zeit, aber nicht sehr viel. Wenn wir ein Lied hören und merken, dass es nicht stark genug ist, lassen wir es sofort sein. Wir gehen dann einfach weiter, und so finden wir das richtige Riff.
Meiner Meinung nach seid ihr einer der Lieblinge der Magazine und Schreiber, die auch deshalb viel Zeit in das Reviewen eurer Alben und eurer Musik stecken. Fühlt ihr euch aus diesem Grund ein wenig als etwas Besonderes oder stimmst du mir in dem Punkt nicht zu?
Jim: Doch, schon. Auf gewisse Weise fühlt man sich als etwas Besonders, aber auf der anderen Seite sehe ich auch das Gegenstück dazu in Amerika, wo eine Menge Bands aus Europa besondere Aufmerksamkeit genießen, weil sie aus einem anderen Teil der Welt kommen. Für uns klappt das in Amerika nicht. Wenn wir hierher kommen, scheint es so, dass wir ein bisschen mehr Aufmerksamkeit bekommen, aber ich denke, dass das mehr am Talent der Band liegt. Ich glaube ehrlich, dass wir zu einigen der besten Metalbands gehören. Außerdem sind wir nett, mit uns kann man leicht auskommen und in früheren Zeiten haben wir es geliebt, Party zu machen, wie auch die Magazine. Ja, ich glaube manchmal bekommen wir ein paar kleine Bonusstreicheleinheiten von den Magazinen.
Insgesamt ist es dann so wie in dem Satz – ich weiß nicht, ob es den in Amerika auch gibt – der Prophet zählt am wenigsten im eigenen Land?
Jim lacht: Ja, genau, speziell in unserer Heimatstadt. In Seattle bekommen wir nur schlechte Plattenkritiken. Nur in Seattle. Überall sonst kommen wir ganz gut weg, mal besser und mal schlechter, aber in Seattle unter Garantie schlecht weil, stell dir vor, wir sind nicht NIRVANA, wir sind nicht ALICE IN CHAINS. Die Musikszene in Seattle ist da etwas eigen, und so werden wir praktisch ignoriert in unserer eigenen Stadt.
Das ist verrückt.
Jim: Ja, das ist es. Das ärgert mich wirklich.
Es ist ja nicht so, dass ihr ALICE IN CHAINS die ganzen Fans klauen würdet, denn die meisten ALICE IN CHAINS Fans hören wohl eher kein NEVERMORE.
Jim: Es gibt eher einige aufgeschlossene NEVERMORE Fans, die ALICE IN CHAINS hören. Meiner Meinung nach ist ein großer Teil des Problems, das mich richtig ärgert… Ich bin ein Fan von diesen Bands wie SOUNDGARDEN, ALICE IN CHAINS, aber es hat(te) einen Punkt erreicht, an dem sie sich mehr Gedanken über das Image gemacht haben als die Musikszene. Chris Cornell ist mal damit zitiert worden, dass SOUNDGARDEN nie eine Metalband waren und nie eine sein werden. Als ob das etwas Schlechtes wäre! Und die Presse in Seattle hat sich das zu Herzen genommen und schenkt dem Metal jetzt einfach keine Beachtung mehr. Ich glaube, einer von PEARL JAM hat ähnliche schlechte Dinge über Metal gesagt.
Ich dachte, dass das eine Sache ist, die wir nach den 90ern hinter uns gelassen haben…
Jim: Ja, das hat auch jeder getan außer leider der Presse in Seattle. Wenn eine neue NEVERMORE Platte erscheint, reiten sie immer noch auf NIRVANA herum. „Erinnert ihr euch, in dem und dem Jahr hat NIRVANA „Bleach“ veröffentlicht.“ Aber es wird nichts über das neue NEVERMORE Album geschrieben. Ich glaube, dass die Presse das irgendwie persönlich genommen, hat und leider haben einige der Musikmagazine in Seattle Schreiber mit einem größeren Ego als die meisten Gitarristen. Sie schreiben ein sehr poetisches Review, um zu sagen: „Seht her, ich kann schreiben und sollte eigentlich Romane schreiben.“ Und im Endeffekt ist es ein schlechtes Review, aus unserer Sicht. Dem Schreiber ist es wichtiger, wie er geschmackvoll rüberbringen kann, dass er ein Autor ist. Falls er sich überhaupt Musik aus unserem Genre anhört, das natürlich Heavy Metal ist.
Und ich dachte, nur zornige Literaturkritiker wären verhinderte Autoren… (Jim lacht laut.)
Kommen wir zurück zum Album. Wie habt ihr die beiden Coversongs für die Limited Edition – „Crystal Ship“ von THE DOORS und „Temptation“ von THE TEA PARTY – ausgewählt?
Jim: Wir hatten nicht ausreichend Musik dem Vertrag mit Century Media entsprechend, also war Platz für einen Coversong. Das ist etwas, was wir immer sehr persönlich nehmen. Wir wählen Lieder wie „Sounds Of Silence“ (SIMON & GARFUNKEL, auf „Dead Heart In A Dead World“), die einem völlig anderen Musikgenre entstammen und machen daraus einen Song, der heavy ist. Wir spielen ihn im NEVERMORE Stil. Dieses Mal brauchten wir ein bisschen mehr als nur ein Lied, also entschieden wir, zwei Coversongs aufzunehmen. Zuerst mal möchte ich sagen, dass ich mit dem ganzen Bonustrack Kram nichts anfangen kann. Wenn man eine CD kauft, sollte man die ganze CD bekommen. Bonus Tracks, Specials etc. sind lächerlich in meinen Augen, aber das nur am Rande. Jeff und Warrel haben sich je ein Lied ausgesucht und wir haben uns dann entschieden, beide zu covern, auch weil für uns zwischen dem THE DOORS Lied und dem von THE TEA PARTY eine Verbindung besteht. Vielleicht ist Jeff Martin (der Sänger & Gitarrist von THE TEA PARTY) eine Reinkarnation von Jim Morrison. Als wir zum ersten Mal „Crystal Ship“ gespielt haben, hat Jeff das sehr heavy gemacht. Wir haben es uns angehört und gesagt, dass das so einfach nicht funktioniert und wir vielleicht näher am Original bleiben sollten und dieses etwas zerlegen. Ich finde „Crystal Ship“ ist brillant geworden. Und bei THE TEA PARTY war es das Gleiche. Sie sind eine Rockband und wir haben es mit einer Metalversion versucht und auch es in einer auseinandergenommenen Version zu etwas anderem zu machen. Wir haben bei den Covern dieses Mal entschieden, diesen Bands, die irgendwie eine Rolle in unseren Leben gespielt haben, etwas treuer zu bleiben.
Und ihr sucht die Lieder nicht nach Genre sondern nach ihrem Inhalt, ihrer Botschaft aus?
Jim: Ja, genau, aber auch nach Genre. Für uns als Musiker ist es wichtig, einen runden, ausgewogenen Musikgeschmack zu haben. Ich höre mir nicht den ganzen Tag Metal an und spiele dann noch in einer Metalband. Ich höre eine Menge unterschiedlicher Musik, die mich beeinflusst, und bei Jeff und Warrel ist das genauso. THE DOORS und THE TEA PARTY waren immer Bands, die wir gehört haben und die uns ein klein wenig beeinflusst haben. Es ist auch eine Botschaft an die Fans: Wenn ihr vielleicht noch nicht die Gelegenheit gehabt habt, diese Bands zu hören, seht ihr hier, was wir auch hören. THE TEA PARTY und THE DOORS. Ich bin wirklich glücklich darüber, wie unsere Versionen schließlich geworden sind.
Wenn man im Internet nach NEVERMORE Interviews sucht oder Albumkritiken liest, liegt der Fokus meist auf Warrel und Jeff. Fühlt ihr euch manchmal ein kleines bisschen unter Wert verkauft, du und Van (Williams, dr.), wenn der Großteil der Aufmerksamkeit Warrel und Jeff zufällt?
Jim: Ich kann nicht für Van, nur für mich selbst sprechen, aber nein, überhaupt nicht. Ich habe großes Glück, in einer Band mit zwei brillanten Musikern zu sein. Und da zu sein und sie zu unterstützen ist alles, was ich brauche. Ich kann dir eine kleine Geschichte erzählen, die mir klargemacht hat, dass meine Position gar nicht so schlecht ist. Warrel und ich waren an einem Freitagabend in Seattle unterwegs. Wir haben an einem Supermarkt gehalten, um Bier zu besorgen, als ein Leichenwagen angefahren kommt, aus dem eine Menge Kids mit Metalshirts, Jeanswesten und Lederjacken raussprangen und in den Laden stürmten. Plötzlich haben sie Warrel gesehen und rufen „Oh Gott, Warrel Dane!“ Sie rennen alle zu ihm, während ich aus dem Weg gestoßen wurde und dann rausgegangen bin, um beim Warten eine Zigarette zu rauchen. Die Kids drängten sich um ihn, fragten nach Autogrammen und riefen „Erzähl mir dies, erzähl mir das!“, worauf er antwortete: „Hört mal zu, ich will nur hier raus und zu einer Party.“ Da habe ich realisiert, dass es nicht so schlecht ist, so nah am Ruhm zu sein, ohne berühmt zu sein. Ich weiß nicht, wie Van das sieht, aber ich fühle mich so seeehr wohl.
Bei dieser Geschichte hört sich das verständlich an.
Jim: Ja, und gleichzeitig weiß ich, dass es ein bestimmtes Level an musikalischen Können erfordert, um mit Leuten wie Jeff und Warrel spielen zu können. Ich fühle mich bestätigt, wenn ich nur mit ihnen spielen kann.
Was ist das Besonders am Metal, dass Bands und Fans zu einer besonderen Gemeinschaft macht, die näher an einer großen, vielfältigen Familie als an einer bloßen Band – Fan Verbindung ist? Oder ist das aus deiner Sicht ein Mythos?
Jim: Nein, das ist so. Es gibt eine Metalfamilie, eine Metalgemeinschaft. Metal ist in diesem Punkt wie Punk: Es ist eine Subkultur. Es gibt diese großen Popacts wie Justin Timberlake, N’Sync, Britney Spears. Die haben eine oberflächliche aber seeehr große Familie und dieses „Wer ist der nächste?“ Denken. An einem Tag ist Britney angesagt, am nächsten Tag ist es jemand anderes. Beim Metal geht die Verbindung tiefer, und ich denke, dass es auch eine Verbindung zwischen den Menschen gibt, die sich diese adrenalinhaltige, harte, getriebene Musik aussuchen. Gleichzeitig nenne ich es gerne „Thinking Man’s Metal“, weil es in keinster Weise oberflächlich ist. Es steckt eine Botschaft darin, und auch das sorgt für einen starken Zusammenhalt der Gemeinschaft. Ich sehe das weltweit. Es ist fast, wie in einem Verein zu sein. Egal wo wir sind, wir haben eine Familie dort, sobald wir die Farben des Heavy Metal zeigen. Es ist überhaupt kein Mythos sondern sehr real und ein Teil davon, was mich in diesem Genre hält. Es ist sehr echt, aufrichtig und herzlich. Im Pop dagegen geht es in meinen Augen nur darum, wer gerade im Fernsehen zu sehen ist. Und wenn du mal nicht mehr im Fernsehen bist, bist du nicht mehr cool.
Was war der beste und was war der schlimmste Gig, an den du dich erinnern kannst?
Jim: Der beste war auf dem Dynamo Open Air 1995. Da waren 150.000 Leute! Ich hab sogar einen Rundflug über das Festivalgelände mitgemacht und gesehen, wie viele Leute da waren. Das hat die Stärke und Größe der Metalfamilie, über die wir gerade gesprochen haben, für mich bestätigt. Und es gab keine großen Headliner wie METALLICA, ich glaube, es waren TYPE O NEGATIVE, MACHINE HEAD und kleinere Bands. Die Zugkraft des Festivals war einfach unglaublich! Zugleich war es wohl auch die schlechteste Erfahrung. (Jim lacht.) Da sind 150.000 Leute vor der Bühne und ich sehe keinen einzigen. Es war sehr unpersönlich, es gab keine Verbindung. Ich mag die Clubshows, wo man die Fans zum Greifen nah hat und ihre Gesichtsausdrücke sehen kann. Diese Show, diese Menge war so groß, dass ich total von ihr abgeschnitten war. Deshalb war es sehr hart, für sie zu spielen.
Wie ein anonymer Mob. So viele Gesichter, dass man sich auf kein einzelnes konzentrieren kann und daher alle gleich aussehen...
Jim: Ja, es kam mir wie eine einzige riesige Person vor. Ich konnte keine Persönlichkeit, keine Identität erkennen. Ich denke, dass ein gewisses Maß an Bewusstsein zur Musik gehört. Ich habe mal eine PINK FLOYD Show gesehen und alle, 20.000 Leute, haben gleichzeitig angefangen, ein Lied zu singen. Sie wurden alle ganz ruhig und haben gemeinsam eine Träne vergossen. Da gab es diese Verbindung, wo ich kein Weinen einer Einzelperson erkennen konnte. Ich habe einen großen Riesen gesehen. Es war wie ein Kollektivbewusstsein, dass alle eins werden ließ. Und irgendwann ist der Punkt erreicht, wo eine Menge so groß wird, dass es sich etwas beunruhigend anfühlt. Ich habe mich abgekapselt gefühlt. Es war definitiv der beste, 150.000 Leute!, aber aus diesem Grund war es auch einer der schlimmsten. Es war wirklich kompliziert, eine Verbindung aufzubauen.
Da gibt es noch eine Sache, die ich an der Musik liebe und hier erwähnen muss: Sie ist viel nachsichtiger! Ich war bei einem American Football Spiel, 60.000 Zuschauer. Der Quarterback warf einen Pass und wenn der gut gewesen und gefangen worden wäre, wären wir in das große Spiel gekommen. Er überzog den Pass und warf ihn ins Aus. Er fiel auf die Knie und legte das Gesicht in seine Hände. In der Zwischenzeit rannte das Team vom Feld. 60.000 Leute sahen zu, und mit ein bisschen Verzögerung buhten sie ihn alle gleichzeitig aus. Von meinem Platz konnte ich seinen Gesichtsausdruck erkennen. Er sprang auf, sah hoch und rannte um sein Leben. Könntest du dir vorstellen, vor 60.000 Leuten zu spielen, dann machst du einen Fehler, die Band stoppt und jeder buht dich aus? (Er muss lachen.) Das war beängstigend! Das ist ein anderes Bewusstseinslevel, wenn die Mobmentalität überhand nimmt und jeder gleichzeitig reagiert. Es war nicht „Ok, 1, 2, 3, Boo!“ sondern jeder dachte erst „Was zur Hölle?!“ und dann buhten alle. 60.000 Leute buhten einen Kerl aus.
Der Verein ist größer als die Spieler.
Jim lacht: Ja. Ich glaube, das hätte mich zerschmettert. Musik ist da sehr viel nachsichtiger und wärmer. Sportfans verlangen eine Menge! Aber ich weiß gar nicht, wo das jetzt hinführt. Nur eine weitere Analogie für das Kollektivbewusstsein-Ding, das ich beim Dynamo erlebt habe mit 150.000 Leuten. Jesses! Auch wenn es nur 80.000 waren, als wir gespielt haben.
Immer noch überwältigend nach 15 Jahren…
Jim: Auf jeden Fall! Aber ich kann ja sagen, bei uns waren es nur 80.000 Leute.
Gibt es ein Lied, dass dir ein Gefühl von Heimat vermittelt, wenn ihr auf der anderen Seite des Globus tourt?
Jim: Das dafür sorgt, dass ich mich zu Hause fühle? Gute Frage.
Auf Tour gibt es gute und schlechte Tage. Ein Lied, das dich an einem schlechten Tag aufbaut.
Jim: Ich weiß nicht warum, aber ich muss „The River Dragon“ sagen. Vielleicht weil es allgemein ein sehr beliebtes Lied ist, unabhängig davon, ob wir in den USA, Deutschland oder Griechenland sind. Wenn wir es spielen, ist die Resonanz immer gut und das sorgt dafür, dass ich mich wohl fühle. Die zwei Gitarren, die in der Mitte diesen Soloabschnitt spielen, bringen mich nach Hause. (lacht.)
Gehen wir mal weg von der Musik. Du bist ausgebildeter Koch. Was ist dein Lieblingsessen beim Zubereiten und Kochen, und was ist dein Lieblingsessen beim Essen?
Jim: Beim Zubereiten ist mein Favorit Italienisch, weil es das ist, womit ich angefangen habe und worin ich sehr gut geschult bin. Mein Lieblingsessen wäre wohl Indonesisch, Thai oder Indisch. Ich entscheide mich für Thai.
Ok, schärfer und würziger als Italienisch.
Jim: Würziger, mehr Geschmacksrichtungen und auch leicht. Wenn du eine Spaghettisoße mit Fleischbällchen oder ähnliches isst, ist das schwer und liegt dir im Magen. Thai ist leichter.
Da hast du Recht. Ok, letzte Frage – ich weiß nicht, ob du dich für Fußball interessierst, als Amerikaner vermutlich eher nicht.
Jim: Ich bin ein großer Sportfan, also doch.
Also hast du von der Weltmeisterschaft in Südafrika gehört?
Jim: Ja!
Wer, glaubst du, wird gewinnen?
Jim lacht: Ich bin nicht mal sicher, wer überhaupt mitspielt. Ich weiß, dass sie in Südafrika ist und es ein weltweites Phänomen ist, auch in Amerika, aber ich hab nicht genug Ahnung davon, um einen Tipp abzugeben. Wer ist der Favorit – Barcelona?
Oh. Es sind Länder, die teilnehmen. Zu den Favoriten zählen Spanien, Brasilien, England.
Jim: Afrikanische Teams?
Südafrika, Nigeria, Kamerun und drei weitere sind qualifiziert.
Jim: Hat eines davon eine Chance auf den Sieg?
Nur mit einer Menge Glück.
Jim: Ok, ich denke, dann würde ich Brasilien oder Spanien bevorzugen, aber ich bin kein großer Fan der Engländer. Wenn die Deutschen dabei sind, halte ich zu Deutschland.
Ok, das ist eine gute Antwort.
Jim: Es ist mein Lieblingsland und das einzige Land, bei dem ich jemals dem Fußball (auch im Original benutzt Jim das deutsche Wort.) wirklich Beachtung geschenkt habe.
Jim: Es fühlt sich richtig gut an, wieder mit NEVERMORE unterwegs zu sein. Unglücklicherweise war der Grund für die lange Auszeit der Band meine Gesundheit. Ich habe schon mein Leben lang eine Krankheit, und es war der Punkt erreicht, an dem eine Operation notwendig wurde. Ich sollte einmal operiert werden, mich erholen und dann gleich wieder zurück an die Arbeit gehen können, aber es gab Komplikationen und so folgte eine weitere Operation und noch eine… Vier Operationen und drei Jahre, während derer ich mich gefragt habe, ob ich mein gewohntes Leben jemals zurückbekomme. Drei Jahre sind eine lange Zeit. Jetzt bin ich endlich gesund und fühle mich großartig, aber ich halte nichts mehr für selbstverständlich. Ich bin so glücklich, hier zu sein und bereit aufzutreten. Ein Großteil der Auszeit war mir geschuldet, was Warrel (Dane, voc.) und Jeff (Loomis, git.) auch die Gelegenheit gab, ihre Soloscheiben aufzunehmen und andere musikalische Erfahrungen zu sammeln.
Sie haben die Zeit gut genutzt.
Jim lacht: Ja! Ich glaube, genauso wie sie sich selbst in einer anderen musikalischen Identität wiedergefunden haben, hat es NEVERMORE wirklich verbessert, als sie wieder zusammen waren. Ein paar Schritte abseits des Weges… So wie in meinem Fall. Ich war mit meiner Sterblichkeit konfrontiert und es hat mein Leben verändert. Ich glaube, dass Warrel & Jeff, nachdem sie ihre Soloprojekte verfolgt hatten und dann zurück kamen, realisiert haben, wie wertvoll NEVERMORE ist.
Sie haben eine neue Perspektive auch im Bezug auf NEVERMORE gewonnen?
Habt ihr die neuen Songs schon live gespielt oder wird das in zwei Tagen das erste Mal sein? (Das Interview fand zwei Tage vor der Metalfest Reihe statt, bei der NEVERMORE aufgetreten ist)
Jim: In zwei Tagen wird es das erste Mal sein, dass wir die Lieder woanders als im Studio spielen. Das war auch eine andere Erfahrung, denn wir haben sie nie zusammen in der Pre-Production gespielt. Wir sind einfach ins Studio gegangen und haben sie aufgenommen.
Also bist du ein wenig aufgeregt?
Jim: Yeeeahahahaha! Sehr aufgeregt, wie du an meinem Lachen hören kannst.
Kommen wir zu „The Obsidian Conspiracy“. Meiner Meinung nach klingt es bei den ersten Durchläufen ziemlich melancholisch und erst nach mehrmaligem Hören nimmt man sowohl die Vielseitigkeit als auch die Kraft wahr, die in den Liedern steckt. (Jim lacht.) Machst du ähnliche Erfahrungen oder Wahrnehmungen, wenn du die Lieder zum ersten Mal hörst bzw. spielst?
Jim: Ja, natürlich. Aber meine Perspektive ist anders, weil ich NEVERMORE weggenommen wurde. Und als ich dann fit genug war zurück zu kommen, hab ich die Lieder gehört und dachte nur Wow. Ich war überwältigt. Ich war nicht wirklich in das Schreiben involviert, und dann habe ich einige Durchläufe gebraucht. Ich weiß, wie das mit NEVERMORE ist, mit der Musik, die wir spielen. Aber auf der anderen Seite sind Jeff & Warrel so gute Songwriter geworden… Sie sorgen dafür, dass man sich das Album sehr leicht anhören kann. Im ersten Moment ist man überrascht, wie einfach es ist, fast wie ein Pop Album. Aber wenn man anfängt, es konzentrierter zu hören, stecken einige der kompliziertesten und schnellsten Stellen der Band jemals drin. Ich glaube, dass mit der Leichtigkeit der Performance und des Songwritings eine Verschleierung, eine Art von Inkognito einhergeht. Das Songwriting ist zu einem solchen Level gereift, dass es leicht fällt, das Album einfach klingen zu lassen. Und ich glaube, dass sich einige im ersten Moment denken werden: Oh, sie haben sich verkauft. Aber wenn man sich einmal tiefer einhört, kommen einige der schnellsten Sachen, die ich je spielen musste. Das verstehen einige Fans erst mit der Zeit, ich habe zum Beispiel von einem den Kommentar gehört, dass keine schnellen Lieder auf dem Album wären, und dachte nur: „WAS?!“ Es ist etwas verborgen, verschleiert. Das habe ich gedacht, als ich es gehört habe.
Viele Lieder gefallen auf Anhieb ganz gut, aber sie brauchen ihre Zeit, bevor sie Herz oder Hirn erreichen. Auf der anderen Seite gibt es „Emptiness Unobstructed“, eins der eingängigsten Lieder, wenn nicht das eingängigste, das die Band je gemacht hat.
Jim: Ja, ich stimme dir zu, und zur gleichen Zeit gibt es im Refrain diesen NEVERMORE Moment: viel Raum und den irgendwie gespenstischen, gruseligen Gesang und das (singt das Riff ins Telefon) klingt fast poppig. Aber wenn alles in dem Lied zusammen kommt, ist es für mich ein perfektes Beispiel für ein NEVERMORE Lied.
Jim: Das ist schwierig zu sagen. Ich glaube, dass die finalen zehn so ziemlich auch die ersten waren, die geschrieben worden sind. Ich habe versucht, etwas zu schreiben, als ich mich von meinen gesundheitlichen Problemen erholt habe. Also hab ich einige Songs geschrieben, bei denen wir uns am Ende aber einig waren, dass sie nicht stark genug sind. So beschäftigt wie Jeff und Warrel waren… Wir sind keine Band, die 20 Lieder schreibt und dann die zehn besten nimmt. Wir versuchen lieber, gleich zehn richtig gute Lieder zu schreiben.
Also sehr konzentriert an die Sache rangehen, so dass keine Zeit vergeudet wird?
Jim: Ja, genau. Vielleicht ein bisschen Zeit, aber nicht sehr viel. Wenn wir ein Lied hören und merken, dass es nicht stark genug ist, lassen wir es sofort sein. Wir gehen dann einfach weiter, und so finden wir das richtige Riff.
Meiner Meinung nach seid ihr einer der Lieblinge der Magazine und Schreiber, die auch deshalb viel Zeit in das Reviewen eurer Alben und eurer Musik stecken. Fühlt ihr euch aus diesem Grund ein wenig als etwas Besonderes oder stimmst du mir in dem Punkt nicht zu?
Jim: Doch, schon. Auf gewisse Weise fühlt man sich als etwas Besonders, aber auf der anderen Seite sehe ich auch das Gegenstück dazu in Amerika, wo eine Menge Bands aus Europa besondere Aufmerksamkeit genießen, weil sie aus einem anderen Teil der Welt kommen. Für uns klappt das in Amerika nicht. Wenn wir hierher kommen, scheint es so, dass wir ein bisschen mehr Aufmerksamkeit bekommen, aber ich denke, dass das mehr am Talent der Band liegt. Ich glaube ehrlich, dass wir zu einigen der besten Metalbands gehören. Außerdem sind wir nett, mit uns kann man leicht auskommen und in früheren Zeiten haben wir es geliebt, Party zu machen, wie auch die Magazine. Ja, ich glaube manchmal bekommen wir ein paar kleine Bonusstreicheleinheiten von den Magazinen.
Insgesamt ist es dann so wie in dem Satz – ich weiß nicht, ob es den in Amerika auch gibt – der Prophet zählt am wenigsten im eigenen Land?
Jim lacht: Ja, genau, speziell in unserer Heimatstadt. In Seattle bekommen wir nur schlechte Plattenkritiken. Nur in Seattle. Überall sonst kommen wir ganz gut weg, mal besser und mal schlechter, aber in Seattle unter Garantie schlecht weil, stell dir vor, wir sind nicht NIRVANA, wir sind nicht ALICE IN CHAINS. Die Musikszene in Seattle ist da etwas eigen, und so werden wir praktisch ignoriert in unserer eigenen Stadt.
Das ist verrückt.
Jim: Ja, das ist es. Das ärgert mich wirklich.
Es ist ja nicht so, dass ihr ALICE IN CHAINS die ganzen Fans klauen würdet, denn die meisten ALICE IN CHAINS Fans hören wohl eher kein NEVERMORE.
Jim: Es gibt eher einige aufgeschlossene NEVERMORE Fans, die ALICE IN CHAINS hören. Meiner Meinung nach ist ein großer Teil des Problems, das mich richtig ärgert… Ich bin ein Fan von diesen Bands wie SOUNDGARDEN, ALICE IN CHAINS, aber es hat(te) einen Punkt erreicht, an dem sie sich mehr Gedanken über das Image gemacht haben als die Musikszene. Chris Cornell ist mal damit zitiert worden, dass SOUNDGARDEN nie eine Metalband waren und nie eine sein werden. Als ob das etwas Schlechtes wäre! Und die Presse in Seattle hat sich das zu Herzen genommen und schenkt dem Metal jetzt einfach keine Beachtung mehr. Ich glaube, einer von PEARL JAM hat ähnliche schlechte Dinge über Metal gesagt.
Ich dachte, dass das eine Sache ist, die wir nach den 90ern hinter uns gelassen haben…
Jim: Ja, das hat auch jeder getan außer leider der Presse in Seattle. Wenn eine neue NEVERMORE Platte erscheint, reiten sie immer noch auf NIRVANA herum. „Erinnert ihr euch, in dem und dem Jahr hat NIRVANA „Bleach“ veröffentlicht.“ Aber es wird nichts über das neue NEVERMORE Album geschrieben. Ich glaube, dass die Presse das irgendwie persönlich genommen, hat und leider haben einige der Musikmagazine in Seattle Schreiber mit einem größeren Ego als die meisten Gitarristen. Sie schreiben ein sehr poetisches Review, um zu sagen: „Seht her, ich kann schreiben und sollte eigentlich Romane schreiben.“ Und im Endeffekt ist es ein schlechtes Review, aus unserer Sicht. Dem Schreiber ist es wichtiger, wie er geschmackvoll rüberbringen kann, dass er ein Autor ist. Falls er sich überhaupt Musik aus unserem Genre anhört, das natürlich Heavy Metal ist.
Und ich dachte, nur zornige Literaturkritiker wären verhinderte Autoren… (Jim lacht laut.)
Kommen wir zurück zum Album. Wie habt ihr die beiden Coversongs für die Limited Edition – „Crystal Ship“ von THE DOORS und „Temptation“ von THE TEA PARTY – ausgewählt?
Jim: Wir hatten nicht ausreichend Musik dem Vertrag mit Century Media entsprechend, also war Platz für einen Coversong. Das ist etwas, was wir immer sehr persönlich nehmen. Wir wählen Lieder wie „Sounds Of Silence“ (SIMON & GARFUNKEL, auf „Dead Heart In A Dead World“), die einem völlig anderen Musikgenre entstammen und machen daraus einen Song, der heavy ist. Wir spielen ihn im NEVERMORE Stil. Dieses Mal brauchten wir ein bisschen mehr als nur ein Lied, also entschieden wir, zwei Coversongs aufzunehmen. Zuerst mal möchte ich sagen, dass ich mit dem ganzen Bonustrack Kram nichts anfangen kann. Wenn man eine CD kauft, sollte man die ganze CD bekommen. Bonus Tracks, Specials etc. sind lächerlich in meinen Augen, aber das nur am Rande. Jeff und Warrel haben sich je ein Lied ausgesucht und wir haben uns dann entschieden, beide zu covern, auch weil für uns zwischen dem THE DOORS Lied und dem von THE TEA PARTY eine Verbindung besteht. Vielleicht ist Jeff Martin (der Sänger & Gitarrist von THE TEA PARTY) eine Reinkarnation von Jim Morrison. Als wir zum ersten Mal „Crystal Ship“ gespielt haben, hat Jeff das sehr heavy gemacht. Wir haben es uns angehört und gesagt, dass das so einfach nicht funktioniert und wir vielleicht näher am Original bleiben sollten und dieses etwas zerlegen. Ich finde „Crystal Ship“ ist brillant geworden. Und bei THE TEA PARTY war es das Gleiche. Sie sind eine Rockband und wir haben es mit einer Metalversion versucht und auch es in einer auseinandergenommenen Version zu etwas anderem zu machen. Wir haben bei den Covern dieses Mal entschieden, diesen Bands, die irgendwie eine Rolle in unseren Leben gespielt haben, etwas treuer zu bleiben.
Jim: Ja, genau, aber auch nach Genre. Für uns als Musiker ist es wichtig, einen runden, ausgewogenen Musikgeschmack zu haben. Ich höre mir nicht den ganzen Tag Metal an und spiele dann noch in einer Metalband. Ich höre eine Menge unterschiedlicher Musik, die mich beeinflusst, und bei Jeff und Warrel ist das genauso. THE DOORS und THE TEA PARTY waren immer Bands, die wir gehört haben und die uns ein klein wenig beeinflusst haben. Es ist auch eine Botschaft an die Fans: Wenn ihr vielleicht noch nicht die Gelegenheit gehabt habt, diese Bands zu hören, seht ihr hier, was wir auch hören. THE TEA PARTY und THE DOORS. Ich bin wirklich glücklich darüber, wie unsere Versionen schließlich geworden sind.
Wenn man im Internet nach NEVERMORE Interviews sucht oder Albumkritiken liest, liegt der Fokus meist auf Warrel und Jeff. Fühlt ihr euch manchmal ein kleines bisschen unter Wert verkauft, du und Van (Williams, dr.), wenn der Großteil der Aufmerksamkeit Warrel und Jeff zufällt?
Jim: Ich kann nicht für Van, nur für mich selbst sprechen, aber nein, überhaupt nicht. Ich habe großes Glück, in einer Band mit zwei brillanten Musikern zu sein. Und da zu sein und sie zu unterstützen ist alles, was ich brauche. Ich kann dir eine kleine Geschichte erzählen, die mir klargemacht hat, dass meine Position gar nicht so schlecht ist. Warrel und ich waren an einem Freitagabend in Seattle unterwegs. Wir haben an einem Supermarkt gehalten, um Bier zu besorgen, als ein Leichenwagen angefahren kommt, aus dem eine Menge Kids mit Metalshirts, Jeanswesten und Lederjacken raussprangen und in den Laden stürmten. Plötzlich haben sie Warrel gesehen und rufen „Oh Gott, Warrel Dane!“ Sie rennen alle zu ihm, während ich aus dem Weg gestoßen wurde und dann rausgegangen bin, um beim Warten eine Zigarette zu rauchen. Die Kids drängten sich um ihn, fragten nach Autogrammen und riefen „Erzähl mir dies, erzähl mir das!“, worauf er antwortete: „Hört mal zu, ich will nur hier raus und zu einer Party.“ Da habe ich realisiert, dass es nicht so schlecht ist, so nah am Ruhm zu sein, ohne berühmt zu sein. Ich weiß nicht, wie Van das sieht, aber ich fühle mich so seeehr wohl.
Bei dieser Geschichte hört sich das verständlich an.
Jim: Ja, und gleichzeitig weiß ich, dass es ein bestimmtes Level an musikalischen Können erfordert, um mit Leuten wie Jeff und Warrel spielen zu können. Ich fühle mich bestätigt, wenn ich nur mit ihnen spielen kann.
Was ist das Besonders am Metal, dass Bands und Fans zu einer besonderen Gemeinschaft macht, die näher an einer großen, vielfältigen Familie als an einer bloßen Band – Fan Verbindung ist? Oder ist das aus deiner Sicht ein Mythos?
Jim: Nein, das ist so. Es gibt eine Metalfamilie, eine Metalgemeinschaft. Metal ist in diesem Punkt wie Punk: Es ist eine Subkultur. Es gibt diese großen Popacts wie Justin Timberlake, N’Sync, Britney Spears. Die haben eine oberflächliche aber seeehr große Familie und dieses „Wer ist der nächste?“ Denken. An einem Tag ist Britney angesagt, am nächsten Tag ist es jemand anderes. Beim Metal geht die Verbindung tiefer, und ich denke, dass es auch eine Verbindung zwischen den Menschen gibt, die sich diese adrenalinhaltige, harte, getriebene Musik aussuchen. Gleichzeitig nenne ich es gerne „Thinking Man’s Metal“, weil es in keinster Weise oberflächlich ist. Es steckt eine Botschaft darin, und auch das sorgt für einen starken Zusammenhalt der Gemeinschaft. Ich sehe das weltweit. Es ist fast, wie in einem Verein zu sein. Egal wo wir sind, wir haben eine Familie dort, sobald wir die Farben des Heavy Metal zeigen. Es ist überhaupt kein Mythos sondern sehr real und ein Teil davon, was mich in diesem Genre hält. Es ist sehr echt, aufrichtig und herzlich. Im Pop dagegen geht es in meinen Augen nur darum, wer gerade im Fernsehen zu sehen ist. Und wenn du mal nicht mehr im Fernsehen bist, bist du nicht mehr cool.
Was war der beste und was war der schlimmste Gig, an den du dich erinnern kannst?
Jim: Der beste war auf dem Dynamo Open Air 1995. Da waren 150.000 Leute! Ich hab sogar einen Rundflug über das Festivalgelände mitgemacht und gesehen, wie viele Leute da waren. Das hat die Stärke und Größe der Metalfamilie, über die wir gerade gesprochen haben, für mich bestätigt. Und es gab keine großen Headliner wie METALLICA, ich glaube, es waren TYPE O NEGATIVE, MACHINE HEAD und kleinere Bands. Die Zugkraft des Festivals war einfach unglaublich! Zugleich war es wohl auch die schlechteste Erfahrung. (Jim lacht.) Da sind 150.000 Leute vor der Bühne und ich sehe keinen einzigen. Es war sehr unpersönlich, es gab keine Verbindung. Ich mag die Clubshows, wo man die Fans zum Greifen nah hat und ihre Gesichtsausdrücke sehen kann. Diese Show, diese Menge war so groß, dass ich total von ihr abgeschnitten war. Deshalb war es sehr hart, für sie zu spielen.
Wie ein anonymer Mob. So viele Gesichter, dass man sich auf kein einzelnes konzentrieren kann und daher alle gleich aussehen...
Jim: Ja, es kam mir wie eine einzige riesige Person vor. Ich konnte keine Persönlichkeit, keine Identität erkennen. Ich denke, dass ein gewisses Maß an Bewusstsein zur Musik gehört. Ich habe mal eine PINK FLOYD Show gesehen und alle, 20.000 Leute, haben gleichzeitig angefangen, ein Lied zu singen. Sie wurden alle ganz ruhig und haben gemeinsam eine Träne vergossen. Da gab es diese Verbindung, wo ich kein Weinen einer Einzelperson erkennen konnte. Ich habe einen großen Riesen gesehen. Es war wie ein Kollektivbewusstsein, dass alle eins werden ließ. Und irgendwann ist der Punkt erreicht, wo eine Menge so groß wird, dass es sich etwas beunruhigend anfühlt. Ich habe mich abgekapselt gefühlt. Es war definitiv der beste, 150.000 Leute!, aber aus diesem Grund war es auch einer der schlimmsten. Es war wirklich kompliziert, eine Verbindung aufzubauen.
Da gibt es noch eine Sache, die ich an der Musik liebe und hier erwähnen muss: Sie ist viel nachsichtiger! Ich war bei einem American Football Spiel, 60.000 Zuschauer. Der Quarterback warf einen Pass und wenn der gut gewesen und gefangen worden wäre, wären wir in das große Spiel gekommen. Er überzog den Pass und warf ihn ins Aus. Er fiel auf die Knie und legte das Gesicht in seine Hände. In der Zwischenzeit rannte das Team vom Feld. 60.000 Leute sahen zu, und mit ein bisschen Verzögerung buhten sie ihn alle gleichzeitig aus. Von meinem Platz konnte ich seinen Gesichtsausdruck erkennen. Er sprang auf, sah hoch und rannte um sein Leben. Könntest du dir vorstellen, vor 60.000 Leuten zu spielen, dann machst du einen Fehler, die Band stoppt und jeder buht dich aus? (Er muss lachen.) Das war beängstigend! Das ist ein anderes Bewusstseinslevel, wenn die Mobmentalität überhand nimmt und jeder gleichzeitig reagiert. Es war nicht „Ok, 1, 2, 3, Boo!“ sondern jeder dachte erst „Was zur Hölle?!“ und dann buhten alle. 60.000 Leute buhten einen Kerl aus.
Der Verein ist größer als die Spieler.
Jim lacht: Ja. Ich glaube, das hätte mich zerschmettert. Musik ist da sehr viel nachsichtiger und wärmer. Sportfans verlangen eine Menge! Aber ich weiß gar nicht, wo das jetzt hinführt. Nur eine weitere Analogie für das Kollektivbewusstsein-Ding, das ich beim Dynamo erlebt habe mit 150.000 Leuten. Jesses! Auch wenn es nur 80.000 waren, als wir gespielt haben.
Immer noch überwältigend nach 15 Jahren…
Jim: Auf jeden Fall! Aber ich kann ja sagen, bei uns waren es nur 80.000 Leute.
Gibt es ein Lied, dass dir ein Gefühl von Heimat vermittelt, wenn ihr auf der anderen Seite des Globus tourt?
Jim: Das dafür sorgt, dass ich mich zu Hause fühle? Gute Frage.
Auf Tour gibt es gute und schlechte Tage. Ein Lied, das dich an einem schlechten Tag aufbaut.
Jim: Ich weiß nicht warum, aber ich muss „The River Dragon“ sagen. Vielleicht weil es allgemein ein sehr beliebtes Lied ist, unabhängig davon, ob wir in den USA, Deutschland oder Griechenland sind. Wenn wir es spielen, ist die Resonanz immer gut und das sorgt dafür, dass ich mich wohl fühle. Die zwei Gitarren, die in der Mitte diesen Soloabschnitt spielen, bringen mich nach Hause. (lacht.)
Jim: Beim Zubereiten ist mein Favorit Italienisch, weil es das ist, womit ich angefangen habe und worin ich sehr gut geschult bin. Mein Lieblingsessen wäre wohl Indonesisch, Thai oder Indisch. Ich entscheide mich für Thai.
Ok, schärfer und würziger als Italienisch.
Jim: Würziger, mehr Geschmacksrichtungen und auch leicht. Wenn du eine Spaghettisoße mit Fleischbällchen oder ähnliches isst, ist das schwer und liegt dir im Magen. Thai ist leichter.
Da hast du Recht. Ok, letzte Frage – ich weiß nicht, ob du dich für Fußball interessierst, als Amerikaner vermutlich eher nicht.
Jim: Ich bin ein großer Sportfan, also doch.
Also hast du von der Weltmeisterschaft in Südafrika gehört?
Jim: Ja!
Wer, glaubst du, wird gewinnen?
Jim lacht: Ich bin nicht mal sicher, wer überhaupt mitspielt. Ich weiß, dass sie in Südafrika ist und es ein weltweites Phänomen ist, auch in Amerika, aber ich hab nicht genug Ahnung davon, um einen Tipp abzugeben. Wer ist der Favorit – Barcelona?
Oh. Es sind Länder, die teilnehmen. Zu den Favoriten zählen Spanien, Brasilien, England.
Jim: Afrikanische Teams?
Südafrika, Nigeria, Kamerun und drei weitere sind qualifiziert.
Jim: Hat eines davon eine Chance auf den Sieg?
Nur mit einer Menge Glück.
Jim: Ok, ich denke, dann würde ich Brasilien oder Spanien bevorzugen, aber ich bin kein großer Fan der Engländer. Wenn die Deutschen dabei sind, halte ich zu Deutschland.
Ok, das ist eine gute Antwort.
Jim: Es ist mein Lieblingsland und das einzige Land, bei dem ich jemals dem Fußball (auch im Original benutzt Jim das deutsche Wort.) wirklich Beachtung geschenkt habe.