Paradise Lost - In Requiem

Paradise Lost - In Requiem
Gothic Metal
erschienen am 18.05.2007 bei Century Media
dauert 45:06 min
Bloodchamber-Wertung:

Tracklist

1. Never For The Damned
2. Ash & Debris
3. The Enemy
4. Praise Lamented Shade
5. Requiem
6. Unrechable
7. Prelude To Descent
8. Fallen Children
9. Beneath Black Skies
10. Sedative God
11. Your Own Reality

Die Bloodchamber meint:

Nach dem selbstbetitelten Quasi-Comeback sind die Briten PARADISE LOST nun vermeintlich etwas im Zugzwang, da sie ungeachtet ihrer Verkaufszahlen noch immer einen der Impulsgeber des ernsthaften, sagen wir: erwachsenen, Gothicmetals darstellen. Ob und inwieweit die neue Scheibe "In Requiem" dieser Rolle gerecht werden kann, sollen die folgenden Zeilen beleuchten.

Der Auftakt fällt mit "Never For The Damned" beeindruckend aus. Schien der Song von den drei Vorabtracks zunächst der schwächste zu sein, offenbart sich hier nach kurzer Eingewöhnung ein echtes Sahnestück: Der von leichten Keys getragene, fast doomige Auftakt, die markanten Leadgitarren, massiv drückendes Midtempo und der von Chören begleitete, galoppierende Ausklang - dieser Koloss atmet in jeder verdammten Sekunde Bandgeschichte, ohne zum Zitat zu verkommen. Nicht minder überzeugend kommen anschliessend das mittig kollabierende „Ash & Debris“, sowie die Single „The Enemy“ daher, wobei letztere vor allem mit treibendem Schlagwerk und verwunschenen Frauenchören zu begeistern weiss.
Schon nach diesen drei Songs fällt ins Auge, dass man die leichten Kurskorrekturen des Vorgängers erweitert, den Sound weiter entschlackt und auf seine essentiellen – metallischen - Bestandteile reduziert hat. Die elektronischen Experimente sind folglich nur noch in Spuren auszumachen, der Sequenzer musste klassischen Sounds wie Piano, Spinett und Streichern weichen, und zur Akzentuierung einzelner Passagen greifen die Briten verstärkt auf sakrale Chorarrangements zurück. Das macht "In Requiem" nicht gleich zur Oldschool-Scheibe - die 1990er sind definitiv vorbei - aber bei Songs wie "Never For The Damned", dem elegisch dahinsiechenden "Praise Lamented Shade" oder der schnelleren, rifflastigen Titelnummer samt Sahnelead wird mehr als deutlich, wo PARADISE LOST herkommen. Ehrensache, dass Holmes' Gesang vor Charisma kaum gehen kann und vermehrt in rauheren Gefilden weilt, was zur Vielfalt des Gebotenen erheblich beiträgt.
Passend dazu ist "In Requiem" etwas uneinheitlicher, songorientierter, bauchlastiger als der Vorgänger und schweift im Gesamteindruck eher in Richtung "Icon", das heisst vielseitigere Strukturen und weniger vordergründige Homogenität. Daran hat neben den zurückgenommenen Elektronika auch die typische PL-Melodik ihren Anteil, die das Gebräu in weiten Teilen weiter aus Popgewässern befördert und ihr Zepter bisweilen auch ganz entspannt an die Rhythmussektion abgibt ("Fallen Children", "Prelude..."). Melodisch ist "In Requiem" natürlich noch immer, nur bleiben beim ersten Durchlauf wohl eher einzelne Riffs, Refrains oder Leadparts hängen, ohne dass damit auch gleich der Song abgespeichert werden könnte. Diese Platte will erarbeitet werden, wo "Paradise Lost" den Umschwung noch magenfreundlich auf dem Tablett servierte.
Damit wären wir dann auch schon beim meines Erachtens einzigen „Manko“ des Silberlings: Songschreiberisch bieten die Briten auf "In Requiem" fast ausschliesslich Oberklasse ("Unreachable" wird gedrückt), aber zum ersten Mal seit langer Zeit denke ich bei einzelnen Passagen "Schade, dass das nicht noch ausgebaut wird". Wo sich die am alten Sound orientierten, aber strukturell homogeneren Stücke des Vorgängers noch mühelos ins vierminütige Radiokorsett pressen liessen, kommt hier beim Opener, dem Titeltrack oder „Praise Lamented Shade“ das Gefühl hoch, dass es gern noch 2 Minuten mehr sein dürften.
Das ist auf der einen Seite natürlich schade, auf der anderen Seite vielleicht auch ganz gut so – dann muss man sich das Gesamtwerk eben noch ein weiteres Mal zu Gemüte führen.

Abschliessend wirkt „In Requiem“ ein wenig wie der dunkle Zwilling des Vorgängers – es macht die Rückkehr der sympathischen Briten komplett, indem es die rauhere, verkopftere Seite der Band aufzeigt und in das Hier und Jetzt transportiert. Wo „Paradise Lost“ seine Berechtigung als geradlinige Rockplatte mit soundtechnischer Rückbesinnung hat, bringt der neue Streich in gewisser Weise die Seele von PARADISE LOST zurück und lenkt das Augenmerk des Hörers auf Details, wo vorher der Gesamtsound zählte.
Unter diesem Gesichtspunkt stehen beide Scheiben auf Augenhöhe und zumindest für mich persönlich ist die Favoritenrolle eine Frage, die sich von Tag zu Tag aufs Neue entscheidet. Wer auf eine weitere Rückbesinnung der Band hoffte, sollte mit der vorliegenden, sehr guten Scheibe allerdings noch etwas besser bedient sein.
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