Einfach nur ne geile Metal Platte
Interview mit Grave Digger
Power Metal aus Deutschland - Gladbeck
Power Metal aus Deutschland - Gladbeck
Im Vorfeld des Tourauftaktes von GRAVE DIGGER, die zusammen mit THERION und SABATON Europa unsicher machen werden, bot sich mir die Gelegenheit für einen kleinen Plausch mit Uncle Reaper höchstpersönlich. Chris Boltendahl entpuppte sich dabei als ein sehr sympathischer, aber auch höchst professioneller Zeitgenosse, der die Antworten meist schon parat hatte, bevor die Frage zuende gestellt war. Aber lest selbst.
So Chris, heute ist ja Tourauftakt... schon nervös?
Chris: Naja, ich meine, wir waren jetzt fast anderthalb Jahre nicht auf Tournee, es muss erst mal wieder zur Realität werden, dass man auf Tour ist. Das ist natürlich immer was ganz anderes als im Studio ne Platte aufzunehmen, da ist man ja viel präsenter, man hat viel mehr Zeit zu arbeiten und so... jetzt ist man wieder auf Tour, und man muss sich auch da jetzt erst mal wieder reinfinden. Es wird ne zeitlang dauern. Man muss von zuhause weg, ich bin ja gerade Vater geworden...
Na dann herzlichen Glückwunsch noch mal!
Chris: Danke schön. Es ist natürlich schon ein hartes Brot. Aber wie gesagt, wir machen es ja, weil es uns Spaß macht und wir natürlich auch den Leuten was bieten wollen.
Aber so Lampenfieber im eigentlichen Sinne gibt’s nicht mehr, oder?
Chris: Doch, mit Sicherheit! Ich denke mal, ne Viertelstunde vorher, oder wenn das Intro läuft... ich hoffe, dass ich dann noch alle Texte zusammen bekomme [lacht]. Ich weiß schon, dass mir heute der eine oder andere Lapsus mit Sicherheit unterlaufen wird, aber das ist einfach auch normal, ist ja menschlich.
Aber klar. Es ist ja ne Doppel Headliner Tour mit Therion. Wie seid ihr auf die Band gekommen? Eigentlich passt ihr ja so stilistisch nicht zusammen.
Chris: Also das war ne Idee von unserem Booker, dem Henry. Ich find’s eigentlich ne sehr gute Geschichte, weil beide Bands eigentlich von den Publikumsschichten der anderen profitieren im Endeffekt. Und wir sprechen auch nen größeren Kreis von Fans an und können dadurch halt in vielen Ländern spielen, und das eröffnet beiden Bands schon einige Vorteile.
Wird die Headlinerposition in anderen Ländern getauscht?
Chris: Ne ne, also es ist immer so, dass wir als zweite spielen, auch in Deutschland. Und das ist eigentlich auch okay, weil Therion auch im Ausland mehr oder weniger nen Headliner Status haben, und wir haben gesagt: „okay, auch wegen den Umbaupausen, machen wir’s hier ein bißchen zackig“, und wir fangen dann halt immer so um halb neun, viertel vor neun an, spielen aber unseren kompletten Headliner Set von 110 Minuten.
Das ist natürlich richtig value für money! Ich hab im Interview mit Veronica Freeman erfahren, dass ursprünglich Benedictum als Vorband vorgesehen waren.
Chris: Es ist einfach so, dass Locomotive für die erste Platte nicht soviel Support Geld bezahlen wollte. Daran ist es im Endeffekt gescheitert. Dadurch haben sie dann die etwas billigeren Sabaton genommen, aber das ist auch okay so, weil die jetzt eh ins Studio müssen, ne neue Platte machen, die dann im Mai kommt. Das hat dann einfach Priorität.
Geht’s noch nach Übersee, oder bleibt es bei der Europatour?
Chris: Wir haben das ganze Package inklusive Blind Guardian in den USA angeboten, da müssen wir mal gucken, was da noch passiert, da kann man jetzt noch nicht so viel zu sagen. Ist erst mal ne Idee.
An Festivals spielt ihr Rock Hard und Wacken. Noch andere?
Chris: Oh ja, wir spielen im Ausland noch auf nem Haufen Festivals. Hellfest, Graspop, in Rumänien, keine Ahnung, wo überall... aber das ist jetzt alles so in der Buchungsphase, und in Deutschland auf jeden Fall Wacken und Rock Hard, und damit hat man ja eigentlich auch alle wichtigen Festivals gespielt. Naja, vielleicht noch Earthshaker und Bang Your Head, aber man muss sich auch noch ein bisschen was für später aufheben [lacht].
Kann man in der Setlist heute irgendwelche Bonbons erwarten, die ihr schon lange nicht mehr gespielt habt? Habt ihr da irgendwas ausgegraben?
Chris: Ja, wir spielen zu zwei Dritteln auf jeden Fall „Heart Of Darkness“, und von der „Rheingold“ noch „Maidens Of War“ mal wieder, und von der „The Grave Digger“ spielen wir „Raven“...
Oh, das ist aber wirklich ein seltenes Ereignis, das hab ich lange nicht mehr live gehört.
Chris: Genau. Ansonsten das Übliche und halt ein paar neue Stücke.
Klar. Gute Überleitung, damit kommen wir jetzt auch zur neuen Platte. Vorher möchte ich aber noch mal kurz auf die Single zurückkommen, ihr habt ja „Yesterday“ noch mal neu aufgenommen. Wie kam es dann dazu?
Chris: Ach, das ist eigentlich schon längere Zeit so ne Idee gewesen von den Bandmitgliedern, die gesagt haben: „Ey, ‚Yesterday’ ist doch ein geiler Song, lass uns mal gucken mit ner Single.“ Naja, ich war nie so begeistert davon, dann haben wir aber noch nen ganz guten Song gehabt, den „The Reapers Dance“ aus der „Liberty Or Death“ Session. Und bei Locomotive fand man dann noch in den Archiven den Auftritt von Rock Machina – das ganze Ding zusammen, dachte ich, ist eigentlich ein ganz gutes Package. Leider ist es draußen ein bisschen zu teuer verkauft worden... ist halt zum Preis eines Album verkauft worden... macht dann nicht wirklich Sinn [lächelt gequält].
Bei vier Songs nicht unbedingt, nein. Das neue Album ist ja im weitesten Sinne auch wieder ein Konzeptalbum, das ist ja so ein bisschen eure Spezialität. Thema Freiheitskampf, aber diesmal halt nicht festgemacht an ner bestimmten Reihe, sondern ihr habt da bestimmte Varianten ausgewählt. „Highland Tears“ und „Massada“ erklären sich von selbst, aber ich hatte leider bei der Promo keine Lyrics dabei...
Chris: Der Titelsong „Liberty Or Death“ geht um den Freiheitskampf der Kreter gegen die Türken, „Ocean Of Blood“ ist ein Song über Moses und die Israelis, wie sie halt aus Ägypten fliehen durch das rote Meer, daher „Ocean Of Blood“. „The Terrible One“ ist ein Song über Ivan den Schrecklichen, der sein Volk unterdrückt hat, was sich dann gegen ihn aufgelehnt hat. „Until The Last King Died“ – französische Revolution, „Silent Revolution“ ist Gandhi, „March Of The Innocent” geht über Juden im KZ, „Forecourt To Hell” ist über die Gladiatoren, „Shadowland” ist über die Schwarzen in Amerika gegen den Ku-Klux-Klan, und „Massada“ erklärt sich von selbst. „Ship Of Hope“, der Bonustrack, in dessen Genuss ihr ja auch auf der Promo CD gekommen seid, handelt über die Flucht von Juden nach Kuba, wo die Kubaner sie halt dann nicht aufgenommen haben und die dann mit dem Schiff wieder zurückgeschickt wurden, da gibt es halt diese wahre Begebenheit.
Wieviel Arbeit steckt da drin, bis man so ein Konzept entwickelt hat?
Chris: Alles in allem bin ich mit den Text schon immer so drei Monate beschäftigt. Natürlich nicht täglich 24 Stunden [lacht]. Viele Sachen entstehen halt aus der Vision heraus, die ich mir dann überlege und versuche, mich in so nen Film da reinzudenken. Ich versuch dann auch gewisse Rollen zu bekleiden, woraus ich dann halt einfach auch die Texte kreiere.
Das Album ist ja jetzt überwiegend etwas langsamer, die Songs sind insgesamt recht lang...
Chris: Ja, ich hab mich schon gewundert, weil viele Kritiker sagen, dass es langsamer sei. Ich empfind eigentlich eher das Gegenteil, weil ich find „The Last Supper“ wesentlich getragener als jetzt „Liberty Or Death“. Oder „Rheingold“. Also ich find, wir haben schon ein paar Kracher dabei, auch „Shadowland“... ich mein, gut, wir haben jetzt Songs, da sind halt Single Bassdrum Teile drin, aber auch Double Bassdrum Teile, vielleicht fällt das dann gar nicht mehr so auf.
Gut, es kann sein, dass das durch die zahlreichen Breaks etwas in den Hintergrund rückt.
Chris: Ich finde halt, es ist ne super klassische Metal Platte, die ich auch selber total gerne höre. Wenn die Riffs anfangen, dann denk ich immer so an meine Jugend [lacht]. Ja, es ist einfach so. Die Gitarren sägen, es hat einfach auch so’n bisschen 80er Charme, mit ner fetten Produktion. Und darum ging’s uns eigentlich auch: einfach die Roots von Grave Digger mal wieder wirklich zum Tragen zu bringen, weil „The Last Supper“ war ja schon so’n bisschen progressiver.
Ich möchte noch mal kurz auf „Massada“ zu sprechen kommen: der Song beginnt mit weiblichen Backings und einer orientalischen Melodie, was sich natürlich auch auf das Thema bezieht. Das fand ich für eure Verhältnisse jetzt recht experimentell.
Chris: Gut, das sind die Grenzen, die wir jetzt ein bisschen für uns ausloten. Ich find persönlich z.B. World Music total toll. Ich hör das auch viel, ist meistens sehr beruhigende Musik. Es ist auch sehr landabhängig. Ich mag halt auch griechische Musik, oder ägyptische Musik, und wir haben gesagt: „zu ‚Massada’ passt so was eigentlich“. Das gibt dem Song halt noch mal ne gewisse Atmosphäre.
Also solche Experimente sind weiterhin vorstellbar?
Chris: Auf jeden Fall, klar!
Wie waren denn bis jetzt so die Reaktionen auf das Album?
Chris: Also ich würd mal sagen, so zu 90 % sehr überschwänglich. Viele Leute sagen: „seit Jahren das beste Grave Digger Album“. Andreas Schöwe von Hammer ließ sich sogar zu der Aussage hinreißen, es sei das beste Grave Digger Album seit 10 Jahren.
Naja...
Chris: Na gut, ich mein, es ist Ansichtssache. Es hat auch fünf, sechs Verrisse gegeben, gerade bei Online Fanzines. Ich mein, ich kann es nicht immer nachvollziehen. Gut, Geschmack ist Geschmack, aber wenn man immer nur an „Tunes Of War“ gemessen wird... es muss ja irgendwann mal aufhören. Bei Queensryche war es immer „Operation: Mindcrime“, bei Metallica ist es immer irgendwie „Master Of Puppets“, bei Iron Maiden ist es immer irgendwie „The Number Of The Beast“. Keine Ahnung, ich mein, das ist alles zehn, fünfzehn Jahre her. Daher muss man einfach auch mal mit frischen Ohren da drangehen und sagen: „Hey, das ist aber ne geile Metal Platte“. Darum geht’s doch nur.
Also ich persönlich finde, es ist die beste Platte seit der „Excalibur“. Ich hab in meinem Review geschrieben, dass ihr für mich mittlerweile so ein bisschen die Motörhead des deutschen Metals seid.
Chris: Ja, das fand ich auch ganz nett, den Spruch. Klar, ich mein, wir bieten nix neues, aber wir bieten immer Metal auf höchster Qualitätsstufe. Wir sind ne gute Liveband, haben wiedererkennbare Songs, ne wiedererkennbare Stimme – ob man se mag oder nicht, mag dahingestellt sein –, aber im Endeffekt weiß jeder, der ne Grave Digger Platte kauft, dass er da kein Progressive Geknüppel oder Operngesang drauf hat.
Okay, dann hab ich noch so ein paar allgemeinere Fragen.
Ihr wart ja in den 90ern mit den erfolgreichsten Alben hauptsächlich bei GUN Records. Danach seid ihr bei Nuclear Blast gewesen und jetzt seid ihr bei Locomotive, was ja im Verhältnis eigentlich ein etwas kleineres Label ist. Ist die kommerzielle Zugkraft raus?
Chris: Ne, überhaupt nicht. Unsere Trend Charts für das Album sehen sehr gut aus, besser als die letzten Alben. Es ist einfach nur so, dass wir einfach nicht bei nem Label alt werden wollten, wo wir vielleicht immer nur die Nummer fünfzehn oder zwanzig sind im Artist Rooster. Bei Locomotive sind wir die unangefochtene Nummer eins, da kümmert sich jeder um die Band, das ist natürlich toll. Und außerdem arbeite ich für das Label [lacht].
Ja okay, dann ergibt das natürlich doppelt Sinn. Können alle von der Musik leben, oder habt ihr noch andere Jobs?
Chris: Nein, jeder muss was dabei machen. Heute von der Musik zu leben ist einfach schwer, deshalb machen wir alle noch unsere Jobs. Ich halt bei Locomotive, Stefan [Arnold, dr.] arbeitet noch als Drucker, Manni [Schmidt, g.] und Jens [Becker, b.] geben Gitarren- und Bassunterricht, und HP [Katzenburg, keys] ist so’n Multimedia König, der macht in der Richtung tausend Sachen.
Mal ne Frage zu deiner Gesangstechnik: jemand aus unserem Forum hat gefragt, ob du schon Probleme mit deiner Stimme hattest, weil Du ja - abgesehen von diesen ruhigen Passagen, wie in „Shadowland“ z.B. – mit einer eher rauen Stimme singst. Hast Du überhaupt ne Gesangsausbildung gemacht?
Chris: Nein, ich hab überhaupt keine Gesangsausbildung. Das ist irgendwann so gekommen, keine Ahnung wie ich das mache, es ist einfach so. Ich kann halt clean singen, ich sprech ja auch clean... es ist ja nicht so, dass ich jetzt irgendwie kling wie Joe Cocker. Es ist halt ne bestimmte Technik, die konnte mir auch kein Gesangslehrer erklären. Es kommt einfach so und ist auch schwer nachzuahmen, das ist die Einzigartigkeit dieser Stimme.
Es ist auf jeden Fall ein großer Wiedererkennungswert.
Rückblickend gesehen: welches Album würdest Du sagen war das wichtigste, und welches war das beste? Es muss ja nicht unbedingt das gleiche sein.
Chris: Das wichtigste war auf jeden Fall „Heavy Metal Breakdown“, weil es uns ja eigentlich dort die Türen geöffnet hat, in der Metal Szene, und auch zum Kultstatus mutiert ist. „Tunes Of War“ war unser erfolgreichstes Album, das war schon der Meilenstein in der Grave Digger Geschichte. Und ich fand auch „The Grave Digger“ war für uns ein ganz wichtiger Neuanfang nach „Excalibur“ und der Trennung von Uwe Lulis, weil wir einfach genau die Zielgruppe nicht bedient haben, die ein weiteres „Excalibur“ hören wollten, sondern ein richtig düsteres Album, mit einen Ton runtergestimmten Gitarren gemacht haben, und eigentlich doch auch vom Songwriting her sehr zu unseren Wurzeln zurückgekehrt sind. Daher würde ich die drei Alben schon als die wichtigsten bezeichnen.
Wobei aber gerade „The Grave Digger“ in der Kritik ja nicht so gut weggekommen ist.
Chris: Ja, aber auch da war es gemischt. Grave Digger ist ne Band, die polarisiert. Der eine findet es scheiße, der andere total super.
Wohnst du eigentlich immer noch in Gladbeck?
Chris: Ne, ich wohn schon seit 18 Jahren in Köln.
Ah, Kölner. Ich frage, weil ich aus Herten komme...
Chris: Achso. Ja, in Herten haben wir früher im Jugendzentrum immer gespielt.
Ja, das war leider wohl noch vor meiner Zeit. Bist du Fussball Fan?
Chris: Ja, mein Herz hängt schon so ein bisschen an Schalke.
Das wird einen Kollegen von der Seite bestimmt freuen.
Chris: Köln jedenfalls auf keinen Fall.
Ich war damals dabei, als ihr die 20jährige Show gemacht habt in der Zeche Bochum, das war ja ein richtiges Highlight. Wird so etwas irgendwann wiederholt werden?
Chris: Ja, wir haben zum 30jährigen Bandjubiläum schon Pläne, aber das wird was ganz Besonderes, das wird in diversen Städten stattfinden. Da werden wir in drei, vier Städten die Party machen.
Was mich an Grave Digger immer schon fasziniert hat, war eure Digger Phase. Da hast Du damals auch bei dieser Show gesagt, das sei wie Grave Digger gewesen, nur mit Hawaii Hemden.
Chris: Jaja, so ungefähr.
Gibt’s ne Möglichkeit, dass das Album irgendwann noch mal rauskommt?
Chris: Ne. Das ist bei Sanctuary, und Sanctuary sind in England... da gibt’s überhaupt keine Chance, dass da irgendwann noch mal was passiert.
Schade. Na gut, dann will ich dich auch nicht länger aufhalten.
Chris: Ach was. Ich hoffe, du hast gute Antworten auf deine Fragen bekommen und hoffe, du hast viel Spaß bei der Show heute.
Natürlich, also ich freu mich schon drauf.
Chris: Wenn ich den Text von „Heart Of Darkness“ vergesse, kannste ihn mir ja vorsagen [beide lachen].
Alles klar, schönen Dank!
Chris: Ja gerne, bis dann!
Chris: Naja, ich meine, wir waren jetzt fast anderthalb Jahre nicht auf Tournee, es muss erst mal wieder zur Realität werden, dass man auf Tour ist. Das ist natürlich immer was ganz anderes als im Studio ne Platte aufzunehmen, da ist man ja viel präsenter, man hat viel mehr Zeit zu arbeiten und so... jetzt ist man wieder auf Tour, und man muss sich auch da jetzt erst mal wieder reinfinden. Es wird ne zeitlang dauern. Man muss von zuhause weg, ich bin ja gerade Vater geworden...
Na dann herzlichen Glückwunsch noch mal!
Chris: Danke schön. Es ist natürlich schon ein hartes Brot. Aber wie gesagt, wir machen es ja, weil es uns Spaß macht und wir natürlich auch den Leuten was bieten wollen.
Aber so Lampenfieber im eigentlichen Sinne gibt’s nicht mehr, oder?
Chris: Doch, mit Sicherheit! Ich denke mal, ne Viertelstunde vorher, oder wenn das Intro läuft... ich hoffe, dass ich dann noch alle Texte zusammen bekomme [lacht]. Ich weiß schon, dass mir heute der eine oder andere Lapsus mit Sicherheit unterlaufen wird, aber das ist einfach auch normal, ist ja menschlich.
Aber klar. Es ist ja ne Doppel Headliner Tour mit Therion. Wie seid ihr auf die Band gekommen? Eigentlich passt ihr ja so stilistisch nicht zusammen.
Chris: Also das war ne Idee von unserem Booker, dem Henry. Ich find’s eigentlich ne sehr gute Geschichte, weil beide Bands eigentlich von den Publikumsschichten der anderen profitieren im Endeffekt. Und wir sprechen auch nen größeren Kreis von Fans an und können dadurch halt in vielen Ländern spielen, und das eröffnet beiden Bands schon einige Vorteile.
Wird die Headlinerposition in anderen Ländern getauscht?
Chris: Ne ne, also es ist immer so, dass wir als zweite spielen, auch in Deutschland. Und das ist eigentlich auch okay, weil Therion auch im Ausland mehr oder weniger nen Headliner Status haben, und wir haben gesagt: „okay, auch wegen den Umbaupausen, machen wir’s hier ein bißchen zackig“, und wir fangen dann halt immer so um halb neun, viertel vor neun an, spielen aber unseren kompletten Headliner Set von 110 Minuten.
Das ist natürlich richtig value für money! Ich hab im Interview mit Veronica Freeman erfahren, dass ursprünglich Benedictum als Vorband vorgesehen waren.
Chris: Es ist einfach so, dass Locomotive für die erste Platte nicht soviel Support Geld bezahlen wollte. Daran ist es im Endeffekt gescheitert. Dadurch haben sie dann die etwas billigeren Sabaton genommen, aber das ist auch okay so, weil die jetzt eh ins Studio müssen, ne neue Platte machen, die dann im Mai kommt. Das hat dann einfach Priorität.
Geht’s noch nach Übersee, oder bleibt es bei der Europatour?
Chris: Wir haben das ganze Package inklusive Blind Guardian in den USA angeboten, da müssen wir mal gucken, was da noch passiert, da kann man jetzt noch nicht so viel zu sagen. Ist erst mal ne Idee.
An Festivals spielt ihr Rock Hard und Wacken. Noch andere?
Chris: Oh ja, wir spielen im Ausland noch auf nem Haufen Festivals. Hellfest, Graspop, in Rumänien, keine Ahnung, wo überall... aber das ist jetzt alles so in der Buchungsphase, und in Deutschland auf jeden Fall Wacken und Rock Hard, und damit hat man ja eigentlich auch alle wichtigen Festivals gespielt. Naja, vielleicht noch Earthshaker und Bang Your Head, aber man muss sich auch noch ein bisschen was für später aufheben [lacht].
Kann man in der Setlist heute irgendwelche Bonbons erwarten, die ihr schon lange nicht mehr gespielt habt? Habt ihr da irgendwas ausgegraben?
Chris: Ja, wir spielen zu zwei Dritteln auf jeden Fall „Heart Of Darkness“, und von der „Rheingold“ noch „Maidens Of War“ mal wieder, und von der „The Grave Digger“ spielen wir „Raven“...
Oh, das ist aber wirklich ein seltenes Ereignis, das hab ich lange nicht mehr live gehört.
Chris: Genau. Ansonsten das Übliche und halt ein paar neue Stücke.
Chris: Ach, das ist eigentlich schon längere Zeit so ne Idee gewesen von den Bandmitgliedern, die gesagt haben: „Ey, ‚Yesterday’ ist doch ein geiler Song, lass uns mal gucken mit ner Single.“ Naja, ich war nie so begeistert davon, dann haben wir aber noch nen ganz guten Song gehabt, den „The Reapers Dance“ aus der „Liberty Or Death“ Session. Und bei Locomotive fand man dann noch in den Archiven den Auftritt von Rock Machina – das ganze Ding zusammen, dachte ich, ist eigentlich ein ganz gutes Package. Leider ist es draußen ein bisschen zu teuer verkauft worden... ist halt zum Preis eines Album verkauft worden... macht dann nicht wirklich Sinn [lächelt gequält].
Bei vier Songs nicht unbedingt, nein. Das neue Album ist ja im weitesten Sinne auch wieder ein Konzeptalbum, das ist ja so ein bisschen eure Spezialität. Thema Freiheitskampf, aber diesmal halt nicht festgemacht an ner bestimmten Reihe, sondern ihr habt da bestimmte Varianten ausgewählt. „Highland Tears“ und „Massada“ erklären sich von selbst, aber ich hatte leider bei der Promo keine Lyrics dabei...
Chris: Der Titelsong „Liberty Or Death“ geht um den Freiheitskampf der Kreter gegen die Türken, „Ocean Of Blood“ ist ein Song über Moses und die Israelis, wie sie halt aus Ägypten fliehen durch das rote Meer, daher „Ocean Of Blood“. „The Terrible One“ ist ein Song über Ivan den Schrecklichen, der sein Volk unterdrückt hat, was sich dann gegen ihn aufgelehnt hat. „Until The Last King Died“ – französische Revolution, „Silent Revolution“ ist Gandhi, „March Of The Innocent” geht über Juden im KZ, „Forecourt To Hell” ist über die Gladiatoren, „Shadowland” ist über die Schwarzen in Amerika gegen den Ku-Klux-Klan, und „Massada“ erklärt sich von selbst. „Ship Of Hope“, der Bonustrack, in dessen Genuss ihr ja auch auf der Promo CD gekommen seid, handelt über die Flucht von Juden nach Kuba, wo die Kubaner sie halt dann nicht aufgenommen haben und die dann mit dem Schiff wieder zurückgeschickt wurden, da gibt es halt diese wahre Begebenheit.
Wieviel Arbeit steckt da drin, bis man so ein Konzept entwickelt hat?
Chris: Alles in allem bin ich mit den Text schon immer so drei Monate beschäftigt. Natürlich nicht täglich 24 Stunden [lacht]. Viele Sachen entstehen halt aus der Vision heraus, die ich mir dann überlege und versuche, mich in so nen Film da reinzudenken. Ich versuch dann auch gewisse Rollen zu bekleiden, woraus ich dann halt einfach auch die Texte kreiere.
Das Album ist ja jetzt überwiegend etwas langsamer, die Songs sind insgesamt recht lang...
Chris: Ja, ich hab mich schon gewundert, weil viele Kritiker sagen, dass es langsamer sei. Ich empfind eigentlich eher das Gegenteil, weil ich find „The Last Supper“ wesentlich getragener als jetzt „Liberty Or Death“. Oder „Rheingold“. Also ich find, wir haben schon ein paar Kracher dabei, auch „Shadowland“... ich mein, gut, wir haben jetzt Songs, da sind halt Single Bassdrum Teile drin, aber auch Double Bassdrum Teile, vielleicht fällt das dann gar nicht mehr so auf.
Gut, es kann sein, dass das durch die zahlreichen Breaks etwas in den Hintergrund rückt.
Chris: Ich finde halt, es ist ne super klassische Metal Platte, die ich auch selber total gerne höre. Wenn die Riffs anfangen, dann denk ich immer so an meine Jugend [lacht]. Ja, es ist einfach so. Die Gitarren sägen, es hat einfach auch so’n bisschen 80er Charme, mit ner fetten Produktion. Und darum ging’s uns eigentlich auch: einfach die Roots von Grave Digger mal wieder wirklich zum Tragen zu bringen, weil „The Last Supper“ war ja schon so’n bisschen progressiver.
Ich möchte noch mal kurz auf „Massada“ zu sprechen kommen: der Song beginnt mit weiblichen Backings und einer orientalischen Melodie, was sich natürlich auch auf das Thema bezieht. Das fand ich für eure Verhältnisse jetzt recht experimentell.
Chris: Gut, das sind die Grenzen, die wir jetzt ein bisschen für uns ausloten. Ich find persönlich z.B. World Music total toll. Ich hör das auch viel, ist meistens sehr beruhigende Musik. Es ist auch sehr landabhängig. Ich mag halt auch griechische Musik, oder ägyptische Musik, und wir haben gesagt: „zu ‚Massada’ passt so was eigentlich“. Das gibt dem Song halt noch mal ne gewisse Atmosphäre.
Also solche Experimente sind weiterhin vorstellbar?
Chris: Auf jeden Fall, klar!
Wie waren denn bis jetzt so die Reaktionen auf das Album?
Chris: Also ich würd mal sagen, so zu 90 % sehr überschwänglich. Viele Leute sagen: „seit Jahren das beste Grave Digger Album“. Andreas Schöwe von Hammer ließ sich sogar zu der Aussage hinreißen, es sei das beste Grave Digger Album seit 10 Jahren.
Chris: Na gut, ich mein, es ist Ansichtssache. Es hat auch fünf, sechs Verrisse gegeben, gerade bei Online Fanzines. Ich mein, ich kann es nicht immer nachvollziehen. Gut, Geschmack ist Geschmack, aber wenn man immer nur an „Tunes Of War“ gemessen wird... es muss ja irgendwann mal aufhören. Bei Queensryche war es immer „Operation: Mindcrime“, bei Metallica ist es immer irgendwie „Master Of Puppets“, bei Iron Maiden ist es immer irgendwie „The Number Of The Beast“. Keine Ahnung, ich mein, das ist alles zehn, fünfzehn Jahre her. Daher muss man einfach auch mal mit frischen Ohren da drangehen und sagen: „Hey, das ist aber ne geile Metal Platte“. Darum geht’s doch nur.
Also ich persönlich finde, es ist die beste Platte seit der „Excalibur“. Ich hab in meinem Review geschrieben, dass ihr für mich mittlerweile so ein bisschen die Motörhead des deutschen Metals seid.
Chris: Ja, das fand ich auch ganz nett, den Spruch. Klar, ich mein, wir bieten nix neues, aber wir bieten immer Metal auf höchster Qualitätsstufe. Wir sind ne gute Liveband, haben wiedererkennbare Songs, ne wiedererkennbare Stimme – ob man se mag oder nicht, mag dahingestellt sein –, aber im Endeffekt weiß jeder, der ne Grave Digger Platte kauft, dass er da kein Progressive Geknüppel oder Operngesang drauf hat.
Okay, dann hab ich noch so ein paar allgemeinere Fragen.
Ihr wart ja in den 90ern mit den erfolgreichsten Alben hauptsächlich bei GUN Records. Danach seid ihr bei Nuclear Blast gewesen und jetzt seid ihr bei Locomotive, was ja im Verhältnis eigentlich ein etwas kleineres Label ist. Ist die kommerzielle Zugkraft raus?
Chris: Ne, überhaupt nicht. Unsere Trend Charts für das Album sehen sehr gut aus, besser als die letzten Alben. Es ist einfach nur so, dass wir einfach nicht bei nem Label alt werden wollten, wo wir vielleicht immer nur die Nummer fünfzehn oder zwanzig sind im Artist Rooster. Bei Locomotive sind wir die unangefochtene Nummer eins, da kümmert sich jeder um die Band, das ist natürlich toll. Und außerdem arbeite ich für das Label [lacht].
Ja okay, dann ergibt das natürlich doppelt Sinn. Können alle von der Musik leben, oder habt ihr noch andere Jobs?
Chris: Nein, jeder muss was dabei machen. Heute von der Musik zu leben ist einfach schwer, deshalb machen wir alle noch unsere Jobs. Ich halt bei Locomotive, Stefan [Arnold, dr.] arbeitet noch als Drucker, Manni [Schmidt, g.] und Jens [Becker, b.] geben Gitarren- und Bassunterricht, und HP [Katzenburg, keys] ist so’n Multimedia König, der macht in der Richtung tausend Sachen.
Mal ne Frage zu deiner Gesangstechnik: jemand aus unserem Forum hat gefragt, ob du schon Probleme mit deiner Stimme hattest, weil Du ja - abgesehen von diesen ruhigen Passagen, wie in „Shadowland“ z.B. – mit einer eher rauen Stimme singst. Hast Du überhaupt ne Gesangsausbildung gemacht?
Chris: Nein, ich hab überhaupt keine Gesangsausbildung. Das ist irgendwann so gekommen, keine Ahnung wie ich das mache, es ist einfach so. Ich kann halt clean singen, ich sprech ja auch clean... es ist ja nicht so, dass ich jetzt irgendwie kling wie Joe Cocker. Es ist halt ne bestimmte Technik, die konnte mir auch kein Gesangslehrer erklären. Es kommt einfach so und ist auch schwer nachzuahmen, das ist die Einzigartigkeit dieser Stimme.
Es ist auf jeden Fall ein großer Wiedererkennungswert.
Rückblickend gesehen: welches Album würdest Du sagen war das wichtigste, und welches war das beste? Es muss ja nicht unbedingt das gleiche sein.
Chris: Das wichtigste war auf jeden Fall „Heavy Metal Breakdown“, weil es uns ja eigentlich dort die Türen geöffnet hat, in der Metal Szene, und auch zum Kultstatus mutiert ist. „Tunes Of War“ war unser erfolgreichstes Album, das war schon der Meilenstein in der Grave Digger Geschichte. Und ich fand auch „The Grave Digger“ war für uns ein ganz wichtiger Neuanfang nach „Excalibur“ und der Trennung von Uwe Lulis, weil wir einfach genau die Zielgruppe nicht bedient haben, die ein weiteres „Excalibur“ hören wollten, sondern ein richtig düsteres Album, mit einen Ton runtergestimmten Gitarren gemacht haben, und eigentlich doch auch vom Songwriting her sehr zu unseren Wurzeln zurückgekehrt sind. Daher würde ich die drei Alben schon als die wichtigsten bezeichnen.
Wobei aber gerade „The Grave Digger“ in der Kritik ja nicht so gut weggekommen ist.
Chris: Ja, aber auch da war es gemischt. Grave Digger ist ne Band, die polarisiert. Der eine findet es scheiße, der andere total super.
Wohnst du eigentlich immer noch in Gladbeck?
Chris: Ne, ich wohn schon seit 18 Jahren in Köln.
Ah, Kölner. Ich frage, weil ich aus Herten komme...
Chris: Achso. Ja, in Herten haben wir früher im Jugendzentrum immer gespielt.
Ja, das war leider wohl noch vor meiner Zeit. Bist du Fussball Fan?
Chris: Ja, mein Herz hängt schon so ein bisschen an Schalke.
Das wird einen Kollegen von der Seite bestimmt freuen.
Chris: Köln jedenfalls auf keinen Fall.
Ich war damals dabei, als ihr die 20jährige Show gemacht habt in der Zeche Bochum, das war ja ein richtiges Highlight. Wird so etwas irgendwann wiederholt werden?
Was mich an Grave Digger immer schon fasziniert hat, war eure Digger Phase. Da hast Du damals auch bei dieser Show gesagt, das sei wie Grave Digger gewesen, nur mit Hawaii Hemden.
Chris: Jaja, so ungefähr.
Gibt’s ne Möglichkeit, dass das Album irgendwann noch mal rauskommt?
Chris: Ne. Das ist bei Sanctuary, und Sanctuary sind in England... da gibt’s überhaupt keine Chance, dass da irgendwann noch mal was passiert.
Schade. Na gut, dann will ich dich auch nicht länger aufhalten.
Chris: Ach was. Ich hoffe, du hast gute Antworten auf deine Fragen bekommen und hoffe, du hast viel Spaß bei der Show heute.
Natürlich, also ich freu mich schon drauf.
Chris: Wenn ich den Text von „Heart Of Darkness“ vergesse, kannste ihn mir ja vorsagen [beide lachen].
Alles klar, schönen Dank!
Chris: Ja gerne, bis dann!