Kann Black Metal eine Sünde sein?


Interview mit Grabak
Black Metal aus Deutschland - Leipzig
Mit ihrem neuen Album ''Sin'' legen die Leipziger GRABAK eine formidable Black Metal-Scheibe vor, die es in sich hat. Daher ist es allerhöchste Eisenbahn, der Band auf den Zahn zu fühlen. Basser Vorst hat sich bereit erklärt, meine Fragen zum neuen Album und allerhand Drumherum zu beantworten. Sänger Jan steht ihm dabei hier und da zur Seite, wenn es eher um die inhaltliche Seite von ''Sin'' geht. Ab ins Gespräch!

Hallo Vorst, erstmal vielen Dank, dass du dir Zeit für das Interview nimmst. Wie geht’s dir?


Vorst: Hallo Phillip, danke der Nachfrage. Wir sind noch in den Vorbereitungen für unseren Release-Abend in der Theaterfabrik. Das ist im Allgemeinen nicht sehr aufwändig. Allerdings werden wir mit mehreren Kameras mitschneiden und versuchen, daraus etwas Brauchbares zu zaubern. Von daher war ich vorab schon mit Tino in der Theaterfabrik und habe die Örtlichkeiten begutachtet. Normalerweise nimmt man sein Zeug zusammen, fährt zum Auftrittsort und muss dann versuchen, mit den örtlichen Gegebenheiten ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen. Diesmal war ich auf Grund obiger Vorhaben etwas interessierter. Mal sehen, was passiert.

Euer neues Album ’’Sin’’ ist ja schon eine Weile auf dem Markt. Wie sind die Reaktionen bisher?

V: Die Reviews, die bisher zu lesen waren, sind durch die Bank weg recht positiv. Das haben wir erhofft und sind erfreut, dass es sich bewahrheitete. Bei der Ausarbeitung von „SIN“ haben wir die von uns als gut befundenen Stilmittel nun noch detaillierter ausgeformt und, meiner Meinung nach, auch noch besser eingesetzt als bei „Agash Daeva“. Die Kontinuität von „Agash“ zu „SIN“ wurde von den bewertenden Redakteuren zumeist genannt, auch der positive Unterschied zu den vorigen Alben. Es gibt natürlich auch einige Kritiken an bestimmten Hörerlebnissen auf der CD. Aber wir wollten ja Musik fabrizieren, die wir uns auch selbst anhören würden. Von daher nehmen wir so etwas zu Kenntnis, lassen uns aber nicht in unserem Tun beirren.

Wie zufrieden bist du/seid ihr mit der Scheibe?

V: Es ist eine verdammt gute Scheibe geworden. Natürlich! Unsere Beste. Es ist die Neueste. Wir haben unseren Stil gefunden und das derzeit Bestmögliche aus uns herausgeholt. Wir können mit Sicherheit zufrieden sein.

Ist denn der Blick auf die Scheibe jetzt anders als direkt nach dem Erscheinen, und fallen einem dann beispielsweise Sachen auf, die einen nerven, oder Ähnliches?

V: Da das Komponieren von Musik stets ein dynamischer, emotionsgeladener und energieintensiver Prozess ist (oder sein sollte), denke ich, dass man durchaus Stellen finden kann, die man vielleicht verändern würde. Aber wir haben 4 Jahre am Album getüftelt und entsprechende Passagen stetig angepasst und hoffentlich verbessert. Somit kann ich für mich sagen: Es ist das Ergebnis unserer Kreativität zurzeit. Fünf Persönlichkeiten haben zusammen auf ein Ziel hin gearbeitet. Von daher wurden auch Kompromisse geschlossen. Jeder hat seine Lieblingsstellen und sicher auch Songteile, die man bei einem Soloalbum anders lösen würde. Doch ist es eben eine Gemeinschaftsarbeit, die uns mit Befriedigung erfüllt.

Hört man sich denn seine eigenen Scheiben überhaupt gerne an nach langen, nervenzerreißenden Recording-Sessions oder reicht es schon aus, das Ganze live darzubieten?

V: Ich empfinde Aufnahmen keineswegs als nervenzerreißend oder anstrengend. Das mag Andy, der mich tonal festhalten durfte, anders beurteilen. Aber ich hatte währenddessen durchaus den im Black Metal-Kontext erlaubten Spaß. Wie sollte es denn auch anders sein? Schließlich hat man sich doch seinem Instrument und seinem Musikstil verschrieben und kann durch ein Album einiges an innerem Druck loswerden. Es dann live zu spielen, ist eine einzigartige Steigerung des vorherigen Erschaffungsprozesses. Vor allem hört man im Studio das erste Mal das gerade entstehende Produkt. Das finde ich immer sehr spannend.

Ihr habt ja bei Andy von DISILLUSION aufgenommen. Wie war die Zusammenarbeit? Seid ihr zufrieden mit dem Job, den er abgeliefert hat?

V: Ich war das erste Mal bei Andy. Die Jungs haben schon vorher viel über seine Art der Herangehensweise an verschiedene Charaktere und die Persönlichkeitsstrukturen der Musiker im Aufnahmeprozess berichtet. Im Nachhinein muss ich sagen, dass sich die vermittelten Einzelheiten bestätigten. Er hält sich erst einmal heraus, gibt aber gerne Tipps, falls dies nötig sein sollte. Das kann schon ungemein helfen.

Hat er zusätzlichen kreativen Input beisteuern können oder dürfen?

V: Andy hat immer viele Ideen bezüglich der zusätzlichen Spielereien, und er kennt sich mit dem ganzen Synthiekram sehr gut aus. Also all das, was einem Album den gewissen letzten Kick gibt. Seine wichtigste Aufgabe ist sicherlich, uns als Band und jedem Einzelnen in den Hintern zu treten, um das Beste herauszuholen. Und er ist die erste äußere Kontrollinstanz auf Verträglichkeit mit den Hörgewohnheiten der Black Metal-Supporter. Wir sind immer aufnahmebereit für gut gemeinte Kritik, solange sie nicht den Kern unseres Verständnisses von Black Metal angreift. Meiner Meinung nach hat Andy in jedem Fall sehr großen Einfluss auf die Entstehung gehabt.

Kommen wir nun mal zum Inhaltlichen. Warum die sieben Todsünden als Thematik? Man könnte euch vorwerfen, das Thema sei ein klein wenig einfallslos. Erkläre doch mal kurz das Konzept dahinter und wie ihr da rangegangen seid!

Jan: Einfallslos??? Würde ich nicht so deklarieren. Ich fand es eher spannend, die ganze textliche Komponente nicht mit gehobenem moralischem Zeigefinger darzustellen, sondern historische, biblische und fiktive Individuen zu finden, die mit etwas Hilfe von unten ganz wunderbare Personifikationen der einzelnen Sünden darstellen. Das Ganze in den Kontext einer Wette zu setzen, war ein Kunstgriff, der einfach notwendig war, um nicht „nur“ sieben Songs zu schreiben.

Kannst du uns ein wenig über die Lyrics berichten?

J: Im ersten Song wird quasi das ganze Konzept eingeleitet. Luzifer ist von der Dekadenz im Himmel angewidert und möchte(!) diesen verlassen. Deshalb verleitet er Gott zu einer Wette, vgl. mit Goethes Prolog im Himmel bei Faust, die da lautet, dass er den Himmel verlassen kann, wenn er sieben sündige Seelen findet. Schon hier wird die Arroganz der Oberen deutlich, denn der ehemals Erste wird nur von Metatron empfangen und mehr oder weniger von ihm abgespeist. Danach folgen die einzelnen Sünden. Geschichten, in denen Figuren und angebliche Individuen zu Marionetten werden.

Zorn handelt von einem gefallenen Seraph, der auf Luzifers Geheiß wahllos Amok läuft und Menschen wie Engel gleichermaßen niederstreckt. Zumindest ist das die mentale Repräsentation des menschlichen Protagonisten, der letztendlich mittels finalem Schuss sein irdisches Ende findet. Neid ist die Geschichte Kains und Abels, die über den biblischen Kern hinaus ins Land Nod führt und dort zum großen Finale zwischen Kain, Lillith, Zillah und Luzifer geleitet wird. Im Song Lust standen das Leben und das Hauptwerk von Marquis de Sade Pate: der Marquis als ein Werkzeug eines Puppenspielers und Schatten seiner selbst. Einen entsprechenden Hintergrund für Trägheit zu finden, ist nicht ganz so einfach gewesen. Es gibt eine Interpretation von Trägheit, die diese als Abwesenheit von Gottesfurcht bzw. als das Nichthandeln nach Gottes Willen versteht. Nahe an der Sünde des Hochmuts symbolisiert der Turmbau zu Babel diese Absenz wahren Gottesglaubens und Handelns, indem der Mensch versucht, sich auf Augenhöhe mit Gott zu stellen, was einer oben beschriebenen Trägheit doch recht nahe kommt. Für Habgier habe ich erneut Judas Ischariot benutzt, dessen unrühmliches Ende auf 30 Silberlinge zurückzuführen ist. Ich persönlich denke nicht, dass sich, wie in einigen Neuinterpretationen, Judas und Jesus abgesprochen haben, um einen Märtyrer zu schaffen...
Papst Sergius II. ist der Handelnde in Maßlosigkeit, ihm wird eine gehörige Portion an Lebenslust nachgesagt. Letztlich noch Hochmut oder Stolz, das Grande Finale quasi, in dem Luzifer persönlich die Ehre zukommt, die Personifizierung der Sünde zu sein. Luzifer als Gottes schwarzer Spiegel...

Habt ihr vor, neue Elemente, wie zum Beispiel den Frauengesang beim Opener, in Zukunft weiter auszubauen? Wer trällert eigentlich so schön neben deiner Keifstimme?

V: Der weibliche Gesang musste inhaltlich einfach an dieser Stelle erfolgen. Dies hat nichts mit einem musikalischen Umbruch der Band GRABAK zu tun. Wir tun Dinge, wann und wie wir es als richtig empfinden. Dass dies manchmal nicht die breite Zustimmung findet, darf uns nicht interessieren.

J: Es sind zwei Damen. Auf dem ersten Song, übernahm Anne Rotzek von der Leipziger Oper den dialogischen Part des Metatron. Das hat schon seinen Grund. Schließlich wollten wir eine wirklich unangenehme Stimme für das „Sprachrohr Gottes“ kreieren, mit vielen Effekten. Dummerweise hat uns die gesangliche Umsetzung pur besser gefallen, so dass wir uns entschieden, es dabei zu belassen und Metatron eine weibliche Stimme gegeben. Für "Pride" lieh uns Lydia Moellenhoff von der Osloer Oper ihre Stimme, die dem Ganzen ihren sehr eigenen Stil aufprägte.

Wie kommt es eigentlich dazu, dass ENDSTILLE an besagtem Abend dabei sind?

V: Meinst Du, weil wir nun nicht der Headliner sind, oder weil sie eventuell thematisch nicht zu uns passen könnten? Nun. Die Veranstaltung soll den Zuschauern eine breite Palette an Impressionen bieten. Natürlich im Rahmen des Black Metals. Ich finde, wir haben ein schönes Package mit wirklich guten Bands geschnürt. ENDSTILLE stehen ja auch für Extremes in gewissen Bereichen und sind als Liveband nicht zu verachten. Deshalb finde ich, sind sie eine Bereicherung unseres Konzertabends. Ich persönlich freue mich auch auf die anderen beiden: UNLIGHT und HATUL. Das wird ein geiles Ding.

Wird es an dem Abend etwas Spezielles für die Zuschauer geben? Neues Album komplett am Stück?

V: Wir werden wohl nicht das gesamte Album spielen, da die zeitlichen Gegebenheiten nicht dafür ausreichen würden. Um unseren neuen Schlagzeuger zu präsentieren und gewisse Wünsche nach bestimmten älteren Songs zu berücksichtigen, sind wir gezwungen, uns auf einige der neuen Lieder zu beschränken. Damit bleibt dann etwas Zeit für Stücke aus der Vergangenheit von GRABAK. Den Zuhörern, die sich von „SIN“ einen Gesamteindruck verschaffen wollen, sei empfohlen, sich mit dem Beiblatt, einer Flasche ihres Lieblingsgetränks und einer laut aufgedrehten Stereoanlage zu bewaffnen. So sollte es möglich sein, tiefer in „unsere“ Sündendefinition einzutauchen.

Was inspiriert dich als Musiker?

V: Mich inspirieren Menschen, die eindeutig hinter ihrer Sache stehen und sich nicht durch Konventionen oder die Meinung anderer ablenken lassen. Das müssen nicht unbedingt Musiker sein. Ich empfinde wirklich große Achtung vor Personen, die eine wohldurchdachte (!) Sache bis zur Verwirklichung durchspielen und im besten Falle zum verwertbaren Ende bringen. Im Gegensatz dazu verachte ich Menschen, die nur auf bloßen Effekt zielen und keine Eier haben. Scheiß auf die! Natürlich werde ich nun keine Namen nennen. Wer es wissen will, kann mich gerne persönlich drauf ansprechen.

Nenne mal deine absolute Lieblingsplatte aller Zeiten.

V: Es gibt derer viele. BATHORY "Twilight of the Gods”. BATHORY "Hammerheart”. QUEENSRYCHE "Operation Mindcrime” und noch einige weitere. Quorthon hat sicher nie über atemberaubende spielerische oder gar gesangliche Fähigkeiten verfügt. Allerdings hat er etwas geschafft, was nur wenige erreichen: Er kreierte Musik, die unheimlich viele Menschen beeinflusst und ganze Armeen an Nacheiferern und Fans hat. Aber niemals wird es einen Musiker geben, der seine Nachfolge wird antreten können.
Den Jungs von GRABAK würden sicher gänzlich andere einfallen, die für sie ähnliche Bedeutung haben. Es ist immer wieder interessant, welche Schlüsse verschiedene Menschen aus dem Gesagten und der Leistung ihrer Lieblingsmusiker ziehen und wie Musik auf die Lebensführung der Hörer einwirkt. Man kann nur hoffen, dass der Veröffentlichende sich dessen bewusst ist. Schon allein aus diesem Grund lehne ich diverse Musikrichtungen und deren vokalen Habitus ab. Schau dir einfach mal die heutigen Musiksender an.

Die beschissenste Platte aller Zeiten.

V: Sowas schreibt man nicht. Aber einmal Musikfernsehen anschalten und du hast in 15 Minuten eine große Auswahl der beschissensten Künstler gesehen.

Die beschissenste Platte in deinem Besitz?

V: Das würde ja bedeuten, ich hätte wirklich einmal schlechten Geschmack gehabt. Aber dies war nie der Fall. Deswegen befinden sich nur vorzügliche Alben in meinem Besitz. Ich habe nicht einmal Schlechtes geschenkt bekommen, da meine Freunde mich gut kennen und kein Geld sinnlos ausgeben wollen. ;-)

Lieblingsmusikvideo?

V: Natürlich was von KISS aus den 80ern. Alle mit Paul Stanley und seinen rosa Schals. Falls ein Konzertvideo gemeint sein sollte, würde ich WHITESNAKE live, "In the still of the Night" 2006 nennen. Trotz Overdubs und Gockelposen des Herrn Coverdale. Dort veranstalten großartige Musiker genau das, was sie sollten, wenn man auf einer Bühne steht.

Würdet ihr im Falle eines Angebots vom Wacken Open Air dort auftreten, oder wäre das zu sehr Kommerz?

V: Wie kommst du nun gerade auf Wacken? Wir spielen dort, wo man uns gerne sehen möchte.

Noch irgendwelche letzten Worte?

V: Diese Rede sollte jemand anderes auf meiner Beerdigung halten. Und sie sollten lauten: „Er hatte Eier!“
Vielleicht doch: Leute, hört gute Musik und scheißt auf Lutscher.

Vielen Dank für das Interview.

V: Ich danke dir.

P.S.: Wieso stellt Du deine Dio/Ozzy-Frage nicht mehr? Antwort: Dio!
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