Cult Of Luna & God Seed

Cult Of Luna & God Seed

Cult Of LunaGod Seed
Backstage, München
04.05.2014
Eine Tourgemeinschaft der besonderen Art hat sich in Skandinavien zusammengefunden: CULT OF LUNA und GOD SEED. Wer sich bei diesen beiden Namen im selben Satz zunächst mal sachte die Rübe kratzt, dem ergeht es in etwa so wie mir. Allerdings begleitet von einer Gesichtsentgleisung, denn endlich kann ich die Chance wahrnehmen und die zurecht wegen ihres letzten Albums abgefeierten CULT OF LUNA live bewundern. Dass dabei die Nachfolgeband einer in meinen Augen grundlos als Klassiker gewerteten Black Metal Gruppe der ersten norwegischen Stunde das Paket abrundet, weckt dennoch Interesse und hat das Potential zur Polarisation. Doch zunächst gilt es, sich durch das von Baustellen und Ausfällen geplagte U- und S-Bahn-Netz Münchens zu quälen, was uns mal locker eine Stunde später als gedacht antanzen lässt. Doch wir haben Schwein: GOD SEED fangen gerade an.

Und macht zunächst einmal, was man wohl erwarten würde. Auf der Bühne einfrieren und den Rhythmus finden. Der muss aber gar nicht lange gesucht werden und es wird klar, dass das dargebotene Material hochgradig vielschichtig ist. Ich lasse mich aufgrund meines gefährlichen Halbwissens nicht darauf festnageln, aber ich schätze, dass die alten GORGOROTH-Songs und die neuen GOD SEED-Songs sich in etwa die Waage halten. Als neu kann ich definitiv nur den Rausschmeißer „This From The Past“ identifizieren, aber der Unterschied ist nicht allzu schwer auszumachen. Während das alte Zeug eher „gewöhnlich“ rüberkommt, schimmern bei GOD SEED nun sehr rockige und teilweise progressive Töne mit durch und ich bin ehrlich total positiv überrascht davon, wie gut sich dieser neue Einschlag mit der orthodoxen Stilrichtung mischt.
Der zum laufenden Insider Joke mutierte Gaahl tritt als einziger der Gruppe mit Corpsepaint auf, schleicht bedächtig über die Bühne, kreischt inbrünstig ins mit vor Spannung zittrigen Händen gehaltene Mikrofon und versucht, die Pommesgabel wie eine Antenne auf die einzelnen Leute vor der Bühne zu richten. Einige Songs kündigt er auf deutsch an und mit seiner innigen – fast schüchternen Art – nimmt er das Publikum im Laufe des knapp einstündigen Gigs ein. Die Posen und Stellungswechsel der Gitarristen wirken dabei etwas holprig, da sich der Sänger ständig aus ihrem toten Winkel am Rande der Bühne manifestiert und sie ihm öfter Mal recht unbeholfen Platz einräumen. Völlig energiegeladen dagegen Bassist King: Er post und kann sich kaum auf der Stelle halten. Das Vorurteil über eine sinnfreie Nachfolgeband ist bei GOD SEED völlig fehl am Platze, das zeigen sie im Backstage eindrucksvoll. [mbo]

CULT OF LUNA? Geil! GOD SEED? Wer ist denn das? Doch diese Ahnungslosigkeit ändert sich schnell. Die musikalischen Wurzeln von GOD SEED sind schnell gefunden und dank etwas Nachhilfe bei Herrn Bock wird mir so einiges klar. Da habe ich ja mal wieder wichtige Sachen aus der Metalszene verpasst, aber was solls, nun bin ich hier - und was ich höre, das gefällt mir ungemein. Das hört sich an wie GOROGORTH (logisch, oder?), ein bisschen ENTHRONED und vielleicht sollte man noch das Projekt OV HELL des gleichnamigen Bassisten nennen, von dem ganz klar der größte Black Metal Einfluss kommt. Rockiger, atmosphärischer Black Metal, mal zappenduster und dann wieder erfrischend anders. Erfrischend anders auch deswegen, weil man diese Musik nicht an jeder Ecke hört. Zumindest nicht in diesem Aufguss. Der Abend beginnt ziemlich kurzweilig und dank der fast nicht vorhandenen Bühnenshow kann ich mich voll auf die Musik konzentrieren. Das einzige, was es nämlich zu bestaunen gibt, ist Frontmann Gaahl, der trotz Corpsepaint irgendwie glücklich auszusehen scheint und dabei fiktive Pommesgabeln-Energieblitze mit seinen Fans austauscht.

Wie erkennt man ein gutes Konzert? Und wann weiß man, dass man sich gerade auf einem guten Konzert befindet? Meistens ist dies der Fall, wenn man richtig viel Spaß hat. Doch ein Konzert wird erst dann richtig überragend, wenn man alles um sich herum vergisst. „The Sweep“ macht den Auftakt zu meinem ersten CULT OF LUNA Konzert und ich bin noch sichtlich verwirrt. Das ist mir schon etwas zu viel Elektro. Doch während sich mein Fokus auf die ersten elektrische Klänge legt, beginnt alles um mich herum zu verschwinden. Es dauert nicht lange und „Light Chaser“ wird angespielt. Dazu gibt es eine fulminante Lichtshow mit Nebel. Viel Nebel. Vielleicht sind noch andere Substanzen in diesem Nebel aufgelöst. Psychedelische Substanzen. Denn ich gleite immer tiefer in diese Musik hinein. Hinein in diese kurzen, monotonen Melodiefolgen und erlebe hautnah, wie sich darauf ein komplexes Gebilde aufbaut. Mit viel Gespür für Rhythmik und Dynamik entsteht ganz große Kunst. Vor meinen Augen bildet sich ein großes, vielfarbiges und buntes Gemälde, so fassbar ist diese Spannung, die in der Luft liegt.
Ich höre zu, bin begeistert und bemerke, dass mittlerweile schon rund eine Stunde vergangen sein muss. Ich habe zu keinem Zeitpunkt das Verlangen auf die Uhr zu schauen, aber inzwischen sind schon „Following Betulas“, „Dim“ und „Vicarious Redemption“ vergangen. Man, fühlt sich das gut an, und das ganz ohne Drogen. Man glaubt, die Dinge auf dieser Welt nun endlich zu verstehen. Ich glaube, ich habe während „Dark City, Dead Man“ den Höhepunkt meines musikalisch-induzierten Drogentrips. Nennt mich einen Hippie, aber dieses Konzert ist mehr als nur ein Konzert. Es ist eine Show, die alle Sinne anspricht und keine billigen Melodien und abgedroschenen Phrasen benötigt. Ich will gar nicht mehr beschreiben, wie ich nach dem Ende des Konzertes wieder zu den bitteren Tatsachen des echten Lebens heruntergezogen werde. Ich will lieber davon berichten, wie ich für knapp zwei Stunden dem Alltag entfliehen konnte, echte Trance erlebt habe, einen Kurztrip durch die gequälten Korridore meines eigenen Gehirns gemacht habe und für einen kurzen Augenblick gedacht habe, die Welt mit den richtigen Augen zu sehen. Danke dafür, CULT OF LUNA. [ms]

Die Umbaupause von CULT OF LUNA geht nun überraschend flott über die Bühne. Ein Schlagzeug im einen Eck, Perkussion im anderen, DJ-Set davor, drei Gitarren, ein Bass, selbst mitgebrachte Scheinwerfer – der Aufwand der Schweden ist schon jetzt beachtlich. Als es mit „The Sweep“ wortwörtlich dahinschwebend losgeht, präsentiert sich schon ihr außergewöhnliches Bühnenbild. Der Sound erinnert an KRAFTWERK, die in Silouetten erscheinenden Männer auf der Bühne an den Film „Metropolis“ und der Verstärker in der Mitte mit dem durchdringenden orangen Knopf an HAL 9000. Die Atomsphäre ist wie elektrisch aufgeladen in der Halle und es scheint, als hielte jeder einzelne seinen Atem an. Als zum ersten Mal das Licht ausgeht und damit der erste Song fertig ist, fragen sich zwar noch ein paar, ob das denn ein ganzer Song war, aber die meisten feiern schon dieses atmosphärische Sludge-Intro frenetisch ab. Mit immer dichter werdenden Songs steigern sie die Spannung bis ins Unermessliche und das intensive Spiel der ganzen Gruppe zieht alle Anwesenden in einen Sog purer Energie. Mit „I: The Weapon“ bricht wahrlich ein Damm im Klangbild und wir Besucher werden hinweggefegt, als wäre es ein Kinderspiel, sich hier in München zum absoluten Herrscher über die Massen zu ernennen. Als das alles überragende „Vicarious Redemption“ den epischen Anfang macht, schlottern mir schon vorsorglich die Knie, ich bin längst wie in Trance gefangen in der grandiosen Show. Die Lichtshow ist aufs genauste abgestimmt und das übermenschliche Timing dieser Musiker ist sowieso eine Klasse für sich. Der 18-Minüter bricht alle Tabus, bietet alles, was die Schweden können, und der begeisterte Jubelsturm im Anschluss ist mit Sicherheit kein Höflichkeitsapplaus mehr. Doch noch ist der Abend lange nicht zu Ende. Es folgen noch „Dark City, Dead Man“, bevor das Ende des Gigs mit den vertikalen „Passing Through“, „Disharmonia“ und „In Awe Of“ zu einem galoppierenden Abschluss getrieben wird.

Nachdem ihr vorläufig letztes Album mich restlos von ihren Künsten überzeugen konnte, bieten die Schweden nun auch live Qualität der Superlative. Ohne großartige Übertreibung kann ich sagen, dass neben einem der besten Alben dieses Jahrzehnts nun auch eines der besten, vielleicht das beste, Konzert überhaupt sich in die Reihe meiner Erlebnisse mit CULT OF LUNA einreiht. Dass GOD SEED zuvor einen mitreißenden und durchaus guten Gig gespielt haben, gerät dabei fast in Vergessenheit.

Für das bescheidene Bildmaterial eine Entschuldigung unsererseits. Wir hatten nur eine herkömmliche Digicam dabei.[mbo]

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