Schlaflose Nächte beim Frustabbau


Interview mit Unearth
Metalcore aus USA - Massachusetts
UNEARTH gehören zu den Pionieren des Metalcore und sind über 13 Jahre beständig gewachsen, obwohl oder gerade weil sie viele Klischess der Genreschublade meist sicher umschifft haben. Nachdem den letzten beiden Alben „III – In The Eyes Of Fire“ und speziell „The March“ ein leichter Hauch von Stagnation auf hohem Niveau anhaftete, weil die bekannten Trademarks zwar leicht weiterentwickelt wurden, aber insgesamt doch ein wenig Mut zum Risiko vermisst werden konnte, beschreitet das in den Startlöchern stehende fünfte Werk „Darkness In The Light“ Pfade, die nicht typisch für UNEARTH sind. So bringt sich Gitarrist Ken Susi zum ersten Mal seit vielen Jahren mit cleanem Gesang ein und die Texte haben eine persönlichere Note bekommen. Zu diesen beiden Themen und dem, was sonst noch anlag, hat sich Frontmann Trevor Phipps via Mail geäußert.

Es ist nicht mehr lange hin, bis „Darkness In The Light“ veröffentlicht wird. Bist du noch angespannt, wie die Reaktionen ausfallen werden oder haben die Kommentare zu dem Albumstream schon den größten Teil der Spannung von dir abfallen lassen?

Das Feedback bisher war größtenteils fantastisch. Viele Leute sagen, dass es unser bisher bestes Album ist und sie die Lieder und Performance lieben. Das gibt der Band den zusätzlichen positiven Schub dafür, wenn wir im Sommer und danach auf Tour gehen.

Als ich den Albumtitel zum ersten Mal gelesen habe, dachte ich, er handelt von der Komplexität von Dingen und Ereignissen. Nichts Gutes ist jemals makellos. Aber nach den Infos zum Album geht es scheinbar mehr in die Richtung, dass es immer jemanden oder etwas gibt, das guten Momenten, Dingen, Erfahrungen einen Makel anhaftet bzw. anhängen will. Wie erklärst du den Albumtitel?

Der Titel handelt von den Zeiten im Leben, die dich emotional und physisch runterziehen, unabhängig von den positiven Sachen, die um dich herum ablaufen. Es kann sich manchmal wie ein konstanter Kampf anfühlen, Dinge in Gang zu halten bzw. weiter voran zu treiben. Eine Menge der Texte drehen sich um diesen Konflikt und die Mühen, die Negativitäten zu überwinden.

Und in welcher Verbindung steht das Cover dazu?

Das Cover zeigt eine ertrinkende Person, deren Beine an einen Betonblock gebunden sind, aber sie trachtet auch nach Luft und dem Licht. Es liegt nur an ihr, ob sie alles tut, was sie kann, um sich zu befreien und zu leben, oder der Dunkelheit nachgibt, schwächer wird und langsam ertrinkt.

Neben den politischen Texten sind auf dem Album mehr persönliche Texte denn je zuvor, wie bei „Equinox“ oder „Last Wish“. Kannst du ein bisschen mehr über den Inhalt der Lieder erzählen?

Das Album enthält mehr persönlichen Inhalt als alle zuvor, die ich gemacht habe. Es war an der Zeit, mir Luft zu machen bei einigen Dingen, die sich über die Jahre angestaut und mich belastet haben. Wir müssen alle durch harte Zeiten, mit persönlichen Kämpfen, Verlust, Tod, etc… und dieses Album war meine Chance, mir das von der Seele zu reden. Ich habe das Glück, einen Job zu haben, wo ich buchstäblich so laut ich kann meine Frustration herausschreien kann.

Inwiefern haben die Texte mit tatsächlichen persönlichen Erfahrungen zu tun und wie viel hat einfach damit zu tun, dass du eine Entwicklung und Erfahrungen nicht nur als Mitglied von UNEARTH gemacht hast, sondern eben auch älter und reifer geworden bist?

Alle basieren auf persönlichen Erfahrungen, sogar die politischen Songs. Während ich älter werde, sehe ich immer Dinge und muss Sachen durchmachen, die mir falsch erscheinen, und den Weg, der meiner Ansicht nach „richtig“ ist. Diese Frustration kocht hoch. Meine Gedanken auf Papier zu bringen und eventuell in einem Song aufzunehmen ist ein Weg für mich, meine Gedanken an die Welt weiterzugeben. Das ist verbunden mit der Hoffnung, jemand kann sich damit identifizieren und etwas Trost aus den Worten ziehen, während sie gleichzeitig ein Ventil für mich sind.

Ist es schwieriger, eine persönliche Ebene in die Texte einzubringen als zum Beispiel die Regierung zu kritisieren, weil du etwas preisgibst, dass dir näher und wahrscheinlich wichtiger ist?

Ich habe gedacht, es wäre einfacher aus der persönlichen Perspektive zu schreiben, weil es von Herzen kommt. Aber als ich mich hingesetzt habe, um die Texte zu schreiben, hat es sehr lange gedauert das zu erreichen, was ich sagen wollte. Es ist auf jeden Fall eine größere Last und ich habe eine Menge schlaflose Nächte damit verbracht, die Lieder wieder und wieder zu hören, bei dem Versuch den richtigen Weg dafür zu finden, was ich sagen wollte. Das Endergebnis ist genau das, was ich in mir hatte und loswerden musste, aber es war eine lange Reise bis dahin.

Jetzt habe ich zwei Fragen dazu, dass Ken in ein paar Liedern clean singt. Hat die persönlichere Herangehensweise an die Texte eine Rolle dabei gespielt, cleane Parts zu integrieren, weil diese die Hörer auf eine andere Art emotional erreichen können als die rauer gesungenen oder geschrienen Parts?
Und, es ist nicht unbedingt meine Meinung, aber viele Leute sagen, dass eine Band nicht so hart wie üblich bleibt, wenn sie den Anteil des cleanen Gesangs erhöhen. Ist dir das schlicht egal oder denkst du, dass die Lieder stark genug sind, um diese Leute zu überzeugen?


Die Texte hatten nichts mit den gesungenen Parts zu tun. Diese Ausrichtung in den paar Liedern rührt einfach daher, dass die Lieder Teile hatten, die nach melodischerem Gesang gerufen haben. Es ist nichts neues für uns, weil wir auf unserer „Endless“ EP aus dem Jahr 2002 und auf „The Oncoming Storm“ von 2004 schon cleanen Gesang verwendet haben. UNEARTH wird niemals eine Band im Stil von KILLSWITCH ENGAGE oder ALL THAT REMAINS sein, bei der in jedem Lied gesungen wird. Wir freuen uns aber, dass wir diese Möglichkeit in unserem Arsenal haben, wenn wir denken, es passt zu einem Song.
Und der Gedanke, dass die Band „weicher“ geworden wäre, ist lächerlich. Musikalisch ist das das heavieste Album unserer Karriere und mein Gesang ist stärker und härter als je zuvor. Zu drei oder vier von elf Liedern Melodie hinzuzufügen macht das Album keinen Deut weniger „hart“. Wenn überhaupt macht es darauf aufmerksam, wie heavy der Rest des Albums ist.

Bevor es mit den Aufnahmen zu „Darkness In The Light“ losging habt ihr schon wieder einen Drummer verloren. Ich möchte Justin Foley (normalerweise KSE) überhaupt nicht kritisieren, weil er seine Sache auf dem Album richtig gut gemacht hat, aber woran liegt es, dass UNEARTH Schlagzeuger immer nur ein bis zwei Album durchhalten?

Mit unseren letzten beiden Drummern (Mike Justian, 2003-2007, und Derek Kerswill, 2007-2010) war es einfach so, dass sie in eine Band kamen, die schon fünf oder mehr Jahre existiert hat. Wir waren vier Kerle, die sich und ihre musikalischen Vorlieben bereits kannten. Unser erster Drummer, Mike Rudberg, hat die Band 2003 verlassen, weil er keine Lust mehr auf das Tourleben hatte. Er war ein Gründungsmitglied der Band und wir haben immer noch keinen Drummer gefunden, mit dem es die gleiche Chemie gab.
Unsere Wege mit Derek haben sich getrennt, weil er ein Rockdrummer ist und wir extremes Metaldrumming auf dem Album haben wollten. Das Schreiben und Aufnehmen dieser Art von Album hat mit Derek einfach nicht funktioniert, also mussten wir uns aus der Situation befreien. Wir sind immer noch mit ihm befreundet und wünschen ihm auch auf lange Sicht Erfolg als Profischlagzeuger.

In letzter Zeit habe ich einige Male den Ausdruck „die IRON MAIDEN des Metalcore“ für das Gitarrenspiel von Buz und Ken gelesen. Was hältst du von diesem Vergleich?

Das ist wahrscheinlich die größte Ehre, die die zwei Kerle erreichen können. Als wir 1998 mit der Band angefangen haben, war es unsere Absicht, einen neuen Sound zutage zu fördern (to unearth), der IRON MAIDEN beeinflusste Gitarren mit Thrash Metal und einer Art HATEBREED Härte kombiniert. Es ist ein großes Kompliment für uns, wenn den Leuten der große Einfluss auffällt, den IRON MAIDEN auf unsere Band und speziell die Gitarristen gehabt haben.

Ihr gehört, soweit ich weiß, zu den vergleichsweise wenigen Bands, die niemals ein großes Ding aus der Genrediskussion gemacht haben. Die großen Zeiten des Metalcore scheinen jetzt vorbei zu sein, während Deathcore, Thrash, traditioneller Metal oder Djent darüber „streiten“, was gerade der heißeste Scheiß ist. Aber ihr und ein paar andere aus der Urgruppe der Metalcorebands seid immer noch erfolgreich. Zufall, Qualität oder etwas anderes?

Ich denke, es liegt an der Qualität der Musik, der Originalität der Lieder und dem Fakt, dass wir als Pioniere dieses Sounds respektiert werden. Zum Vergleich: Wie viele Bands sind entstanden, nachdem SLAYER populär wurden, die sich genauso angehört haben? Die Antwort ist Hunderte, aber wie viele davon gibt es heute noch? Wahrscheinlich keine, oder zumindest nur wenige.
Die Begründer eines Sounds sind normalerweise die, die am längsten bleiben und die beste Musik in dem Stil schreiben. Zudem glaube ich, dass die Leute Bands anerkennen und respektieren, die die beste Musik schreiben und live die meiste Leidenschaft zeigen.

Ihr gehört zu den wenigen Bands, die Twitter nicht nur als einseitigen Newsstream benutzen, sondern tatsächlich mit den Leuten kommunizieren und auf sie reagieren. Wie sehr haben soziale Netzwerke die Interaktion zwischen einer Band und ihren Fans verändert und wie wichtig ist das für UNEARTH?

Soziale Netzwerke haben die komplette Landschaft aus Bands und ihren Fans verändert. Als wir angefangen haben 1998 haben wir ein paar Mails aber eben auch noch klassische Briefe von Fans geschickt bekommen. Jetzt haben wir Anschluss an Hunderttausende auf einem unglaublich schnellem Weg. Für mich ist es wichtig, diese enge Verbindung mit den Fans zu halten und ihnen den gleichen Respekt zu zeigen, den sie dir erweisen. Es ist schon öfter gesagt worden, aber ohne sie würden und könnten wir nicht das tun, was wir tun.

Ab Ende August und im September seid ihr der Headliner der Hell On Earth Tour in Europa. Tourneen mit so vielen Bands wie diese werden oft als zweischneidiges Schwert angesehen. Einerseits kann man eine Menge Bands an einem Abend sehen und vielleicht ein oder zwei neue kennenlernen, aber andererseits sind die Längen der Auftritte (sehr) kurz, gerade bei den Vorbands - ein Thema bei dem speziell die Deutschen recht pingelig oder empfindlich sein können. Was ist deine Meinung zu diesem Problem?

Ich verstehe das mit dem zweischneidigen Schwert total. Wir können den Fans nur empfehlen, das mehr als Festivaltour anzusehen. Sie bekommen einen Eindruck von den Vorbands und können sich ein Urteil darüber bilden, ob sie die nochmal live sehen wollen, wenn sie auf ihrer eigenen Headlinertour wieder kommen. Wir haben eine lange Spielzeit und werden Songs von allen unseren Alben spielen.

In guter alter Bloodchamber Tradition überlasse ich die letzten Worte dir:

Danke an die Fans für die fantastische Unterstützung über all die Jahre! Hört euch unser neues Album „Darkness In The Light“ an, weil wir denken, es ist ein großartiger Repräsentant unserer Band und der Musik, die wir lieben. Wir sehen uns bald beim Hell On Earth!

(Bild 1 von links nach rechts: Ken, Buz, Trevor, John)
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